"Requiem aeternam dona eis"

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
königindernacht

Beitragvon königindernacht » 27.11.2006, 00:58

Requiem aeternam dona eis

Wie Ameisen geschäftig
decken sie beim Lied
des Posaunenchores
die Gräber.
Hoffnungsgrün.
Erinnerungsweiß
mittendrin. Heute.
Der Kalender legt
Farben fest.

Gestern. Da war es
lautlos entlang der
Steine, die erzählen
vom Davor oder Danach.
Auf deinem Grab
Sonnenblumengelb
und Wildbeerenrot
Stilles Erinnern
braucht kein Datum.



Habe in S1 die letzten zwei Worte: "Und Tage" gelöscht. Der Bezug zum Totensonntag ist ja gegeben und die Verbindung beider Strophen in Bezug auf die Farben wird dichter. Ganz lieben Dank für die Anregung.
Zuletzt geändert von königindernacht am 28.11.2006, 21:29, insgesamt 3-mal geändert.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 27.11.2006, 09:05

Hallo Kö,

könntest du die lateinische Überschrift übersetzen?

Trauer und Erinnerung nach Kalender macht mir auch immer Schwierigkeiten, besonders diese längst leeren Riten. Man steht da, pflichtbewusst, und will nur noch fort. Die letzten Sonnenblumen und das tapfere Wildbeerenrot geben manch einem mehr Trost.

Liebe Grüße
Marlene

Gast

Beitragvon Gast » 27.11.2006, 21:12

Trauer und Erinnerung nach Kalender macht mir auch immer Schwierigkeiten, besonders diese längst leeren Riten. Man steht da, pflichtbewusst, und will nur noch fort. Die letzten Sonnenblumen und das tapfere Wildbeerenrot geben manch einem mehr Trost.

ja da sehe ich auch so


gut getroffen, lieb KÖ


:) Bea

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 27.11.2006, 22:09

Ewige Ruhe gib ihnen...

Dieser Text gehört zu den ganz wenigen, in denen ich mich mit einer "gesellschaftlichen Frage" auseinandersetze. Eliane empfahl mir einst, mich doch einmal daran zu wagen. Darum ist mir eure Meinung sehr wichtig. Danke, Beatrix und Marlene, für eure Reaktion auf den Inhalt und mich freut, dass ihr ihn nicht nur angenommen habt, sondern teilt,

herzlichst, KÖ

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.11.2006, 23:19

Gefällt mir gut, liebe KÖ,

Stilles Erinnern
braucht kein Datum.


jep!
Saludos
Magic

ecrivain

Beitragvon ecrivain » 28.11.2006, 11:10

Hallo Königindernacht,

dein Gedicht braucht wenig Interpretation, es erklärt sich selbst. Das gefällt mir gut. Vor allem der Schlusssatz "Stilles Erinnern
braucht kein Datum". Und keine Farbenvorschriften, könnte man hinzufügen.

Aber warum wählst du für ein Gedicht, das für individuelles Totengedenken statt offiziöses Gedöns plädiert, so eine hochtrabende Überschrift? Frommes Latein, bei dem man augenblicklich mit halbgeschlossenen Augen ernst zu Boden blickt? Der Text der lateinischen Totenmesse steht für mich für ein Gedenken, das in feste Formen gegossen und erstarrt ist. Das ist auch Thema der ersten Strophe, aber es spiegelt nicht den Geist des ganzen Gedichts wider, finde ich. Dein Gedicht wendet sich eher ab von den gesellschaftlich fixierten Trauerformen und will stattdessen das Nicht-Demonstrative, das Stille, das Farbige, das Nicht-Festgelegte beim Trauern. Daher würde ich auf jeden Fall einen anderen Titel wählen! So viel ich weiß heißt es auch: Dona eis requiemin eternam.
Eine Idee für den Titel habe ich noch nicht. Es müsste etwas Privates sein, nichts donnernd-Offiziöses.

Liebe Grüße
ecrivain

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 28.11.2006, 14:42

Für mich, lieber ecrivain,

ist Latein nichts Starres, nichts Hochtrabendes und vor allem nichts, bei dem ich mit halbgeschlossenen Augen zu Boden schaue. (Wie herrlich von dir formuliert!).

Kennst du Mozarts Requiem? Oder das von Dvorcak und Brahms? Oder das fast unbekannte von Duruflé? Diese Musik lebt und mit ihr leben auch diese Worte in mir. Aber vielleicht gehe ich auch deshalb so unbefangen mit dem Lateinischen um, weil ich fast ganz ohne es aufgewachsen bin. Erst in den letzten Jahren erlernte ich es ein wenig. Die Berührungspunkte mit Latein gibt es vor allem über die Kunst, die Architektur und vor allem die Musik.Gerade die Totenmesse von Mozart hat ein Strahlkraft und dennoch eine Besinnlichkeit, dass ich die lateinischen Worte reinen Gewissens benutzen konnte... Mir geht es vor allem um den Inhalt der ersten Worte: Ewige Ruhe gib ihnen. (Domine)- und auch die Stille eines schönen Herbsttages dort, wo ihre Gräber sind.

Auch, wenn ich die Überschrift aus diesen Gründen so lassen werden, verstehe ich durchaus deine Überlegungen und danke dir ganz herzlich für deine Kritik,

herzlichst, KÖ

ecrivain

Beitragvon ecrivain » 28.11.2006, 15:13

Hallo musikliebende Königin der Nacht ;-),

ich kenne und liebe Mozarts und Brahms´ Requiem, übrigens auch das von Fauré, nur: die musikalische Dimension des Totengedenkens habe ich mit Absicht in meiner Replik nicht berücksichtigt. In der Musik haben die Künstler in der Tat einem unpoetischen, unpersönlichen Messetext viel Persönliches, selbst Erlebtes und Intimes abgewinnen können - also in den gelungensten Beispielen von Messevertonungen, meine ich.

Aber dein Gedicht zielt auf das stille Gedenken; selbst die Posaunenchöre (Musik) lässt du in der Strophe des stillen Gedenkens außen vor. Und darum zielte ich mit meiner Kritik nur auf das mittelalterliche Latein in seiner Buchstabenform. In dem Maße, in dem sich unsere Gesellschaft säkularisiert hat, sind lithurgische Lateintexte obsolet geworden, für die meisten nicht verständlich, auch in deutscher Übersetzung merkwürdig entrückt, und sie werden mehr oder weniger einer längst versunkenen Epoche zugerechnet. Darum: Zitiert einer heute Kirchenlatein in einem literarischen Text, assoziiert man als Leser erst mal nicht Unbefangenheit, so wie du. Sondern eher Misstrauen in Richtung: Der Schreiber will sich wichtig machen, oder: der Schreiber gibt einen ironischen Kommentar zu einem einstmals ernstgemeinten Kultus, heute aber nur noch Anachronismus. Dein Gedicht zerstreut dann solche Verdächtigungen, aber die Alltags-Assoziation mit Kirchenlatein bleibt einem doch irgendwie erhalten.
Das muss dich in deinerSicht der Dinge aber nicht beirren!

Viele liebe Grüße
ecrivain

königindernacht

Beitragvon königindernacht » 28.11.2006, 15:18

Mit dir trete ich wirklich gerne in den Austausch ( zumal ich das Requiem von Faurè eben erst bei amazon bestellt hab und ganz vorfreudig- neugierig darauf bin) und gebe dir in allem uneingeschränkt Recht!!! Dennoch...*lach*

Herzlichst, Kö

PS. Eine kleine Veränderung habe ich dennoch vorgenommen. (siehe oben)


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