brache

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 31.03.2007, 18:51

brache. durch die tage streifen
ackerboden verkarstet noch ist
nicht zeit das land zu bestellen
neue saat zu zerstreuen zweifel
blühen über den tiefen wächst


brache

ziellos durch die tage streifen
ackerboden verkarstet noch ist
nicht zeit das land zu bestellen
neue saat zu zerstreuen zweifel
blühen über den tiefen wächst
Zuletzt geändert von leonie am 08.04.2007, 15:55, insgesamt 4-mal geändert.

Peter

Beitragvon Peter » 31.03.2007, 19:44

Liebe Leonie,

mir gefällt ein bestimmter Grundgedanke in deinem Gedicht, dass sich die Bestimmung aus dem Boden ergibt. "ziellos durch die Tage streifen" : "ackerboden verkarstet noch ist".

Am Experiment rätsle ich aber noch und kann es nicht wirklich finden.

Die letzte Zeile wirft eine andere Ebene auf, als die vorherigen. Zudem scheint sie zu widersprechen, oder anzudeuten, dass, obwohl der Boden verkarstet ist, doch ein Wachsen ist. Schwierig - Vielleicht solltest du das Gedicht noch ein wenig weiter führen. Mir kommt es am Ende und mit dem Beginn jener anderen Ebene wie eine Tür vor, in die man nicht ganz blicken darf, und man muss raten, was dahinter ist.

Liebe Grüße,
Peter

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 31.03.2007, 19:56

Liebe leonie,

gefällt mir auf Anhieb in seiner Trockenheit und gleichzeitigen Sehnsucht...darum zu schnell von mir ein Kommentar...

Experimentell daran lese ich nur, dass der Titel zum letzten Wort wird (ich lese es zumindest so?) (stützen tut diese Lesart die Doppelbezüglichkeit der Zeilenübergänge)

Das Wort "verkarstet: angenehm neu zu lesen und trotzdem sofort voll zu erfassen, daher sehr gern gelesen in diesem Text.


Das "ziellos" halte ich für streichenswert, denn von der Zielosigkeit/Unbestimmbarkeit erzählt doch der ganze Text. Auch ist durch die Tage streifen stärker als ziellos durch die tage streifen, ja zusammen wird das fast tautologisch und as Bild des durch die Tage streifens ruiniert.

Ein Ring, dessen unaufgegangener Kern als Schmuck in der Fassung sitzt, ist dein Gedicht.

Liebe vorschnelle Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 31.03.2007, 23:58

Liebe leonie,

deinen Text empfinde ich nicht als experimentell. Ich sehe ihn bei Kurzlyrik.
Mir gefällt der Vers gut. Die Deutung, ausgehend von den noch unbestellten Feldern übertragen auf das Leben, ist klar.

Felder mussten früher brachliegen, damit der Boden sich für die nächste Aussaat erholen konnte.
Vielleicht wäre es für den Menschen gut, wenn er sich, um diesen Vergleich zu ziehen, nicht von einer Beziehung in die nächste stürzt, auch auf die Gefahr hin, zu "verkarsten".
Mir gefällt das Ineinandergleiten des Textes, obwohl ich es nicht unbedingt notwendig für die Bedeutung finde.

Liebe Grüße
Gerda

Eine Info, für alle, die es interessiert zu "verkarstet" aus dem Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache d. 20. Jh:

verkạrsten, verkarstete, ist verkarstet (durch Entwaldung) zu Karst und dadurch unfruchtbar werden: dieses Gebirge verkarstet allmählich; die Berghänge sind stark verkarstet; verkarsteter Muschelkalk;

bildl./ Alles war leer in ihm, ausgeronnen, verkarstet/ Gertrud Fussenegger:"Das verschüttete Antlitz" S. 177

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leonie
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Beitragvon leonie » 01.04.2007, 10:53

Lieber Peter,

danke Dir.

Ich kann das Gedicht nicht erweitern, weil die Tür noch nicht offen ist. Es soll die Zeit ausdrücken, bevor sie sich öffnet (oder auch nicht). (das Bild gefällt mir und passt für mich genau), auch die Widersprüchlichkeit dieser Zeit (und der damit verbundenen Gefühle).
Die andere Ebene in der letzten Zeile ist nicht "rein": Sie wird gestört duch das "zweifel" in der Zeile vorher. Deshalb geht die Erweiterung nicht. Es ist noch unklar, ob tatsächlich "blühen über den tiefen wächst".

Liebe Lisa,

vielen Dank! Den Titel als letztes Wort: darauf bin ich noch gar nicht gekommen,...
Über das "ziellos" denke ich noch nach. Mir ist die "Klotzform" des Textes wichtig, die würde durch die Streichung aufgeweicht. Ich muss noch überlegen...

Liebe Gerda,

auch Dir vielen Dank! Spannend, dass Du es auf eine Beziehung deutest! Ich finde das "Ineinandergleiten" wichtig, weil es das Hin und her in der noch unbestimmten Lebenslage für mich unterstreicht.

Verschiebst Du es für mich in "Kurzlyrik"?

Liebe Grüße Euch dreien

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 01.04.2007, 13:49

Schon geschehen, liebe leonie
LGG

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 01.04.2007, 18:33

Liebe leonie,

na ja, wenn dir das sehr wichtig ist, muss es natürlich bleiben, es ist aber zum einen die Frage, ob du den Blockcharakter und seine Auswirkung damit nicht überbewertest* und zum anderen, ob der Blockcharakter überhaupt so stark dadurch verloren geht:


brache

durch die tage streifen
ackerboden verkarstet noch ist
nicht zeit das land zu bestellen
neue saat zu zerstreuen zweifel
blühen über den tiefen wächst


Ich denke, es bleibt ein ziemlicher Block ,-)

Oder du mahcst es wieder eine Spur experimenteller:


brache. durch die tage streifen
ackerboden verkarstet noch ist
nicht zeit das land zu bestellen
neue saat zu zerstreuen zweifel
blühen über den tiefen wächst


Fände ich sehr spannend, gerade weil es meine Lesart nochmal betont, der Punkt markiert den Schluss. Aber ich denke, das gefällt dir nicht. 8Es hat aber was). Und auch wenn man es streng bäuerlich so nicht lesen kann mit dem Ende, so formt dein Text rein durch die Grammatik am Ende doch das, was bei der Musik glaube ich die Septime erzeugt (ich glaube, so heißt es): Man erwartet noch einen letzten Ton (Brache), wodurch der Text sich selbst verifiziert. Die Zeilenbrüche shcaffen dann nochmal Enge, wie Arme die sich zu fest um sich selbst schlingen; darum finde ich das wirklich schon arrangiert.

Liebe Grüße,
Lisa



* ich meine gerade im Verhältnis dazu, wie genau du sprachlich eben sein möchtest
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Beitragvon leonie » 01.04.2007, 21:35

Liebe Gerda,

danke!

Liebe Lisa,

ich hatte schon überlegt, am Anfang einfach ein paar Leerstellen zu lassen, aber Deine Idee gefällt mir auch super! Ich denke, ich probiere es so.
Da bin ich einfach nicht drauf gekommen, und diese Weise, es zu lesen, mag ich auch sehr. Du hast mich wirklich überzeugt.

Vielen Dank und liebe Grüße

leonie

hwg

Beitragvon hwg » 05.04.2007, 17:32

Guten Tag Leonie!

Das Gedicht spricht mich an!

Bisher ist mir das Wort Brache unbekannt gewesen. Im Österreichischen Wörterbuch gesucht - und klüger geworden. Habe zuerst gedacht, dass es sich um einen norddeutschen Ausdruck handelt.

Frohe Ostern!

Klara
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Beitragvon Klara » 05.04.2007, 18:41

Hallo HWG,
nur mal kurz interessehalber off topic:
Gibt es das Wort "Brache" im Österreichischen gar nicht oder gibt es ein anderes - oder ist es nur nicht geläufig?
Ersteres und letzteres würfe ja ein interessantes Licht auf die Produktivität der österreichischen Landwirtschaft...

lg
klara

Max

Beitragvon Max » 05.04.2007, 20:59

Liebe Leonie,

ich finde es sehr stark wie Du die Gedanken durch den Satz ineinander überführst.

Zu dem verkarsteten boden in

ackerboden verkarstet noch ist
nicht zeit das land zu bestellen


habe ich eine Frage: Ist es nicht so, dass verkarsten die fruchtbare Erde abträgt, so dass dort nix mehr wächst und es somit einfach nie wieder Zeit wäre zu säene, oder trügt mich da mein landwirtschaftliches Gedächtnis ;-)?

Liebe Grüße
max

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leonie
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Beitragvon leonie » 05.04.2007, 21:51

Lieber hwg,

vielen Dank! Ich freu mich über den Kommentar und Dein Dazulernen (ich lernte gerade heute dazu, dass man "dazulernen" zusammenschreibt :-) )

Lieber Max,

Dir auch vielen Dank. Ja, ich denke, das ist schon so, dass man "Verkarstung" in Zusammenhang bringt mit Unfruchtbarkeit. Bei Böden ist eine "Renaturierung" möglich, soweit ich das weiß...
(Ich hatte dieses Bild von so rissigen, aufgesprungenen Böden vor Augen.)

Liebe Grüße

leonie

Max

Beitragvon Max » 05.04.2007, 22:02

Liebe Leonie,

ja das mit der "Renaturierung" dachte ich mir, nur dauert das halt ewig, oder?

Lübe Grüße
müx

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Beitragvon leonie » 05.04.2007, 22:06

Lieber Max,

Hm, gerade habe ich nochmal nachgeguckt und von einer Möglichkeit gelesen, in der ein tiefes Loch gebuddelt wird und zum Saatgut eine Schaufel Dung hineinkommt... :-)

Naja, grundsätzlich glaube ich schon, dass es dauert, vielleicht deshalb die letzte Zeile (mit Bezug zur Vorherigen?)...

Liebe Grüße

leonie


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