das haus des schlafes

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.12.2006, 02:45

thomas milser
2006


das haus des schlafes


sumpfstapfend
schieben wir immer noch
die nachen durch den morast

als ob es stetig
um uns weiterflösse
ohne zugetan

aber wir irren, weißt du?

und das haus des schlafes hat keine fenster
denn das licht, mein freund
das gibt es nicht
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 25.12.2006, 02:50, insgesamt 1-mal geändert.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.12.2006, 02:48

Tom ist zwar offiziell abwesend, aber im Geiste nicht.

Es war mir ein echtes Bedürfnis, mal wieder was online zu stellen, was mich bewegt. Auch, wenn ich keine Zeit habe. Seid nich böse, wenn ich nicht sofort antworte....
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 25.12.2006, 13:54

Lieber Tom,

ich finde es sehr schön wieder hir von Dir zu hören, bin sicher nicht böse, wenn Du nicht sofort antwortet - aber wenn Du gelegentlich antwortetest (tja, für Dich ist mir nix zu schade - mein bester Konjunktiv), fände ich das sehr schön, denn Dein neues Gedicht (sogar aus 2006!) ist nicht ganz leicht zugänglich.

sumpfstapfend
schieben wir immer noch
die nachen durch den morast


Hier musste ich, ich gebe es zu, das Wort "nachen" erst einmal nachschlagen. Wenn man aber erst einmal weiß, dass es Einbäume oder dergleichen sind, fügt sich das Bild. Gedanken mache ich mir um das "sumpfstapfend". Auf der einen Seite ergeben die beiden "s", zusammen mi dem "schieben" sind es sogar drei, eine schöne Alliteration. Auf der anderen Seite klingt es mir ein bißchen wie die mühsame Version von Wassertreten. Außerdem frage ich mich, ob der "sumpf" nicht überflüssig ist, wenn doch zwei Zeilen später der "Morast" auftaucht. Vom Rhythmus her gehört für mich tatsächlich ein Adjektiv (am besten ein dreisilbiges) an den Anfang, aber ich weiß nicht, ob es "sumpftstapfend" sein sollte. Bei

als ob es stetig
um uns weiterflösse
ohne zugetan


gefällt mir, wie das Bild sich nun ergibt: Obwohl sich alles verändert hat, alles mühsamer ist, macht das lyr. Ich weiter, als ob nichts wäre. Das "Zugetan" bereitet mir aber noch Verständnisprobleme. Ohne "zutun" verstünde ich und so fasse ich "zugetan" einfach auf, als: "als hätten wir nichts dazu getan" .. aber ob das stimmt?

In den letzten beiden Strophen

aber wir irren, weißt du?

und das haus des schlafes hat keine fenster
denn das licht, mein freund
das gibt es nicht


irritiert mich ein wenig (nicht sehr, aber so, dass ich einen kleinen Bruch empfinde), dass plötzlich ein lyr. Du auftaucht, das sogar 2x in vier Zeilen direkt angesprochen wird. Inhaltlich bin ich unentschlossen, wie das festerlose Haus des Schlafes zu verstehen ist. Die direkte Interpretaion würde sagen, dass es die Bilder der vorher gehenden Strophen nicht gibt. Das aber gefällt mir nicht und ich halte mich dann eher daran, dass das stetige Weiterfließen ein Irrtum ist, wobei mir aber die Fensterlosigkeit noch ein wenig rätselhaft bleibt, nicht aber, dass es das Licht nicht gibt. Das fügt sich sehr schön in das bild von Strophe 1 und 2, in ein Weitermachen trotz Schwierigkeiten und Sinnlosigkeit, weil man die Realität einfahc nicht richtig sieht (das klingt nun ein e bißchen platter als ich es fühle).
Ich hoffe ich liege damit nicht ganz falsch - wie gesagt, ich bin gespannt auf Deine Antwort.

Liebe Weihnachstgrüße
Max

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 25.12.2006, 19:47

Hi Max, danke für den warmen Zwischendurchempfang. Wer mir einen so schönen Konjunktiv auf den Weihnachtsteller legt, dem gehört umgehend geantwortet, gehört dem nämlich.

Ziemlich akribisch, deine Anna Lüse, da komm ich ganz schön ans nachdenken. Die Textstellen, die du anmerkst, sind wohl hauptsächlich aus klanglichen Gründen entstanden (Hat man mir vorher nicht gesagt, dass das Ganze auch noch einen Sinn ergeben muss, menno...)

Das Bild der Strophen 1/2 hat nicht unbedingt was mit dem der letzten zu tun, sie entstanden lediglich aus derselben Stimmung heraus. Ich kann dir auch nicht sagen, warum ich mittendrin das du / den Leser anspreche. Vielleicht habe ich wirklich laut gedacht? Wollte was erzählen? Hatte noch einen neben mir sitzen? Das es ein kleiner Bruch ist, das stimmt wohl. Ich weiß nur selbst nicht, ob ich das schlimm finden soll. Denn andererseits ist das ja genau die Trennung, die zwischen den Inhalten davor und dahinter liegt.

Deine Auffassung von 'zugetan' ist genauso bei mir entstanden, und so habe ich es auch gemeint, obwohl das im direkten Wortsinne nicht unbedingt korrekt ist. Als Adjektiv bedeutet es ja eher "zugeneigt".

Die Wiederholung am Anfang von Sumpf und Morast ist aber überdenkenswert (das ist mir gar nicht aufgefallen, ich war zu verliebt in den Klang :o), das lasse ich mal sacken.

Ich hoffe, ich konnte das ein bisschen klarmachen.
Danke und Gruß vom Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Max

Beitragvon Max » 25.12.2006, 20:13

Lieber Tom,

klar, ist klar ;-)

Liebe Grüße
max

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Beitragvon Thomas Milser » 27.12.2006, 23:22

Ich freu mich, wenn alles klar ist :o)
Vieles sage ich aber auch nur aus Verlegenheit... ich habe den Text längst nicht so reflektiert wie ihr...
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pandora

Beitragvon pandora » 28.12.2006, 14:32

hallo tom,

manchmal kann ich mit deinen texten nicht so viel anfangen (eine feststellung, keine wertung!), aber diesen hier mag ich sehr. es mag sein, dass ich komplett falsch liege, aber er transportiert zu mir ein bild völliger erschöpfung. ein nicht-herauskönnen, eingebundensein. das berühmte repin-gemälde von den wolgatreidlern kommt mir in den sinn.

eine wunderbare geburtstagsfeier wünsche ich.

p.

Gast

Beitragvon Gast » 28.12.2006, 15:42

Lieber tom,

eindrückliche, berührende Worte. Ich lese sie als reflekive Einschätzung einer Lebensituation, in der sich das Lyrich über die Sinnlosigkeit seines und des Tuns der Anderen Klarheit verschafft, in dem es ein Lyr. du anspricht.

Nur eins würde ich ändern wollen:
ohne zugetan lese ich wie: ohne unser zutun
Das zugetan stört mich, es sei denn es wäre ein Deutung möglich, die sich mir derzeit noch verschließt.
Ein archaisches Gedicht, vom Inhalt her, wie ich finde.
Es gefällt mir.

Liebe Grüße
Gerda

gerade lese ich, in deinem Komm. an Max, du habest nicht so sehr refelktiert... aber das kannst du ja nachholen, denn die Intetion ist spürbar

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Beitragvon Thomas Milser » 29.12.2006, 09:29

Hallo pandora,

du liegst weiß Gott goldrichtig. Wenn du dir nun noch die lichten Hintergrundfarben bei Repin düsterer vorstellst (sie stehen in dem Gemälde in so einem merkwürdigen Kontrast zu den gedeckten Tönen der Treidler), dann ist das wohl sehr treffend. So mag es nicht verwundern, dass ich meine Geburtstagsnacht mit den Herren Dostojewskij/Raskalnikow verbracht habe :o)
Aber nun scheint die Sonne ins Fenster, und die vermeindliche Bundeshauptstadt (das ist ja in Wirklichkeit die Ruhrstadt, aber gleichwohl!) ruft, der Rucksack ist gepackt, das Herz lächelt schon...

Hallo Gerda,

die Sache mit dem 'zugetan' hatte ich schon oben mit Max erörtert. Lies es einfach als 'ohne, dass wir etwas dazu hätten tun müssen' oder so.
Die (vermeindliche) Sinnlosigkeit des eigenen Tuns bzw. das der anderen ist ja ob der allgegenwärtigen Unlenkbarkeit der globalen Ereignisse sowieso omnipräsent, hier war es mehr der Drang, es dem LyrDu mitzuteilen.
Ich bin der Ansicht, dass die Niederschrift der Zeilen bereits die Reflexion darstellt. Eine Momentaufnahme einer Stimmung, die sich gar nicht unbedingt wiederholen lässt. Soll ein Text nun einen Gedanken reflektieren oder andersherum? Das übliche Lied, ob man Lyrik im Nachhinein bearbeiten sollte oder nicht. Selten wurde (bei mir) ein Text davon wirklich besser. Oftmals sinnvoller, dann was Neues zu schreiben.

In diesem Sinne euch allen ein Frohes Neues Jahr, die Lokomotive steht schon unter Dampf :o)
Tom
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carl
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Beitragvon carl » 29.12.2006, 11:10

Hallo Tom,

schön wieder von Dir zu hören!
Und dann in Deiner erfrischenden Offenheit: wiedermal nüscht gedacht beim dichten??
Egal! Veröffentlicht hat der Dichter eh nix zu melden: das ist dann Sache von uns Kritikern ;-)
Und daher sage ich mal, was das Gedicht für Bilder bei mir evoziert:

In der Grenzzone unterwegs zwischen dem See, wo der Nachen seine Aufgabe erfüllen und das "wir" tragen könnte, und dem Ufer, wo man zuhause ankommen könnte...
In welcher Richtung ist egal, obwohl vermutlich letztere.
Das Thema ist aber nicht die Aussichtslosigkeit in Dunkelheit, Regen und völliger Erschöpfung, das "irren" im wörtlichen Sinne, wo sich alles ins endlose dehnt; der Punkt ist meiner Meinung nach:
darin zuhause zu sein!
Die 2. Strophe...
In mir ruft die 2. Strophe eine Erfahrung wach, die ich besonders als Tramper mache. Nach einer Zeit des Unterwegsseins auf Umwegen, auf Bahnhöfen, an Autobahndreiecken, im Geländde, ohne Chance auf ein nahes Ziel, die Übermüdung löst mich langsam vom Körper:
da beginnt eine Trance, ein Rauschen, ein Einverständnis,
als ob das Leben in diesem Unterwegssein seine Erfüllung fände.
Ohne zutun. Trotz beschissener Lage:
"Weißt du, wir irren, mein Freund."
Das "wir" differenziert sich kurz in "ich" und "du", um das wahre Zuhausesein zu zeigen.
Hier ist eine kleine Gruppe von "Jägern" unterwegs (der Nachen kann höchstens 4 tragen). Sie haben sich verirrt. Scheiße. Aber es sind "Profis", die schlafen im Poncho unter einem tropfenden Baum, im Stehen, im Gepäcknetz, egal.
Unterwegssein ist sowieso das Leben.
Und dass man jemanden dabei hat, mit dem man da durch kommt.
Denn das Licht, mein Freund, das gibt es nicht.
Nicht draußen.
Das Licht, das bist du, und das bin ich.

Ich habe mich mit dieser Deutung sehr weit aus dem Fenster gelehnt, obwohl das Haus des Schlafes gar keine hat. Aber mein Gefühl sagt mit:
Das ist der Tom!
Und ich übrigens auch...
Ich nehme allerdings an, dass Frauen diese Überlegungen schlechter nachvollziehen können, als Männer.
Sollte ich dennoch einen Nerv getroffen haben, dann ist einzig "das haus des schlafes" irreführend an dem Gedicht.
Du meintest dann sowas wie die Trace, ein unbewusster Energiestrom über dem völlig losgelöst eine Wachheit schwebt...
Bin gespannt, was Du dazu sagst, alter Freund!

LG, Carl

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 02.01.2007, 20:39

Tja alter Freund, was soll ich schon sagen?
Ich hatte mir ja - du hast es so nett formuliert - wiedermal (also wie eigentlich immer? möchtest du das damit sagen, ja?) nüscht gedacht beim Dichten. Umso erstaunlicher, was doch dieses Einfach-so-Hingeschriebene für Gedankenströme bishin zu 'Traces' hervorlockt. Zu den bei dir entstandenen Assoziationen (im Poncho auf dem Gepäcknetz, sehr originell) möchte ich jetzt keinerlei Stellung beziehen, da ich sie dir am Ende noch nähme, was doch sehr schade wäre, nech?

Letztendlich bin ich eh zu doof, um auf solch gescheite Anmerkungen - wie sie hier von allen Seiten auf mich einströmen - adäquat zu antworten; so möchte ich mit den Worten schließen:

Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, euch mit diesen nahezu wahllos hingeworfenen Wörtchen eine solch blühende Spielwiese anzupflanzen, auf dass eure Phantasien trotz kargen Bodens aufs Beste gedeihen mögen!

Gute Nacht.
Tom.
Zuletzt geändert von Thomas Milser am 02.01.2007, 20:41, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Klara » 02.01.2007, 20:40

Hallo,

mir scheint, da ist ein "und" zu viel nach "weißt du". Wäre stärker ohne und.

Das "zugetan" wirkt unbeholfen. Warum nicht "ohne unser Zutun"? Oder
"als ob es stetig
um uns weiterflösse
einfach so"?

Dieser Satz ist cool:

aber wir irren, weißt du?


Ich würde insgesamt am Ende umstellen, vorne den doppelten Sumpf entdoppeln, und den Bezug zu Licht/Hoffnung einbauen, vielleicht in die Richtung:

schwer watend
schieben wir immer noch
die nachen durch den morast

als ob es stetig
um uns weiterflösse
einfach so

und als ob es am ende
hell würde

aber wir irren, weißt du?

es gibt kein licht
das haus des schlafes hat keine fenster


LG
Klara

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Beitragvon Thomas Milser » 02.01.2007, 20:46

Hallo Klara, lieb von dir, aber das meiste hatte ich bereits weiter oben erläutert. Deine Version ist ein anderes Gedicht, weißt du? :o) Und das Ende wird mir viel zu flach... verzeih, damit kann ich nix anfangen.

Die 'Entdoppellung' am Anfang ist allerdings überdenkenswert. Was ich tun werde.

Lieben Gruß,
Tom
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Beitragvon Klara » 02.01.2007, 20:56

... no problem...eine alte macke von mir... ich kann es einfach in manchen, ansprechenden fällen immer wieder nicht lassen, fremder leuts gedichte umzuschreiben... es ist wie ein stück schokolade, das vor mir liegt und liegt - und haps! ... verzeih...


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