Er schöpft

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Klara
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Beitragvon Klara » 20.03.2007, 21:55

Er schöpft

und wann erschöpft sich meine Lust?

so sehr verweile ich im Hier
und jetzt weiß ich schon gar nicht mehr
wo Ich bin

am Fluss
wahrscheinlich oder noch ein bisschen weiter, rein ins Land
der weißen Krähen

wo ich dich nicht mehr
sehen kann
dir nicht ins Auge hacke

schwarz steht am Rand
die Luft, doch nie
gehe ich nicht

ich halte nur ein Sieb
doch du
die Hand: Du hast

am Nichts geschöpft

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.03.2007, 22:18

Liebe Klara,

hast Du vielleicht am Anlass geschöpft (nicht nur gesiebt?) ;-) . Na, auf jeden Fall ist das nicht nichts.
Mir gefällt es, auch wenn ich nicht alles verstehe... :nicken: Aber auch das lyrIch findet sich ja nicht so ganz zurecht, scheint mir...

Liebe Grüße

leonie

Klara
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Beitragvon Klara » 21.03.2007, 08:13

Hallo Leonie,

danke für dein freundliches Feedback.
Nein, das LyrIch findet sich indeed nicht zurecht - weil es als solches gar nicht so recht existiert...

Ich weiß wirklich nicht, was da wirklich steht, das wurde geschrieben, und die Bedeutung erschließt sich mir auch nicht rational. Manchmal kommt das so, dass etwas sich schreibt, dann feilt man noch ein bisschen, stochert dabei aber ziemlich im Nebel, weil man ja gar nicht weiß, was man feilt. Es ist wie ein erschöpftes Raten, ein Eingeständnis, dass man keine Ahnung hat, was die eigenen Finger und Gedanken tun, wenn man sie lässt. Ich habe versucht, sie zu lassen und hoffe, dass der Bewidmete damit etwas anfangen kann (möglicherweise mehr als ich).

LG
Klara

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 21.03.2007, 08:54

Moin Klara,

angesichts ihrer Vieldeutigkeit, so meine ich momentan, steckt in dieser beispielhaften Klaraeske sehr viel Information drin ... ... hmm ... interessant ...


Cheers

Pjotr


P.S.: Ist das eine "Ich" deshalb groß geschrieben, weil es betont werden soll, als Ersatz für Kursivschrift? Und: Wird in der zweiten Zeile "erschöpft" oder "meine" betont? Schöpft er aus deiner Lust bis sie leer ist, oder wird noch gar nicht bei dir geschöpft und du willst endlich ebenfalls anfangen zu schöpfen?

Klara
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Beitragvon Klara » 21.03.2007, 13:07

Hei, Pjotr,

Vieldeutigkeit ist das beste Versteck und die beste Verteidigung. Oder die größte Feigheit??

P.S.: Ist das eine "Ich" deshalb groß geschrieben, weil es betont werden soll, als Ersatz für Kursivschrift? Und: Wird in der zweiten Zeile "erschöpft" oder "meine" betont?

Du stellst Fragen... °grübel°. Aber, ja, das Ich ist wohl großgeschrieben, um es zu betonen, um es zum Verschwinden zub ringen, so groß, als Gegensatz zu Hier (und jetzt, das ich dann dennoch klein schrieb, obwohl ich überlegte es groß zu schreiben, das jetzt, aber das war mir zu platt. Ich hab auch versucht, alle Buchstaben großzuschreiben, aber da sperren sich einem die Augen -)

Er schöpft ist zugleich der Titel, das sollte ich vielleicht fetten?
Ich hab beim Schreiben "meine" betont gefühlt.

schöpft er aus deiner Lust bis sie leer ist, oder wird noch gar nicht bei dir geschöpft und du willst endlich ebenfalls anfangen zu schöpfen?

Gute, gute Frage! Leider hab ich keine gute Antwort.

Grüß dich
Klara

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 22.03.2007, 03:58

Hallo Klara,

feige kann jemand vermutlich nur sein vor etwas, das er befürchtet.

Ist da wahrlich Furcht -- oder eher Respekt? Letzteres wäre aber nicht feige, sondern ... ... respektvoll?

...

Wenn Du "Er schöpft" fett machst, würde ich die Zeile nochmal unfett wiederholen, sonst fehlt die Zeile im Gedicht.


Ahoi

Pjotr

Niko

Beitragvon Niko » 22.03.2007, 05:50

Ich weiß wirklich nicht, was da wirklich steht, das wurde geschrieben, und die Bedeutung erschließt sich mir auch nicht rational.

ein sehr symphatischer satz, klara!
Er schöpft

und wann erschöpft sich meine Lust?

so sehr verweile ich im Hier
und jetzt weiß ich schon gar nicht mehr
wo Ich bin

dies scheint mir doch zunächst mal klar. er schöpft (aus dem vollen assoziiere ich) und dem LI berbraucht sich, erkennt die gefahr des eigenen untergangs daran und ist in einer phase des verharrens. auffällig hier das einmalig großgeschriebene Ich. dahinter wäre ein "ist" auch nicht unpassend gewesen.

am fluss
wahrscheinlich oder noch ein bisschen weiter, rein ins Land
der weißen Krähen

am fluss - eben NICHT im fluß (bezug auf: wo Ich bin). evtl. noch weiter vom fluß entfernt...abdriftend ins "land weißer krähen". krähen ist klar. weiß scheinen sie deswegen, weil das LI nicht anders kann, quasi unschuldig ist.

wo ich dich nicht mehr
sehen kann
dir nicht ins Auge hacke

damit verbunden die hoffnung, LyrDu nicht mehr zu verletzen

schwarz steht am Rand
die Luft, doch nie
gehe ich nicht

schwere luft, ein unerträglicher zustand

ich halte nur ein Sieb
doch du
die Hand: Du hast

am Nichts geschöpft

das ist die stärkste stelle für mich. LI hält das (weiße krähen) zerhackte Lyrdu, daher: sieb. durchlöchert. doch LyrDu bleibt standhaft. hält am Lyrich fest. doch die gegenseitigkeit einer partnerschaft macht auch lI zum durchlöcherten, zum sieb.

mir gefällts. muss jetzt los, später vielleicht mal mehr.
lieben gruß: Niko

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 22.03.2007, 07:56

Klara hat geschrieben:Er schöpft

und wann erschöpft sich meine Lust?

so sehr verweile ich im Hier
und jetzt weiß ich schon gar nicht mehr
wo Ich bin

am Fluss
wahrscheinlich oder noch ein bisschen weiter, rein ins Land
der weißen Krähen

wo ich dich nicht mehr
sehen kann
dir nicht ins Auge hacke

schwarz steht am Rand
die Luft, doch nie
gehe ich nicht

ich halte nur ein Sieb
doch du
die Hand: Du hast

am Nichts geschöpft


zuerst hatte ich den eindruck es geht um unbefriedigte gelüste :pfeifen:
doch beim insaugehacken war der spaß dann vorbei....

jetzt lese ich es als ein hadern ein zurückbleiben hinter dem möglichen, dem wissen, dass es ein ziel gibt, doch es wird nie als SOLCHES erreichbar sein... ;-)

ja so gelesen macht es sinn. der kranich...fernöstlich ist er als weisser mit einer bedeutung besetzt...kennst DU die?

salve
hakuin

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 22.03.2007, 07:58

p.s.
wiki:
Die Schönheit der Kraniche und ihre spektakulären Balztänze haben schon in früher Zeit die Menschen fasziniert. In der griechischen Mythologie war der Kranich Apollon, Demeter und Hermes zugeordnet. Er war ein Symbol der Wachsamkeit und Klugheit und galt als „Vogel des Glücks“. In China stand er für ein langes Leben, Weisheit, das Alter sowie die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Auch in Japan ist der Kranich ein Symbol des Glücks und der Langlebigkeit. In der Heraldik ist der Kranich das Symbol der Vorsicht und der schlaflosen Wachsamkeit. In der Dichtung wird der Kranich symbolisch für etwas „Erhabenes“ in der Natur verwendet.

Klara
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Beitragvon Klara » 22.03.2007, 09:53

Hallo, ihr eifrigen Deuter!
Dank euch für eure Zuwendung zu dem Text.

Pjotr, du hast Recht: Respekt trifft es eher als Feigheit.

Niko, so wie du so entlang liest, scheint ja alles klar ,-)
Einzig deine Schlussinterpretation kommt mir nicht stimmig vor.
LI hält das (weiße krähen) zerhackte Lyrdu, daher: sieb. durchlöchert. doch LyrDu bleibt standhaft. hält am Lyrich fest. doch die gegenseitigkeit einer partnerschaft macht auch lI zum durchlöcherten, zum sieb.

Ich glaube, es ging eher um das Ausdrücken einer Hochachtung vor einem, der am Nichts schöpft (dies übrigens ein wunderbarer Ausdruck von aram aus einem anderen thread, den ich ihm geklaut habe, weil dieser Text da oben für ihn geschrieben werden wollte. So gesehen, wäre es Gebrauchslyrik, aus einem Anlass und für einen Anlass heraus geschrieben, ähnlich wie eine Grabrede oder ein Hochzeitswunsch), und der mehr schöpft, weil er die Hand nimmt, nicht das Sieb. Der Mut, die eigne Hand zu nehmen, anstatt das Nichts qua Sieb noch mal zu doppeln und zu vermitteln, um es nicht berühren zu müssen...
Irgendwie sowas -
Es geht um den "Akt des Schöpfens" (auch dies eine Wendung von Aram). Um Hand-Werk. Das verstehe ich jetzt aber langsam selbst erst, wie gesagt, weil ich nicht wusste, was ich da schrieb.

Hakuin, danke für die weißen Kraniche, jene viel edleren Vögel als die gemeinen schwarz-weißen Krähen...

lg
klara

Niko

Beitragvon Niko » 22.03.2007, 15:06

So gesehen, wäre es Gebrauchslyrik, aus einem Anlass und für einen Anlass heraus geschrieben

so gesehen ist jede lyrik gebrauchslyrik. weil es immer einen anlass gibt, wenn man schreibt ;-)

lieben gruß: Niko

Traumreisende

Beitragvon Traumreisende » 01.04.2007, 13:26

sehr passend in dieser rubrik. eines der gedichte, die ich nicht zu zerdeuteln mag, weil sie wie ein fluss sind und an oder in einem solchen fischmt man auch keine tropfen um zu sehen, ob es waser ist, ich meine das gesamtbild, das vieles sehr vieles öffnet ohne dass man hingehen muss.

lg silvi

Klara
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Beitragvon Klara » 04.04.2007, 19:55

Oh, das hab ich übersehen:
Danke, Silvi!

lg
klara


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