Neumond

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 23.10.2006, 21:37

Kein Mauersegler kreist.
Wer hat die Vögel
vom Himmel gewischt?
Die Straßen sind verwaist.

Bei Neumond, in der schwarzen Nacht,
denke ich an Dich, doch nur dann.


Die Schwalben fehlen.
Warum sind Wolken
taubengrau
wie längst vergessene Stelen?

Wenn kein Stern am Himmel leuchtet,
erinnere ich mich, doch nur dann.


Der Regen sollte grün sein,
ganz wie Dein letzter Blick,
der mir so deutlich sagte:
"Ich komm' nicht mehr zurück."

Es ist Neumond, schwarze Nacht,
und niemand fragt mich
nach meiner Totenwacht.

maxl

Beitragvon maxl » 23.10.2006, 23:09

Hallo Paul Ost,

Meinen Respekt. Find ich echt gut. Sehr dramatisches Gedicht.

lg
maxl

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leonie
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Beitragvon leonie » 23.10.2006, 23:11

Lieber Paul Ost,

sehr wehmütig, schöne, ungewohnte Bilder: „ wer hat die Vögel vom Himmel gewischt“, gefällt mir besonders. Und der Regen, der grün sein sollte.
Natürlich habe ich ein paar sprachlich Anmerkungen: Ich glaube, Du könntest das Gedicht sprachmelodisch noch stärken, indem Du die beiden „doch“ und das „mich“ in der letzten Strophe weglässt.

Liebe Grüße
leonie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.10.2006, 01:09

Lieber Paul,

ui, das geht rein, vor allem, wenn man es laut liest. Da ist viel Schmerz in deinen Zeilen, ohne pathetisch zu werden. Es liest sich so, als ob das LI sich selbst zurechtweist, einerseits trauert, aber sich trotzig sagt: doch nur dann,
es kämpft mit sich selbst. Deshalb finde ich die "doch nur dann" gerade sehr wichtig und würde sie drin lassen.
Sehr gelungen!
Saludos
Gabriella

Gast

Beitragvon Gast » 24.10.2006, 11:51

Lieber Paul Ost,

ich traue mich, obwohl du bereits mit Lob überschüttet bist, etwas Negatives zu äußern.

Der letzte Vers klingt für mich platt.
Du hast das Wort Totenwache bemüht und reimgerecht zurechtgestutzt.
Das gibt dem Gedicht für meinen Geschmack etwas Triviales.

Man könnte auch so weit gehen und die immer wiederkehrende Beschreibungen einer vergangenen Liebe, in deinen Texten, in der das Lyrich augenscheinlich in seiner Trauer verharrt, hätten ohnehin etwas Triviales, aber so weit möchte ich nicht gehen.
Für mich könnte das Gedicht ohne die kursiv gesetzten Teile auskommen und wäre für mich dann ein sehr starkes Gedicht ohne Sentimentalität.

Kein Mauersegler kreist.
Wer hat die Vögel
vom Himmel gewischt?
Die Straßen sind verwaist.

Die Schwalben fehlen.
Warum sind Wolken
taubengrau
wie längst vergessene Stelen?

Der Regen sollte grün sein,
ganz wie Dein letzter Blick,
der mir so deutlich sagte:
"Ich komm' nicht mehr zurück."

Nach Begreifen dieses Schlussatzes wäre das Lyirch allerdings auch gezwungen, Konsequenzen zu ziehen, die es vielleicht gar nicht ziehen möchte, weil die trauernde Erinnerung ja so schön ist...
Also weiter verharren?

Zugegeben, das war jetzt keine auschließlich auf den Text bezogenen Kritik.
Aber so sprechen inzwischen einige deiner Texte zu mir.
Ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel.

Liebe Grüße
Gerda

Mucki
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Beitragvon Mucki » 24.10.2006, 13:34

Lieber Paul,

ich glaube, du solltest dieses Gedicht in der Hörbar mal lesen.

Da du, wie ich doch sehr stark vermute, gerade die kursiv geschriebenen Zeilen ganz anders betonen würdest als die anderen, weil sich in den kursiven Zeilen ja die innere Dramatik des LI ausdrückt, das, was ich in meinem posting oben erwähne.
Saludos
Gabriella

scarlett

Beitragvon scarlett » 24.10.2006, 13:54

Lieber Paul,

ein starkes Gedicht, dessen Melancholie, nein Wehmut ich mich nur schwer entziehen kann. Es übt durch die z T recht ungewöhnlichen, schönen Bilder eine starke Wirkung aus.

Allerdings - ein wenig muß ich Gerda beipflichten - es wirkt noch mehr ohne die kursiv gesetzten Zeilen.
Ich denke mal aber, daß du darauf wohl nicht verzichten kannst..

Ich werde es noch einige Male lesen - und dabei versuchen herauszufinden (für mich!), ob sie inhaltlich denn wiklich nötig sind.

Sehr gern gelesen,

scarlett

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 24.10.2006, 14:31

Hallo zusammen,

so viele Kommentare? Das ist ja überraschend. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Komischerweise ist keiner von euch darauf gekommen, dass hier zwei Personen sprechen. Beide sprechen auch zu unterschiedlichen Zeiten.

@ Gerda,

Deine Kritik kann ich so akzeptieren. Du bewegst Dich damit im modernen Liebesdiskurs: Wir lieben uns zwar ganz und gar, aber nur für den Augenblick. Bei gescheiterten Beziehungen darf man ein bisschen trauern, dann etwas Schokolade essen und so nach zwei bis drei Wochen hat man einen neuen Partner, der einen den alten vergessen lässt. Das ist es, was ich trivial finde. Es ist trivial, weil wir alle es leben. Als Person will ich mich da gar nicht ausnehmen.

In meinen Texten beschreibe ich etwas anderes. Sie hängen zusammen, eben auch inhaltlich. In ihnen wage ich gelegentlich auch einmal einen Reim. Sonst traue ich mich das kaum.

Ich will aber auch noch einen kleinen Tipp geben: Es geht hier um einen Selbstmord, der schon geschehen ist. Die beiden Stimmen sprechen auf zwei Zeitstufen. Wenn Person B spricht, ist Person A schon längst tot. Daher ja auch die Totenwache.

@ Gabriella, das ist auch der Grund, warum ich dieses Gedicht mit zwei Stimmen lesen müsste.

Grüße

Paul Ost

P.S.: Liebe Leonie, die kursiv geschriebenen Zeilen musst Du Dir geflüstert vorstellen. Person B will eigentlich gar nicht an Person A denken. (So ein Selbstmord ist ja eine narzisstische Tat - wie bei Huck Finn der vorgetäuschte Tod -, aber sie kann sich dem Erinnern nicht ganz entziehen). Die wiederkehrende Forumlierung soll an einen Zauberspruch oder einen Bannspruch erinnern.

Gast

Beitragvon Gast » 24.10.2006, 15:06

Hallo Paul Ost,

erst einmal vielen Dank, für die Erläuterungen, unter diesem Aspekt, werde ich deinen Text gern noch einmal, dann wohl anders lesen.

Paul Ost hat geschrieben:
Komischerweise ist keiner von euch darauf gekommen, dass hier zwei Personen sprechen. Beide sprechen auch zu unterschiedlichen Zeiten.

@ Gerda,

Deine Kritik kann ich so akzeptieren. Du bewegst Dich damit im modernen Liebesdiskurs: Wir lieben uns zwar ganz und gar, aber nur für den Augenblick. Bei gescheiterten Beziehungen darf man ein bisschen trauern, dann etwas Schokolade essen und so nach zwei bis drei Wochen hat man einen neuen Partner, der einen den alten vergessen lässt. Das ist es, was ich trivial finde. Es ist trivial, weil wir alle es leben. Als Person will ich mich da gar nicht ausnehmen.

In meinen Texten beschreibe ich etwas anderes. Sie hängen zusammen, eben auch inhaltlich. In ihnen wage ich gelegentlich auch einmal einen Reim. Sonst traue ich mich das kaum.

Ich will aber auch noch einen kleinen Tipp geben: Es geht hier um einen Selbstmord, der schon geschehen ist. Die beiden Stimmen sprechen auf zwei Zeitstufen. Wenn Person B spricht, ist Person A schon längst tot. Daher ja auch die Totenwache.


Was die Trivialität angeht, so habe ich nicht behauptet, dass Trauer über den Verlust einer Liebe an sich trivial ist.
Ich lebe seit 6 Jahren allein... Ich lebe nicht nach dem Liebesdiskurs: Kaputt/ Neu.
Ich wiederhole hier noch einmal was ich geschrieben habe:

Der letzte Vers klingt für mich platt.
Du hast das Wort Totenwache bemüht und reimgerecht zurechtgestutzt.
Das gibt dem Gedicht für meinen Geschmack etwas Triviales.

Man könnte auch so weit gehen und die immer wiederkehrende Beschreibungen einer vergangenen Liebe, in deinen Texten, in der das Lyrich augenscheinlich in seiner Trauer verharrt, hätten ohnehin etwas Triviales, aber so weit möchte ich nicht gehen.


Ich habe ja nicht vom Leben und Lieben an sich geschrieben, sondern eben doch zum Text.;-)
Nicht die Trauer an sich ist trivial, s. o. aber wiederkehrende Beschreibungen können diesen Charakter für andere (hier mich als Leserin) annehmen.
Dass deine Texte inhaltlich zusammenhängen wundert mich nicht, nur dass man es erkennen kann... erkennen soll? Das weiß ich nicht.
Ich habe reihenweise zusammenhängende Texte, die ich nicht im Zusammenhang einstellen werde, weil jeder auch für sich (nach meinem Dafürhalten) allein stehen können muss.
Das ist eher gewöhnlich, das wird bei recht vielen Schreibenden so sein, aber dass man es herauslesen kann/soll das macht den Unterschied.
Aber wie gesagt, ich werde dein Gedicht erneut lesen und schauen.
Jetzt nachdem ich weiß, wie schwer der Inhalt wiegt, ob das Gedicht diesen trägt. Auf die Idee wäre ich nicht gekommen.

Liebe Grüße
Gerda

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Beitragvon leonie » 24.10.2006, 18:14

Lieber Paul Ost,

ich bin nur dafür, drei Worte zu streichen, aus jedem kursiv gedruckten eins, weil für mein Ohr die Sprachmelodie dann besser rauskommt und die Strophen noch stärker wirken.
Ich meinte nicht, dass Du mehr streichen solltest.

Liebe Grüße

leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 24.10.2006, 18:30

Liebe Leonie,

ich habe Deinen Vorschlag schon verstanden. Aber schau Dir die drei Stellen einmal an:

"denk ich an Dich, doch nur dann."

Das doch bedeutet hier (als Plosivlaut?) eine sprachliche Grenze, die es ja auch semantisch markiert.

Dasselbe gilt für die Stelle: "erinnere ich mich, doch nur dann."

Im dritten Kursivteil ist eine solche "Unterbrechung" zwischen "mich" und "nach" nicht zu erkennen. Ließe ich das "mich" weg, hätte ich am Ende des "fragt" einen knallharten Auslaut...

Verstehst Du, was ich meine?

@ Liebe Gerda,

ich arbeite mich eben mit meinem Schreiben an einem Gefühlskomplex ab. Dieses Gefühl bleibt bestehen, so wie es ist. Alle Versuche, es in Worte zu fassen, lassen sich letztlich auf ein recht triviales Gefühlsnetz reduzieren. Das ist wohl so.

Grüße

Paul Ost
Zuletzt geändert von Paul Ost am 24.10.2006, 20:22, insgesamt 2-mal geändert.

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Beitragvon leonie » 24.10.2006, 18:40

Lieber Paul Ost,

Nein, das habe ich jetzt nicht verstanden, obwohl ich es dreimal gelesen habe...

Ich hatte einfach den Eindruck, ohne diese drei Worte klingt es stärker...Aber wenn es so sein soll, dann soll es so sein.

Hm, trivial finde ich an Deinen Texten bisher wenig, mich stört die Ähnlichkeit des Themas auch nicht, ich finde, Du bearbeitest es sehr vielfältig. Und ob es letztlich Rückschlüsse auf Dich als Menschen und Deine Gefühlswelt zulässt, ist zum einen die Frage und zum zweiten, sobald sich das Gedicht selbständig macht auch zweitrangig (wobei ich Dir persönlich natürlich alles Gute und eine erfüllte Beziehung wünsche, das wollte ich jetzt damit nicht sagen). Sondern nur: Für mcih ruhig mehr von Deinen Texten!

Liebe Grüße
leonie

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.10.2006, 10:08

Lieber Paul,

ach hier sind also die Mauersegler hingezogen, in dein Gedicht! :-)...Ja, ich glaube, da sind sie sehr gut aufgeoben und werden eine ganze Weile bleiben (deine Beschreibung dieser Vögel hat sie allerdings sehr beliebt bei mir gemacht).

Ein bisschen ist das gedicht ja "inter"...nicht nr wegen der Vögel...auch wegen der Reime, oder gab es da sschon vorher? Auf jeden fall find ich es spannend, dass du ein gereimtes Gedicht geschrieben hast, das hätte ich nicht von dir erwartet!
Ich arbeite mich eben mit meinem Schreiben an einem Gefühlskomplex ab. Dieses Gefühl bleibt bestehen, so wie es ist. Alle Versuche, es in Worte zu fassen, lassen sich letztlich auf ein recht triviales Gefühlsnetz reduzieren. Das ist wohl so.


Darf ich mich da bitte mit einreihen - :-)

Bei den Reimen bist du einmal uneinheitlich - egal?

bei den nichtkursiven Strophe 1 und 2 reimen sich immer vers 1 und 4, bei Strophe 3 nichtkursiv höchstens versverschoben 2/4 unrein?

Mit dem Regen fällst du mir etwas aus dem Bild. Nur etwas, ich weiß...der Himmel ist bewölkt (taubengrau /keine Sterne)...trotzdem...dann noch: grüner Regen, sowohl Regen bei Tod (Totenwachen) als auch grün für Hoffnung ist mir etwas zu gebräuchlich...die ganze Strophe fällt für mich bezüglich der Sprache der Kraft aus dem Gedicht heraus...

Am Ende kann ich dann Gerdas Kritik auch etwas teilen, ich glaube aber nicht, dass es an dem Wort Totenwacht liegt, sondern an der Wortstellung in der Strophe, sie klingt minimal bemüht...vielleicht kann man ein bisschen umstellen:

Es ist Neumond, schwarze Nacht,
niemand fragt
ich halte Totenwacht.

oder

Es ist Neumond, schwarze Nacht,
und niemand fragt
ich halte Totenwacht.

oder


Es ist Neumond, schwarze Nacht,
niemand fragt mich
Totenwacht

oder

Es ist Neumond, schwarze Nacht,
niemand fragt, ich
halte Totenwacht.

etc Punkt pp xx :-)

Dass das Gedicht konkret auf Selbstmord - Totenwache zu lesne ist, hätte ich ohne deine Erläuterungen wohl auch nicht hinbekommen. Das hängt zum einen mit dem Gewohnheitstier Leser zusammen, der deinen (als ich besonders :mrgreen: ) Kontext schon etwas abgesteckt hat...zum anderen wird eine Totenwache heutzutage wohl schnell symbolisch gelesen.

Obwohl ich viel herum gekrittelt habe, habe ich den text natürlich serh gern gelesen...ich mag den Aufbau, die Stimmung und den Auftakt (und das macht ja schon fast alles aus).

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 25.10.2006, 21:44

Lieber Paul,

das Gedicht enthält Zeilen von großer Kraft, z.B. gefällt mir der Beginn

Kein Mauersegler kreist.
Wer hat die Vögel
vom Himmel gewischt?


in dem ja auch die Mauersegler, die in Lisas Gedicht geschwebt sind, wieder auftauchen.

Allerdings werde ich stellenweise mit dem Reim nicht glücklich - er scheint mir Bilder zu erzwingen, die zumindest mir im Kontext des Gedichtes fremd erscheinen. Am deutlichsten ist mir dies bei:

Die Schwalben fehlen.
...
....
wie längst vergessene Stelen?


Hm .. nun habe ich das wesentliche "weggepunktet" Sei's drum. Das Bild Wolken wie Stelen scheint mir zumindest gewagt. Auch die dritte Strophe scheint mir durch den Reim profaner zu klingen als sie ist. Dabei habe ich (in dem Fall mal) gar nichts gegen den Reim an sich - nur mit der Umsetzung werde ich nicht so recht warm.

Liebe Grüße
max


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