Wenn die Sonne sinkt...

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Louisa

Beitragvon Louisa » 02.04.2007, 18:34

Wenn die Bernsteinsonne sinkt
hinter die Philharmonie

und auf den Rolltreppen
Stufe in Stufe fließt
und Stunde auf Stunde
verdampft über Berlin

erfinde ich Erinnerungen,
die ich nicht habe –
an einen Abend mit Dir...


Wir fanden uns auf der Wiese
und standen bis zu den Knien
im Duft südlicher Tage

So zerzaust, als ob wir
entlaufene Hunde wären –
und wir spielten Harfe
mit den längsten Halmen.

Während die Kühe träumten
summten wir Serenaden,
unser Echo hört man noch
in vielen hundert Jahren...

Aus Deinen Jackentaschen
holte ich rote Nelken und
Du wusstest, was sie denken,
wenn sie welken…

Nein, wir wurden nicht müde
unser Haar und die Weiden
zu zerwühlen – Das Leben
war ein wüstes, heißes Spiel

Aber ich konnte Deine Schläfen
mit meinem Atem kühlen…
Als wir uns liebten, starb der Tod
und die Wolken schliefen...

Doch weil wir irgendwann
selbst Träume werden
in den Köpfen von Fremden
hielten wir uns fester an den Händen...


Wenn die Bernsteinsonne ruht
hinter der Philharmonie

und auf den Rolltreppen
Stufe in Stufe fließt
und Stunde auf Stunde
verdampft über Berlin

erfinde ich Erinnerungen
die ich nicht habe,
aber was ich habe,
ist das Nie.




Änderungen:

Vorher hieß es in S4:

und standen bis zu den Knien
im Duft der gelben Ähren


-Ich entfernte die "Luftkissen im Meer"
Zuletzt geändert von Louisa am 01.05.2007, 22:36, insgesamt 3-mal geändert.

Nihil

Beitragvon Nihil » 02.04.2007, 18:42

Louisa .. *seufz* ist das schön ..

LG

Nihil

scarlett

Beitragvon scarlett » 02.04.2007, 19:08

Liebe Louisa,

DAS ist mit Abstand das Schönste, was ich in letzter Zeit lesen durfte!

Ich bin noch ganz geplättet... und unfähig, irgendwas anderes zu schreiben!

Chapeau mademoiselle, und Rosen!

scarlett

Traumreisende

Beitragvon Traumreisende » 02.04.2007, 19:19

ola, das ist wirklich so sanft und so tief und irgendwie hoffte ich, es geht weiter...

Doch weil wir irgendwann
selbst Träume werden
in den Köpfen von Fremden


das hat was, trauriges, oder wissendes,
lg silvi

Klara
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Beitragvon Klara » 02.04.2007, 19:26

Hallo Louisa,

nur ein paar Kleinigkeiten:

erfinde ich Erinnerungen,
die ich nicht habe –
an einen Abend mit Dir...

Da würde ich den zweiten Vers streichen, und vielleicht sogar auch den dritten.
Wir fanden uns auf der Wiese
und standen bis zu den Knien
im Duft der gelben Ähren

Da würd ich "standen bis zu den Knien im gelben Duft" draus machen

So zerzaust, als ob wir
entlaufene Hunde wären –

> so zerzaust wie entlaufene Hunde

Während die Kühe träumten
summten wir Serenaden,
unser Echo hört man noch
in vielen hundert Jahren...

> zum Blöken der Kühe summten wir Serenaden

Hinter "welken" stimmt der Übergang nicht, oder?
Warum "nein" und nicht "aber"?

Und hier:
Aber ich konnte Deine Schläfen
mit meinem Atem kühlen…

Warum "aber" und nicht "und"?

Doch weil wir irgendwann
selbst Träume werden
in den Köpfen von Fremden

hielten wir uns fester an den Händen,
damit wir nicht verloren gehen
wie zwei Luftkissen im Meer…

Hier stolper ich über das "weil", muss plötzlich so viel denken, diese beiden Dreizeiler scheinen mir aus dem Rest zu brechen - soll das so sein? Und wo kommen plötzlich die Fremden und die Träume her? Das erscheint mir etwas gewollt, als müsse da mehr Bedeutung reingestopft werden als nötig, oder als müsse dem schönen Bild "Luftkissen im Meer" der Boden bereitet werden, nur um des Bildes willen.

Die letzten zwei Strophen würde ich streichen und mit "Philharmonie" schließen. Das klingt brutal? Dann lass es ,-)

Das hört sich jetzt schlimmer an, als es ist: Da sind wunderschöne Formulierungen drin, zart-heftige Wahrnehmungen und unaufdringliches Sehnen - aber für mein Lesen ist es noch nicht ganz rund.

lg
klara

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 02.04.2007, 19:35

Liebe Louisa,

da muss ich mich auch sofort einreihen (ich pack Bonbons immer zu schnell aus ;-()...das ist einfach sehr berührend und magisch und sogar der Aufbau ist klar und verliert doch nichts an Klang...

Tolle Bilder (Nelken, Knie....) und dann dieser leichte raue Anklang mit der konkreten Nennung von Berlin und der Philharmonie


Zwei kleine Dinge, die mir aufgefallen sind:

Bernsteinsonne würde ich eventuell variieren, es klingt wunderschön, aber es gibt eine Reihe von Leuten, die Bernstein einfach vor ihre Worte setzen, um sie schön klingen zu lassen...und du bist immer so für neues...darum vielleicht dort etwas Alternatives suchen?

Und das zweite: Die Luftkissen auf dem Meer fallen für mich aus den anderen Bildern heraus...vielleicht fällt die da noch etwas besseres ein? Es gibt ja vieles, was im Meertreiben kann und sich festhält, um nicht verloren zu gehen...

Vielleicht fällt mir später mehr auf, aber gerade bin ich eingenommen...

(besonders gelungen finde ich den Aufbau...das war die Winzigkeit, die ich bei anderen Texten manchmal vermisst habe...)

Ein Traum, der für einen Moment wahrer ist als das, zwischen dem er geträumt wird...mit moderner Szenerie...toll!

Liebe Grüße,
Lisa

edit: Titel finde ich perfekt?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Klara
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Beitragvon Klara » 02.04.2007, 19:39

Hallo Lisa,

aber du hast sie doch grad erst gesehen, die Berliner Frühlings- Sonne - sie IST Bernstein. Wenn wir hier schon kein Meer haben... .-)

gruß
klara

Gast

Beitragvon Gast » 02.04.2007, 19:44

Liebe Louisa,

ich finde es wunder- wunderschön - mehr mag - kann ich jetzt gar nicht sagen, Bild

nur zu Lisa, vielleicht noch eines

@ Lisa... meinst du nicht, die "Bernsteinsonne" könne nicht vielleicht einen Bezug zur Phiharmonie haben, rein musikalisch?

Liebe Grüße
an euch Beide
Gerda

PS, ach Klara verteitigt auch die Bernsteinsonne, ;-) fein

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 02.04.2007, 20:06

Liebe Louisa,
ich schließe mich an. Wunderschön.

Ein Klitzekleinigkeit, hat mich beim lesen gestört.
Das Leben
war ein wüstes, heißes Spiel

das will bei mir einfach nicht zum verträumten Rest passen. Auch klanglich nicht.

liebe Grüße smile

Mucki
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Beitragvon Mucki » 02.04.2007, 21:24

Liebe Louisa,

dein Gedicht liest sich so wunderbar in einem (Märchen)-Fluss, das ist wirklich großartig.
Großes Kompliment!
Saludos
Mucki
Zuletzt geändert von Mucki am 19.05.2007, 23:22, insgesamt 1-mal geändert.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.04.2007, 21:39

Liebe Louisa,

in vielem was Du schreibst, schreibst Du ja bezaubernd und auf eine schöne Art und Weise naiv. Einige Deiner Gedichte haben mich in Erstaunen versetzt, weil Du eine besondere Fähigkeit hast, zu formulieren.

Aber bitte...

Ein Buch im Bücherschrank meiner Eltern hieß: "Was ist Kitsch". Ich habe es nie gelesen, weil ich für mich selbst schon immer klar hatte, was ich als Kitsch empfinde.

Bitte verstehe mich nicht falsch, aber allein schon die Zeile mit der Bernsteinsonne ist so kitschig, dass selbst meine japanische Schwägerin die Stirn runzeln würde. Und sie liebt Neuschwanstein! Das Schloss mit dem angemalten Balkon!

Ich glaube, Du könntest hier viel retten, wenn Du die schönen Bilder (das von der Rolltreppe zum Beispiel) nicht durch solche Kitschattacken (Bernsteinsonne) zerstören würdest. Aber das ist nur meine bescheidene Meinung.

Grüße

Paul Ost

Nihil

Beitragvon Nihil » 02.04.2007, 21:43

Paulchen, Bernsteinsonne ist nicht kitschig, sondern einfach nur ein schönes, empfindsames Bild .. Kitsch ist schwülstig, platt, abgedroschen .. Kitsch ist niemals naiv .. oder vielmehr - Kitsch ist die "Empfindsamkeit" der unempfindsamen Menschen .. du hättest das Buch doch lesen sollen! ;-)

LG

Nihil
Zuletzt geändert von Nihil am 02.04.2007, 21:46, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 02.04.2007, 21:45

Hallo Paul,

ich finde, dass Louisa diese Gratwanderung gerade immer irgendwie (ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sie das macht) schafft, nicht kitischig zu werden. Und mit der Bernsteinsonne habe ich merkwürdigerweise keine Probleme, da direkt danach die Philharmonie folgt. Mein Eindruck,-)
Saludos
Mucki

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.04.2007, 21:46

Lieber Nihil,

genau! Schwülstig:

Wir fanden uns auf der Wiese
und standen bis zu den Knien
im Duft der gelben Ähren

Heidi und Peter. Wo bleibt der Alm-Öhi. Also komm...

Grüße

Paul


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