neumond

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carl
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Beitragvon carl » 24.01.2007, 11:53

neumond

die große reise ist vorbereitet.
die wolken schöpfen atem.
in wipfeln liegt der wind
als wäre die stille des abends
ewig da
ist die barke unwiderruflich
aufgebrochen.


alternativ:

- da
hat die barke unwiederruflich
abgelegt.


ältere Version:die große reise ist vorbereitet.
die wolken schöpfen atem.
der wind liegt in wipfeln
als wäre die ruhe des abends
ewig - da
ist die barke unwiderruflich
aufgebrochen.
Zuletzt geändert von carl am 29.01.2007, 17:53, insgesamt 1-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 24.01.2007, 12:37

Lieber Carl,

das gefällt mir wieder sehr gut. Eindringlich, knapp gefasst, und beim Lesen am Ende des Texts, bin ich berührt vom "unwiderruflich", über das "Weh" des Abschieds.
Ich finde die erste Version des Schluss' besser.
In Z 1 ist "die Reise vorbereitet", wenn es dann heißt:
"ist die barke unwiderruflich
aufgebrochen"

liegt der Abschied für mich klar auf der Hand und muss nicht wörtlich im Text erwähnt werden.

Die Beschreibung zwischen der Vorbereitung und dem Umsetzen in die Tat, hast du einfühlsam beschrieben, ein ganzes Leben kann darin genauso enthalten sein, wie ein (wichtiger) Teil desselben.

Ich liebe das Wort Barke, aber es ist natürlich schon häufig bemüht worden... da bin ich unsicher.

Liebe Grüße
Gerda

Niko

Beitragvon Niko » 24.01.2007, 14:50

hi carl!
das mag ich. und trotzdem ist mir das "die, die der" der ersten drei zeilenanfänge aufgefallen. das stört mich noch minimal. aber nu. barke gefällt mir auch. und überstrapaziert finde ich das wort nicht.
mir sind zwei drei sachen noch eingefallen, die mir aber nu zu mühselig sind, sie zu erläutern. ich modle mal ein bischen an denem text. keine sorge. er hat einen wunderschönen sprachfluss. und den will ich keinesfalls (zer)stören. höchstens ein wenig verstärken.

neumond

die große reise ist vorbereitet.
wolken schöpfen atem.
wind liegt in den wipfeln
als wär die ruhe des abends
ewig - da
ist die barke aufgebrochen.
unwiderruflich.

die umstellung am ende fänd ich gewinnbringend.
sehr gern gelesen, carl!
mit liebem gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 24.01.2007, 15:42

Lieber Carl,

ein schönes, wehmütiges Bild, das Du malst! Ich habe es heute vormittag schon gelesen und beim Kochen dachte ich, was für ein schönes Wort doch "Barjke" ist. Ich finde es auch nicht angegriffen, gar nicht.

Mir geht es am Anfang ein wenig wie Niko mit den Zeilenanfängen. Aber ich vermute, dass das beabsichtigt ist und einen Sinn hat.
Ich habe mich auch gefragt, ob das "unwiderruflich" nötig ist.
Doch wenn es wegfällt, klingt es, als könne die Barke auch "aufgebrochen worden" sein wie Diebe ein Fenster aufbrechen. Und vielleicht ist ja auch nicht jede Reise einer Barke unwiderruflich...

Schön, wieder einmal so einen schönen Text von Dir hier zu lesen!

Liebe Grüße

leonie

Hakuin

Beitragvon Hakuin » 24.01.2007, 15:42

he carl,

erstmal hatte ich nicht wirklich einen zugang,
hab einfach drüber gelesen und die setzung war verwirrend, nun ists besser und nikos version sagen wir runder...?
würde eine leerzeile hilfreich finden...

die große reise ist vorbereitet.
wolken schöpfen atem.
wind liegt in den wipfeln
als wär`s die ruh des abend
ewig - da

ist die barke aufgebrochen.
unwiderruflich.

...als wär die ruhe des abends
ewig - da...(bezieht sich das auf: wind liegt in den wipfeln...wenn wind liegt, dann steht er still...kann wind liegen???)
...
vom der leseklangmelodie:

die große reise ist vorbereitet.
wolken schöpfen atem.
wind liegt in den wipfeln
als wär die ruhe des abends
ewig - da

ist für mich nach abends schluss, das: ewig-da müsste bereits darin enthalten sein, KÖNNTE?

...und die BARKE (mastloses boot) zieht das bild in richtung Meer/See....und damit ist die frage: wie kommen da die bäume hin.
...eine aufgebrochene BARKE...eine leckgeschlage- macht mir mehr sinn.

für mich eine "buckelpiste" dein text...bin durchgerüttelt: DAS diese wirkung.

salve
hakuin
Zuletzt geändert von Hakuin am 24.01.2007, 15:48, insgesamt 1-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.01.2007, 15:48

Hallo carl,

dein Gedicht gefällt mir ausgesprochen gut und vor allem die Bilder!
Die Worte "die", "der" etc. stören mich nicht. Sie heben dein Gedicht auf eine andere Ebene, sind hier Stilmittel, deshalb würde ich sie drin lassen.

Ich denke über Folgendes nach:

bis "ewig" bleibst du im Präsens, dann schreibst du:

ewig - da
ist die barke unwiderruflich
aufgebrochen.


Warum hier der Zeitwechsel. Absicht? Um das Unwiderufliche zu betonen?
Für mir wäre es sinnvoller, hier zu schreiben:

ewig - da
bricht die barke
unwiderruflich auf.

Saludos
Magic

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leonie
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Beitragvon leonie » 24.01.2007, 15:53

Oh, jetzt habe ich ganz vergessen, den Titel zu loben, er gibt dem Ganzen noch eine besondere Tiefe.
Und, magic, mir geht es anders als Dir: Ich finde die Zeitform am Schluss genau richtig, weil sie das Unwiderrufliche stärkt. Ja, und das ist schon geschehen, vermutlich sogar, bevor man es wahrnimmt.

Liebe Grüße

leonie

pandora

Beitragvon pandora » 24.01.2007, 18:02

lieber carl, ein schönes, ruhiges gedicht, das atmosphäre vermittelt.
besonders gefallen mir verse vier/fünf/sechs, dieser wechsel von ruhe zu bewegung.
einzig die WIPFEL, die klingen mir persönlich zu sehr nach altem geheimrat.

lg
pandora

Max

Beitragvon Max » 25.01.2007, 20:49

Lieber Carl,

das ist ein sehr scönes, sehr atmosphärisches Gedicht. Dabei ist das "unwiderruflich" in der ersten Version für mich stärker als das "ohne abschied" in Version - die Frage ist allerdings vor allem, was von beidem Du sagen willst.

Pandora, ja, es ist manchal schwer "good old Goethe" auszuweichen, sogar wenn man Geheimratsecken bekommt ;-).

Liebe Grüße
max

Gast

Beitragvon Gast » 26.01.2007, 10:09

Lieber Carl,

Google ist sicher kein Maßstab um abzugleichen, ob "Barke" ein in der Lyrik häufig verwendetes Wort ist.
Da ich das Wort passend und außerdem klangvoll finde, aber unsicher bin , s. o.,
habe ich aber mal "Barke + Mond" und "Barke + Abschied" gesucht und jeweils um die 15.000 Ergebnisse bekommen.
Im Verhältnis also wenig. Vielleicht ist mir das Wort nur deshalb aufgefallen weil ich es gerade in einem der letzten Beiträge von Thomas Milser gelesen habe.
Meine Anmerkung diesbezüglich ist also wahrscheinlich eher subjektiv, denn stichhaltig.

Liebe Grüße
Gerda

carl
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Beitragvon carl » 26.01.2007, 11:20

Hallo und Dank für eure Kommentare!

Ich bin doch überrascht, dass die Stimmung des Abends so klar rüberkommt und auf so viel positive Resonanz bei euch trifft...
"Über den Wipfeln ist Ruh'" ist, jetzt, da Du's mal ausgesprochen hast, Pandora, doch schon eine unliebsame Assoziation für mich.
Das liegt an der Kombination von Wipfeln & Ruhe.
Es ginge für mich auch:
"der wind liegt in wipfeln
als wäre die stille des abends
ewig"
Das ergibt auch "Windstille".
Was meint ihr dazu?
Liebe Leonie, lieber Niko, bei "der, die, das" habe ich mir (ausnahmsweise ;-)) nix überlegt. Es entspricht meinem Gefühl, dass die Fahrt, die Wolken und der Wind bestimmte Akteure in dieser speziellen Situation sind, während ich den Wipfeln ihren bestimmten Artikel verweigern würde. Die gehören zur Situation.
Der plötzliche Wechsel zur Vergangenheitsform muss bleiben, weil Situation eine Entspannungsphase suggeriert, bevor's richtig losgeht, mit allem drum und dran (Böllerschüsse und winkenden Massen, oder was weiß ich).
Der Aufbruch ist aber schon passiert, unwiederruflich, von allen unbemerkt.
Deswegen hatte ich auch mit der Zeile "ewig da" experimentiert, ohne den Bindestrich, ohne den Umschwung irgendwie anzudeuten. Der würde dann nur durch die Syntax deutlich.
Aber ich habe das euch, meinen Lesern, nicht zumuten wollen... Ein Fehler?
Deswegen ist, Niko, auch "aufgebrochen" das letzte Wort (obwohl Deine Version was für sich hat).
Und dann Dank, Gerda, für Deinen Hinweis auf die Mondbarke!
Die schmale Barke des Neumondes am Abendhimmel...
Ich kann mir nicht erklären, warum sie bei mir so viel Sehnsucht und ein Gefühl von Entrgrenzung auslöst...
Vielleicht, weil sie auch die Barke ist, die die Toten über den Styx bringt?
Oder weil sie archaisch/psychisch tatsächllich das Symbol des Neuanfangs ist (der Monats, des Frühlings...)?
Die Göttin auf der Sichel.

Liebe Grüße, Carl

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Beitragvon leonie » 26.01.2007, 15:29

Lieber carl,

ich meinte gar nicht, auf Artikel verzicheten, sondern evtl. einen Vers umzustellen, z.B.

in wipfeln liegt der wind

so dass der Aufbau nicht in allen drei Versen gleichförmig ist.

Ich denke, der Umschwung wäre auch ohne Bindestrich (nur durch die Syntax) deutlich.

Ein schönes Gedicht!

Liebe Grüße

leonie

Gast

Beitragvon Gast » 26.01.2007, 17:02

Lieber Carl,

die Gefühle, gegenüber der "Barke", kann ich gut nachempfinden.
Inzwischen bin ich sicher, dass es so passt.
(Wie so oft, musste ich meine Überlegungen artikulieren, um dann im Nachhinein sagen zu können, ja, ist doch in Ordnung).
Die Wipfel, die noch angemerkt wurden, empfinde ich nicht störend, da sie in deinem Gedicht keine Klangverwandtschaft mit dem Goethebild herstellen.Es ist natürlich schwer, dieses Wort ist geprägt durch den großen Dichter, klar.
Aber es kann nicht dazu führen, es nicht mehr zu benutzen.
Dagegen hört sich "Baumkronen" an, als wolle man einen naturwissenschaftlichen Vortrag halten.

Liebe Grüße
Gerda

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 28.01.2007, 12:43

Lieber carl,

der Text erinnert mich an den Einstieg von Bachmanns "Die große Fracht", alle Zeilen klingen genau in diesem Ton, in dem ich Bachmanns Gedicht lese, das ist toll! (Inhaltlich haben die beiden ja durchaus viel gemeinsam).
Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Barke die Mondsichel ja? Das ist schön, weil ich dann zugleich an den Äquator denken muss, weil ich die Sichel horizontal drehe, was für mich nochmal die Wende verstärkt und die Atmosphäre auflädt.


Einen kleinen, aber nicht grundsätzlichen Aufhängerhabe ich bezüglich der Zeilenanfänge:
Ich habe die anderen Kommentare nur überflogen, aber die Artikel wurden irgendwo angesprochen (und du hast einer Änderung schon widersprochen?) - sie sind natürlich shcon hart zu lesen. Wären die letzten beiden Verse flüssig (ungebrochen) oder hätte der zweite Vers keinen Artikel vorne, verstünde ich den Aufbau komplett für mich, so stolpere ich insgesamt etwas wie Hakuin, die Artikel und die Konstruktion der Schlusszeilen stören mich beim Lesen etwas, wie eine Frenquenzüberlagerung von verschiedenen Sendern...
Allerdings möchte ich keine Alternativvorschläge machen, ich habe das Gefühl, dass ich den Text eher noch nicht voll erlesen habe, denn die Artiekl streichen kann man auch nicht einfach.
Den Zeiten"wechsel" finde ich sehr gelungen.

Ein Text, der seinem Titelthema gerecht wird und sehr archaisch wirkt...das gefällt mir.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.


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