senza

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 27.02.2007, 00:20

Endfassung A1:


senza

Als ob man gegen den Wind liefe
der Tränen in die Augen treibt

und einer stellte fest, ohne näheren Anlass,
man weine nicht

Und man eben doch weint












Neufassung A0:


senza

Als ob man gegen den Wind läuft
der Tränen in die Augen treibt

und einer stellt fest, ohne näheren Anlass,
man weine nicht

Und man eben doch weint


Neufassung A2:

senza

Als ob man gegen den Wind liefe

und einer stellte fest, ohne näheren Anlass,
man weine nicht

Und man eben doch weint







[size=90]Urfassung

senza*

Als wenn man gegen den Wind liefe
der Tränen in die Augen triebe

und einer stellte fest, ohne näheren Anlass,
man weine nicht

Und man eben doch weint





[size=90]*ohne
[/size][/size]
Zuletzt geändert von Lisa am 28.02.2007, 17:25, insgesamt 4-mal geändert.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 27.02.2007, 07:26

Hallo Lisa,
eine gute Idee, gefällt mir. Sprachlich ist mir aufgefallen:

durch die Art wie du den ersten Vers gesetzt hast und die Klangnähe zwischen liefe und triebe, will man (ich), dass es sich reimt. Ich hätte deshalb "treibt" gewählt.

Der letzte Satz klingt irgendwie trotzig und das doppelte "und" und "weinen" finde ich nicht so gelungen.
Vielleicht wäre auch möglich gewesen:
Welch Irrtum

(warum kann der Titel nicht auf deutsch sein?)

liebe Grüße smile

Peter

Beitragvon Peter » 27.02.2007, 07:29

Liebe Lisa,

ich habe ja schon einige Ausrufezeichen hinter deine Texte gestellt (manche habe ich mannshoch aufgerichtet, was mir nicht schwer fiel, aufgrund der entstehenden Euphorie beim Lesen) - heute will ich mal ein paar Fragezeichen setzen.

uno: ich bin grammatikalisch gesehen eher stolpernd als sicher, aber müsste es nicht heißen:

Als wenn man gegen den Wind liefe,
der Tränen in die Augen treibt - ?

due: ehrlich gesagt habe ich mir den Kopf zerbrochen über das "ohne". Auf den ersten Blick denkt man an ein Liebesgedicht, aber wenn dein Text ein solches nicht ist, kann man doch wirklich in ein Labyrinth geraten. Das "ohne" nimmt Ausmaße an, was an sich nicht schlecht wäre, aber soll es denn Ausmaße annehmen?

tre: zwischen Strophe eins und zwei fehlt meinem Lesen nach ein Übergang. Denn Strophe eins ist dynamisch (sehr), Strophe zwei statisch. Ich weiß nicht, ob jemand so schnell festzuhalten ist... ?

quattro: Nimmst du derzeit einen Italienischkurs?

Ich könnte mir denken, du willst einen Wortklang schaffen. Für mich entsteht über das Italienische eine Ahnung von Oper/Leidenschaft/ tieffarbigen Nächten.

Willst du solche Klänge für deine Gedichte nutzen, oder steckt dahinter ein anderer Grund?

Welche Begründung gäbe es (wenn es eine geben müsste), das Gedicht nicht einfach mit "ohne" zu betiteln?

Zuletzt aber doch ein Ausrufezeichen: Gern gelesen!
Warum? Weil das Gedicht nach der (Liebe) greift. Es zeigt einen Schmerz, und zeigt ihn so, dass auch jemand der wenig liebt, wie ich, ihn begreift (oder zumindest erahnt).

Ach, die Italiener! Und die Italienerinnen! Das macht wohl das Klima... denkt der Deutsche.

Liebe Grüße,
Peter

Klara
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Beitragvon Klara » 27.02.2007, 09:58

Hallo Lisa,

Peters Frage nach dem Indikativ in Vers 2 hätte ich auch..?

Ich habe den Eindruck, du versuchst da etwas nahezu Unmögliches, inhaltlich.
Als wenn du die Grammatik semantisierst.
Bzw. den Konjunktiv als wahren Indikativ zeigst.
Ich drücke mich wahrscheinlich furchtbar aus, versteht man, was ich meine? Verstehe ich es selbst?

Der Text ist interessant, weil der Zustand mir bekannt und fremd zugleich vorkommt. Außerdem kann man es auch umkehren: Einer meint, man weint, und in Wirklichkeit ist es der Wind.
Ach, der Wind...

Vielleicht könnte man auf den zweiten Vers sogar verzichten..?
Und den letzten Vers umstellen (oder zumindest kleingeschrieben anfangen, damit der Zusammenhang mit dem ersten "Als" klarer wird)?
Vielleicht könnte man einen Spiegelstrich hinter "man weine nicht" setzen?

"ohne näheren Anlass" gefällt mir nicht recht - ich verstehe die Aussage nicht: im Sinne von "einfach so"? oder "ohne Grund"? oder: "aus heiterem Himmel"? Wozu brauchst du den Anlass? Doch, jetzt kommt es mir langsam: Du brauchst ihn, weil der Sprecher ja die Tränen des "man" VERNEINT. Nicht sehen will.

Der Titel ist mir nicht klar, egal in welcher Sprache kommt er mir verstümmelt vor, weil hinter ohne, senza, without oder sans ein Objekt kommen muss - kommt es nicht, weine ich ,-)
Und könnte es nicht doch alles indikativ sein. Was würde dadurch verloren gehen außer die ganz korrekte Verwendung nach "Als wenn"? Ich meine: Vielleicht denkt man den Konjunktiv schon mit, nach "Als wenn", und muss ihn gar nicht mehr ausgesprochen hören...

Das "feststellen" ist fraglich, denn feststellen bezieht sich auf Tatsachen, und Tatsachen bräuchtest du wiederum - wenn es welche wären! - nicht unbedingt in den Konjunktiv/die indirekte Rede zu setzen, oder?

Als wenn man gegen den Wind läuft und einer meint:
"Du weinst nicht, es ist der Wind."
Man hat ihn gar nicht gefragt. Und man weint eben doch.


Das wäre die Prosafassung, vielleicht.

.-)

lg
klara

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annette
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Beitragvon annette » 27.02.2007, 10:37

Liebe Lisa,
wenn Du hier ganz konsequent sein wolltest, müsstest Du dann nicht sogar sagen: "und man eben doch weinte"? Denn syntaktisch gehört auch die letzte Zeile noch zum Irrealis, der mit "als wenn" beginnt.

Für mich hört aber semantisch das "als wenn" vor der letzten Zeile auf, und deshalb würde ich das auch syntaktisch verdeutlichen, wahrscheinlich mit einer Umstellung der letzten Zeile:
"Und man weint eben doch".

Ich würde auch aus dem "triebe" ein "treibt" machen. Denn der Wind, den Du meinst, der treibt Tränen in die Augen.

Mir gefällt der Gedanke. Es ist ein Umdrehen der Situation, in der ein anderer meint, man weine, obwohl es doch nur der Wind war - und man ist ganz eifrig dabei, zu versichern, es sei doch nur der Wind.

Hier frage ich mich, ob es dem "man" zupass kommt, dass der Wind weht, oder ob es eigentlich seine Schwäche/Trauer gerne zeigen möchte, aber keiner sie sehen mag.

Ja, der Titel. "Ohne" hab ich erstmal spontan auf "ohne näheren Anlass" bezogen. Wobei ich "näheren" nicht verstehe. Soll das andeuten, dass diese Person einem nicht nahe steht? Oder könnte man das "näheren" auch weglassen? Das fände ich sprachlich schöner.

Aber bezieht der Titel sich wirklich darauf? Ohne Anlass? Oder ist es, ohne dass es jemand bemerkte? (Die Tränen nämlich?)

Eine sehr feine kleine Betrachtung - sofern ich sie verstehe *g*

Lieber Gruß, annette

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.02.2007, 12:18

Liebe Lisa,

ich verstehe dein Gedicht so, dass LI ohne Tränen weint. Deshalb auch der Titel. Ohne Tränen zu weinen, stellt für mich einen größeren Schmerz da, als wenn man mit Tränen weint, da Tränen befreien.
Saludos
Magic

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.02.2007, 12:26

Liebe Lisa,

ich frage mich schon die ganze Zeit, ob man "als wenn" sagen kann. Mir scheint es so, als ob es "als ob" heißen müsste.

Grübelnde grüße

leonie

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 27.02.2007, 13:02

ja lisa,

lese es gerne AUCH ähnlich wie magic...

es beschreibt in DIESER windtreibt (trockene)tränen - metapher
etwas....wie....SEHNSUCHT....wie wenn der blick über die dächer schweift, tiefatmend und doch keine träne rinnt.

bin berührt, ojah!

salve
hakuin

p.s.:
Als wenn Wind
Tränen in die Augen triebe
(...)
Und man eben doch weint

vielleicht so, für mich ;-)

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.02.2007, 13:22

Hallo Lisa,

auch mir gefällt das Gedicht, weil's so dynamisch und trotzend ... und ehrlich klingt. Statt "triebe" würde ich "treibt" schreiben, zwar reimt sich das dann oben nicht mehr, aber dafür unten mit "weint"! Ansonsten: Für meine Wahrnehmung perfekt. Ich empfinde Wortwiederholungen nicht notwendig als Stilfehler.

Ach doch, noch was: Den Titel, egal in welcher Sprache, finde ich zu leer, er fesselt mich nicht richtig.

Cheers

P.

Gast

Beitragvon Gast » 27.02.2007, 14:24

Liebe Lisa,

diese wenigen Worte voller Emotion scheinen nur schlicht und mal eben so geformt, das ist die Tücke. ;-)

Es scheint so, als riefe das Lyrich* in wenigen Worten seinen Kummer, seine Trauer, Frust und Wut hinaus. Es grenzt sich gegen die Vermutung ab, irgendjemand könne seine Gefühle erkennen oder gar verstehen.

Für mich sagt das Lyrich:
Klar euch kommt der Wind gerade Recht, der mir die Tränen in die Augen getrieben haben könnte, aber wer läuft schon aus diesem Grund durch den Wind, dass er weine.
Was soll ich mit euren Antworten, die ich nicht eingefordert habe? Statt zu hinterfragen, interpretiert ihr mein Verhalten ohne mich zu (er)kennen. Ich lasse diesen Blick in mein Inneres nicht zu.
Bleibt mir mit euren Erklärungen vom Leib. Was wisst ihr schon davon, dass man auch ohne Tränen weinen kann.

*Mir fällt auf, das ich von einem Lyrich schreibe, das es im Text tatsächlich nicht gibt.
Der Text ist geschrieben wie eine Hypothese... darüber muss ich mir noch ein paar Gedanken machen...
Möglich, dass dieses Stilmittel von dir gewählt wurde, die Emotionalität zu abstrahieren. Der Stil erzeugt Kühle und Distanz.

Der letzte Satz, den ich w. o. nicht formuliert hätte, den ich aber so wie er da steht, auch nach den ersten zwei Zeilen lesen kann, ohne ihn dort setzen zu wollen, ist für mich schiere Verzweiflung, Ich höre, falls ich richtig höre, allerdings auch so etwas wir eine Anklage und dieses: Was wisst ihr schon von meinem Leid/von mir...
Noch mal zum letzten Satz:

Für mich klänge besser so:

was, wenn man doch weinte
oder
und wenn man doch weinte

Mir fehlt in deiner Formulierung das Wort "wenn". Möglich dass du es nicht brauchst, weil es an der Antwort/ dem Ergebnis/ dem Gefühl der Verzweiflung nichts ändert, dennoch klingt es für mich ungelenk.
Das "eben" vor dem "doch" finde ich ist zu viel, im "doch" schwingt gewollter Trotz genauso wie Verzweiflung mit.
Jetzt noch zum "senza"
Für mich - aber das ist absolut subjektiv, klingt das einfach passend. Wenn ich "senza" spreche, (ich liebe die Musik in der italienischen Sprache) dann klingt das viel offener fragender und zarter also "ohne".

Gegenfrage an die Kommentatoren, die nachfragen, warum nicht ein deutscher Titel... Warum kein Italienischer?

Meiner Meinung nach ein sehr gutes Gedicht, bis auf die letzte Zeile die noch ein wenig wackelt, und wäre der Text nicht auch ein gutes "Maskengedicht"?

Liebe Grüße
Gerda

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Pjotr
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Beitragvon Pjotr » 27.02.2007, 14:35

Hallo Gerda,

gerade der letzte Satz -- "Und man eben doch weint" -- hat mir in dem Gedicht am besten gefallen. Er ist so echt, so natürlich unverschnörkelt im Kontrast zu den vorangegangenen luftigen Konjunktiven, und er haut rein, freundlich aber bestimmt. Perfekt. Finde ich.


Ahoi

Pjotr

Gast

Beitragvon Gast » 27.02.2007, 15:04

Danke, Pjotr, vielleicht freunde ich mich damit ja auch noch an, mal sehen was Lisa dazu schreibt.

Ciao
Gerda

Louisa

Beitragvon Louisa » 27.02.2007, 17:09

Guten Tag Lisa!

Ich selbst wäre nie darauf gekommen, dass sich das "ohne" auf ein "tränenloses Weinen" beziehen könnte, aber mittlerweile finde ich diese Deutung sehr passend-

Was Gerda schreibt: "Der Stil vermittelt Kühle und Distanz" stimmt für mich auch, aber trotzdem transportiert er auch ein bestimmtes Gefühl der Isolation.
(Vielleicht auch dadurch, dass es (irgend) "Einer" ist, der diese "oberflächliche Feststellung" macht.)

Mir gefällt das Gedicht und diese zweite Ebene sehr gut! Es erinnert mich sehr an Momente, in denen man gewöhnlich sagt: "Ich hab nur ´was im Auge!" -

-Aber bei Dir ist es noch ein bisschen feiner gestrickt (wenn das wirklich stimmt mit dem tränenlosen Schmerz)-

Ich bin auch für "treibt"- Aber auch für den letzten Vers, so wie er jetzt im Gedicht steht. Ich finde das klingt sehr schön verbittert.

Danke für das Gedicht :blumen: !
l.

Max

Beitragvon Max » 27.02.2007, 17:36

Liebe Lisa,

so schöne Zeilen während ich fort bin. Aus reinem Gefühl würde ich zwei Kleinigkeiten ändern, Peters Indikativ (ab ich weiß, dass Du sagen würdest, es sei indirekte Rede oder so was und ich sagen würde, das mache (sic!) nix, und du sagen würdest: eben doch ... ) und die Wortstellung der letzten Zeile. Was hälst du von:

senza*

Als wenn man gegen den Wind liefe
der Tränen in die Augen treibt

und einer stellte fest, ohne näheren Anlass,
man weine nicht

Und man weint
eben doch



Liebe Grüße aus Kölle ... (eine Woche nach Karneval, das passiert nur einem Ostwestfalen)
max


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