Austernfischer

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Perry

Beitragvon Perry » 29.10.2006, 17:04

Austernfischer


In der Salzwiese unserer Liebe
wächst das Gras nur spärlich
Viel zu selten schwemmt das Leben
nahrhaften Schlick
in das Land zwischen den Dünen

Wenn nicht bald eine Springflut kommt
werden sich hier
keine Austernfischerpärchen ansiedeln
uns zeigen
wie man erfolgreich brütet

pandora

Beitragvon pandora » 29.10.2006, 17:35

hallo perry,

ich finde, dass du in diesem gedicht zu viel vorgibst. als leser hätte ich gern mehr freiraum.
also, könntest du dir vorstellen "Liebe" und "Leben", auch das "uns zeigen", wegzulassen?
ich meine, dass dein schönes naturbild auch ohne die erklärenden zusätze funktionieren würde und auf eine beziehungsebene projiziert werden könnte. nur ein erster eindruck von

pan

Niko

Beitragvon Niko » 29.10.2006, 19:45

hallo perry!

da schließe ich mich pandora uneingeschränkt an. was direkt benannt wird, gibt mir keine freiräume mehr, etwas nachzuempfinden. und das finde ich schade. denn bei allem gedanklichen empfinden muss ich als leser ein gedicht auch (oder sogar als erstes) erfühlen.
der text erscheint mir als konstrukt.

In unserer Salzwiese
wächst das Gras spärlich
Viel zu selten schwemmt
nahrhafter Schlick
in das Land zwischen den Dünen

Wenn nicht bald eine Springflut kommt
werden sich
keine Austernfischerpärchen ansiedeln
und zeigen
wie man erfolgreich brütet

würde dir so geschrieben irgendetwas fehlen, perry? kann man sich nicht liebe, lebe denken?
vielleicht bringt dich das ja in irgendeiner form weiter....

lieben gruß: Niko

Perry

Beitragvon Perry » 29.10.2006, 20:16

Hallo Pandora, hallo Niko
wäre einen Versuch wert. Obwohl ich gerade die "Salzwiese unserer Liebe" für eine ganz wichtige Metapher halte, die bei "unserer Salzwiese", nicht mehr voll zum Tragen kommt. Das Leben könnte man weglassen, aber dann ist das Schwemmen irgendwie ohne Hintergrund.
Mal abwarten was vielleicht noch an Meinungen kommt. Vorerst Danke und LG
Manfred

Niko

Beitragvon Niko » 29.10.2006, 21:53

lieber Perry!

wenn du doch aber "unsere salzwiese" schreibst, so liegt doch in "unsere" die liebe. da evtl noch nicht so klar erkennbar. es ergibt sich aber im weiteren verlauf. durch das weglassen der liebe verstümmelst du die metapher nicht, im gegenteil. du machst sie interessanter, weil sie dem leser raum für eigenes "sich einfühlen" lässt.

lieben gruß: Niko

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leonie
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Beitragvon leonie » 29.10.2006, 22:09

Lieber Manfred,

das sehe ich genauso wie Pandora und Niko. Du kannst dem Leser ruhig was zutrauen!

Liebe Grüße
leonie

Perry

Beitragvon Perry » 30.10.2006, 13:06

Hallo ihr Lieben,
vermutlich habt ihr Recht. Ich will aber gerne versuchen, meine Intention zu diesem Text offenzulegen, damit ihr testen könnt, ob diese Aussage auch ohne "Liebe und Leben" herauszulesen ist:

"In der Salzwiese unserer Liebe
wächst das Gras nur spärlich"
Viel zu selten schwemmt das Leben
nahrhaften Schlick
in das Land zwischen den Dünen"
(Unsere Beziehung ist zur Gewohnheit verflacht, es gibt kaum noch besondere Momente in denen wir uns unsere Liebe zeigen, wobei Zeile 3 und 4 auch die sexuelle Seite anklingen lassen).

"Wenn nicht bald eine Springflut kommt
werden sich hier
keine Austernfischerpärchen ansiedeln
uns zeigen
wie man erfolgreich brütet"
(Diese Thematik wird im 2. Vers weitergeführt, in der Hoffnung ein körperliches Wiederentdecken und vielleicht sogar ein gemeinsames Kind könnte Nähe und (Familien)Sinn in die Beziehung bringen).

LG
Manfred

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 30.10.2006, 15:27

Natürlich könnte man durch das weglassen von Liebe noch auf eine Beziehung schließen, aber auf Liebe?

Es käme mir dann doch sehr agraisch vor und somit reduziert, was mich nicht unbedingt auf den Kernpunkt bringen würde.

Vielleicht könnte man die Worte Liebe, Leben, etc. noch durch andere Metaphern ersetzen. Vielleicht ist es das, was hier eigentlich gemeint ist.

Shalom

Moshe

Perry

Beitragvon Perry » 30.10.2006, 15:35

Hallo Moshe,
danke für deine Meinung, die mir eine weitere Möglichkeit eröffnet.
LG
Manfred

Niko

Beitragvon Niko » 30.10.2006, 15:37

na, ich denke, moshe, wenn von austerfischerPÄRCHEN und von erfolgreichem brüten die rede ist, so lässt es kaum andere schlüsse zu. ich würde es auch als fatal ansehen, jetzt nach irgendeiner metapher zu wurschteln, die das wort "Liebe" und "Leben" ersetzen soll. das würde das gedicht absolut überladen. es braucht nach meinem ermessen keine zusätzlichen metaphern. steht alles im gedicht. auch und besser ohne die besagten beiden worte.

wenn ich das mal einfach so sagen darf, perry: trau dich ruhig. der leser wird´s schon herausfinden und herausfühlen! mach einfach mal den versuch bei einem weiteren gedicht. und wenn du es einstellst, wirst du erkennen, dass die leser schon ziemlich gut erkennen, in welche richtung du den text meinst.

lieben gruß: Niko

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 30.10.2006, 16:04

Sorry Niko,
ich kann dir hier überhaupt nicht folgen:

1. Wieso andere Methapern zwangläufig überladen müßen, kann ich nicht sehen und zum 'Wurschteln' besteht auch kein Anlaß.

2. 'Unsere Salzwiesen' ergeben für mich keine Liebesbeziehung, sondern etwas versalzenes, was auch schlicht der Lebensunterhalt sein kann, oder eine total abgestorbene Beziehung, die nur noch ums Überleben im Ökonomischen kämpft.

3. Wieso aus brütenden Austernfischerpärchen auf menschliche LIebe geschloßen werden sollte, kann ich auch nicht erkennen, zumal es nicht am Anfang steht, was hier aber wichtig zu sein scheint, um den Bezug überhaupt zu setzten.
Brüten, auch von Vogelpärchen, ist für mich keine Liebe, jedenfalls nicht ohne den von Perry gesetzten Bezug.

Schlicht: Deinen Vorschlag lese ich ganz anders, als das Gedicht von Perry.

Shalom

Moshe

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 30.10.2006, 17:43

Lieber Perry,

pans Vorschlag finde ich erstaunlich...als ich das Gedicht las, ruckelte es trotz gelungener Bilder "irgendwie" - ich dachte an eine Veränderung der Setzung, aber als ich pandora las, da wusste ich, was das "Problem" war...daher fände ich es ihr entsprechend so wirklich viel viel stärker:

"Agrarisch" wird der Text dadurch in keinem Fall für mich - dass es sich in dem Gedicht um eine Metapher handelt, schließt dies aus. Und dass es sich um Liebe und fruchtbarkeit der Liebe (im doppelten Sinn) handelt, ist auch für mich ganz klar...Niko hat die Konnotationen ja angeführt...auch von mir daher ein klares Ja zur Verkürzung, vielleicht so?:


Austernfischer

In unserer Salzwiese
wächst das Gras nur spärlich.
Viel zu selten schwemmt
nahrhaften Schlick
in das Land zwischen den Dünen

Wenn nicht bald
eine Springflut kommt
wird sich hier kein
Austernfischerpärchen ansiedeln
uns zeigen
wie man erfolgreich brütet


wobei das erfolgreich brütet für mich noch poetischer ausgedrückt werden könnte...

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Niko

Beitragvon Niko » 30.10.2006, 18:59

wobei es auch nicht ganz unsinnig wäre, das "uns" der vorletzten zeile in ein "und" zu wandeln. ich kann mich da grammatikalisch nicht korrekt formulieren aber die verneinung der letzten sequenz ist keine im kontext zur vorangegangenen, wenn man das "uns" lässt. mit dem und aber schließt es die verneinung mit ein. "uns" halte ich eh für nicht zwingend erforderlich an dieser stelle.

lieben gruß: Niko

Max

Beitragvon Max » 30.10.2006, 20:06

Lieber Manfred,

Pan hat ganz recht. Ich denke besipielsweise, dass "salzwiese" ohne jede Erklärung ein erstaunlich starkes Bild ist, dass es aber durch Erklärungen verliert. Vermutlich ist das ein ganz allgemeines Phänomen: poetische Bilder sind da wie Witze, die wirken auch nicht, wenn man sie erklärt (oder wann hast Du zuletzt über einen Witz, den man Dir erklären musste, gelacht?).

Liebe grüße
max


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