der olivenbaum

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Sabine

Beitragvon Sabine » 05.12.2006, 15:59

einsam
bedeckt sein schatten
heute
nur ödes land

wo
unsere lippen
einst
heimlich
ihren durst gestillt

und
„chabba bent bladi“
im radio
ein stück
freiheit
in unsere köpfe
spielte

fortgegangen
bist du
für deinen traum
heimatlos
geworden

ich blieb

verbannt
hinter schleiern
mit unserem lied
auf stummen lippen
bis heute

der baum
trägt schon lange
keine Früchte mehr



*Chabba bent bladi* ist ein Lied von dem algerischen Sänger Khaled, welches ins Französische sehr frei mit „jeune et jolie“ übersetzt wurde

Louisa

Beitragvon Louisa » 05.12.2006, 16:18

Hallo Sabine!

Das finde ich eigentlich schön! (Sobald so etwas Sinnliches wie ein Olivenbaum kommt, bin ich dabei :smile: !)...

Die erste Strophe ist in Ordung, obwohl man die Einsamkeit des Baumes noch hervor heben könnte, glaube ich. Also:

Sein Schatten
ist einsam
und bedeckt
heute
nur ödes Land


-Aber Du kannst es auch so lassen! Vielleicht irre ich mich ja!

Die zweite Strophe ist ein schöner Kontrast! (Kann man an einem Olivenbaum etwas trinken oder haben die Lippen voneinander getrunken :wub: ?)

"heimlich" ist auch immer gut :smile: !

Das mit dem Lied gefällt mir mit am besten, weil man sofort im 21. Jahrhundert ist und das Lied den Baum noch ein wenig realer werden lässt! Sehr schön!

Aber wo kommt plötzlich die "Freiheit" her? Was hat sie mit "jung und schön" zu tun? Spielst Du auf die politische Situation Algeriens an? Bestimmt....

In der folgenden Strophe verstehe ich den Traum nicht. Ein Traum wovon?

Dann klingt das Gedicht plötzlich sehr politisch. Ich nehme an das war Deine Absicht!? Es hat etwas mit der Unterdrückung der Frau zu tun!?

Also: ich verstehe das Ende dieser Liebe nicht ganz. Geschieht das aus poltischen oder aus persönlichen Gründen? Was ist der Traum? Ein bisschen schleierhaft für mich...

-Vielleicht weil ich mich nicht genügend auskenne... (Obwohl erst am Sonntag etwas über Algerien in der Zeitung stand :smile: ...)

Jedoch ist mir die Intention nicht ganz klar geworden. Ich mag dieses Gedicht aber sehr!

Außerdem würde ich es nach "bis heute" enden lassen. Das ist dann ein hübscher Bogen und die letzten drei Zeilen wären nicht mehr so gebräuchlich. (Verzeih :blumen: !)

Ich bin gespannt auf Deine Antwort!

Liebe Grüße,
l.

scarlett

Beitragvon scarlett » 05.12.2006, 16:54

Das ist einfach Klasse, Sabine!

Ich würde kein einziges Wort missen wollen, wunderbar poetisch, leise und so traurig... zu oft wahr...

Zur Form später - ich hab das grad gelesen und mußte mich spontan dazu äußern!

Grüße,

scarlett

Gast

Beitragvon Gast » 05.12.2006, 18:48

Liebe Sabine,

ein sensibles Thema eine sensible Sprache.
Wenn ich es lese denke ich en eine Beziehung, die in dem Moment zerbrach, als der Partner (männliche Teil) das (arabische) Land verlässt, um sein Glück im Ausland zu (ver)suchen und die Partnerin (Muslimin) zurück lässt.

Es gefällt mir, in seiner unprätentiösen unaufdringlichen Sprache.

Liebe Grüße
Gerda

Klara
Beiträge: 4531
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 05.12.2006, 18:53

Hallo,
das finde ich sehr schön, würde nur ein paar Setzungen anders machen, um der Melodie willen:


einsam bedeckt sein schatten
heute nur ödes land

wo unsere lippen
heimlich ihren durst gestillt
und „chabba bent bladi“
im radio ein stück
freiheit
in unsere köpfe spielte

du bist fortgegangen
für deinen traum
heimatlos geworden

ich blieb
verbannt
hinter schleiern
mit unserem lied
stumm auf den lippen
bis heute

der baum
trägt schon lang
keine Früchte mehr


LG Klara

Sabine

Beitragvon Sabine » 05.12.2006, 23:32

Vielen Dank für eure Kommentare. Es freut mich, dass das Gedicht so gut ankommt. Es liegt mir sehr viel an dem Thema und der darin beschriebenen Problematik.
Genauso, wie du es beschrieben hast Gerda, ist es gemeint.
Und während der junge Mann die Möglichkeit hat, den politischen und wirtschaftlichen Problemen seiner Heimat zu entfliehen und damit letztendlich auch den Verlust einer Liebe in Kauf nimmt, so bleibt die Frau mit dem unerfüllten Jugendtraum alleine hinter ihrem Schleier zurück.

Liebe Klara,
deine Satzumstellungen werde ich mir noch genauer anschauen.
Da werde ich sicher einiges von übernehmen.

Liebe Louisa,
vielleicht sind dir durch Gerdas und meine Erläuterungen zu dem Text einige Fragen schon beantwortet.
Es ist auch ein politisches Gedicht, ja. Aber auch eines über eine Liebe, die an der Politik zerbrochen ist.
Die Freiheit bezieht sich nur auf das Lied von Khaled. Er singt von der Freiheit der Jugend. So sozialkritisch und politisch, dass er das Land verlassen musste und heute im Exil in Frankreich lebt. Und während sich der junge Mann hier in dem Gedicht den Traum von Freiheit durch das Auswandern erfüllt, bleibt die junge Frau zurück - gefangen in der Tradition.
Das "jung und schön" ist ja nur der Titel des Liedes, das die beiden unter dem Baum gehört haben, während sie von der gemeinsamen Freiheit träumten.

So, jetzt aber erst mal genug. Darüber könnte ich nämlich sonst Romane schreiben.

LG Sabine
Zuletzt geändert von Sabine am 06.12.2006, 11:49, insgesamt 1-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 06.12.2006, 08:21

hallo sabine!

gefällt mir auch. sehr stimmungsvoll im wahrsten sinne.

Ich würde kein einziges Wort missen wollen
...-schreibt scarlett. das seh ich aber nicht ganz so. "heute" in der ersten strophe ist nach meinem leseempfinden überflüssig. ich bin beim lesen drüber gestolpert. wenn du präsens benutzt, ist es eh klar. ich verstehe zwar, dass du damit den heute - gestern kontrast herausstellen willst. aber ich denke, durch das weglassen des heute würde der ist-zustand intensiviert.

lieben gruß: Niko

ach so.........mehr als gern gelesen ;-)

Klara
Beiträge: 4531
Registriert: 23.10.2006

Beitragvon Klara » 06.12.2006, 09:29

Hallo,

Darüber könnte ich nämlich sonst Romane schreiben.


Das tu man!
Einer reicht ja erst mal ,-)

LG
Klara

scarlett

Beitragvon scarlett » 06.12.2006, 10:33

Hallo,

Niko hat nicht ganz unrecht - das "heute" der ersten Strophe, wenngleich als Kontrast zum "einst" durchaus sinnvoll, könnte weggelassen werden, zumal es ja am Schluß wieder aufgenommen wird -
Fiele es weg, wäre die erste Strophe genau wie die letzte dann dreizeilig.
Aber als störend empfinde ich dieses erste heute nicht.

Ich finde deinen Text nach wie vor sehr gut.

Gruß,

scarlett


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