Ruth

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.01.2007, 21:18

Ruth

Ein einziges Mal lag Ruth im Haus ihrer Eltern oben in der ersten Etage auf den Dielen und sagte leise: „Wenn jetzt einer heim kommt, dann bleibe ich hier liegen, dann steh ich nicht auf. Bis mich einer findet.“
Ruth sprach sonst nie laut zu sich selbst, aber allein die Vorstellung, so gefunden zu werden, tat so gut, dass sie mehr davon wollte. Die Stimme machte es tatsächlich. Ihr schlug das Herz davon.
Sie saß oft dort oben im Flur, da gab es diese schöne Stelle an der Wand. Wenn Ruth die Beine anwinkelte und die Füße an die gegenüberliegende Wand stemmte, war der Abstand perfekt, wie für sie gemacht. Außerdem saß sie direkt neben ihrem Zimmer. So konnte sie Musik hören oder ein Buch lesen, ohne sich einzuschließen, hatte das Haus für sich und bekam trotzdem mit, wenn jemand nachhause kam.
Heute hatte sie lange dort gesessen, die CD war schon durchgelaufen. Ihr Blick war wie so oft schon über die kleinen Knübbelchen der Raufasertapete gewandert, in deren Anordnungen sie nach Gesichtern oder Tieren suchte. Ganz unten, kurz über der Fußleiste, hatte sie dann mit einem Mal einen dünnen grauen Fleck entdeckt und sich erinnert. Richtig, da hatte sie vor langer Zeit schon mit einem Bleistift ein Pferdchen gemalt und sich vorgestellt, wie Leute, die später einmal in diesem Haus wohnen würden, es entdeckten. Es war schwer zu entdecken, weil sie sonst natürlich Ärger wegen der Tapete bekommen hätte, aber davon ab sollte es auch schwer zu entdecken sein, darin lag die Magie. Sie legte sich auf die Seite, um es von ganz nah betrachten zu können. Ja, es war noch da, genau wie sie es vor Jahren gemalt hatte. Vor Jahren, wiederholte Ruth in Gedanken und spürte wieder diese Müdigkeit, die keine körperliche war, sondern von innen kam und so weh tat. Würde die Müdigkeit doch nur endlich so mächtig, dass sie nicht mehr allein mit ihr wäre, dass sie sie nicht länger verstecken könnte. Und über diesen Wunsch war ihr der Gedanke gekommen, einfach liegen zu bleiben, bis jemand käme und sie so fände.

Sie stellte sich vor, wie ihr Vater von der Schule heimkam. Sie hörte, wie der rote Renault in die Kieseinfahrt fuhr, wie ihr Vater die Haustür aufschloss. Wie so oft trug er einen Stoß Schulhefte und seine Tasche unter dem Arm. Doch Ruth lag zu weit von der Treppe weg, um gleich beim Hereinkommen gesehen zu werden. So würde ihr Vater zunächst geradeaus den Flur entlang in die Küche gehen, eine Kleinigkeit essen vielleicht, auf jeden Fall aber käme er erst später nach oben.
Sie könnte einen ihrer Arme ausstrecken, dachte Ruth. Die Treppe führte in einem leichten Bogen nach rechts, wodurch eine der Treppenstufen so breit war, dass man seine Tasche oder die Hefte auf ihr ablegen konnte, wenn man zur Tür hereinkam. Ruths Vater hatte sein Arbeitszimmer in einem der oberen Zimmer und stellte seine Tasche daher oft dort ab, um sie später mit hochzunehmen. Wenn er es heute auch so machte, sähe er vielleicht Ruths Arm und fände sie gleich und nicht erst später: Ja, das wäre leichter auszuhalten.
Aber nein, das ging nicht. Ruth konnte ihren Arm jetzt nicht mehr umlegen. Einmal dafür entschieden, dass sie liegen bleiben wollte, durfte sie sich nicht mehr bewegen, nicht einmal mit dem Finger zucken, nur dann war es echt. Sie musste völlig reglos daliegen, als könnte sie nicht anders. Wenn sie das schaffte, nicht schnell vor Scham doch noch aufsprang, wenn die Haustür aufging, dann war es gerade so, als hätte sie einen Asthmaanfall gehabt oder sei böse gestürzt, dann konnte sie wirklich nicht anders. Dann hatte sie das Recht, gefunden zu werden.

Eigentlich hatte sie sich die Pulsadern aufschneiden wollen. Als sie unten in der Küche ein Obstmesser aus der Küchenschublade geholt hatte, um einen der grünen Äpfel zu schälen, stieg wieder eine dieser unzähligen Szenen in ihr hoch. Wie dumm ihre Antwort vor ein paar Jahren auf dieser Party auf Hannes’ Frage gewesen war. Wie entsetzlich dumm. Sie hatte den halb durchgeschnittenen Apfel aus der Hand gelegt und gedacht, nun sei es genug, nun würde sie Schluss machen und allen zeigen, was sie angerichtet hätten. Doch als sie schon die Messerspitze ins Handgelenk drückte und nach unten ziehen wollte, spürte sie, dass sie sich gerade wie eine von diesen pseudo-depri-Teenagern benahm, die bei irgendwelchen Partys besoffen Sätze wie „Wenn ich mich umbringe, dann mach ich’s richtig, dann schneid ich längs und nicht quer und veranstalte nicht so einen scheiß Psychohilferuf“ herumposaunten und es doch nie taten oder wenn doch, natürlich noch rechtzeitig gefunden wurden. Natürlich wurden sie das. Da wusste Ruth: D a s war nicht real.

Wie sie jetzt dort oben im Flur lag, kam es Ruth vor, als wäre das vorhin in der Küche gar nicht sie gewesen. Dabei war es vielleicht erst eine Stunde her. Noch jetzt konnte man sehen, an welcher Stelle sie das Messer angesetzt hatte. Es hatte sich dort ein winziger, roter Punkt gebildet und drum herum war der Arm klebrig vom Fruchtfleisch.
Am meisten hatte sie davor Angst, dass sie anfangen müsste zu lachen, wenn der Vater sie fände. Sie musste immer lachen, wenn sie etwas überreizte. Einmal war der Opa von Annika gestorben, sie war dabei, als Annika es von ihrer Mutter erfuhr, und fing laut an zu lachen und konnte einfach nicht mehr aufhören, selbst nicht, als sie die Gesichter der beiden sah. Natürlich hatte Annikas Mutter daraufhin ihren Vater angerufen, er hatte sie geholt, aber auch ohne das hätte sie sich nie wieder dort hin getraut. Das war schlimm. Nicht, weil Annika eine gute Freundin gewesen war. Annika lag nicht besonders viel an Ruth und Ruth wusste das auch, trotzdem war sie gerne bei Annika, ihre Mutter war so nett, ihr Vater so lustig, ihr älterer Bruder genauso blond, cool und schön wie Annika. Das ganze Haus war so warm, kein einziges Mal fror sie dort an den Füßen, sie liebte es, dort zu übernachten und nachts wach zu liegen, Annikas Atem zu hören und sich vorzustellen, das wäre ihr Zuhause. Es gab einen Süßigkeitenschrank in der Küche, der war immer voll und man durfte rangehen, wann man wollte. Auch hatten Annikas Eltern Geld genug, um ihr ein Pferd zu schenken, aber Annika hatte entschieden, nein, ein Pferd wolle sie nicht, dafür hätte sie nicht genug Zeit. Ruth liebte Annika für diese Entscheidung. Sie selbst hätte das nie gekonnt, hätte immer ja gesagt bei solch einem Angebot und nach ein paar Wochen hätte das Pferd in einer unausgemisteten Box gestanden. Obwohl das nie passiert war, Ruths Eltern hatten für ein Pferd nicht genug Geld, fühlte sie sich schlecht. Sie wusste, sie hätte es nicht hinbekommen, obwohl sie gierig ja gesagt hätte. Sie war so anders als Annika in ihrem warmen Haus. Annika konnte zu ihrer Mutter „du dumme Fotze“ sagen und die Mutter lachte oder schimpfte und beides war gut.

Heute durfte sie auf keinen Fall lachen, sie musste elend aussehen, wenn der Vater sie fände. Dass er es mit der Angst zu tun bekäme und mit ihr ins Krankenhaus führe. Hoffentlich kämen sie dort schnell dran, dachte Ruth und fror.

„Findest du dich eigentlich schön, Ruth?“ hatte Hannes sie auf der Party gefragt und eine Reihe von Leuten, die um sie herumstanden, schauten neugierig was Ruth entgegnen würde. Was sagen, was bloß ist die richtige Antwort, schoss es ihr durch den Kopf, was nur. Sie war eigentlich jemand, der gut kontern konnte, weil Kontern sich lohnte. Einmal gezielt zurückgeben und der andere ließ einen in Ruhe. Immer die Schwachstellen des Gegenübers aufspüren und selbst bloß keine Schwächen zeigen, lautete der Grundsatz aller Grundsätze. Dazu gehörte aber unbedingt auch, schnell zu antworten. Ruth wurde hastig und schon rutschte ihr ein zu wenig abgewogenes „Ja, klar“ heraus und erntete ein Grinsen. Sie blieb ruhig, trat nicht gleich, sondern erst nach ein paar Minuten den Rückzug nach unten in die Toilette an, wo sie nicht weinte, sondern nur heftig atmete, um keine roten Augen zu bekommen. Sie verließ die Party auch nicht früher, irgendwie schaffte sie es, die Stunden rumzukriegen, lachte hier und da, küsste Jens. Als sie dann aber nachts durch den Regen nachhause fuhr und die neue Hose an den Oberschenkeln klebte, da ließ sie es zu, dass sie sich hasste. Was für eine Missgeburt sie doch war, was für eine verdammte Missgeburt. Sie schlug die nasse Faust auf den Fahrradlenker. Die Klingel gab ein paar halbe Töne von sich, wie sie das auch von alleine machte, wenn man über einen hohen Bordstein oder ein Schlagloch fuhr, aber der Schmerz war zu stumpf und zu kalt, um Ruth etwas zu nützen.
Damals, nach der heißen Dusche, im Bett, hatte sie sich dafür entschieden, dass sie Hannes’ Frage hätte einfach sarkastisch betont an ihn zurückgeben müssen. Inzwischen dachte sie anders. Man hätte ihm entgegnen sollen, wie dumm und anmaßend diese Frage war. Ihm sagen sollen, dass sie es hasste, wenn Menschen, die einen kaum kennen und einen auch gar nicht kennen wollen, solche Fragen stellen. Was wäre denn, Hannes, wenn ich ja sagen würde, hörte Ruth sich sprechen. Dann würde ich mich lächerlich machen oder als eingebildete Kuh gelten. Oder beides zusammen. Was aber, wenn ich mit nein antworten würde? Dann würde ich mich selbst niedermachen, kommt auch nicht an. Wahrscheinlich gelte ich dann als manisch-depressiv und du wirst mit dem Finger in die Ecke da drüben zu Jojo weisen, dass ich mich zu ihm und seiner Lederkluft setzen soll. Du willst gar keine Antwort auf die Frage, Hannes, du willst mich nur verletzen. Gut, das hast du hiermit geschafft und weiter, Hannes? Was nun?
Ruth stellte sich vor, wie die anderen für einen Moment aus ihrem pubertären Gehabe gerissen würden, verstünden und zu ihr überliefen. Einige würden zustimmend mit dem Kopf nicken.
Das war natürlich eine völlig lächerliche Vorstellung, so wäre es nie gekommen, diese Antwort wäre mit Sicherheit noch viel schlimmer als das „Ja, klar“ gewesen, aber selbst wenn nicht, selbst wenn sogar dies möglich gewesen wäre – es gab keine richtige Antwort auf Hannes’ Frage. Keine, die sie glücklich machte. Nicht mal eine, die sie nur nicht unglücklich machte. Klar, es gab immer irgendwelche Antworten auf Fragen dieser Art, die sie retten konnten, und irgendeine von diesen hatte sie auch meist parat, aber was zählte das schon. Was zählte, war, dass Hannes ihr diese Frage stellen konnte. Dass ihn nichts davon abhielt. Dass sie eine von denen war, an denen nichts war, was so etwas unmöglich machte.

Die im Krankenhaus könnten auch nichts machen, stellte Ruth sich vor. Sie gäben ihr ein Beruhigungsmittel und rieten ihrem Vater, sie in die Psychiatrie einzuweisen, wie genau das ablaufen würde, wusste Ruth auch nicht, aber wichtig war, dass die Schwester dem Vater riet, Ruth sich selbst einzuweisen zu lassen, damit sie jederzeit die Klinik verlassen könnte. Ruth merkte, wie lächerlich sie sich wieder einmal damit machte, dass es ihr wichtig war, dieses Detail, was sie aus Filmen kannte, in ihre Phantasien einzubauen, um sich klug vorzukommen. Aber ihre Wut war zu weit weg, verpuffte noch, bevor sie sie spüren konnte in all dem Weiß, das in ihrer Vorstellung war, die Eingangshalle, die Kittel, das Zimmer, das Bett, alles war weiß und sie würde nicht aufstehen müssen, würde einfach lange, lange Zeit schlafen. Und wenn sie dann aufwachen würde, säße eine Ärztin am Bett und würde ihr Fragen stellen und sie müsste anfangen zu weinen und die Ärztin würde nicken, weil sie verstehen würde und den Arm um sie legen und immer noch wäre alles weiß um sie herum.


Ruths rechter Arm begann einzuschlafen. Wenn sie wirklich vor hatte sich umzubringen, dann musste sie schon ein richtiges Messer nehmen, in die Abstellkammer gehen, weil dies der einzige Raum war, der kein Fenster hatte, aus dem sie klettern oder um Hilfe schreien könnte, sollte sie es sich doch anders überlegen. Sie würde dann abschließen und den Schlüssel mit Schwung unter der Tür durchschieben, dass sie nicht mehr an ihn drankäme. Auch musste sie warten, bis sicher war, dass keiner überraschend nachhause kam, dazu wäre vorhin der falsche Zeitpunkt gewesen. Es war zwar noch mehr als eine Stunde hin gewesen, bis der Vater laut Stundenplan kommen sollte, aber manchmal fiel eine Stunde aus und dann kam er früher. So etwas durfte natürlich nicht passieren. Am besten plante sie so was, wenn die Eltern verreist waren, wartete, bis sie anriefen und machte es gleich, nachdem sie aufgelegt hätte. Dann könnte sie sicher sein, dass niemand käme. Nicht einmal die Blumentante, denn deren Job hatte sie ja selbst. Nein, wenn sie sich umbringen wollte, dann musste es ihr Ernst damit sein. Und das war es nicht. Sie wollte leben, nur eben nicht so wie jetzt, mit dieser Müdigkeit, von der keiner wusste.

Die Zeit begann sich zu dehnen und schon spürte Ruth, die Müdigkeit würde nicht ausreichen. Sie konnte das schöne Gefühl, das sie lockte, so liegen zu bleiben, nicht länger festhalten, das Warten hatte zu lange gedauert, die Anspannung war zu groß. Ein paar Minuten vergingen noch, dann stand sie auf. Ihr war nicht einmal schwindelig. Sie ging ins Bad, duschte sehr heiß. Zurück auf ihrem Zimmer schloss sie die Tür ab und schaute vom Schreibtisch aus auf die Birken. Wenig später kam ihr Vater nachhause und rief die Treppe hinauf, dass er da sei und sie gab ein „Hallo Papa“ zurück. Dann weinte sie ganz ohne Geräusch, falls der Vater an der Tür vorbeikäme, wie sie es immer tat und auch weiterhin immer tun würde.





Detailkritik erwünscht

Letzter Satz gestrichen auf Anraten von aram & jetzt auch klara (gerade gesehen) Satz: "Sie hätte sich umbringen können, keiner war gekommen".
Nach Klara gestrichen: Ruth war solch ein Leben unbegreiflich. (nach: ....und die Mutter lachte oder schimpfte und beides war gut. )
Dazu weitere kleine Änderungen dank leonie (sos) und aram 8siehe sein zweites Posting in diesem Faden)
Zuletzt geändert von Lisa am 28.01.2007, 20:02, insgesamt 7-mal geändert.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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annette
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Beitragvon annette » 26.01.2007, 22:41

Hab noch was vergessen: Ich hab auch am Anfang gedacht, Ruth wäre viel jünger, aber als dann deutlich wurde (Party, küssen etc.), dass sie älter ist, kam mir der Anfang trotzdem sehr stimmig vor. Der Anfang (wie auch andere Stellen später) wirken wie Regressionen, die gut zur Zeichnung ihrer Person passen. Es ist, als ob sie sich in ihre Kinderzeit zurückwünscht. Sehr stimmig für mich.

Gruß, annette

aram
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Beitragvon aram » 26.01.2007, 22:55

hallo annette & gerda, zu beginn der geschichte wird m.e. darauf hingewiesen, dass ruth kein kind mehr ist:

im Flur, da gab es diese schöne Stelle an der Wand. Wenn Ruth die Beine an die gegenüberliegende Wand stemmte, war der Abstand perfekt, wie für sie gemacht.


liebe grüße
aram
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.01.2007, 23:00

Hallo aram,

genau diese Stelle ließ mich denken, dass Ruth ein Kind ist,-)
Saludos
Magic

aram
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Beitragvon aram » 26.01.2007, 23:45

hallo magic!

wie eng sind denn die flure, die du dir vorstellst, wenn diese stelle dich an ein kind denken lässt?

liebe abendnachtgrüße
aram

EDIT - oops, ich gebe dir recht, da ist eine unklarheit im text - die füße gegen die gegenüberliebende wand stemmen lässt mich an eine mit ausgestreckten beinen sitzende position denken - im text steht aber "liegen" und immer wieder "liegen bleiben" - das sollte lisa wohl aufklären. falls es sich um eine zwischenposition handelt - fast liegend, aber mit schultern und kopf an die wand gelehnt - könnte das bei einem engem flur tatsächlich auch für ein kind passen.
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.01.2007, 23:57

im Flur, da gab es diese schöne Stelle an der Wand. Wenn Ruth die Beine an die gegenüberliegende Wand stemmte, war der Abstand perfekt, wie für sie gemacht.


wie eng sind denn die flure, die du dir vorstellst, wenn diese stelle dich an ein kind denken lässt?


Hallo aram,

es geht nicht um die Enge der Flure, sondern das Bild, das bei mir entsteht, wenn ich den zitierten Satz lese. Ein Kind verhält sich so. Es setzt sich so hin, stemmt die Beine gegen die Wand. Ganz gerade ausgestreckt und die Füße genau an der Wand mit den Zehen nach oben. Auch, wie sie die Raufasertapete anschaut, nach verborgenen Tieren sucht. All das wirkt auf mich kindlich.
Auch wenn danach steht, dass sie sich daran erinnert, das Pferd dort gemalt zu haben, heißt das ja nicht, dass es über 10 Jahre oder so her sein muss. Es kann ebenso 2 Jahre her sein, als sie auch noch Kind war, nur noch jünger.
Ich kann es nicht besser erklären, aram. Bei mir entsteht halt sofort dieses Bild.
Saludos
Magic

Mucki
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Beitragvon Mucki » 26.01.2007, 23:59

mein Kommentar hat sich mit deinem edit überschnitten, aram,-)
Saludos
Magic

aram
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Beitragvon aram » 27.01.2007, 00:03

Magic hat geschrieben:es geht nicht um die Enge der Flure, sondern das Bild, das bei mir entsteht, wenn ich den zitierten Satz lese. Ein Kind verhält sich so. Es setzt sich so hin, stemmt die Beine gegen die Wand. Ganz gerade ausgestreckt und die Füße genau an der Wand mit den Zehen nach oben.


hallo magic, aber genau dieses bild bedingt/ beinhaltet doch den abstand der gegenüberliegenden wände, oder?

-- oops, schon wieder überschnitten :-)
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.01.2007, 00:08

Hallo aram.

Steht im Text irgendwo eine cm-Angabe, wie breit der Abstand ist?

Ich hatte dein edit-Kommentar so verstanden, dass du dieses Bild, dass ich vor Augen habe, auch so sehen könntest.

Sehe gerade, dass du deinen 2. Kommentar auch editiert hast. Also: Gerade, DAS Ruth ihre Füße gegen die Wand stemmen kann, führt bei mir zu der Annahme, dass eben der Abstand klein ist.

Egal, soll Lisa sich dazu äußern, oki?

Eine Geschichte lebt von den Bildern, die sie beim Leser erzeugt.
Saludos
Magic

Gast

Beitragvon Gast » 27.01.2007, 00:11

Liebe Lisa,

mir fehlt nicht "Handlung", aber ich glaube, wenn du rund um die Gedanken der Ruth, z. B. zum "Versteck", zum Rahmen (zum Hausflur, zur Küche etc.)an eingen Stellen, mehr schreiben würdest, würde sich bei mir das Gefühl intensivieren, ich würde mich mehr in die Geschichte hineingezogen fühlen können., obwohl sich das Allermeiste in Ruths Kopf abspielt.
Ich finde auf keinen Fall, dass du die Handlung ausschmücken solltest.
ich meine doch nur, dass die spürbare Distanz der Autorin, die ich sehr gut finde, sich nicht auf den Leser übertragen sollte.

Warum beginnte die Geschichte mit: Ein einziges Mal...?
Hat der gewählte Name "Ruth" hier eine besondere Bedeutung.?

Zum Abstand der Wände hatte ich auch schon mal geschrieben (siehe auch Magic und aram) Der ist mir auch nicht klar. Ich brauche mehr um mir den Ort vorstellen zu können, natürlich keine cm-Angabe, aber wenn du schreiben würdest, der Abstand war jetzt mit X Jahren, genau passend für ihre Körpergöße... dann wäre das doch konkret genug, ist aber kein Änderungsvorschlag.
Ich stellte mir erst so ein kleiens Eck unter der Dachschrägen eine schmalen Reihenhauses vor, unter die allerdings eben nur ein Mädchen von vielleicht 10 Jahren passen könnte...

Du hast "kleine Klumpen" in der Rauhfasertapete geschrieben, das empfinde ich als nicht wirklich pasend, obwohl klein davor steht. Ein Klumpen ist doch immer groß, es gibt, so denke ich keine kleinen. Vielleicht: die Knübbelchen?
Das kleine gezeichnete Bild, das ist so etwas, was die Atmosphäre verdichtet, das finde ich sehr wichtig fürs "Reinlesen".

Lieber Max

dramatisiert werden sollte nichts, da hast du Recht, das war von mir auch nicht gemeint und ganz gewiss ginge das am "Ziel" vorbei.

Liebe Grüße an euch Beide
Gerda
Zuletzt geändert von Gast am 27.01.2007, 02:14, insgesamt 1-mal geändert.

aram
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Beitragvon aram » 27.01.2007, 01:05

Magic hat geschrieben:Steht im Text irgendwo eine cm-Angabe, wie breit der Abstand ist?


liebe magic, ich meinte ja nur - du hast ein bild vor augen, in dem ein kind mit ausgestreckten beinen und geradem rücken an der wand sitzt, und die fußsohlen gegen die gegenüberliegende wand stemmt: wie breit ist in diesem bild der flur, wenn du menschliche anatomie und kindliche körpergröße zugrundelegst?

- das wars schon, mehr wollte ich zu diesem punkt nicht sagen.

liebe grüße,
aram
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l. cohen

Gast

Beitragvon Gast » 27.01.2007, 02:23

Lieber aram,
ich habe gerade erst gesehen, was du zum Alter/ Wandabstand geschrieben hast.
Das Merkwürdige ist, dass bei mir, anscheinend genau wie bei Magic, ein völlig anderes Bild entsteht, als bei dir...

...und liebe Lisa,
ich denke, das hängt nicht nur mit den Wänden zusammen, sondern auch damit, dass ich das Gefühl habe, Erinnerungen verschiedener Altersepochen vermischen sich vielleicht ein klein wenig???
Gerade dieses sich auf den Boden setzen und verstecken...
Ich musste meinen empfundenen Alterseindruck nach dem Erzählen der Küchenszene berichtigen.

Liebe Grüße
Gerda

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annette
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Beitragvon annette » 27.01.2007, 11:37

Ja, wie schon gesagt: Ich hatte zunächst auch das Gefühl, dass es sich um ein Kind handelt. Und zwar hauptsächlich vom Verhalten her. Wie Du sagst, Gerda: "Gerade dieses sich auf den Boden setzen und verstecken... "

Auch die Freude, daran, dass der Wandabstand "wie für sie gemacht" ist, das empfinde ich als kindlich. Letztlich ist es dabei egal, ob ich mir vorstelle, dass sie schon älter ist und im Flur sitzt oder noch jünger und liegt. Das kann meiner Meinung an dieser Stelle noch offen bleiben.

Ja, es ist kindliches Verhalten und es gehört zu der Sehnsucht nach Geborgenheit, die auch an anderen Stellen deutlich wird, und zu ihrer Lebensphase, die sich ja zwischen Kindheit und Erwachsensein befindet. Gerade diese Ungewissheit zu Beginn darüber, wie alt Ruth wirklich ist, finde ich sehr wichtig für den Text und sehr aussagekräftig.

Grüße, annette

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Beitragvon Lisa » 27.01.2007, 17:02

Liebe Magic:

Ich habe folgende Fragen/Anmerkungen:



Zur Figur Ruth:
Mit fehlt als Leser ein bisschen das Dreidimensionale der Ruth. Ihre Gedanken sind klar. Doch, wie alt ist sie? Wie sieht sie aus? Ich würde das zumindest andeutungsweise skizzieren, weil sich, aufgrund dieses fehlenden Fragmentes, Fragen ergeben, z.B.:

Warum stellt ihr Hannes die Frage, ob sie sich schön findet?
Warum bezeichnet sie sich selbst als Missgeburt?
Woher kommt dieser Hass auf sich selbst?


Das sind alles Fragen, die die geschichte für mich beantwortet...ich versuch mal trotzdem minianriss:

warum stellt Hannes sie?

Weil Ruth nicht eine von denen ist, die es ihm unmöglich macht, ihm diese Frage zu stellen...es gibt sonst weiterhin keinen konkreten Grund, warum er es fragt, außer wohl das Ruth nicht besonders schön ist (was nicht heißt, dass sie hässlich ist)

Warum bezeichnet sie sich als missgeburt? weil sie sich nicht leiden kann? sie beschimpft sich.

Woher kommt der hass auf sie selbst?
Weil sie sich nicht in der Lage sieht, zu verhindern, dass ihr Schmerzen zugefügt werden, weil sie sich nicht angenommen fühlt?

Die Fragen sind aber meiner Meinung nach im text „beantwortet“ oder sagen wir besser miterzählt...


Durch Einblicke in Annikas Familie, die dortige Wärme, erfährt der Leser, dass es Ruth an Nestwärme in ihrer eigenen Familie fehlt, in ihr Kälte herrscht, sie sich nach Aufmerksamkeit sehnt, auch wenn sie die Psychiatrie in Kauf nehmen müsste. Hier stellt sich mir übrigens die Frage, woher sie weiß, dass sie freiwillig eingewiesen werden muss, um dann selbst entscheiden zu können, wenn sie wieder gehen will. Hat sie Erfahrungen mit der Psychiatrie durch andere?


Ja, das habe ich ausgespart, das baue ich noch ein. Es soll angelerntes wissen sein, kein Erfahrungswissen. sie hat es einfahc aufgeschnappt.

Dieser Punkt ist nicht klar genug herausgearbeitet, nur in Andeutungen.
Dass dort dann alles "Weiß" ist, ist für Ruth erstrebenswert in ihrer Phantasie, da, so lese ich es heraus, in ihrer Welt alles dunkel (schwarz) ist. Aber warum?


Beantworte ich weiter unten bei annette :-)


Der Konflikt, den Ruth durchlebt mit ihren Eltern, wird nicht erzählt. Weder ihr Verhältnis zum Vater noch der Mutter. Hier fehlt m.E. etwas.


das stimmt, man könnte das einbauen, aber es ist auch so alles gesgat, denke ich (Mutter taucht gar nicht auf, vater zu spät = sagt für mich alles, dann noch das andere zuhause @annika...die geschichte wollte bewusst erzähllücken lassen...man könnte sie aber durchaus genauso gut erzählen...aber du hast es ja trotzdem erlesen...also klappt es)

Die Müdigkeit (Lebensmüdigkeit) von Ruth ist mir nicht plausibel und deutlich genug erzählt. Hier würde ich auch mehr ins Detail gehen.

Die Liste, die diese Müdigkeit erzeugt würde immer unvollständig sein...sie ist nichts Rundes, Abgeschlossenes...sicher könnte ich auch noch 5 beispiele mehr nennen...aber ich glaube, die beispiele (annika/hannes) zeigen, was gemeint ist...


Der Satz, dass sie sich die Pulsadern aufschneiden wollte, kommt mir zu plötzlich.

ja, weil du der Möglichkeit Selbstmord zu begehen Bedeutung zumisst, dies hat für Ruth aber eben null relevanz...die Diskrepanz die damit zwischen leser und ruth entsteht wollte ich so...es gibt schlimmeres als Selbstmord auf die Spitze getrieben ;-)

Als Leser habe ich das Problem, mir das Haus vorzustellen. Ich habe das Gefühl, dass sie fast direkt über dem Eingang liegt, der Vater nur ein paar Schritte gehen muss, um sie zu sehen.


Na im ersten Satz steht doch, dass es die erste Etage ist und die haustür ist normalerweise im Erdgeschoss, es ist schon eine richtige Treppe und da neben ruths zimmer, dem flur auch noch das arbeitszimmer des vaters oben ist, ist es ein richtiges erstes stockwerk?



Liebe annette,
na, die kommas müssen doch nicht dir sondern mir peinlich sein! ;-) . ich dank dir...die Und-Kommas habe ich eingefügt nach NR muss man das nicht mehr...

das sondern komma stimmt,danke (Komma vor entgegengesetzten Konjunktionen, z.B. aber, sondern, allein, vielmehr etc.), das ist mir da einmal durchgegangen

Zu dem weiß annette&magic: das weiß..ich hab das in vielen texten...ist vielleicht meine assoziation, die schwer nachzufühlen ist, aber das weiß ist für mich etwas ruhiges...(wie ihr wunsch nach schlaf/liegen @müdigkeit)...reizarm...



Zum Kindseineindruck am Anfang:
Klar, vermischt sich das und das war durchaus Absicht, annette hat das ganz schön gesagt...Ruth ist ja durchaus kindlich...auch wenn oder gerade weil sie so viel durchdenkt. Außerdem ist dieses sitzen eine art Ritual, sie macht das schon sehr lange..daher sind die übergänge da fließend. Von Füßen steht da aber nichts, ich dachte eigentlich die beine wären abgewinkelt ...ich habe das etwas klarer gemacht, möchte das aber nicht genauer beschreiben [nicht sagen jetzt mit X jahren, das käme mir komsich vor, vor allem, weil der Erzähler ja ein verkappter Ich.erzähler ist und ruth nie von sich das alter so sagen würde). Ansonsten macht das nichts, wenn das am Anfang etwas unklar ist...auch ist für mich neben dem Flur auf dem Boden sitzen und CD-Musikhören, um das Haus für sich zu haben und doch verschwinden zu können falls jemand kommt kein Kennzeichen eines kleineren Kindes...


Liebe Gerda,

mir fehlt nicht "Handlung", aber ich glaube, wenn du rund um die Gedanken der Ruth, z. B. zum "Versteck", zum Rahmen (zum Hausflur, zur Küche etc.)an eingen Stellen, mehr schreiben würdest, würde sich bei mir das Gefühl intensivieren, ich würde mich mehr in die Geschichte hineingezogen fühlen können., obwohl sich das Allermeiste in Ruths Kopf abspielt.
Ich finde auf keinen Fall, dass du die Handlung ausschmücken solltest.
ich meine doch nur, dass die spürbare Distanz der Autorin, die ich sehr gut finde, sich nicht auf den Leser übertragen sollte.


Ja, aber ich kann das nicht weiter ausschmücken...klar, ich kann der Wand eine Farbe geben etc...aber das haus& die Umgebung wird immer Bruchstückhaft bleiben...sicher köntne ich das jetzt noch detaisl einbauen, das würde aber sehr willkürlich werden...da lass ich es lieber wie es ist...so hat es sich „natürlich“ ergeben...

Die Knübbelchen sind viel besser, danke!! (nach so etwas hatte ich gesucht, aber nicht gefunden, obwohl ich es natürlich kenne)


Warum beginnte die Geschichte mit: Ein einziges Mal...?
Hat der gewählte Name "Ruth" hier eine besondere Bedeutung.?


schau mal den letzten satz an...( Dann weinte sie ganz ohne Geräusch, falls der Vater an der Tür vorbeikäme, wie sie es immer tat und auch weiterhin immer tun würde.). Der Versuch dieses gefunden werdens, es drauf ankommen zu lassen, startet ruht nur einmal...(so ist ruth ;-))...

Nein, Ruth bedeutet „nur“ klanglich etwas für mich in dieser Geschichte...mir gefiel der Name für diesen Typ von Mensch...


Ich hoffe, ich bin allen Einwänden einigermaßen gerecht geworden...
Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.01.2007, 17:23

Hallo Lisa,

du hast schon Recht, wenn du schreibst, dass man eigentlich alles aus der Geschichte herauslesen kann. Die Verwirrung, ob Ruth nun Kind oder junge Frau ist, ist auch so ein Punkt, der den Leser eben zum Nachdenken zwingt, insofern nicht schlecht. Wenn ich es mir genau überlege, macht es vielleicht sogar den Reiz aus, dass du eben nicht alles auserzählst, sondern ganz bewusst "Lücken" lässt, die der Leser für sich schließen soll aus dem Kontext der Geschichte.

Wenn ich eine Geschichte lese, dann tu ich dies - logischerweise - immer subjektiv, geht ja gar nicht anders, weil meine Gedanken, meine Bilder, die entstehen, sich bilden. Und: weil ich selbst eher dazu neige, Geschichten detaillierter zu erzählen (deshalb werden sie immer so lang *g*).

Deine Assoziation zu "Weiß" kann ich gut nachvollziehen. Weiß hat etwas Beruhigendes, Neutrales, ist "rein", "unschuldig", nicht vorbelastet.
Saludos
Magic


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