Schnell!

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Rala

Beitragvon Rala » 17.02.2007, 11:48

Schnell! (Zweite Fassung)
Rennen werde ich müssen, immer rennen, immer weiter, der Wind wird mich unter den Wolken hintreiben, über weite Wiesen, wird mich über Zäune einfach hinwegfegen wie einen Fetzen Papier, bis ich unten in der Hafenstadt an der Mauer eines Fischerhauses hängen bleibe. Ich werde dort klopfen, werde die Frau, die öffnet, nach Selma fragen, sie wird mir sagen, sie sei fortgegangen, vor einer Stunde schon, und sie wisse nicht, wohin. Das wird mich weitertreiben, ziellos, fragend, und wieder werde ich rennen, bis mich der Anblick unserer Stammkneipe anhalten und mir zu bedenken geben wird, dass es reine Zeitverschwendung ist, zudem schleudert mir der Wind jetzt dicke kalte Regentropfen ins Gesicht. Es wird nicht sehr voll sein in dem düsteren, warmen Raum, denn es wird erst Nachmittag sein, aber ein, zwei Leute werden dasein von jenen, die wir kennen, die uns kennen. Ich werde mich zu ihnen an die Theke setzen, ein Bier bestellen, zu früh am Tag für meine Gewohnheiten, sie werden mich fragen, warum ich so verzweifelt sei, und ich werde ihnen sagen, dass ich Selma suche, dass ich nicht wisse, wo ich suchen soll, und dass es dringend sei, sehr dringend ... und dann wird mir einer von ihnen, der mit den langen blonden, fast weißen Haaren, dieser wird mir sagen, er habe sie gesehen, es sei keine halbe Stunde hergewesen, sie sei in Richtung der Hügel gelaufen. Und er wird hinzufügen, sie sei ihm sehr seltsam vorgekommen, so abwesend, sie habe ihn gar nicht bemerkt. Noch während er dies erzählen wird, werde ich hastig einen Schein aus meiner Hosentasche ziehen, ihn neben mein nur halb geleertes Bierglas auf die Theke legen und werde wieder rennen.
Durch den Regen, der mir nun, da die Richtung feststeht, nichts mehr anhaben kann. Mich nicht mehr treiben lassen vom Wind, jetzt habe ich das Steuer in der Hand. Wieder wird mein Weg über die Wiesen führen, nun schier endlos in meinen Augen, über Zäune, jetzt noch höher, aber nichts von dem wird mich aufhalten können. Irgendwann werde ich in der Ferne die kleine Kirche sehen, die sich gegen den nun wieder helleren Himmel abheben wird, majestätisch und doch bescheiden, und daneben kniend eine kleine Gestalt, und obwohl ich sie nur ganz von Ferne sehe, werde ich wissen, dass es Selma ist. Und wenn ich nah genug gekommen sein werde, werde ich ihre zarten Finger sehen können, wie sie Blumen in den Strick flechten, das Messer blankreiben, das Gift anrühren, ich werde ihr Murmeln hören, das um Vergebung für ihre Seele fleht, und dann werde ich vor ihr stehen, die Sonne wird über mir durch die Wolken brechen, Selma wird aufblicken mit ihren von Tränen klargespülten Augen, ihre Miene wird sich aufhellen wie der Himmel, sie wird fallen lassen, was immer sie in den Händen hielt, und ich werde nur "Du." sagen zu ihr, zum allerersten Mal, und sie wird sich in meine starken Arme stürzen.
Doch nun muss ich aufbrechen, anfangen zu rennen, sonst werde ich zu spät kommen.




Schnell!
Rennen werde ich müssen, immer rennen, immer weiter, der Wind wird mich unter den Wolken hintreiben, über endlos scheinende Wiesen, wird mich über Zäune einfach hinwegfegen wie einen Fetzen Papier, bis ich unten in der Hafenstadt an der Mauer eines Fischerhauses hängen bleibe. Ich werde dort klopfen, werde die Frau, die öffnet, nach ihr fragen, sie wird mir sagen, sie sei fortgegangen, vor einer Stunde schon, und sie wisse nicht, wohin. Das wird mich weitertreiben, ziellos, fragend, und wieder werde ich rennen, bis mich der Anblick unserer Stammkneipe anhalten und mir zu bedenken geben wird, dass es nur sinnlose Zeitverschwendung ist, zumal mir der Wind jetzt Regentropfen ins Gesicht wirft. Es wird nicht sehr voll sein in dem düsteren, warmen Raum, denn es wird erst Nachmittag sein, aber ein, zwei Leute werden dasein von jenen, die wir kennen, die uns kennen. Ich werde mich zu ihnen an die Theke setzen, werde ein Bier bestellen, zu früh am Tag für meine Gewohnheiten, sie werden mich fragen, warum ich so verzweifelt sei, und ich werde ihnen sagen, dass ich sie suche, dass ich nicht wisse, wo ich suchen soll, und dass es dringend sei, sehr dringend ... und dann wird mir einer von ihnen, der mit den langen blonden, fast weißen Haaren, dieser wird mir sagen, er habe sie gesehen, es sei keine halbe Stunde hergewesen, sie sei in Richtung der Hügel gelaufen. Und er wird hinzufügen, sie sei ihm sehr seltsam vorgekommen, so abwesend, sie habe ihn gar nicht bemerkt. Noch während er dies erzählen wird, werde ich hastig einen Schein aus meiner Hosentasche ziehen, ihn neben mein nur halb geleertes Bierglas auf die Theke legen und werde wieder rennen.
Ich werde wieder rennen, durch den Regen, aber diesmal mit einem festen Ziel. Wieder wird mein Weg über weite Wiesen führen, die mir jetzt noch endloser erscheinen werden, über Zäune, die mir jetzt noch höher erscheinen werden, aber auch meine Kräfte werden jetzt noch unerschöpflicher scheinen. Und dann irgendwann werde ich in der Ferne die kleine Kirche sehen, die sich gegen den nun wieder helleren Himmel abheben wird, majestätisch und doch bescheiden, und daneben kniend eine kleine Gestalt, und obwohl ich sie nur ganz von Ferne sehe, werde ich wissen, dass sie es ist. Und wenn ich nah genug gekommen sein werde, werde ich ihre Finger sehen können, wie sie Blumen in den Strick flechten, das Messer blankreiben, das Gift anrühren, ich werde ihr Murmeln hören, das um Vergebung für ihre Seele fleht, und dann werde ich vor ihr stehen, die Sonne wird durch die Wolken brechen, sie wird aufblicken, fallen lassen, was immer sie in den Händen hielt, und ich werde nur "Du." sagen zu ihr, zum allerersten Mal.
Doch nun muss ich aufbrechen, anfangen zu rennen, sonst wird es zu spät sein.
Zuletzt geändert von Rala am 19.03.2007, 22:09, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitragvon Lisa » 27.03.2007, 13:31

Liebe Rala,
ah, das sehe ich erst jetzt...ja, für mich so, viel klarer (ich kann da snatürlich nicht mehr völlig frei beurteilen, hatte aber dennoch ein Aha-Erlebnis). gefällt mir gut so. Das einzige, was jetzt noch meien symbolische Lesart wieder stützt, ist das Ende, das schon etwas fantastisch anmutet, nämlich die Giftrührerkirchenszene...oder kann man die auch frei lesen?

Liebe grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Rala

Beitragvon Rala » 27.03.2007, 21:02

Liebe Lisa,

vielen Dank, freut mich sehr, dass meine Überarbeitung offenbar doch etwas gebracht hat. Das so fantastisch anmutende Ende entspringt auch, wie alles, dem Selbstverherrlichungsdrang meines selbsternannten Helden - vor dieser Kulisse wirkt er einfach besser ... Somit ist auch das eigentlich nicht symbolisch gemeint, aber wenn du da trotzdem was findest - umso spannender für mich!

Liebe Grüße,
Rala


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