Die Zeit

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 17.04.2007, 20:57

Die Zeit
trägt ein himmelblau
duftendes Kleid -

ein Bild gemalt
von Kinderhand
mit Kreiden aus Pastell:

Ich winke ihr zu und sie
geht vorbei.

Morgen
wischt der Wind
die Tafeln wieder blank.

Mich schleift
ein anderer
aus dem Stein.

Änderungen nach Vorschlägen von carl

Erstfassung:

Die Zeit
trägt ein himmelblau
duftendes Kleid -

Ich winke
ihr zu
und sie

geht vorbei,

ein Bild
gemalt von Kinderhand
mit Kreiden aus Pastell:

morgen
weht der Wind
die Tafeln wieder blank.


Mich haut
ein anderer
aus dem Stein.
Zuletzt geändert von leonie am 18.04.2007, 16:37, insgesamt 5-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 17.04.2007, 21:13

Liebe leonie,

ganz spontan, ab dem 3. Vers wunderbar.
Die zwei davor (einschl. geht vorbei) kannst du m.M. getrost streichen.

Die Zeit im himmelbalu duftenden Kleid
ist einfach zu schön um wahr zu sein, finde ich. Auf mich wirkt es kitschig. Das Zuwinken braucht es meines Erachtens nicht.
ich würde direkt beginnen mit:

ein Bild
gemalt von Kinderhand
mit Kreiden aus Pastell


morgen
weht der Wind
die Tafeln wieder blank.

Mich haut
ein anderer
aus dem Stein.

Merkwürdig, ich finde tatsächlich das ab Vers 3 ein völlig anderer Text beginnt, als habest du diesen Teil in einern anderen Stimmung geschrieben, wie aus einem Guss, das davor scheint mir nicht passend zu sein, weder von der Atmosphäre noch vom Inhalt.

Liebe Grüße
Gerda

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leonie
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Beitragvon leonie » 17.04.2007, 21:32

Liebe Gerda,

danke für die prompte Rückmeldung. Ich verstehe, was Du meinst. Und Du hast recht, die Stimmung ist eine andere, wenn ich die ersten Strophen streiche. Melancholischer. (Ich wollte eigentlich Leichtigkeit transportieren, aber vielleicht ist das ein Trug...)
Ich muss nochmal drüber nachdenken und möchte noch einmal abwarten, wie andere es empfinden...

Liebe Grüße

leonie

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.04.2007, 21:49

Hallo Leonie,
für mich war die Leichtigkeit da, bis zur letzte Strophe, die im Rückblick das ganze sehr wehmütig macht.
morgen
weht der Wind
die Tafeln wieder blank.

habe ich positiv gelesen. Bei Kindern beinhaltet noch jeder Tag die Möglichkeit eines ganz neuen Bildes von der Welt.
Dagegen steht für mich die letzte Strophe, die Unveränderbarkeit und Härte ausdrückt. Beim Lyrich ist kein Neuanfang mehr möglich, es steckt in seiner Situation fest und wünscht sich, die Zeit möge die Leichtigkeit zurückbringen.

Für mich sind alle Strophen gleichberechtigt und "himmelblau duftend" finde ich nicht kitschig.

liebe Grüße smile

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.04.2007, 10:14

Liebe smile,

vielen Dank für Deine Rückmeldung, ich bin froh, dass diese Leichtigkeit bei Dir "unkitschig" angekommen ist. Und warte nochmal ab, wie andere es empfinden.

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 18.04.2007, 11:06

Liebe leonie,

ich finde auch, die Zeit trägt nie ein himmelblaues Kleid, das duftet. Wenn es eine Kindheitserinnerung (Kind malt) ist, dann wäre die Zeit (für mich) damals nicht so weich poetisch, sondern bunt und stürmisch.
Ich würde das so wie Gerda anregt, weglassen.

Die 3 letzten Strophen sind umwerfend!

Lieben Gruß
ELsa
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ferdi
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Beitragvon ferdi » 18.04.2007, 11:27

Hallo Leonie!

Ich würde nichts streichen; das gäbe ein anderes Gedicht. Vielleicht auch ein gutes, aber eindeutig ein anderes...

Eine Frage noch: Wie bist du auf "Tafeln" gekommen? Und hast du eventuell über "Wege" nachgedacht? Hätte einen Bezug zu "geht vorbei" wie zu der "Kinderhand" (ich zumindest habe deutlich mehr Straßen als Tafeln verunziert ;-)).

Ferdigruß!
Schäumend enthüpfte die Woge den schöngeglätteten Tannen. (Homer/Voß)

carl
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Beitragvon carl » 18.04.2007, 11:57

Die Zeit
trägt ein himmelblau
duftendes Kleid -

ein Bild wie
von Kinderhand
mit Kreiden aus Pastell:

Ich winke ihr zu und
sie geht vorbei.

morgen
wäscht der Wind
die Tafeln wieder blank.

Mich schleift
ein anderer
aus dem Stein.


Liebe Leonie,

Dein Gedicht gefällt mir!
Das unbekümert Kindliche des 1. Teils ist gut, es wirkt nicht kitschig auf mich, weil es vom 2. Teil her beleuchtet wird (und umgekehrt).
Ich habe das Gedicht gemäß seiner Symetrieachse aufgeteilt, sodass sich die Strophen darüber und darunter auch im Aufbau spiegeln (und nicht nur inhaltlich).
Das "gemalt" halte ich für überflüssig, das "weht" ist ok, wenn Du den Vorgang als einen staubtrockenen erlebst, das "haut" finde ich trotz seiner Assoziation zum Bildhauer nicht so gut. "Windschliff" ist dagegen ein terminus technicus, der die Windskulpturen der Wüsten transportiert.
Natürlich sind das keine Vorschläge, sondern Alternativen, in deren Spannungsfeld Du Deinen Text nochmal abklopfen kannst...

LG, Carl

scarlett

Beitragvon scarlett » 18.04.2007, 12:49

Liebe leonie,

ich finde das ein bezauberndes gedicht! Und die umstellung, die carl vorgenommen hat, trägt es genau dorthin, wo ich es auch hätte haben wollen. Beim ersten lesen schon dachte ich mir, irgendetwas stimmt mir hier nicht - allerdings nicht was die bilder anbelangt, die finde ich gelungen und tragen für mich, durch die art ihrer andordnung, nicht den hauch eines kitsches!

Das "haut" am schluß empfinde ich auch als etwas zu hart, auch wenn der dahinterstehende bild - hauer mir gefällt.

Gern gelesen!

scarlett

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.04.2007, 15:31

Liebe Elsa,

vielen Dank für Deine Meinung, auch wenn ich mich jetzt wohl doch anders entscheide, da carls Vorschlag mich sehr überzeugt. Ich denke, ohne die ersten Strophen ist es, wie ferdi schreibt, ein anderes Gedicht.

Lieber Ferdi, Dir auch vielen Dank!, Ich überlege noch, ob ich statt "Tafeln" "Wege" nehme...

Lieber carl,

es ist ja höchst unwahrscheinlich, aber: falls ich jemals Gedichte veröffentlichen sollte, werde ich Dich als Lektor vorschlagen ... :-) Manchmal frage ich mich, warum ich solche Ideen nicht selber komme.
Also: Die Umstellung möchte ich gern übernehmen, ebenso das "schleifen". Bei den anderen Vorschlägen überlege ich noch. Vielen, vielen Dank!

Liebe scarlett,

auch Dir vielen Dank. "Bezaubernd" aus Deiner Feder, da freue ich mich sehr!

Liebe Grüße

leonie

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 18.04.2007, 15:49

Liebe Leonie,

Das ist zu akzeptieren :-)

Ich lese es einfach lieber das das 'andere' Gedicht, es geht mir näher heran.

Tafeln würde ich jedoch nicht gegen Wege austauschen, denn Tafeln sind mehr als Wege - es sind Aufzeichnungen.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

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leonie
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Beitragvon leonie » 18.04.2007, 22:39

Liebe Elsa,

ja, ich denke auch, die Tafeln bleiben. Ich hatte zwischendrin an Straßenmalerei gedacht, aber daann passt "Wege" auch nicht so ganz. Und es stimmt, die Konnotationsmöglichkeiten sind, was Tafeln betrifft, andere, treffendere.

Danke Dir und liebe Grüße

leonie

(Vielleicht mache ich mal wieder zwei Versionen (heimlich hier bei mir))...

Klara
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Beitragvon Klara » 18.04.2007, 22:42

Hallo9,

das finde ich sehr schön, würde aber anders setzen (weniger lyrisch, beschreibender):

Die Zeit trägt ein himmelblau duftendes Kleid -

ein Bild
gemalt von Kinderhand
mit Kreiden aus Pastell:

Ich winke ihr zu und sie
geht vorbei.

Morgen wischt der Wind die Tafeln wieder blank.

Mich schleift ein anderer aus dem Stein.

lg
klara

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 18.04.2007, 22:54

Voller Freude schließe ich mich ganz Elsas Meinung an.
Weißt du, es gibt schon so viele Gedichte über die Zeit. Du aber malst ganz unverbrauchte und sehr lyrische Bilder. Das beeindruckt und überzeugt mich,

herzlichst, KÖ


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