Morgenengel

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 16.03.2007, 13:49

Mein Morgen Du


Küsse mir
die Schaumreste der Nacht
aus dem Gesicht
damit ich frisch verliebt
in das Konzert der Tagesvögel
einstimme

Ich streue
deine Brotkrumen
auf den Weg
damit ich zurückfinde
bevor die Nebelkrähe
sie aufpickt


1. Fassung:

Morgenengel


Stille mich
mit dem Schaum der Nacht
damit ich beherzt in das Konzert
der Tagesvögel einstimme

Streue deine Saat
auf die frühen Felder
damit ich als Nebelkrähe
reife Körner ernte
Zuletzt geändert von Perry am 19.03.2007, 19:43, insgesamt 2-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 18.03.2007, 14:59

hallo perry!
entschuldige bitte, aber dies gedicht ist (für mich) nicht gelungen.

Stille mich
mit dem Schaum der Nacht
damit ich beherzt in das Konzert
der Tagesvögel einstimme


was ist das für ein sinn? stille mich mit schaum damit ich in ein vogelkonzert einstimme? das ist mir bar jeder logik. träume schäume... ok, aber das passt nicht in das bild das du versuchst hier insgesamt zu zeichnen. nämlich eine vögel-metapher.

Streue deine Saat
auf die frühen Felder
damit ich als Nebelkrähe
reife Körner ernte


wie kommst du hier auf nebelkrähe? auch andere vögel fressen körner. die nebelkrähe ist ein denkbar hässlicher vogel. zudem mit einer nebenbedeutung behaftet. hier in meinen breiten ist eine nebelkrähe eine alte zicke, ein hinterlistiges mistvieh. natürlich denke ich, das dieser begriff nicht bis bayern vorgedrungen ist *g. ich weiß auch nicht, ob das nur in nrw und niedersachsen so ausgelegt wird.
das ist natürlich eine metapher. aber sie ist schon so oft bemüht und ausgewalzt, das sie nur noch platt klingt.
bitte verzeih mir, das ich so deutlich meine meinung zu dem text sage, aber ich finde ihn durchgängig nicht gelungen.
lieben gruß: Niko

Nihil

Beitragvon Nihil » 18.03.2007, 18:34

Niko, dein Kommentar ist sehr witzig zu lesen, ich musste lachen, weil ich dir Recht geben muss - das Gedicht ist so wie es dort steht wirklich nicht sehr gelungen .. ;-) Und das von Perry! Aber das beruhigt mich ja beinahe schon wieder, dass auch Manfred seine Sonntagsdichtertage hat, wer kennt sie nicht .. :pfeifen:

LG

Nihil

Perry

Beitragvon Perry » 18.03.2007, 18:48

Hallo ihr Beiden,
keine Sorge ich vertrage durchaus Kritik, auch wenn ihr euch hier zu sehr von den Realbildern und Pauschalmetaphern habt leiten lassen.
Bei diesem Text handelt es sich um ein Symbolgedicht, das zwischen
Geburt (stillender Engel) und wartendem Tod (Nebelkrähe) sowie im ersten Vers zwischen Traumwelt (Schaum der Nacht) und Realität (Konzert der Tagesvögel) bzw. im zweiten Vers zwischen Suchen (Aussaat) und Erkennen (reife Körner) pendelt. Der Morgenengel steht übrigens auch für die Hoffnung, die positive Einstellung zum Leben.
Selbstverständlich kann jeder Leser darin auch seine eigenen Interpretationen sehen.
LG
Manfred

Niko

Beitragvon Niko » 18.03.2007, 22:35

Selbstverständlich kann jeder Leser darin auch seine eigenen Interpretationen sehen.
für eigeninterpretationenen gibt es meiner meinung nach zwei gründe: a) es (das gedicht) lässt soviel spielraum, dass ich mir eigene gedanken dazu machen kann. oder b) das gedicht gibt mir keine interpretationsansätze und ich versuche daraufhin etwas hinein zu interpretieren.
deine erklärungen mögen für dich stimmig sein, perry. aber du musst davon ausgehen, das man hier, als jemand, dem nur das nackte wort bleibt, nicht in deine gedankenwelt eintauchen kann. man ist ergo auf hinweise angewiesen. deiner interpretation zu folgen ist mir nahezu unmöglich, weil mir (und ich unke mal: nicht nur mir) die ableitungen, wie du sie vornimmst (beispiel: realität (konzert der tagesvögel), fremd sind.
lieben gruß: Niko

Perry

Beitragvon Perry » 19.03.2007, 09:42

Hallo Nico,
eigentlich wollte ich anderen Komms nicht vorgreifen, aber ich denke selbst wenn man meine Intention nicht im Detail nachvollziehen kann, dann ist doch zumindest folgender Sachverhalt lesbar:
Morgenengel erfülle mir meine Träume, damit ich im Tagesgeschehen bestehen kann.
Morgenengel lass mich im frühen Leben erkennen was wichtig ist, damit ich im Alter auf ein erfülltes Leben zurückschauen kann.
Aber was solls, ich nehme deine Meinung mal wieder als Indiz, dass wir in lyrischer Sicht wirklich gegensätzlich ticken.
LG
Perry

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 19.03.2007, 10:02

Lieber Perry,

also die erste Strophe ist für mich klar, ich lese sie erotisch-innerlich: Das lyr. Du soll das Ich durch Liebesstunden Kraft für den Tag geben...das Stillen in dem Kontext ist dabei natürlich etwas ~~~ für meinen Geschmack, sicher sind bestimmte, erotische Gesten (die meisten) nicht ohne ihre Enstehung (sei es kleinkindliche Erfahrung oder menschliche Vorgeschichte, zum Hintenr gibt es da ja auch nette Studien ;-)) zu lesen, trotzdem ist das Stillen hier schon ein wenig heftig? Ich finde schon, dass es das lyr. ich ein wenig pathologisch wirken lässt?

Das beherzt würde ich vielleicht kürzen?

Die zweite Strophe wechselt dann zu stark das Bild, finde ich? Die Vögel sind zwar das Bindeglied, aber von Flüssigkeit zu Körnern, vor allem, weiol man das lyr. Du ja als weiblich liest? kriege ich zwar übertragen gelesen, aber nicht als Bild stimmig? Also ich kann schon über die Unstimmigkeit hinweglesen und entdecke auf der Aussageebene, dass Strophe 1 und 2 von sehr ähnlichem erzählen, nämlich, dass das lyr. Ich durch die Nähe des lyr. Du für den Tag (Leben) Kraft bekommt, aber im Bild bleibt es etwas unstimmig?

ich würde vielleicht versuchen, dem Text einen anderen Titel zu geben? Der ist für mich ein wenig zu dicke, auch wenn das von dir glaube ich gar nicht so intendiert ist...zudem wechselt er aud Bildebene nochmal den Kontext...

Ich glaube, man köntne den Text noch etwas variieren, um den gemeinsamen Moment vor dem Auseinandergehen in den Tag noch stärker zu erzählen?

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 19.03.2007, 12:24

Lieber Manfred,

ich habe die Kommentare erst gelesen nachdem ich dein Gedicht schon für mich interpretiert hatte.
Ich habe sofort an Geburt und Tod gedacht. Der Text wirkt auf mich, wie eine Anrufung Gottes, wie ein Gebet, er gibt aber Lisas Interpretetion ebenfalls Raum.
Es ist für mich schwierig zu sagen, das gefällt mir, jenes ist stimmig oder auch nicht.
Der Titel ist im Kontext deiner Interpretation wahrscheinlich passend, aber mir auch etwas zu hoch gegriffen.
Der Gedanke es handele sich um ein Gebet, macht es mir ohnehin schwer, etwas zu sagen, weil ich den Text daher als zu richtungsweisend lese.
(Sozusagen festgefahren bin, ich Ungläubige)

Perry hat geschrieben:Morgenengel

Stille mich
mit dem Schaum der Nacht
damit ich beherzt in das Konzert
der Tagesvögel einstimme

Streue deine Saat
auf die frühen Felder
damit ich als Nebelkrähe
reife Körner ernte


Die Tagesvögel sind die Menschen, sind Metapher für das Leben, an dem das Lyrich Teil haben möchte. Dafür wird Kraft erbeten, von einer höheren Macht, auch Mittel, (Saat) um Vorsorge treffen zu können für die Krähenzeit - das Alter.
So lese ich den Text, von dem ich meine den Glaubenhintergrund deutlich zu spüren.

Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 19.03.2007, 14:21

Lieber Manfred,

mir ging es genauso wie Gerda. Deine Zeilen las ich wie ein Gebet. Und das wiederum blockierte mich, verschloss mir den Zugang zu deinem Gedicht. Es fing schon bei dem Morgenengel an. Ich glaube, dass man hier sehr viele verschiedene Assoziationen/Interpretationen zum Morgenengel hat. Ich z.B. las es 1:1, sprich: ich sah einen Engel und kam gar nicht auf die Idee, dass du damit etwas anderes als einen Engel meinen könntest.
Saludos
Mucki

Klara
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Beitragvon Klara » 19.03.2007, 14:49

Hallo,

finde den Text überaus gelungen und kraftvoll und eigen und sexy. Auch der Titel ergibt einen schönen Kontrast.

Grüße
Klara

Perry

Beitragvon Perry » 19.03.2007, 18:55

Hallo Lisa,
mit deinem Komm kann ich viel anfangen, weil er sich der Beziehung des lyrischen Ichs mit dem Morgenengel widmet und dieser sogar mehr Personalität gibt, als ich es eigentlich ihm Sinn hatte. Vielleicht ist das der Weg aus der "Gebetsnähe" wie sie Gerda und Gabriella empfunden haben wegzukommen.
Danke dafür und LG
Manfred

Hallo Gerda,
du hast die Grundanlage des Textes sehr genau getroffen, nur sollte er nicht religiös sondern eher "lebensphilosophisch" rüberkommen.Danke und LG
Manfred

Hallo Mucki,
ich probiers jetzt einfach mal mit dieser Anrede, obwohl sie mir ehrlich gesagt nur schwer über die Tastatur kommt (lächel). Ja der "Angel of the Morning" hört sich im Englischen so toll an und ist in deutsch anscheinend
nur schwer in seiner Breitenbedeutung fassbar. Schweren Herzens werde ich mich wohl von ihm trennen müssen und mich einem mehr personifizierten Engel, wie von Lisa angeregt zuwenden.
Vorerst auch dir vielen Dank für deine Einschätzung und LG
Manfred

Hallo Klara,
danke für deinen positiven Eindruck. Ich werde versuchen diese Facetten beizubehalten.
Danke und LG
Manfred

Perry

Beitragvon Perry » 19.03.2007, 19:41

Hallo ihr Lieben,
die neue Version steht. Ich würde mich über ein Feedback sehr freuen.
LG
Manfred

Max

Beitragvon Max » 19.03.2007, 21:53

Lieber Manfred,

was ich am interessantesten hierbei finde (nicht, dass das Gedicht als solches nicht interessant wäre) sind die Änderungen, die Du von Version 1 auf Version 2 vorgenommen hast. Daran irritiert mich beispielsweise, dass Du die Nebelkrähe nicht nur dringelassen hast (für mich markiert sie einen der gravierendsten Brüche im Gedicht), sondern, dass sie auch noch den Bezug gewechselt hat. Während in Version 1 das lyr. Ich die Nebelkrähe war, tritt diese nun als eigenständige Figur auf. Dieses
"egal ob ich oder sie - Hauptsache Nebelkrähe" lässt mich nochmal neu über den Sinn des Gedichts nachdenken.

Liebe Grüße
Max

Perry

Beitragvon Perry » 20.03.2007, 12:40

Hallo Max,
danke für deinen Eindruck. Die vorgenommenen Änderungen sind nicht zuletzt aufgrund der Anregungen gravierend ausgefallen. Deshalb ist ein direkter Vergleich nicht aussagekräftig. Die neue Version sieht den "Morgenengel" nun mehr als Beziehungspartner und der gebetsähnliche-/ philosophische Anteil ist ganz weggefallen.
Die Nebelkrähe stellt noch immer den "Schicksalspart dar, nur dass dieser nun nicht mehr personifiziert ist.
LG
Manfred


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