Wenn auch das Schöne

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 27.02.2007, 23:42

Wenn auch das Schöne
nicht bleibt,
abfällt, verdorrt
wie die Früchte
des wilden Feigenbaumes,
der seine Süße
dem sanften Wehen des Windes
zaghaft verschenkt,

findet noch spät,
wenn das Alter schon
seine Gerbfinger
auf die Haut legte,
noch Ebenmaß
das liebende Auge,
und zur Liebkosung
hebt sich die Hand.

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 28.02.2007, 07:06

Guten Morgen, liebe Beere,

besonders die erste Strophe ist wunderschön lyrisch. Ich liebe diese Form der Annäherung an die Natut (des Menschen). Und in der zweiten Strophe steckt ein tiefer Wahrheitsgehalt. Wie schön, dass das Alter die liebenden Augen nicht verliert. (Mein Vater hat mit Ende 70 seine jetzige Frau kennen gelernt und es ist eine Freude, die beiden zu erleben in ihrer neuen, tiefen Zuneigung.)
Dennoch ein Tipp: Vielleicht nimmst du aus S2 das zweite "noch" raus. Dann würde es runder klingen.

Herzlichst, KÖ

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 28.02.2007, 10:37

Hallo Schwarzbeere (schöner Name!)

Ein Plädoyer für die Zärtlichkeit dem Alter gegenüber. Der Feigenbaum ist ein schönes Bild dafür.

BTW: Meine Oma sagte mir, sie war weit über Achtzig, als ich ein Teenager war: Liebes Kind, die Sehnsucht vergeht niemals.
Jetzt, selbst nicht mehr jung, sage ich, sie hatte recht.

Sehr gern gelesen. (Ich würde das 1. noch aus der 2. Str. weg lassen)

Lieben Gruß
ELsa
Schreiben ist atmen

Herby

Beitragvon Herby » 28.02.2007, 10:49

Hallo Schwazbeere,

da ist Dir ein wunderschönes Gedicht über das Altern gelungen, das mich mit seiner Poesie und seinen Bildern sehr einnimmt. Nur in der zweiten Strophe stört mich die Vergangenheit bei „wenn …legte“ etwas. Könntest Du Dir vorstellen, hier das Tempus zugunsten der Allgemeingültigkeit der Aussage ins Präsens zu ändern, also „wenn …legt“?

Dieses Gedicht habe ich sehr sehr gerne gelesen, Danke!
Liebe Grüße
Herby

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leonie
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Beitragvon leonie » 28.02.2007, 11:00

Hallo Schwarzbeere,

auch mir geht es so wie meinen Vorrednern: Das habe ich sehr sehr gern gelesen. Ein schönes, zartes und auch hoffnungsvolles Gedicht!

Liebe Grüße

leonie

Jürgen

Beitragvon Jürgen » 28.02.2007, 11:01

Hallo Schwarzbeere,

ich muss gestehen, ich hatte zu manchen Deiner Texte keinen Zugang. Das ist keine Kritik, nicht jede Lesegewohnheit passt zu jedem Autorenstil.

Dieses Gedicht hingegen finde ich beeindruckend und wunderschön formuliert. Danke für diesen Text. Keine Verbesserungsvorschläge.

Schönen Gruß

Jürgen

aram
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Beitragvon aram » 28.02.2007, 11:02

liebe schwarzbeere,

"hebt sich die hand" empfinde ich etwas unglücklich, weil dieses bild (bes. als schlusszeile) seine bedrohungskonnotation nicht ganz ablegen kann - eine assoziation, die leise irritiert - oder ist das deine absicht? der text lässt es nicht vermuten.

wie elsa würde ich das erste "noch" streichen.

"wenn (...) legte" ist keine gute kombination.

die erste strophe finde ich sehr schön.

liebe grüße
aram
Zuletzt geändert von aram am 28.02.2007, 11:09, insgesamt 1-mal geändert.
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 28.02.2007, 11:09

Grüß dich, aram,

ich empfinde das Handheben in dem beschriebenen Bild gar nicht so. Für mich ist das hier eine ganz zarte, weich fließende Geste wie ein Streichen über die andere Hand, das Haar oder die Haut- extrem intensiv, weich und zärtlich. Zudem steckt, möge ich nichts hineininterpretieren, auch eine kleine Wehmut über das nun erreichte (biologische) Alter und eine Freude über das (seelische) Jungbleiben in dieser Wortwahl...

Herzlichst, KÖ

aram
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Beitragvon aram » 28.02.2007, 11:14

hallo kö,

im text könnte ich es eher wie du lesen; als schlusszeile möchte ich das zwar auch, aber es gelingt mir nicht.

gruß von berlin nach berlin
aram
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l. cohen

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 28.02.2007, 11:58

ein wunderbar sanfter text,

den ersten teil empfinde ich als ein "einsprechen" aus meiner sicht gut aber nicht nötig, da teil zwei für sich stehen kann! vielleicht genügt ein teil von teil eins....wie:

verschenktst deine Süße
dem sanften Wehen des Windes
zaghaft

findet noch spät,
wenn das Alter schon
seine Gerbfinger
auf die Haut legte,
noch Ebenmaß
das liebende Auge,
und zur Liebkosung
hebt sich die Hand.

vielleicht so, vielleicht brauche ich den feigenbaum nicht um zu verstehen, wobei feigen -reife- fürwahr die köstlichkeit des "alterns" in sich tragen.

mmmh, oder ist teil eins doch WUNDERBAR, wie er steht...

salve
hakuin

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Schwarzbeere
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Beitragvon Schwarzbeere » 28.02.2007, 16:56

Vorerst einmal ein herzliches Danke für die überraschende Einstimmigkeit der Kommentare – oder haben jene, denen der Text nicht gefiel, sich vornehm der Aussage enthalten?

Du, liebe Sternflammende – so habe ich dich doch bereits anderswo genannt – kamst als Morgengabe, und ich habe deinen Vorschlag „ruminiert“! Er ist ja dann auch von anderen aufgegriffen bzw; variiert worden. Ich glaube, dass ein einfaches Weglassen des einen oder des anderen „noch“, denn dass sie zusammen etwas viel sind, scheint unbestritten, eine nachteilige Auswirkung auf den Rhythmus brächte. Ich habe daher eines durch „auch“ zu ersetzen versucht, dann aber festgestellt, dass diesfalls beide Strophen ein „auch“ in der ersten Zeile hätten. Also versuchte ich mit „so findet spät“ den ursprünglichen Rhythmus rückzugewinnen?

Ein Handheben kann freilich verschiedene Reaktionen und Assoziationen auslösen (Betteln, Blackpower oder Faschistengruß, Bras d’Honneur, Ohrfeige, etc), doch sollte hier die positive Geste (Handreichung), die liebevolle Streichelbewegung, relativ leicht verständlich sein.

Feigenbaum löst bei mir eine intensive Erinnerung an einen lange vergangenen Urlaub auf den griechischen Inseln aus, von dem ich noch heute gelegentlich träume, und ich möchte ihn nicht unterdrücken. Warum sollte Rilke ein Monopol darauf haben?

Präsenz (legt) statt Imperfekt: ja, sinnvoller Vorschlag, danke!

Beim erneuten Durchlesen entschied ich mich für eine Umstellung des verbleibenden „noch“.

Hier also die Neufassung:

Wenn auch das Schöne
nicht bleibt,
abfällt, verdorrt
wie die Früchte
des wilden Feigenbaumes,
der seine Süße
dem sanften Wehen des Windes
zaghaft verschenkt,

so findet spät,
wenn das Alter schon
seine Gerbfinger
auf die Haut legt,
Ebenmaß noch
das liebende Auge,
und zur Liebkosung
hebt sich die Hand.

aram
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Beitragvon aram » 28.02.2007, 17:06

hallo schwarzbeere,

so findet spät gefällt mir.

ebenmaß noch dagegen weniger, das scharfe s liest sich am zeilenende angenehmer als vor einem mit konsonant n beginnenden wort.

...hast du mal daran gedacht, "rührt sich die hand" zu nehmen? - mir sagte es mehr zu.

nachmittagsgrüße
aram
Zuletzt geändert von aram am 28.02.2007, 17:13, insgesamt 2-mal geändert.
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l. cohen

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.02.2007, 17:10

Hallo schwarzbeere,

ein sehr schönes Gedicht. Es hinterlässt so eine gewisse sanftmütige Schwingung bei mir,-)
Saludos
Mucki

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 28.02.2007, 20:09

Hallo Schwarzbeere,

so findet spät gefällt mir.


Mir auch! Sehr!

Lieben Gruß
ELsa
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