Walfang

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 13.03.2007, 15:36

Walfang
Im Vorüberziehen

Wär ich der geringste Fisch
verschlucktest du dich nicht
an meinen Gräten,
meinem weichen Kern

Fasste mich dein Bauch
du bemerktest es kaum
doch schlösse dein Magen
mich ein, ich wäre frei

von deiner Jagd, deinem Sog
dem Fluss in deine Richtung

Max

Beitragvon Max » 14.03.2007, 19:22

Lieber Last,

da ich nun schon zum dritten Mal dieses Gedicht beschleicht, will ich meine Schleichgedanken auch äußern ohne damit vielleicht zum Kern des Gedichts vorzudringen.

Was mich an dem Gedicht besticht, ist der außergeöhnlich Blickwinkel: der Walbauch wird (wenn ich es richtig lese) als Ort der Befreiung vor den Gelüsten des Wals gesehen, das finde ich sehr originell und auf jeden Fall ein Gedicht wert. Vielleicht darum und weil ich mit der ersten Strophe viel schwerer tu, könnte ich mir die letzten sechs Zeilen auch separt als Gedicht vorstellen.

Bei den ersten vier Zeilen ist mein Problem, dass sie für meinen Geschmack die nächsten sechs Zeilen aufheben, dadurch, dass das, was dort als gegeben gesetzt wird (das lyr. Ich ist ein Fisch) mit dem Konjunktiv der ersten Zeile aufgehoben wird. Das erzeugt eine Verwirrung, von der ich fast glaube, das sie geplant ist, aber mit der ich trotzdem nichts anzufangen weiß. darüber hinaus ist mir der "geringste" nicht ganz geheuer. Heißt es, es wäre besser,wenn er noch ein größerer Fisch wäre, oder wäre es dann schlechter?

Liebe Grüße
max

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 14.03.2007, 19:59

Hallo
ich hatte es so gelesen:
wäre das Ich (der Fisch) einfach und unkompliziert, würde das Du (der Wal) es gar nicht bemerken, wenn das Ich ein Teil von ihm (seinem Leben) würde.
Dann wäre das Ich frei, da das Du es nicht mehr verändern würde wollen.

würde, wäre, hätte, wenn... verständlich?

was mich irritiert ist der Titel. Beim Walfang wird doch der Wal gefangen, im Gedicht fängt doch aber der Wal selbst.

liebe Grüße smile

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 15.03.2007, 17:30

Liebe smile,

deine Lesart hat was, ich glaube, ich komme zu einem ähnlichen Autoritätengefälle nur über einen anderen Weg. Ich komme aber auch nicht zu einer klaren Überzeugung...meine Andeutungen:

(Zum Walfang: Es könnte absichtlich doppeldeutig sein? Walfang als einen wal fangen und Walfang als Walmaul, aber das wäre biologiefachterministisch schon etwas gewagt unorthodox? Ich bin da auch etwas unsicher, meist aber denkt sich Last immer etwas dabei.

Klar ist für mich, dass das Du groß ist, mächtig, dass es einen Sog auf das Ich ausübt, der für das Ich unangenehm ist (es fühlt sich unfrei). Ob es sich dabei um ein konkretes Du handelt (Vater/Sohnz.B. oder auch nur Ideal und Haschen danach) oder um den anderen an sich, bleibt offen.

Unklar ist für mich noch, ob der Text in Bezug auf dieses Verhältnis eine deutliche Aussage treffen will oder ob er polyphon ist, das heißt zugleich mehrere Perspektiven zeigen will, zum Beispiel die von Du und Ich. Hier bin ich leider nicht endgültig sicher....ich versuch mich mal...

Zum Themenkreis fallen mir zum einen die Bibel ein, in der ja (nie Original gelesen, nähere Zusammenhänge mir völlig unbekannt) so weit ich weiß, Jonas von einem Wal verschlungen wurde, im Walmagen einen Psalm betet und später unversehrt an Land gespuckt wird. Das passt ja schon ein wenig (der Magen, das gerettet werden, hier nur mit atheistischem Ausgang**, der Tod als befreiung, nicht der Psalm/Glaube ;-)), scheint mir aber neu gewendet, wenn darauf Bezug genommen wird oder gemischt mit meiner anderen Assoziation, die da wäre "Moby Dick". Was wieder auch den Titel erklären würde, nämlich das doch der konkrete Walfang (einen Wal fangen) gemeint ist. Und dass der Sog, die eigene Lust an der Jagd ist. (Darum auch der Untertitel im Vorüberziehn...denn das Vorüberziehn von etwas (Frauen, Männern, Chancen, gelegenheiten, Momenten, Idealen...usw.) übt ja eine große Anziehungskraft aus, zum Greifen nah, so nah, das man zugreifen will, , aber man kann nicht zugreifen, dann wird die Lust darauf umso größer...wäre das lyr. Ich dabei der kleinste Fisch, könnte es diesem Sog nicht standhalten, es würde in den Wal gesaugt und würde ohne Aufhebens, völlig unauffällig im Magen sterben und damit wäre es zu gleich auch aller Lust und Sehnsucht beraubt. Ganz einfach (Tod aber erlöst/Ruhe)...wenn etwas sehr Kleines etwas so Großes begehrt, stirbt es darüber einfach, es hat keine Wahl (Wal ;-)).

Der Mensch aber ist anders gemacht. Er hat Mittel und Wege gefunden, sich so nah an seine Wünsche zu begeben, dass sie zum Greifen nah sind, aber er nicht daran stirbt. Ein ewiges Kämpfen, es zu erreichen, aber es klappt nicht (mit der Nase an der Schaufensterscheibe kleben, ..jemanden schlafen sehen, den man liebt, ihn berühren zu können, aber nicht wirklich berühren zu können...etc. PP..)...die Menschen benehmen sich so wie dieser Trick, um einen Esel zum Laufen zu kriegen...mit einer Angel hängen sie sich selbst eine Möhre vor das Maul..). Sie bauen sich Boote um auf das Meer der Wünsche hinauszufahren und haben sie einen Wunsch, begeben sie sich so nah an den Wunsch heran, dass sie eigentlich sterben müssten vor Leidenschaft danach, aber sie haben es geschafft, dass dies nicht passiert...dass es immer weitergeht.

(Sehr schön auch in diesem Kontext, wenn man den Wal bekäme, dass er dann tot wäre)

Ich übertreibe vielleicht, aber das ist wohl auch das, was vielleicht Kant zu dem Begriff des Erhabenen geführt hat, eine Empfindung, die nur der Mensch fühlen kann, weil er sich so positionieren kann, in einer solchen Ferne und Sicherheit und doch so nah (Lupe/Aussichtstürme), so unglaublich nah, dass es ein Leben lang weh tut...Kant führte als ein Beispiel ja die Beobachtung eines stürmischen Meeres an, wie man aus der Ferne Boote kentern sieht und es einen graust, man aber doch gebannt ist, es doch genießen kann (so lange man guckt, genießt man), weil man sich selbst in Sicherheit weiß...(die Unendlichkeit als undenkbares zu spüren und dadurch wiederum sich positionieren zu können...

Ja, so könnte ich den Text deuten..mit Bezug auf Jonas und Ahab ginge das so auf und mir beginnt es so außerordnetlich gut zu gefallen ;-).

Folgendes weitgehend vernachlässigbar:
Irritierend weiterhin für mich, dass die meisten Wale keinen Fisch fressen...irgendwie ist das so ein Kinderwissen, das immer im Kopf ist: "Wer sagt, dass ein Wal Fisch isst, der ist dumm", obwohl es natürlich Walarten gibt, die das tun...trotzdem...(ein bisschen so wie, wenn jemand sagt, ein Delphin sei ein Fisch), darum ist das ganze Bild etwas ungewöhnlich für mich, natürlich aber insgesamt korrekt.


Die Magie des Vorüberziehns...

** dazu passt auf dem Pfad der Überinterpretation auch, wie mir gerade noch einfällt (ich hätte die Drogen weglassen sollen), dass der Fisch ja auch ein christliches Symbol ist...der Wal also doch hier Gott ;-))

Ok, ich bin ein bisschen abgedreht, hat aber Spaß gemacht
Liebe Grüße,
Lisa :essen0001: :frosch:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Gast

Beitragvon Gast » 15.03.2007, 18:11

Lieber Last,

ich lese in deinem Text: Erlösung durch Tod, ohne christlichen Hintergrund.

das Lyrich ist besessen vom "Wal". Wofür dieser auch stehen mag, ist wohl letztendlich gar nicht so wichtig. Das Lyrich ist hinter dem Wal her und weiß doch es wird ihn niemals besitzen. Für den Wal, das Lyrdu ist das Lyrich ein "nichts". Selbst das Verschlucken wird das Du nicht spüren.
Das Lyrich denkt präszise, (ohne Pein?) dass es das Lyrdu ohne Qual (fürs du) verschlucken könnte. Dann geht Lyrich auf im Du, ohne dass das Lyrdu Schaden nähme oder das Lyrich zur Kenntnis.
Für das Lyrich: Lieber ein kleiner Fisch sein und gefressen werden, (im du aufgehen, erlöst werden) als ein Leben lang Qualen der Lust und der Sehnsucht erleiden, die niemals erfüllt werden.
Man könnte auch übertragen:
Lieber durch die Hand dessen sterben, dem die Sehnsucht und Lust gilt, als ein Leben lang an der unerfüllten Liebe kranken.
Dies ist meine freie Interpretation.

Liebe Grüße
Gerda

Last

Beitragvon Last » 16.03.2007, 15:12

Hallo zusammen,

ich freue mich sehr über eure unterschiedlichen Interpretationen, die sich eigentlich alle im näheren Umkreis des Gemeinten befinden. So ganz genau getroffen, wie ich das gemeint hat hat zwar keiner, doch die Stichpunkte wurden alle genannt, was mir sogar besser gefällt, als wenn mir jemand die Gedanken mit einem Strohhalm aus dem Kopf gezogen hätte :smile:


Max,

die erste Strophe hat für mich einen wichtigen Einfluss und ist nicht wegzudenken. Den geringsten Fisch empfinde ich als Schlüsselstelle ("Wär ich der geringste Fisch,[...] ich wäre frei") des gesamten Textes. In der Tat verwirrt der Konjunktiv (Verwirrte auch mich beim Schreiben, bin mir noch immer nicht zu 100% sicher ob das ganze grammatikalisch korrekt ist :eek: ). "Ich bin der geringste Fisch" würde jedoch total aus dem Kontext fallen, schon allein dadurch, dass es großspurig klingt und sich daher selbst negiert (Hatte ich zwischenzeitlich so geschrieben, aber aus dem genannten Grund gestrichen).


Smile,

Punkt. Ja so ist die Gesamtaussage sehr präzise Herausgestellt. Die Doppeldeutigkeit des Titels ist natürlich auch gewollt, mein gedanke hierbei war das ganze Gedicht in einen noch größeren Zusammenhang zu stellen, das selbst der Wahl wieder Futter von Etwas ist, nur der "geringste Fisch" dem Kreislauf von Fressen und gefressen werden entgehen kann.


Lisa,

natürlich bediene ich mich hier an biblischen Bezügen, sowohl bei Jonas, als auch mit dem Fisch (im übertragenem Sinne sogar mit dem "geringsten", und der "Selbstaufopferung" des Fisches). Beinahe hätte ich sogar eine Strophe eingebaut in dem das lyr. Ich für das Heil des Wals betet, aber das war mir zu kitschig und einfach nur... *würg*
Die Freiheit ist von mir aus zwar nicht als "atheistische Freiheit" gedacht, sondern durchaus auch als christliche Freiheit (insgesamt wohl als Freiheit von allen Zwängen, die nur der Unterste einer Autoritäts- oder Nahrungskette inne hat, jeder andere übt ja Zwänge aus und die meisten werden auch gezwungen, nimmt man den Zwang von außen aber hin, so ist man raus aus der Kette)(hmm, ist wohl auch ein bisschen ne Narrenfreiheit, daher danke für das Kopliment, das Wale keine Fische fressen :razz: )
Deine Bezüge zu Ahab und Moby Dick sind so nicht von mir geplant aber durchaus nachvollziehbar und kommen, besonders im Übertrag auf das, was du später als "rein menschliche Eigenschaft" beschreibst, meiner Intention sehr nahe.

Der Wal sollte nur ganz und gar nicht Gott sein, aber das sei deiner Überinterpretation gestettatet, da es ja doch irgendwie aufgeht und für dich Sinn hat, und ich ausserdem sehr gerne überinterpretiert werde :smile:


Gerda,

mag ich sehr gerne, wie du meinen Text aus einer anderen Richtung beleuchtest. In ein, wie Lisa das nannte, Autoritätengefälle eingebaut, wird so die Selbstaufgabe allein als Eingeständnis der eigenen Schwäche gedeutet, ganz ohne irgendeine Erhabenheit. Hierbei kann man dann auf Max' Einwand zurückkommen, so herum wäre es gut, das lyr. Ich nicht der geringste Fisch ist :smile:


LG
Last :smile:

Max

Beitragvon Max » 16.03.2007, 19:59

Lieber Last,

aber wenn der Konjunktiv nur deshalb da steht, weil der Indikativ zu großspurig ist (das kann ich verstehen), könnte man den geringsten Fisch dann nicht vielleicht als Apposition verwenden?

Liebe Grüße
max


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