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Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klara
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Beitragvon Klara » 07.05.2007, 13:54

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Zuletzt geändert von Klara am 17.06.2007, 15:30, insgesamt 5-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.05.2007, 14:21

Hallo Klara,

hier nur ein erster Leseeindruck: So würde ich mir vorstellen, dass manch eine Frau in der Disco denkt. Eigentlich habe ich mir gewünscht, dass sei nur meine mangelnde und negativistische Phantasie.

Einige kleine Fehlerchen lassen sich noch finden:

a) Warum schreibst Du weggedimmt nicht zusammen. Macht man das heute so?

b) Warum schreibst Du rumsteht auseinander?

c) aber sie registriert nur den Sex (ohne Komma)

d) Vielleicht ist es auch früh (spät) genug, um schlafen zu gehen?

Meine Mutter würde hierzu folgendes einfallen: Die jungen Frauen von heute sind so schrecklich unemanzipiert und unpolitisch, dass sie an ihrer Misere selber schuld sind. Warum engagiert sich das Mädchen in der Geschichte nicht? Da lernt sie bestimmt auch Menschen kennen, die vielleicht mehr können, als sich in die Ecke zu stellen und gut auszusehen.

Mir kommt natürlich sofort der soziologische Gedanke: im Partnerschaftswettlauf von heute gibt es zwei Gruppen von Verlierern, nämlich die unterprivilegierten Männer und die übermäßig qualifizierten Frauen. Erstere haben keine Chancen, letztere haben zu hohe Ansprüche und müssen - wie Du ja auch in Deiner Geschichte schreibst - irgendwann Kompromisse machen.

Zumindest provoziert Dein Text also Diskussionen.

Grüße

paul ost

Klara
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Beitragvon Klara » 07.05.2007, 14:50

Hallo Paul Ost,

danke für dein schnelles Feedback.

hier nur ein erster Leseeindruck: So würde ich mir vorstellen, dass manch eine Frau in der Disco denkt. Eigentlich habe ich mir gewünscht, dass sei nur meine mangelnde und negativistische Phantasie.

Hast du den Titel mitgelesen?

a) Warum schreibst Du weggedimmt nicht zusammen. Macht man das heute so?

b) Warum schreibst Du rumsteht auseinander?

Ich weiß eben gerade NICHT, was MAN HEUTE macht: Verrätst du es mir? Wann ich zusammenschreibe und wann nicht? Im Moment gehorche ich, was das betrifft, den roten Unterkringeln im Word-Programm...
c) aber sie registriert nur den Sex (ohne Komma)

DasKomma ist Absicht.

d) Vielleicht ist es auch früh (spät) genug, um schlafen zu gehen?

Nein, es ist spät genug, um schlafen zu können.

Meine Mutter würde hierzu folgendes einfallen: Die jungen Frauen von heute sind so schrecklich unemanzipiert und unpolitisch, dass sie an ihrer Misere selber schuld sind. Warum engagiert sich das Mädchen in der Geschichte nicht? Da lernt sie bestimmt auch Menschen kennen, die vielleicht mehr können, als sich in die Ecke zu stellen und gut auszusehen.

Mein Deutschlehrer würde zu deiner Mutter sagen, dass sie den Text nicht verstanden hat. Es geht nicht darum, in der Ecke zu stehen und gut auszusehen, sondern es geht um - individuell getarnte - Gesellschaftskritik. Es geht um das (Partner)Leben als Markt. Es geht um die Selbst-Betrachtung als Ware. Jedes einzelne Wort steht da nicht, weil mir kein besseres einfiel, sondern weil es so gemeint ist, wie es da steht. Es liest sich möglicherweise wie ein frustrierter Text einer vom geliebten Mann Verlassenen, aber das ist nur die eine Ebene. Die andere Ebene soll eigentlich sein, dass die Liebe unter den alles beherrschenden Markt-Bedingungen noch mehr zum Scheitern verurteilt ist als ohnehin schon, weil jede Ware/jeder Mensch fehlerhaft ist und im Grunde Ausschuss. Wenn das überhaupt nicht rüberkommt und du nur ein Disco-Mädchen liest, das Anschluss sucht und schon angwidert ist, bevor es losgeht, dann habe entweder ich etwas falsch geschrieben - oder du liest, was du lesen willst, wenn du "Klara" siehst.

Mir kommt natürlich sofort der soziologische Gedanke: im Partnerschaftswettlauf von heute gibt es zwei Gruppen von Verlierern, nämlich die unterprivilegierten Männer und die übermäßig qualifizierten Frauen. Erstere haben keine Chancen, letztere haben zu hohe Ansprüche und müssen - wie Du ja auch in Deiner Geschichte schreibst - irgendwann Kompromisse machen.

Und mir kommt (wohl ähnlich wie deiner Mutter) der Scheißdrauf-Gedanke. Scheiß drauf auf den Wettbewerb. Aber darauf muss man ja erstmal kommen, wenn man sich dagegen wehren will, nicht wahr? Und eher in dieser Richtung war der Text gedacht - nicht als Affirmation.

Zumindest provoziert Dein Text also Diskussionen.

Schaun wir mal.

Herzlich
klara

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.05.2007, 17:04

Liebe Klara,

Deinem Word-Programm solltest Du garantiert nicht trauen. Obwohl "wegdimmen" und "rumstehen" hoffentlich von jedem Word-Programm angemahnt werden, da es sich doch um Umgangssprache handelt. Was die Kritik angeht, von der Du sprichst, so ist sie nichts Neues.

Gerade zur Zeit wird doch vom Spiegel eine Ariadne von Schirach gepuscht, die eben dieses Thema plattwalzt und dabei so toll aussieht, dass man sie gut in jedes Magazin stecken kann. Sie ist die perfekte Antithese zu jedem ihrer Gedanken.

Was Deinen Deutsch-Lehrer betrifft, kenne ich ihn nicht. Ich wollte etwas anderes ausdrücken.

Deine Protagonistin, soviel steht fest, vermag es nicht, sich von den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien. Sie geht ja offensichtlich nur recht wenige Verhaltensweisen, nämlich: a) in einer Beziehung sein oder b) ausgehen, weil ihre Beziehung gescheitert ist. Sie könnte ja auch c) sich in der Kirche engagieren, um die Welt zu retten oder d) Politikerin werden, um unsere Staatsschulden zu senken. Meine "Mutter" hätte sich eben - wie viele Frauen ihrer Generation - für c) und d) entschieden und wäre gar nicht auf die Idee gekommen, sich von einer Marktmetapher so dermaßen ins Boxhorn jagen zu lassen.

Das Komma vor Sex mag Absicht sein, ist aber doch wohl falsch, oder?

Übrigens habe ich Deinen Text ja gar nicht als Affirmation gelesen. Sondern offensichtlich genaus so, wie Du ihn gemeint hast.

Was den "Scheißdrauf-Gedanken" betrifft, habe ich vorhin nur vergessen zu schreiben, dass Dein Text zwar viele spannende Anknüpfungspunkte bietet, er könnte aber ruhig fortgesetzt werden. Innerhalb eines Romans könnte ein Kapitel so anfangen. Dann müsste aber etwas geschehen...

Ach und am Ende zwitschern die Vögel: Dann ist es früh am Morgen, nicht spät. Oder höre ich immer nur Lerchen und niemals Nachtigallen?

Grüße

paul ost

Klara
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Beitragvon Klara » 07.05.2007, 17:25

Hallo,

A. v. Sch. kenne ich nicht. Ich schau mal, worum es dabei geht.

Was Deinen Deutsch-Lehrer betrifft, kenne ich ihn nicht. Ich wollte etwas anderes ausdrücken.

Ich kenne meinen Deutschlehrer auch nicht ,-)

Deine Protagonistin, soviel steht fest, vermag es nicht, sich von den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien. Sie geht ja offensichtlich nur recht wenige Verhaltensweisen, nämlich: a) in einer Beziehung sein oder b) ausgehen, weil ihre Beziehung gescheitert ist. Sie könnte ja auch c) sich in der Kirche engagieren, um die Welt zu retten oder d) Politikerin werden, um unsere Staatsschulden zu senken.

Äh, Paul, ehrlich gesagt verstehe ich dein Problem nicht - und auch nicht, warum du so auf dem Generationen-Ding bestehst, immer mit dem Subtext: Die Generation unserer Mütter (wenn ich uns mal in einen Generationen-Topf werfen darf) waren/sind schlauer, klüger, engagierter, emanzipierter... Selbst wenn es so wäre (der gegenwärtige Rollback in Richtung konservativ à la Eva Hermann ist ja unübersehbar), ist das überhaupt nicht Thema im Text.
Deine Auflistung nach a), b), c) und d) schließt doch einander nicht aus. Wer sich in der Kirche oder politisch engagiert, könnte ja vielleicht trotzdem einen Mann im Bett haben wollen, oder? Die Protagonistin könnte sogar Pfarrerin sein - darum geht es aber gar nicht.
Meine "Mutter" wäre gar nicht auf die Idee gekommen, sich von einer Marktmetapher so dermaßen ins Boxhorn jagen zu lassen.

a) bezweifle ich das
b) handelt es sich bei "Markt" um mehr als um eine Metapher.

Das Komma vor Sex mag Absicht sein, ist aber doch wohl falsch, oder?

Ja, es ist falsch.

Innerhalb eines Romans könnte ein Kapitel so anfangen. Dann müsste aber etwas geschehen...

Ach so, du meinst, der Text kann nicht für sich alleine stehen? Dabei dachte ich, das Aufreizende (weil Abschließende) wäre gerade, dass nichts geschehen kann, in diesem Text.

Ach und am Ende zwitschern die Vögel: Dann ist es früh am Morgen, nicht spät. Oder höre ich immer nur Lerchen und niemals Nachtigallen?

Ja klar, das hab ich schon kapiert, aber es ist figurinern - also empfundene Zeit für "sie" - spät genug, weil ihr Tag jetzt erst zu Ende geht, wo für andere ein neuer beginnt (beginnen sollte). Dieses Spielchen mit der Hoffnungslosigkeit wirkt aber offenbar für dich nicht.

Dank dir.
Klara

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 07.05.2007, 18:10

Liebe Klara,

für mich sind bestimmte Dinge Thema im Text, an die Du vielleicht gar nicht denkst. Deshalb schreibe ich ja davon.

Für mich thematisiert dieser Text nicht die Hoffnungslosigkeit einer enttäuschten Frau, sondern die Hoffnungslosigkeit einer oberflächlichen Frau.

Um es einmal positiv zu wenden: Du kannst sehr schön formulieren. Wenn ich an meine Lieblingsschriftstellerin Juli Zeh denke, dann beginnt mit einer solchen Beschreibung bei ihr etwas und natürlich wird dann auch etwas geschehen.

Und was den Markt betrifft: Er ist eine Metapher. Sprache ist doch - um mal einen Gedanken aus dem MoE-Thread zu retten - nach Nietzsche ein Herr von beweglichen Metaphern. Das ist hier auch nicht anders. Nur weil ein Begriff wie Globalisierung einen anderen wie Weltrevolution abgelöst hat, enthält er deshalb nicht gleich mehr Wahrheit. Bestenfalls lässt er, ganz Nietzscheanisch, die Welt in einem anderen Licht erscheinen.

Grüße

Paul

Klara
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Beitragvon Klara » 07.05.2007, 18:47

Tja, Paul, jetzt schlägst du mich mit Nietzsche tot, als wäre Nietzsche der Deus ex machina für jedes nur mögliche Problem, nachdem er den eigentlichen Deus totgeschlagen hat. Darauf kann ich nicht angemessen reagieren, weil ich zu wenig von Nietzsche weiß - und weil ich glaube, dass es in gewisser Weise eine Glaubensfrage ist, die Welt zu betrachten.

Vielleicht lässt sich unser beider immer wiederkehrendes gegenseitiges Verständnisproblem sogar auf dieses alte zurückführen:

Entweder das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Oder das Bewusstsein bestimmt das Sein

Das geht nur in Tendenzen, denn natürlich stimmt beides (nicht), aber ich nehme an, du tendierst zu ersterem (Markt als Metapher etc.), und ich eher zu letzterem.

Aber wahrscheinlich weißt du jetzt wiederum nicht, was ich damit meine, reagierst also für mich fremd undsofort, so dass ich nicht verstehe undsofort. Deshalb werden wir vielleicht (wer weiß) uns immer missverstehen, aber das macht (vielleicht, wer weiß) nicht so viel, oder bringt (vielleicht, wer weiß) doch jeweils neue Denk-und Betrachtungsanregungen auf Welt, Sichtweise und Texte.

Ich freue mich über deine Auseinandersetzung mit dem Text (bzw. mit der von dir daraus erlesenen oberflächlichen Welt) auch da, wo ich offenbar missverstehe. (Zum Beispiel verstehe ich nicht, wieso für dich eine Protagonistin nicht zugleich enttäuscht UND oberflächlich sein kann. Beziehungsweise, was diese Wertung/Adjektivierung/Beurteilung einer Protagonistin einem Leser bringen soll. Die Kälte ist doch viel allgemeiner.)

Herzlich
Klara

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 07.05.2007, 19:14

Hallo Klara,

Mir gefällt dein Text. Ich finde die Protag nicht oberflächlich sondern absolut verzweifelt. Sie will sich von dem Mann, der sie verlassen hat, befreien. Aber was findet sie: Oberflächlikeit und Ekel. Die Rechnung geht so nicht auf, wie sie sich das dachte.

Nach meinem Geschmack sind zu viele Detailbeschreibungen drin, ich würde einige rausnehmen.
Ihr Blick spiegelt sich weiter in albernen Hornbrillen, streift spießige Hemden, ist schockiert von schreienden Farben, bleibt zu lange liegen auf zu langen Haaren, oder rutscht aus auf Kahlköpfen, bedeckt mit Sonnenbrillen oder kleinen runden gestreiften Strickmützen.
Diese da z.B. ist mir zuviel, weil auch wenn es andere Beobachtungen sind, die sie macht, dadurch etwas langatmig wird. Stattdessen könnte ich mir vorstellen, an dieser Stelle noch mal ihre Einsamkeit und Frustration zu spüren.

Sie hatte nur vergessen, anstrengend das ist, denn jeder,

wie anstrengend


@Paul:
Wenn ich an meine Lieblingsschriftstellerin Juli Zeh denke, dann beginnt mit einer solchen Beschreibung bei ihr etwas und natürlich wird dann auch etwas geschehen.
ich liebe sie auch so sehr!

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Sam

Beitragvon Sam » 07.05.2007, 19:34

Hallo Klara,

offensichtlich bin ich nicht der einzige, der hier depremierende Texte schreibt. :daumen: .

Zum Text:

Jemand schrieb einmal: "Manche Menschen sind so einsam, dass sie am liebsten alleine bleiben."
Daran musste ich bei dieser Geschichte denken. Was ich hier beschrieben finde, ist die Unfähigkeit der Erzählerin zur Interaktion, die Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme. Was ihr bleibt, ist der abwertende Blick, denn der beruhigt und setzt sie ins Recht. Man weiß nichts von der Erzählerin (außer, das sie eine gescheiterete Beziehung hinter sich hat, aber was ist das schon?), aber sie spiegelt sich recht gut in der Art und Weise, wie sie auf andere Menschen schaut, in diesem Fall auf die Männer. Keinen von denen traut sie zu, dass hinter deren Wunsch nach schneller Befriedigung ein tieferes, ehrlicheres Bedürfnis stecken könnte (sie selbst gesteht sich das aber ohne weiteres zu, denke ich). Bezeichnend in dieser Hinsicht, dass ihr Verhältnis zu den Beleitern auch nicht näher definiert wird. Zu denen will sie offensichtlich auch nicht gehören, die sind im Grunde wie die anderen, die sie beobachten muss.

Für mich stellt die Erzählerin sich hier selber ein Armutszeugnis aus. Sie will mal wieder rauskommen. Und dafür muss sie sich in die Gesellschaft von Menschen begeben, die sie eigentlich verachtet. Das wäre nicht weiter schlimm, würde sie wenigstens eine Spur dieser Verachtung auch für sich selbst verspüren. Aber nein, sie ist anders und am Ende braucht sie das testosterongesteuerte männliche Elend nur, um sich soweit zu ermüden, dass sie irgendwann einschlafen kann. Alleine natürlich.

Ein guter Text mit vielen starken Stellen!

wenn man selbst nichts haben will, kann man wenigstens zugucken, welche Kompromisse die andern machen.

Für mich das Sahnestück unter den vielen guten Beschreibungen.

Mit der ein oder anderen Formulierung habe ich meine Schwierigkeiten, aber ich mag den Text jetzt nicht zerpflücken, weil er so, wie er dasteht schon kein geringes Lesevergnügen bereitet.

Liebe Grüße
Sam (der mit seiner Interpretation wahrscheinlich voll daneben liegt. ,-) )

Klara
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Beitragvon Klara » 08.05.2007, 09:10

Hallo Elsa,

danke .-) Mit der einen beschreibenden Stelle bin ich mir auch noch unsicher. Zwar soll das so einen Bogen ergeben zum Anfang - wieder gleitet der Blick der Protagonistin -, aber man kommt so raus, gegen Ende, wenn es wieder in Details geht, die dann erzähltechnisch ja gar keinen Sinn mehr haben, sondern nur noch, sozusagen, einen drauf geben. Nachgetreten.

Hallo Sam,

offensichtlich bin ich nicht der einzige, der hier depremierende Texte schreibt.

Offensichtlich ,-) Man kann sich ja nicht immer die Texte aussuchen, die geschrieben werden wollen oder wollten - ich kann das jedenfalls nicht.

Jemand schrieb einmal: "Manche Menschen sind so einsam, dass sie am liebsten alleine bleiben."

Weißt du noch, wer?
Was ich hier beschrieben finde, ist die Unfähigkeit der Erzählerin zur Interaktion, die Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme. Was ihr bleibt, ist der abwertende Blick, denn der beruhigt und setzt sie ins Recht.

Da liest du genau so, wie ich es gemeint habe. Das freut mich.

Nicht ganz klar ist mir deine Lesart wegen dieser Sätze:
Keinen von denen traut sie zu, dass hinter deren Wunsch nach schneller Befriedigung ein tieferes, ehrlicheres Bedürfnis stecken könnte (sie selbst gesteht sich das aber ohne weiteres zu, denke ich).
(...)Für mich stellt die Erzählerin sich hier selber ein Armutszeugnis aus.

Ob sie sich selbst ein "tieferes, ehrlicheres Bedürfnis" zugesteht, steht, finde ich, gar nicht zur Debatte. Auch "ehrlich" wäre viel zu moralisch als Kategorie - denn was wäre "unehrlich" daran, Sex haben zu wollen? Wenn du mich zwingen würdest, die Protagonistin in dieser Tiefe zu ergründen, müsste ich eher antworten, dass sie sich selbst - zumindest in diesem Moment - kein tieferes Bedürfnis zugesteht, und zwar im Wortsinn: Sie gesteht es sich nicht zu, weil sie damit nicht noch mal scheitern will.

Das mit dem Spiegel hast du gut erkannt, aber ddas gilt auch für die Verachtung: Wie sie die anderen verachtet, verachtet sie ja eben auch sich selbst. Es zwingt sie ja keiner, sich auf den Markt zu begeben, sich anzuschauen, welche Kompromisse die anderen machen. Ihre Haltung und ihr Verhalten ist ja nicht gerade erwachsen. Sie könnte ja auch - wie Paul richtig bemerkte - sich statt in die verächtliche Depression ins politische Engagement begeben und ihren Kummer so verdrängen, anstatt ausgerechnet ihre Marktchancen abzutesten und sich so zum Objekt zu machen, wie sie die anderen zum Objekt macht. Sie ist ja ein Teil der Misere, und nur die Tätigkeit des Beobachtens erhebt sie ein wenig vom beobachteten Mob, hält sie raus. Sie braucht das Beobachten, um das Beobachtetwerden - eingebildet oder tatsächlich oder von sich selbst - ertragen zu können. Wie zwanghaft muss sie alles, was sie sieht (inklusive sich selbst und ihre durchaus vorhandenen sexuellen Bedürfnisse) mit Hässlichkeitstünche überschütten, als wäre dadurch die Gefahr gebannt. Welche Gefahr? Vielleicht die Gefahr, sich selbst als nicht hässlich gegenüber zu treten (denn ihre Selbstverachtung ist billig, und das weiß sie). Die Gefahr, nicht mehr zu beobachten, sondern sich wahrhaftig zu verhalten. Und was wäre daran gefährlich? Das wäre eine andere Geschichte.

Dank euch.
Klara
PS Sam, ich wüsst dennoch gern, welche Stellen für dein Lesen nicht gut formuliert sind - egal, ob ich übereinstimme oder nicht. Einfach um es zu wissen. Magst du es mir sagen?

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 08.05.2007, 09:23

Hallo Klara

gegen Ende, wenn es wieder in Details geht, die dann erzähltechnisch ja gar keinen Sinn mehr haben, sondern nur noch, sozusagen, einen drauf geben. Nachgetreten.

Genau das meinte ich :-)

Lieben Gruß
ELsa
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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 08.05.2007, 17:08

Hallo,

ich will die spannende inhaltsbezogene Diskussion nicht groß unterbrechen, will nur jenes kleine technische Problem mit dem paarigen Komma kommentieren:

"Alle haben Turnschuhe, und alle wollen nicht allein ins Bett, wenigstens in dieser Nacht, aber sie registriert nur, den Sex, der wie klebriges Eigelb auf den Gesichtern glimmt, ein trauriger Ersatz, und als sie endlich an die Luft kommt, singen die Vögel, der Regen ist fort."

Ob "den Sex" in ein paariges Komma (sprich: in der Funktion als Klammer- oder Gedankenstrich-Paar) gesetzt werden darf, hängt wohl von der beabsichtigten Intensität des Bezugs auf den vorausgehenden Nebensatz ab. Nun denn. Da ist erstens: Das Registrieren per se. Zweitens: Sex registrieren. Meiner laienhaften Meinung nach darf da durchaus ein Bruch sein, das heißt, ein paariges Komma gestattet sein. Wenn das dennoch zu umstritten sein sollte, wie wäre es damit:

"... aber sie registriert nur. Den Sex. Der wie klebriges Eigelb ..."

"... aber sie registriert nur -- den Sex, der wie klebriges Eigelb ..."

Die Punkt- oder Gedankenstrich-Pause könnte andererseits zu lange dauern. Ich fände es jedenfalls schade, wenn die Komma-Pause nach "nur" nicht als stilistisches Element eingesetzt werden dürfte.


Salve

Pjotr

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Beitragvon Klara » 08.05.2007, 18:54

Hallo Pjotr,

genau so meinte ich das Komma: paarig (dieser Begriff "paariges Komma" ist interessant, den kannte ich nicht).

Ein Punkt wäre mir zu stark, ein Gedankenstrich zu stark unterbrechend, zu angeberisch. Ich finde mein paariges Komma deshalb gerechtfertigt ,-) Denn sie registriert ja nicht nur den Sex, erstmal sie registriert nur, dann registriert sie, dass sie Sex registriert, es ist eine traurige Chronologie im Beobachten, die das Komma verdeutlichen will.

[registrieren: selbsttätig aufzeichnen, bewusst wahrnehmen, einordnen, sachlich feststellen... dann gibt es auch noch ein Register bei Gesangsstimmen und Orgel, aber das ist hier nicht gemeint]

Danke für die grammatische und semantische Legitimation.

Klara

Sam

Beitragvon Sam » 08.05.2007, 20:02

Hallo Klara,

Nicht ganz klar ist mir deine Lesart wegen dieser Sätze:

Zitat:
Keinen von denen traut sie zu, dass hinter deren Wunsch nach schneller Befriedigung ein tieferes, ehrlicheres Bedürfnis stecken könnte (sie selbst gesteht sich das aber ohne weiteres zu, denke ich).
(...)Für mich stellt die Erzählerin sich hier selber ein Armutszeugnis aus.

Ist es denn wirklich der schnelle, unkomplizierte Sex, den sie sucht? Ich glaube nicht. Sie sucht etwas, dass ihre Einsamkeit ein Stück erträglicher machen könnte. Aber warum soll es bei den vielen Posern, denen sie begegnet nicht anders sein. So, wie sie sich die Maske der Unnahbaren aufsetzt, stolzieren die anderen Männern hilflos mit ihrer Machomaske herum. Arme Würstchen sind sie alle.

Sie ist ja ein Teil der Misere, und nur die Tätigkeit des Beobachtens erhebt sie ein wenig vom beobachteten Mob, hält sie raus.

Genauso sehe ich es auch.

Mir gefällt der Text deswegen so gut, weil er sehr überzeugend zeigt, wie ein Mensch versucht, sich vor seiner eigenen Verzweiflung zu schützen.


ich wüsst dennoch gern, welche Stellen für dein Lesen nicht gut formuliert sind

Nun denn:

die gemeinsam mit ihr den toten Abend totschlagen.

Das ist mir zu gewollt, auch wenn du es dann erklärst, von wegen zwei Mal tot = lebendig

Die Begleiter stimmen zu, die Augen auf irgendwelche Brüste geheftet, die sie nicht kriegen werden.

Ich denke mal, dass die Begleiter nicht böse sind, wenn sie keine Brüste kriegen ,-)

Einer präsentiert sich mit blond gefärbter Freundin, die ihren Busen hoch gedrückt trägt,

Hoch gedrückt trägt - klingt sehr unbeholfen.

Die oben erwähnten Passagen fallen aber nur auf, weil sie kleine Säue sind, die du zwischen die Perlen geworfen hast. ,-)

Liebe Grüße

Sam

PS: Der von mir zitierte Satz - weiß nicht mehr, woher ich den habe. Am Ende ist der noch von mir :mrgreen:


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