Endgültig

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no-name

Beitragvon no-name » 06.05.2007, 09:32

Jetzt saß ich bereits seit einer dreiviertel Stunde hier, in diesem teuren Restaurant, in das ich allein niemals gegangen wäre und wartete auf Tim. Die Mittfünfzigerin vom Nebentisch guckte schon das dritte Mal mitleidig zu mir herüber. Ich zog ernsthaft in Erwägung, beim nächsten Blick dieser Art aufzustehen und ihr eine schallende Backpfeife zu verpassen. In Gedanken an diese Szene, musste ich grinsen. Da kam er auch schon, ihr erneuter Blick mit hochgezogener linker Augenbraue, der mir wohl sagen sollte, dass ich gefälligst diesen guten Tisch für andere Paare freimachen sollte. Ihre Herablassung machte mich wütend. Wahrscheinlich war ich schon seit einer Weile das Tischgespräch zwischen ihr und dem deutlich jüngeren Gigolo, der ihr gegenüber saß.
‚Da bin ich doch lieber allein hier, als mit einem Begleiter, den ich bezahlen muss’, dachte ich und lächelte ihr süffisant zu, während ich mein Glas zum Mund hob, um den letzten Schluck des Weißweins auszutrinken.

Am Nebentisch rechts von mir saßen drei junge Männer, alle etwa in meinem Alter, vielleicht auch etwas älter. Sie waren teuer und geschmackvoll gekleidet. Anders hätten sie sich einen Tisch hier auch nicht leisten können.
‚Wahrscheinlich Ärzte oder Scheidungsanwälte’, dachte ich schmunzelnd. Schon vorher hatte ich sie einige Male unauffällig aus den Augenwinkeln beobachtet. Vor allem der mittig sitzende junge Mann, der mit einem leichten französischem Akzent sprach, sah immer wieder zu mir herüber, sonst wäre er mir wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen. Anscheinend wollte er nicht, dass seine Freunde bemerkten, dass er Gefallen an mir fand. Jedenfalls nahm ich das an, denn sein Blick blieb länger als es nötig an meinem zugegebenermaßen tiefen Ausschnitt hängen. Schließlich lächelte er mir zu. Ich erwiderte spontan sein Lächeln, weil ich ihn attraktiv und seine zurückhaltende Art, mit mir zu flirten als angenehm empfand.

Schließlich erschien Tim doch noch im Foyer des Restaurants und legte seinen Mantel ab. Ich konnte ihn von meinem Tisch aus sehen und beobachten. Er hatte mittlerweile 55 Minuten Verspätung, schlenderte aber ohne Eile mit einem breiten Lächeln zu dem Tisch, an dem ich saß. Die Blicke sämtlicher Frauen im Restaurant waren augenblicklich auf ihn gerichtet. Er zelebrierte seine Auftritte und genoss seine Wirkung auf das andere Geschlecht. Mit jedem seiner aufreizend langsamen Schritte kostete er die bewundernden Blicke der weiblichen Gäste aus.
‚Was für eine Show.’ Ich verzog angewidert mein Gesicht. Der junge Mann am Nebentisch lächelte über meine Grimasse.

„Sandra, bitte entschuldige. Die Arbeit, Du weißt ja… Ich konnte mich wirklich nicht eher freimachen. Dringende Geschäfte…“ Konnte dieser Mann nicht in ganzen Sätzen mit mir reden? Ich war wütend, wollte es Tim aber nicht zeigen.
‚Klar, und ich bin sicher, diese dringenden Geschäfte sind blond, schlank, vollbusig, haben lange Beine und sind gerade von Dir auf dem Schreibtisch vernascht worden,’ dachte ich. Der Lippenstift an seinem Hemdkragen sprach jedenfalls für meine Vermutungen.
Ich schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln und zwinkerte dem Mann rechts von mir verschwörerisch zu.

„Natürlich, Tim.“ Ich gähnte, so sehr war ich seine lächerlichen Entschuldigungen leid. Ich war erstaunt, wie gelassen ich blieb. Das machte wohl die jahrelange Übung im Umgang mit Tim.
„Entschuldigung.“ Ich sah überrascht zu dem Mann auf, mit dem ich vorher Blickkontakt gehabt hatte. Er war an unseren Tisch getreten.
„Darf ich?“ Er hielt mir auffordernd die rechte Hand hin. Seine Körperhaltung ließ darauf schließen, dass er anscheinend erwartete, ich würde seine dargebotene Hand ergreifen. Aber wozu? Momentan spielte keine Musik, zum Tanzen konnte er mich also nicht auffordern wollen.
„Was soll das? Sie sehen doch, dass die Dame mit mir hier ist,“ schaltete sich Tim ein.
„Nein. Die Dame war bereits eine Stunde hier, erst dann kamen Sie dazu,“ korrigierte er Tim, „und ich bin hundertprozentig sicher, sie wäre in diesem Moment gern woanders.“ Sein leichter französischer Akzent ließ die einzelnen Worte in meinen Ohren zu einer weichen, einschmeichelnden Melodie verschmelzen. Als ich sein Angebot begriff, wich meine Überraschung ehrlicher Dankbarkeit.
„Gern, vielen Dank.“ Langsam erhob ich mich von meinem Stuhl und ergriff seine Hand, die noch immer geduldig in meine Richtung ausgestreckt war. Er umfasste die meine und geleitete mich um den Tisch herum an seine Seite. Tim verfolgte mit ungläubigem Blick, was geschah.
„Mach es gut, Tim. Ich lasse meine Sachen abholen. Genug ist genug. Ich hätte das schon viel früher tun sollen.“ Ich lächelte ihm zu und hauchte ihm einen angedeuteten Kuss auf die Wange.

no-name

Beitragvon no-name » 08.05.2007, 15:40

Hallo Mucki,

endlich mal ein positiver Kommentar zu meinem Text. Das tut gut nach all den Eimern voll Kritik, die über mir ausgeschüttet wurden... :mrgreen:
Ich danke dir.

LG von no-name.

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Beitragvon Elsa » 08.05.2007, 16:56

Hallo no-name,

no-name hat geschrieben:Hallo Mucki,
endlich mal ein positiver Kommentar zu meinem Text. Das tut gut nach all den Eimern voll Kritik, die über mir ausgeschüttet wurden... :mrgreen:
Ich danke dir.
LG von no-name.
das Statement verwundert mich nun doch sehr!

Ich schrieb gleich als die Geschichte auftauchte in meiner Einschätzung dazu:
Habe deine Geschichte gern gelesen, sie ist flüssig und locker geschrieben. Die Befreiung einer Frau aus einer Beziehung, zum Zeitpunkt eines Restaurantbesuchs.


Ist das nicht positiv?

Verblüffte Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen

Gast

Beitragvon Gast » 08.05.2007, 18:17

Hi, jetzt muss ich da mal einen "allgemeinen Salonkommentar" ablassen, ehe ich mich dem Text widme. Also ich verstehe no-name sehr gut, mir ging es anfangs auch so, die Kritik hier ist einfach ziemlich hart und oft schwer zu verkraften. Dabei war ich keine Anfängerin in Sachen Lit.foren, und no-name ist es auch nicht. Bestimmt kann man genau aus dieser Art von Kritik eine Menge profitieren, aber sie ist sehr gewöhnungsbedürftig.

@ Klara: Du hast in der Sache zweifellos Recht - auch ich habe schon Leuten gesagt: Es ist egal, ob das genau so passiert ist, interessant ist einzig und allein, ob es für Leser rüberkommt. Du hättest das aber auch etwas freundlicher sagen können ;). Zudem denke ich, dass viel davon auch einfach Geschmackssache ist. Ich mag die schlichte Schilderung von Alltagssituationen und sie langweilt mich keineswegs. Was Klischees betrifft - nun, darüber lässt sich sicher trefflich streiten ;).


@ no-name: Ich mag deinen Text. Einzelne Kriktikpunkte würde ich an deiner Stelle berücksichtigen. Du wirst selber wissen, was passt und was nicht. Ändere auf gar keinen Fall deinen Stil, denn der ist meiner Meinung nach sehr individuell. Aber das wirst du eh nicht machen ;).

LG Mel

no-name

Beitragvon no-name » 08.05.2007, 21:16

Liebe Elsa,

doch doch, ich habe in deinen Kommentar durchaus Positives wahrgenommen. Bitte entschuldige, denn deine Äußerung:
Habe deine Geschichte gern gelesen, sie ist flüssig und locker geschrieben.

ist vielleicht von mir nicht genügend gewürdigt worden. Ich versichere Dir aber von Frau zu Frau, dass dies bei mir sehr wohl angekommen ist.

Lächelnde Grüße von no-name.

no-name

Beitragvon no-name » 08.05.2007, 21:21

Hey Mel,

echt lieb von dir, dich für mich so ins Zeug zu legen. Das musst du aber doch nicht... Die Kritik ist schon ok, ich will hier ja nicht mit rosa Wattebäuschchen gepudert werden - es war eben nur sehr viel, sehr geballt auf einmal. Das hat mich überrascht und ein bisschen kalt erwischt. Nun aber genug davon.

Mel, danke für deine aufmunternden Worte. Es stimmt, du vermutest richtig: Ich werde meinen Schreibstil sicher nicht komplett ändern. Es ist auch nicht mein Ziel, so zu schreiben, dass es allen gefällt. Ich muss meinen Weg gehen, und das werde ich auch. So oder so... ;-)

Liebe Grüße von no-name.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 08.05.2007, 22:01

Liebe no-name,

Gewürdigt hätte meine Äußerungen nicht werden müssen, ich dachte nur, du hättest sie vielleicht übersehen, weil du "endlich ein Positiver' schrobst.

Angekommene und liebe Grüße,
ELsa
Schreiben ist atmen


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