dich sprechen hören

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
moshe.c

Beitragvon moshe.c » 02.12.2006, 21:03

dich sprechen hören
zwischen den hohen bäumen
wenn blätter rascheln

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 05.12.2006, 12:48

Iris hat geschrieben:Lieber aram,

Da moshe ein Mann ist und sicher auch aus männl. Sicht schreibt,


liebe iris, so "sicher" ist das für mich keineswegs.

(und selbst wenn ich es so lese, sind das folgende immer noch assoziationen, für die ich keine hinweise im text selbst finde - weder direkt noch auf der metaebene *)

- da es mir also nicht gelingt, von "vereinfachten voraussetzungen" auszugehen, trägt der text auch keine 'verwertbare' aussage für mich.

(- natürlich sind lesarten auch immer an konventionen gebunden - haikus lassen sich z.b. "schwebender" lesen, weil die natureindrücke im anriss evoziert werden. ...passt auf diesen text aber auch nicht...)

liebe grüße,
aram

*) ich suche nicht einfach vordergründige bezüge, bin durchaus in der lage, texte zu 'verstehen', die solche bezüge offen lassen, wenn eben darin eine aussage liegt (- siehe z.b. hakuins "hinunter" oder mein "heu wenden") - eine solche (meta-) aussage kann ich hier jedoch nicht erkennen - der text wirkt auf mich daher, als wäre ein destillationsprozess nicht ganz geglückt - der autor reduziert, die reduktion enthält aber keine "spurenelemente" mehr - was der leser liest, wenn er etwas liest, ist eine 'neuschöpfung'.
"dich sprechen hören" ist völlig offen, bietet keinerlei emotionale resonanzfläche, wenn man sich nicht zuerst was 'dazuerfindet' -
das ist so fundamental, weil "dich sprechen hören" auch titel ist und damit dezidiert herausgestellt wird. darüber kann ich nicht einfach hinweglesen - auf die art des "du" wird nirgends auch nur der leiseste hinweis gegeben, es könnte genauso "gott" sein u.s.w. - wenn aber das "du" beliebig wählbar ist, was sagt der text dann noch aus?
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

Iris

Beitragvon Iris » 05.12.2006, 17:56

Lieber aram, ja, ich verstehe, was du meinst und es könnte auch Gott sein, das finde ich sehr schön, oder die eigene innewohnende Stimme, doch es ist für mich gerade in diesen drei Worten,
dich sprechen hören, für mich alles gesagt, da hören so wichtig sein kann, man kann auch ein Instrument sprechen hören ... und für mich klingt in diesem hören auch nur das wie nicht das was. Es ist irgendwie unwichtig, was gesprochen wird, das Hören des Du mit all dem wie es zu hören ist ...

Letztendlich ist Deine Kritik aus Deiner Auffassungsweise heraus voll berechtigt ..., doch mir ist das beim Lesen dieses Dreizeiler genug als Stimmung, um mich einzufühlen, zu hören ...
Ich brauche nicht mehr ...

LG Iris

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 05.12.2006, 18:02

Liebe Lisa!

Natürlich ist es mir recht, wenn man mir einen mißlungenen Versuch so schön subjektiv aufzeigt, wie du es machts.
Davon lerne ich und erhalte Inspiration.

Für mich haben japanische Formen, nicht nur in der Lyrik, oft etwas Schwebendes, das Gurke empfand, und etwas Offenes. Dieses wird hier ja diskutiert.
Das man den Text auch ganz in deutschem Wald und Empfinden sehen kann, zeigt ein Teil der Kommentare.

Auf jeden Fall werde ich weitere Versuche starten.
--------------------------------
Liebe Iris!

Das ist ein ausgesprochen netter Kommentar, den du geschrieben hast. Er zeigt mir, jenseits der Debatte um Form, daß diese wenigen Zeilen durchaus in der Lage sind Assoziationen hervor zu rufen, die sehr mannigfaltig sind.
Genau darin liegt für mich die Stärke von Kurzgedichten.

--------------------------
Lieber Aram!

Zuerst möchte ich hervorheben, daß meine männliche Geschlechtlichkeit als sicher gilt. Es wurde schon bei meiner Geburt so vermerkt. Zu recht, denn ich war in der Lage, etwas später, ein Kind zu zeugen. Der Autor/die Autorin gehört zum Text, wie der Titel.

Desweiteren solltest du dich vielleicht mal mit Gott oder deiner Liebsten zur herbstlichen Jahreszeit unter hohen Bäumen bewegen und Lauschen, ganz unbefangen. Möglicherweise ergäbe es sich, daß du dem emotionalen Wesenskern meiner Zeilen etwas näher rücken könntest.

Sodann liegt die Meta-Ebene hier zwischen den hohen Bäumen, dem Klang der Stimme darin , ggf. in der Erinnerung an diese Person, die da spricht, und im Klang der raschelnden Blätter, und von dort wieder zurück zum 'Rascheln' der Stimmen in dem Wahrnehmenden. Es ist wie ein Foto u.a., das hier aber noch Ton hat, aber keinen Inhalt, außer den Assoziationen, die der/die Leser/in ggf. hat.
Diese Zeilen brauchen für mich keinen weitereren Inhalt, denn der ist im Leser/in der Leserin, wie sich zeigt.
Wenn du keinen passenden Inhalt in dir finden kannst, ist das in Ordnung. Dann hast du ihn eben nicht und das Gedicht sagt dir nichst.
Das 'Du' ist im Raum und im Leser, und eben nicht eindeutig.

(Immer diese Uneindeutigkeit. :mrgreen: )

-------------------------

Mit liebem Gruß

Moshe

Niko

Beitragvon Niko » 05.12.2006, 23:27

hallo moshe!

in gewisser weise möchte ich mich aram anschließen. was mich am meisten an deinem haiku stört, ist das fehlende subjektive. ich weiß auch nicht so recht, wie ich es erklären soll. vielleicht stelle ich ein etwas überzogenes beispiel hier ein um bewusst zu machen, was ich meine:

dein text:
dich sprechen hören
zwischen den hohen bäumen
wenn blätter rascheln

meiner:

dich zahlen sehen
an der aldikasse
wenn das band steht

so, wie mein gedicht geschrieben ist, würde jeder sagen........und??? da fehlt doch was? etwas vergleichendes, oder bewertendes. irgendetwas. dies aber (aldi UND dein text) sind schlichte (unvollständige) aussagen. die form des haiku allein ist es, die mich als leser poesiewillig macht und mich versuchen lässt, einen tiefgreifenden sinn zu erkennen. natürlich kann man sich jetzt fragen: muss den alles einen sinn haben.......-aber das führe jetzt wirklich zu weit......

lieben gruß: Niko
(ist es denn wirklich ein haiku? denn die silbenlänge macht´s ja nicht alleine[wobei ich gelernt habe, dass die sooo streng auch nicht gehalten werden muss], sondern bestimmte bedingungen sind daran geknüpft, von denen ich aber genaues nicht weiß. es gibt ja auch senryû und dergleichen mehr, die formal sich aber nicht oder kaum unterscheiden von einem haiku)

Sabine

Beitragvon Sabine » 05.12.2006, 23:58

Hallo moshe,

deine Zeilen habe ich nun schon ein paar Mal gelesen und auch die doch sehr konträren Kommentare dazu. Ich sage gleich, dass ich mich mit Haikus nicht gut auskenne und so nur wiedergeben kann, was der Text in mir hervorruft, nicht, ob seine Form stimmt und ob er die Bedingungen erfüllt, ein Haiku zu sein.
Das finde ich übrigens gerade interessant an Werken wie diesem, dass sie offensichtlich viel Raum lassen für mögliche Interpretationen.
Ich sehe hier einen Menschen, der alleine durch den Wald geht und in dem Rauschen der Blätter die Stimme eines/des geliebten Menschen hört, der gestorben ist und an den er gerade denkt.
Und diese Vorstellung hat in mir gerade etwas wohltuendes ausgelöst. Daher hat mich dein Gedicht sehr berührt und ich werde es sicher noch oft lesen.

LG Sabine


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 15 Gäste