Dazugelernt

Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
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leonie
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Beitragvon leonie » 13.03.2007, 16:58

Ich habe dazugelernt.
Im letzten Jahr dachte ich noch hundefeindlich. Zum Beispiel, als ich an einem klaren Wintertag meinen Sohn mittags vom Kindergarten abholte. Nachdem der Kleine zunächst mit seinen neuen, profilstarken Winterstiefelchen die ersten drei Tretminen geschickt umkurvt hatte, erwischte er die vierte so, als müsse er die vorangegangenen nachholen. „Scheiße“, sagte er. Ein treffendes Wort. Ich sparte mir die Ermahnung; schließlich soll man Kinder ermutigen, wenn sie gerne und richtig sprechen.
"Ein Unglück kommt selten allein", sagt der Volksmund, und auf jenen Tag traf das unbedingt zu. Unser Nachbar Herr Schulze kam auch noch und auch nicht allein: Neben ihm sein Dackel, der auf den phantasievollen Namen Waldi hört. Wie alle Hundebesitzer passte auch Herr Schulze sich dem Tempo seines Freundes an. Schlendern im Vergleich zu dem, was die beiden taten, würde dem entsprechen, was Joggen ist, wenn man tatsächlich schlendert. Noch dazu redet der Mann gern.
Manchmal hilft es nichts, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Manchmal muss man sich einfach fügen. Ich seufzte also und richtete mich auf ein vierzigminütiges Gespräch ein. Zum Glück hatte ich die Kartoffeln noch nicht aufgesetzt.
Während Herr Schulze mir ausführlichst von seinen neuesten Verdauungsproblemen berichtete, neigte mein Sohn sich hinunter zu Waldi. „Vorsicht“ unterbrach mein Nachbar seine Ausführungen über Trockenfrüchte und Milchzucker, „der beißt manchmal.“
„Na super“, dachte ich. "Das sollte ich mal über meinen Sohn sagen. Da stünde doch am nächsten Tag das Jugendamt vor der Tür."

Ja, ich gebe es zu, so dachte ich damals. Doch das ist vorbei. Ausgiebige Gespräche mit differenziert denkenden Hundebesitzern haben mich inzwischen einsehen lassen:

Man sollte Hunde und Kinder nicht gegeneinander ausspielen. Im Gegenteil: Man muss die Hunde samt ihren Angehörigen verstehen. Schließlich zahlen sie Hundesteuer. Für ein Kind aber bekommt man sogar noch Geld. Man könnte in gewisser Weise fast sagen, die Hunde finanzieren den deutschen Nachwuchs. Dafür müssen sie natürlich auch etwas bekommen.
Zum Beispiel das Recht aufs freie Scheißen. Selbstverständlich dürfen sie zur Verrichtung ihrer Notdurft die Grünflächen und auch den Bürgersteig nutzen. Kinder können doch nun wirklich woanders spielen. Und A-A machen. Im Kindergarten etwa, den ihre Eltern aus dem Kindergeld finanzieren können, das sie unter anderem der Hundesteuer verdanken. Da bleibt doch sogar noch was übrig. Dafür könnten auch sie sich zum Beispiel einen Hund kaufen, um das Säckel der Allgemeinheit wieder zu füllen.

Übrigens: Wie sehr ich dazugelernt habe, können Sie aus folgender Begebenheit ersehen, die mich sehr stolz gemacht hat:
Gestern nämlich wollte ich zur körperlichen Ertüchtigung und Entspannung nach einem hektischen Tag ein Weilchen Inliner fahren. Kaum hatte ich mich 58 Meter von zuhause weg bewegt, erschien in meinem Blickfeld der erste Hund. Nicht angeleint, versteht sich, schließlich soll sich die Freiheit der Hunde ja nicht nur auf den Toilettengang beschränken.
"Naja", dachte ich, "die meisten tun ja nichts. Sagen zumindest ihre Besitzer".
Ich fuhr also weiter und schwupps, hing das Tier an, was sage ich, in meiner Wade.
„Ja, die Skater“, sagte seine Besitzerin und lächelte ihn liebevoll an, „die mag mein Moppi gar nicht.“
„Macht ja nichts“, sagte ich, während sie Moppis Zähne unter gutem Zureden vorsichtig aus meiner Wade, den Socken und der Hose löste. Dann entschuldigte ich mich höflich, denn schließlich hätte ich mich doch wirklich über die im Umkreis von fünf Kilometern wohnhaften Hunde informieren und mich anschließend in angemessener Schutzkleidung bei den Besitzern nach den sexuellen, geschmacklichen und auf Menschen und Gefährte bezogenen Vorlieben und Abneigungen ihrer Schätzchen erkundigen können.

Gesagt, getan. Gleich fange ich an, eine Liste zu machen. Und dann muss ich schnell noch zum "Fressnapf" fahren. Hundekuchen kaufen für meine neuen Freunde.
Zuletzt geändert von leonie am 05.04.2007, 12:54, insgesamt 8-mal geändert.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 14.03.2007, 13:07

Hallo Leonie,

mit Schmunzeln gelesen. Aber sollte Mann/Frau nicht auch an die Frustrationen der Vierbeiner denken, wenn sich Mensch nur noch in Schutzkleidung nähert?? Eine Wade - und Hund kann nicht reinbeißen? Eine Wade, die nach Schutzanzug schmeckt?? Tierquälerei oder?? :bumper:

Liebe Grüße
Marlene

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.03.2007, 16:30

Liebe Marlene,

danke für die Rückmeldung, es freut mich, dass Du geschmunzelt hast. Meine Lernfähigkeit in Sachen Tierfreundlichkeit scheint noch nicht ganz ausgereizt zu sein. Vielleicht gibt es ja Schutzanzüge auch in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen: Rind mit Rosmarin, Schwein mit Fenchel, Hase mit Bärlauch oder so....

Liebe Grüße

leonie

P.S. Ein paar kleine Änderungen habe ich noch vorgenommen...

Max

Beitragvon Max » 15.03.2007, 20:05

Liebe Leonie,

auch wenn ich als Hundebesitzer inhaltlich vielleicht nicht immer Deiner Meinung bin (wofür ich z.B. Hundesteuer bezahle, ist mir nicht klar), finde ich die Glosse hervorragend geschrieben. Ich habe so manches aus meinem Alltag wiedergefunden und ein paar Mal laut gelacht. Nun juckt es mir in den Fingern, mir den Zorn des Salon zuzuziehen, indem ich eine "Kinderglosse" schreibe ...

Liebe Grüße
max

Klara
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Beitragvon Klara » 15.03.2007, 20:14

Nun juckt es mir in den Fingern, mir den Zorn des Salon zuzuziehen, indem ich eine "Kinderglosse" schreibe ...

Au ja, mach mal!
(Obwohl: Eine Eltern-Glosse wäre ergiebiger, oder?? ,.-)
gruß, k

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leonie
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Beitragvon leonie » 15.03.2007, 21:02

Lieber Max,

ich dachte schon, hier im Forum haben offensichtlich alle Leute Hunde :sad: au weia, hätte ich das bloß nicht eingestellt. Aber nachdem kürzlich ein Hundebesitzer seine Töle über unsern Zaun hat springen lassen, damit sie sich in unserem Garten erleichtern konnte (ein fetter Haufen, sage ich Dir!), musste mein Frust mal raus. Ich habe nichts gegen Hunde an sich (hatte als Kind selbst einen), auch nicht gegen Hundebesitzer. Allerdings hege ich in der Stadt die Erwartung, dass man das Häufchen seines Haustieres mindestens vom Bürgersteig, noch besser auch von Grünflächen, wo andere reintreten könnten, entfernt. Und ob Du es glaubst oder nicht, als ich das einmal gegenüber einer Hundebesitzerin äußerte, da sagte sie mir, dafür zahle sie doch schließlich Hundesteuer, dass die Stadtreinigeung sich darum kümmert. So sehen manche andere Leute das mit der Hundesteuer.
Naja, es freut mich, dass Du als Hundebesitzer trotzdem laut gelacht hast. Das lässt mich hoffen...

Auf die Kinderglosse bin ich sehr gespannt!

Klara, eine Elternabendglosse wäre, glaube ich, auch sehr ergiebig! (ich hasse diese Veranstaltung!)


Liebe Grüße und danke!

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 15.03.2007, 22:23

Liebe leonie,

als Hundeliebhaber, der selbst drei hatte und manchmal noch heute glaubt, dass Hunde die besseren Menschen sind ;-), kann ich nur sagen: Es war mir ein nachhaltiges Vergnügen, Deinen Text zu lesen!

Liebe Grüße
Herby

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.03.2007, 13:08

Liebe leonie,

unsere beiden Hunde waren ziemlich grummelig, als ich es ihnen vorgelesen habe, aber du hast Glück. Sie sind notorisch ängstlich (rumänische Streuner), die kommen nicht vorbei ;-). Zum Hundedreck auf Bürgersteig kann ich nur sagen, dass man mit seinem Hund einfach woanders spazieren gehen sollte, dem Hund gefällt es in der Stadt eh nicht ;-).

Der Text ist schön geschrieben, auch wenn ich einige Dinge anders sehe (ja, auch mich nervt der Waldityp, wenn man auch einen Hund hat, sind die noch viel penetranter ;-)).


Kleine Ideen:

Schlendern im Vergleich zu dem, was die beiden taten, würde dem entsprechen, was Joggen ist, wenn man tatsächlich schlendert.

Den Satz würde ich noch entumständlichen...das geht flotter...

l.“. „


Punkt zuviel, ich würde eh immer nach wörtlicher Rede umbrechen, ist übersichtlicher.

Da stünde doch am nächsten Tag das Jugendamt vor der Tür".


Pünktchen falsch (am besten Text dahingehdn nochmal prüfen, habe ich jetzt nur zufällig gesehen)

Doch, gut geschrieben :-)

Ich denke, man könnte eine Glosse aus der Perspektive des Hundebesitzers schreiben, der sowohl Hundebesitzer, als auch Skater, als auch Radfahrer, als auch Kinder und überhaupt alle durch den Kakao zieht :-)

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 16.03.2007, 14:11

Wau,

also du möchte ich widersprechen:
Schlendern im Vergleich zu dem, was die beiden taten, würde dem entsprechen, was Joggen ist, wenn man tatsächlich schlendert.

... entumständlichen?? Über diesen Satz habe ich mindestens so lange nachgedacht, wie ich brauchte, um den ganzen übrigen Text zu lesen ... :12: ich las diesen Satz gewissermaßen tiptoppend (nennt man das heute noch so?), während ich durch den übrigen Text sprinten konnte ... und gerade DAS finde ich klasse.

Im übrigen ist mir der Text aus der Seele gesprochen; da ich jetzt auf dem Land wohne, geht es mit den Haufen (hier gehen die Leute mit ihren Hunden in den Wald oder aufs Feld), aber da, wo ich früher wohnte, wäre es angebracht gewesen, allen Nichthundebesitzern Gummigaloschen zu stellen. Vielleicht von der Hundesteuer?

lG Zefira (hat zwei Kaninchen, die machen nur Kaffeebohnen :pfeifen: )
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

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leonie
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Beitragvon leonie » 16.03.2007, 15:10

Lieber Herby,

es freut mich, dass Du als Hundeliebhaber den Text gern gelesen hast!

Liebe Lisa,

bin ich froh, dass Du keine Rottweiler, Schäferhunde, Pitbulls, etc. hast :s030: !
Vielen Dank für die hinweise, die Tippfehler habe ich eingebaut. An dem anderen Satz hatte ich beim Schreiben meine Freude und er scheint so zu funktionieren, wie ich das wollte (siehe Zefi), ich möchte ihn deshalb gerne so lassen.

Es freut mich, wenn diese Glosse weitere nach sich zieht und wäre sehr gespannt auf die Umsetzung Deiner Idee! Lieben Gruß an die Hunde, ich beiße auch nicht!

Liebe Zefira,

super, dass das bei Dir funktioniert hat, genauso hatte ich mir das beim Schreiben gedacht :spin2:
Das mit den Gummigaloschen finde ich schon mal gut, nur müsste auch noch ein Reinigungsdienst dazukommen, finde ich. Da wäre die Hundesteuer auch sehr sinnvoll eingesetzt...

Kennst Du das Kinderbuch "Wer hat mir auf den Kopf gemacht"? Dazu gibt es ein Musical, in dem es über die Hasenhinterlassenschaften (nicht Kaninchen) heißt: "Ratatatatatatata, ratatatatatatä, ja, so schießen unsere Bohnen durch die Wiesen in den Klee..."


Liebe Grüße Euch allen und vielen Dank!

leonie

Max

Beitragvon Max » 16.03.2007, 20:10

Liebe Leonie,

Auf die Kinderglosse bin ich sehr gespannt!


ja, ich auch nocht. Obwohl man keine Kindersteuer zahlt, ist das irgendwie schwerer ;-)

Liebe Grüße
der grübelnde
Max

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Beitragvon Klara » 16.03.2007, 20:18

Oh doch Max!
Du zahlst mit Sicherheit Kindersteuer.
Oder wovon, meinst du, werden Schulen, Kindergärten und Gesünder-Essen-Kampagnen bezahlt?
Ganz zu schweigen von der Kinderministerin.

,-)

lg
klara

Herby

Beitragvon Herby » 16.03.2007, 20:23

Liebe Zefi,
nun sind wir schon zwei erklärte Fans dieses Satzes! Ich finde ihn wunderbar!

Liebe leo,
ich bin erleichtert zu lesen, dass Du ihn nicht ändern willst!

Liebe Lisa,
Entschuldigung :pfeifen:


LG
Herby

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Beitragvon leonie » 17.03.2007, 12:46

Lieber Max,

ich glaube, eine Kinderglosse zu schreiben, ist richtig schwer. Eine Elternglosse halte ich für viel einfacher. Kinder sind irgendwie zu unverfälscht, als dass man sie gut aufs Korn nehmen könnte. Und wenn sie komisch sind, hat es doch oft auch was mit den Eltern/m,it der Erziehung zu tun...

Im Grunde geht es in meinem Text auch nicht um die Hunde, sondern um die Menschen dahinter. Ich glaube, bei den Kindern müsste es ähnlich sein...

Lieber Herby,
nach Deinem Votum werde ich den Satz auf jeden Fall so lassen. Versprochen!

Danke Euch und liebe Grüße

leonie


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