Von brennenden Klavieren...(Teil II)

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pandora

Beitragvon pandora » 04.03.2007, 17:27

Von brennenden Klavieren, schlaksigen Liebhabern und ungeschickten Kellnern / Teil II


Drei Tage später. Ich habe Geburtstag. (Die Karten für die Oper waren ein Geschenk vorab.)
Mir steht der Sinn nach einer kleinen Feier. An ein Törtchen denke ich, viele Kerzen und liebevoll gebastelte Kindergeschenke. An Blumensträuße und lustige Lieder.
Leider wird es keine Fete geben. Kein Gebäck, keine Gesänge.
Mein Chef hat dies erfolgreich zu verhindern gewusst, indem er exakt für den Tag meines Wiegenfestes eine Dienstberatung anberaumte. Ich gratuliere mir zu den vor mir liegenden langweiligen Endloskonferenzen .
Deprimiert erledige ich die Pflichten des Vormittags und eile dann in das Gebäude, in dem das Meeting stattfinden soll. Ich bin spät dran, wie immer, stürze die Treppen hinauf – aus Zeitgründen zwei Stufen mit einem Schritt nehmend – und falle, ich muss das jetzt mal ganz und gar unpoetisch ausdrücken, schlimm auf die Schnauze. In Filmen ist in derartigen Situationen stets George Clooney zur Stelle, in billigeren Produktionen wenigstens Hugh Grant, und hilft der Gestrauchelten liebevoll auf die Beine. Die beiden schauen sich tief in die Augen, verlieben sich augenblicklich ineinander, heiraten einen Monat später und bekommen viele Kinder.
Auch in meinem "Falle" ist ein Helfer zur Stelle (Ich frage mich heute noch, was er um diese Zeit vorm Gymnasium zu tun hatte.). Keinen Hollywoodstar hat das Schicksal an dieser Stelle für mich vorgesehen, sondern einen stadtbekannten Alleinunterhalter, der auf diversen Festen im Landkreis entweder August den Starken oder einen Clown gibt. Manchmal trägt er Kniebundhosen! Meine Mutter pflegt, immer wenn das Gespräch auf ihn kommt, oder wir ihn zufällig treffen, zu betonen, dass er ja wohl auch einer von denjenigen sei, die es ruhig mal probeweise mit ehrlicher Arbeit hätten versuchen sollen. Nun ja. Ich vermeide direkten Blickkontakt, verheiratet bin ich ja längst, murmle einen Dank und stürze weiter. Die restlichen Treppen hinauf.
Mein Blick fällt auf die Knie. Die blickdichten Strumpfhosen haben den Sturz nicht überlebt, jedenfalls nicht blickdicht. Meine zerschrammten Kniescheiben drängen ans Tageslicht. Toll. Ich werde die Tür zum Sitzungszimmer öffnen und mich vorstellen: „Gestatten, Pippilotta, Viktualia, Rollgardina, Pfefferminz, Efraimstochter.“ Nein, das werde ich natürlich nicht tun. Ich sollte mich auf meinen Platz schleichen, die Beine übereinander schlagen und hoffen, dass mich keiner wahrnimmt.
Wenn der Chef mich zur Gratulation nach vorn bittet, muss ich debil grinsen und einen auf autistisch machen. Sollen alle denken, was sie wollen. Mir egal.
Glücklicherweise kommt es nicht so weit. Man gratuliert mir aus der Ferne und trägt ein Blumengebinde an meinen Tisch. Ich krakele die gesamte Sitzungsdauer über brennende Klaviere auf meinen Block und entwerfe Strategien für einen würdevollen Abgang. Wenn alle Kollegen den Raum verlassen haben, werde ich wie eine Antilope in zerrissenen Damenstrumpfhosen aus dem Raum springen, in Lichtgeschwindigkeit zu meinem Auto rasen und ENDLICH nach Hause fahren. Das Martyrium soll enden. Schnellstens.
Die komplette Familie erwartet mich bereits. Mit einer Überraschung.
Ich bekomme ein paar Minuten, um meinen desolaten Zustand zu beseitigen und ersetze die blickfreie durch eine neue blickdichte Strumpfhose. Dann verfrachtet man mich ins Auto und wir machen uns auf in ein neu eröffnetes mexikanisches Restaurant.
Ich liebe Frida Kahlo und ihre Kochbücher. Ich mag mexikanisches Essen und Marimbas. Alles wird gut und der Geburtstag doch noch schön. Ich kann August den starken Samariter vom Mittag verdrängen. Hossa!
Wir bestellen. Reichlich. Daiquiris. Tacos. Enchiladas, Burritos, Quesadillas. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Nach diesem Tag habe ich mir ein leckeres Essen echt verdient.
Der Kellner, ein ansehnlicher junger Mann, nähert sich mit tänzelnden Schritten. Er balanciert zwei Vorspeisenplatten auf den Fingerspitzen. Anmutig. Graziös. Plötzlich aber entgleitet ihm eine der Platten, gerät in Schieflage, fliegt durch die Luft und landet ... Wo landet sie wohl? Genau, auf meinem Rücken.
Und ich schwöre, als ich spüre, wie mir scharfer Chilidip und Guacamole in den Ausschnitt rinnen, sehe ich das brennende Klavier vor mir. Ich wische mir den Tacokleister vom T-shirt und mir wird urplötzlich klar, warum der Regisseur ein brennendes Piano auf der Bühne hatte. Es gibt Tage, da geht alles schief. Das Publikum hustet ungeachtet künstlerischer Höchstleistungen ungeniert. Geburtstage verbringt man in sinnlosen Beratungen. Belmonte ist eine Witzfigur von einem Lover. August der Starke die Karrikatur eines Hollywoodhelden. Der Bassa übergewichtig. Auch 60den-Strumpfhosen halten nichts ab.
Irgendwie muss man sich mit all diesen Widrigkeiten arrangieren. Sich abreagieren.
Man zündet ein Klavier an. Gute Idee. Ich bitte den Kellner, der mich, den Tisch und den Fußboden reinigt, um ein Feuerzeug.
Zuletzt geändert von pandora am 05.03.2007, 17:51, insgesamt 2-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 04.03.2007, 21:27

herrlich, liebe pandora, später zu Einzelheiten mehr, aber ich habe mich an einiges erinnert, was mir auch schon passiert ist, du schaffst es super, aus dem "Kleinkrieg" des Alltags eine paar Momente zu einer guten Geschichte zusammen zu fassen. :daumen:

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon leonie » 04.03.2007, 21:48

Liebe pandora,

ja, einfach köstlich. Ich hoffe, dass es zumindest teilweise ausgedacht ist, ansonsten kannst Du meines Mitleids versichert sein! Ich würde überlegen, im Restaurant vor dem Feuerzeug-Gag irgendwo noch ein Klavier einzuführen, damit man weiß, dass Dein Ziel in erreichbarer Nähe ist.

Liebe Grüße

leonie

pandora

Beitragvon pandora » 04.03.2007, 21:51

liebe leonie,

denkst du wirklich, dass man sich soetwas ausdenken kann? :schwitz:
ehrlich: soviel fantasie habe ich nicht. zum glück hilft die realität.
und die kann man ja dann ein bisschen übertrieben darstellen...

lg
pippilotta

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Beitragvon leonie » 04.03.2007, 22:20

Liebe Pippilotta-pandora,

ich hatte heimlich gehofft, dass zumindestens die Vorspeisenplatte auf dem Rücken Dir in der Realität erspart geblieben sei...

Ohjeohje :sad3:

Dank Deines tollen Textes hatte das ganze zumindestens im Nachhinein eine Art "Sinn"... :-) und wir dürfen uns amüsieren...

Danke also!

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 05.03.2007, 02:44

Liebe pandora,

bitte nicht erschrecken, es sind nur Kleinigkeiten, es sieht schlimm aus, ist es aber nicht.


pandora hat geschrieben: (Die Karten für die Oper waren ein vorab verabreichtes Geschenk.)

„Ein Geschenk vorab“, würde ich schreiben, verabreicht wird Medizin, oder ?

pandora hat geschrieben: Mir steht der Sinn nach einer kleinen Feier. An ein Törtchen denke ich, brennende Kerzen


hier würd ich evtl. „… nicht an brennende Klaviere“ einsetzen.

pandora hat geschrieben: und liebevoll gebastelte Kindergeschenke. An Blumensträuße und lustige Lieder.
Leider wird es keine Fete geben. Kein Gebäck, keine Gesänge.


vor „Fete“ ein Leerzeichen weg

pandora hat geschrieben: Ich bin spät dran, wie immer, stürze Treppen hinauf – aus Zeitgründen zwei Stufen mit einem Schritt nehmend – und falle,

vor Treppen ein „die“ einfügen

pandora hat geschrieben:ich muss das jetzt mal ganz und gar unpoetisch ausdrücken, schlimm auf mein Mäulchen.


Das würde ich drastischer formulieren, das Mäulchen klingt nach der Vorwarnung gekünstelt vornehm, finde ich, außerdem sinds nachher die Knie, die geschundenen ;-)

pandora hat geschrieben:In Filmen ist in derartigen Situationen stets George Clooney zur Stelle, usw … … bekommen viele Kinder.

Finde ich schön treffend glossiert. (auch dass Clooney dran ist und nicht Pitt) :daumen:

pandora hat geschrieben:Auch in meinem Falle (!!!)

ich würde „Falle“ setzen, und nicht umklammerte Ausrufezeichen, das hemmt, den Lesefluss, die Doppeldeutigkeit ist doch auch so zu erkennen.

pandora hat geschrieben:Meine Mutter pflegt, immer wenn das Gespräch auf ihn kommt, oder wir ihn zufällig treffen, zu betonen, dass er ja wohl auch einer von denjenigen sei, die es ruhig mal probeweise mit ehrlicher Arbeit hätten versuchen sollen.


Ich würde umstellen, (zusammen, was zusammen gehört) ;-)
Meine Mutter pflegt zu betonen, immer usw.

pandora hat geschrieben:Nein, das werde ich natürlich nicht tun.
Ich werde mich auf meinen Platz schleichen, die Beine übereinander schlagen und hoffen, dass mich keiner wahrnimmt.

Würde hier zusammenfassen, 2 x „werde“ ist nicht elegant.
Nein, ich mich natürlich auf meinen Platz schleichen, die Beine … usw.
pandora hat geschrieben:Meine Familie erwartet mich bereits. Komplett. Mit Schwiegermutter. Und Überraschung.


Muss die Schon so oft bemühte Schwiegermutter mit rein? Ich glaube, das hast du nicht nötig.

pandora hat geschrieben:Plötzlich aber entgleitet ihm eine der Platten, gerät in Schieflage, fliegt durch die Luft und landet ... Wo landet sie wohl? Genau, auf meinem Rücken.


Hier würde ich überlegen, es so zu schildern, dass du nicht SOFORT siehst, was passiert, sondern, den Stolperer des Kellners ( am Flügel) :pfeifen: aus den Augenwinkeln, dann plötzlich den stechenden Schmerz im Rücken spürst oder einen Schlag, du weißt schon …
pandora hat geschrieben:Und ich schwöre, als ich spüre, wie mir scharfer Chilidip und Guacamole in den Ausschnitt rinnen, sehe ich das brennende Klavier vor mir. Ich wische mir den Tacokleister vom T-shirt und mir wird urplötzlich klar, warum der Regisseur ein brennendes Piano auf der Bühne hatte. Es gibt Tage, da geht alles schief. Das Publikum hustet ungeachtet künstlerischer Höchstleistungen ungeniert. Geburtstage verbringt man in sinnlosen Beratungen. Belmonte ist eine Witzfigur von einem Lover. August der Starke die Karrikatur eines Hollywoodhelden. Osmin übergewichtig. Auch 60den-Strumpfhosen halten nichts ab.
Irgendwie muss man sich mit all diesen Widrigkeiten arrangieren. Sich abreagieren.
Man zündet ein Klavier an. Gute Idee. Ich bitte den Kellner, der mich, den Tisch und den Fußboden reinigt, um ein Feuerzeug.


Toll der Schluss auch, evtl. die Aufzählung um den Osmin kürzen, oder war der in Teil 1 auch erwähnt?

Dass mir die Geschichte gefallen hat, schrieb ich schon und nun kann ich ja auch sagen, dass ich ab jenem Moment, als du zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe rauf bist, ganz nah bei dir war. Ich kenn so was nur zu gut. Aber ich muss noch üben es auch so gut zu verpacken wie du.

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon Elsa » 05.03.2007, 09:08

Liebe Pandora,

Ich habe den Text mit großem Entzücken gelesen!

Ein paar Kleinigkeiten noch von mir.

Deprimiert erledige die Pflichten des Vormittags und eile dann in das Gebäude, in dem das Meeting stattfinden soll.

Erledige ich? die Pflichten

Mein Blick fällt auf meine Knie.

Vielleicht die beiden mein/meine vermeiden?

Wenn der Chef mich zur Gratulation nach vorn bitten sollte, muss ich debil grinsen und einen auf autistisch machen.

Die Sache mit dem Autismus verstehe ich nicht.

Mein Martyrium soll enden. Schnellstens.
Meine Familie erwartet mich bereits.

Das Martyrium? (wg der mein/meine)

um meinen desolaten Zustand zu beseitigen

noch ein mein.

und ersetze die blickfreie durch eine neue blickdichte Strumpfhose.

Schön!

Dann verfrachtet man mich wieder ins Auto

Wieso wieder?

mit tänzelnden Schritten.

Vorsicht: Klischeefalle!

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

pandora

Beitragvon pandora » 05.03.2007, 12:45

ihr alle,

danke fürs lesen und eure kommentare.

@gerda: ich habe den zweiten teil schnell runtergeschrieben, das merkt man. :icon_redface:
dir lieben dank für das genaue durchforsten. ich habe fast alle kritikpunkte deinen vorschlägen entsprechend geändert. nach einigem überlegen habe ich mich allerdings entschlossen, den schluss so zu lassen, wie er ist. die vorspeisenplatte überraschend beim ich-erzähler einschlagen zu lassen, scheint mir dann doch ein bisschen zu dick aufgetragen.

@elsa: auch dir vielen dank für deine tipps. die vielen wortwiederholungen müssten jetzt getilgt sein.
"Wenn der Chef mich zur Gratulation nach vorn bitten sollte, muss ich debil grinsen und einen auf autistisch machen. " - soll das vorhaben des ich-erzählers, jeglichen kontaktversuch von außen abzuwehren, beschreiben.
mir ist klar, dass der tänzelnde kellnerschönling ein klischee bedient. aber zum einen lebt eine glosse wie diese meiner meinung nach von klischees, zum anderen sind klischees ja in unseren vorstellungen gerade deshalb vorhanden, weil sie so zutreffend sind.

lg
p.

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Beitragvon Elsa » 05.03.2007, 21:07

Liebe Pandora,

Eine hätte ich noch:

Mein Blick fällt auf die Knie. Die blickdichten Strumpfhosen haben den Sturz nicht überlebt, jedenfalls nicht blickdicht. Meine zerschrammten Kniescheiben drängen ans Tageslicht.


Im Texte steht die beiden mein/meine genau untereinander.
Vielleicht: Ich beäuge meine Knie. Die blickdichten ... nicht blickdicht und damit drängen die zerschrammten Kniescheiben ans Tageslicht.

Autismus hab ich nun verstanden. das Klischee wollte ich nur anmerken, in dem Zusammenhang passt es aber.

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen


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