Tierischer Tagesanbruch

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Herby

Beitragvon Herby » 12.10.2006, 18:14

Tierischer Tagesanbruch

Der Tag ist jung, die Sonne lacht,
ich sitz in S-Bahn Drei Null Acht.
’Ne Frau steigt zu mit einem Hund,
der, so wie sie, recht klein und rund.

Zu meiner Linken ist noch Platz,
sie flötet: „Mach schön Sitz, mein Schatz!“
Das Tier gehorcht und schaut bewegend,
wenn auch leicht dämlich in die Gegend,
bevor es sich, ich bin entzückt,
brav unter Frauchens Rock verdrückt.

Die Fahrt geht weiter. Aus der Höhle
ertönt Gewinsel von der Töle,
denn es ist warm im S-Bahnwagen.
Dem Hund wird blümerant im Magen.
Schon hör’ ich, wenn ich mich nicht täusche,
von unten würgende Geräusche
und plötzlich wabern durch die Lüfte
befremdlich säuerliche Düfte.

Ich will jetzt über Einzelheiten
das Mäntelchen des Schweigens breiten.
Doch sei, das ist nicht zu gewagt,
zum Schluss jetzt nur noch dies gesagt:

So hat das arme Hundetier,
zum Glück entfernt genug von mir,
dezent und unsichtbar verkrochen,
den schönen Herbsttag angebrochen.

rya

Beitragvon rya » 12.10.2006, 18:23

Hallo Herby.

Das ist klasse.Und spiegelt nebenbei so manches "Ich habe kein Auto/und fahr deshalb mit dem ÖPN
Erlebnis von mir wieder.
Habe sehr gelacht.
Allerdings würde (nach meinem Geschmack) sich die erste Strophe so runder anhören:

Der Tag ist jung,die Sonne lacht,
ich sitz in S-Bahn Drei Null Acht.
'Ne Frau steigt zu mit einem Hund,
Der ist wie sie,ganz klein und rund.

Mein ja nur...

Gruss,Frank.


PS.
Hast du nicht was vergessen :bumper: ?

rya

Beitragvon rya » 12.10.2006, 18:24

oder "nem" Hund?
oder geht das gar nicht? :laune0009:

Gast

Beitragvon Gast » 12.10.2006, 19:59

Hallo Herby,

herzlich gelacht habe ich bei deinen Zeilen, habe die kleine, runde Frau und ihren Schmusehund direkt vor mir gesehen.

Ich würde die letzte Zeile der ersten Strophe lassen, wie sie ist. Klingt so schön nach Wilhelm Busch.

Liebe Grüße
Uta

Mucki
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Beitragvon Mucki » 12.10.2006, 21:04

:lachen0023:

klasse, Herby!
amüsierte Gabriella
P.S. Ich stimme Uta zu, es hat wirklich etwas von Wilhelm Busch ;-)

rya

Beitragvon rya » 12.10.2006, 21:41

Hmmmmm


rya

Herby

Beitragvon Herby » 12.10.2006, 23:04

Hallo Ihr Lieben,

es ist schön zu wissen, dass meine Verse Euch zum Schmunzeln oder auch Lachen gebracht haben! Die Begegnung mit dieser leidenden Kreatur beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit vor einigen Wochen.

@Frank
Was Deinen Verbesserungsvorschlag angeht, der klingt nicht schlecht und ich werde drüber nachdenken. Aber Danke schon mal für deinen konstruktiven Vorschlag!

Dein PS ist mir dagegen noch ein absolutes Mysterium. Hab ich was vergessen …???
Grübel … :confused:

@Uta und Gabriella
Die von Euch angemerkte Ähnlichkeit zu Willi Busch hat mich wirklich überrascht. Ich weiß mich nämlich gar nicht mehr zu erinnern, wann ich ihn das letzte Mal gelesen habe. Wenn ich drüber nachdenke, das muss ja ewig und drei Tage her sein. Vielleicht aber ein Grund mehr, ihn mal wieder auszubuddeln. :book3:

Euch allen danke ich jedenfalls sehr herzlich fürs Lesen und Kommentieren!
Liebe Grüße
Herby

aram
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Beitragvon aram » 13.10.2006, 03:48

hallo herby,

das finde ich sehr komisch, gut beschrieben und äußerst witzig.

außerdem ist der text lebendig gereimt, hat mit "das ist nicht zu gewagt" nur eine leerformel/ füllzeile - ansonsten trägt alles aussage, nur "bewegend" würde ohne reimzwang vermutlich doch "bewegt" heißen.

vor allem in der mitelstrophe überzeugt mich die genaue darstellung und ausführliche steigerung - zusammen mit der wirklich lakonisch - ironischen schlusspointe klasse.

s1 z3 könnte man auch als "eine frau steigt zu mit hund" schreiben.

ein vergnügter, ironischer text, gefällt mir sehr!

aram
there is a crack in everything, that's how the light gets in
l. cohen

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 13.10.2006, 11:32

Hallo Herby,

einfach nur zum Schmunzeln. :a020: Auch ich musste an Altmeister Busch denken. Hätte er in der S-Bahn gesessen, er hätte kaum etwas anderes geschrieben.

Liebe Grüße
Marlene

Eliane

Beitragvon Eliane » 13.10.2006, 20:04

Hallo Herby,

der gute alte Busch hat wohl seine Spuren unauffällig hinterlassen, ich kenne das ;-)

Das Leben schreibt halt immer noch die besten Storys, d.h. wenn sie so schön formuliert werden wie hier!

lG,

Eliane

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 14.10.2006, 11:31

Lieber Herby,

also...dieser AnBRUCH, ja...der ist einfach nur..hm..nein , köstlich will ich mal nicht sagen. Ich hab auch serh gelacht...arams Hinweise davon ab, find ich sehr gut....

...........ohman, ja, sowas kann man nur in der Straßenbahn in Bochum erleben :totlach:

Liebe Grüße und danke, dass du mir den Morgen erheitert hast!
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 14.10.2006, 11:57

Lieber Herby,

auch ich musste sehr lachen über Dein schönes Gedicht.

Eine soziokulturelle Frage. Als ich noch in der Kohlenstraße wohnte, da nannte man Straßenbahnen Straßenbahnen. Eine S-Bahn dagegen war eine Schnellbahn, die Städte miteinander verband, so wie die heimliche Hauptschlagader des Ruhrgebiets, die S1. Hat sich das geändert?

In Berlin nämlich sagen die Leute tatsächlich S-Bahn zu ihren Straßenbahnen. Das hat mich immer völlig verstört.

Verwirrte Grüße

Paul Ost

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leonie
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Beitragvon leonie » 14.10.2006, 12:13

Hallo Herby,

Hahahahahahahahaha.......
Echt köstlich, vor allem der angebrochene Herbsttag!!! Aber auch der Rest, man kann das Ganze als kleinen Film vor sich ablaufen sehen!!!

Liebe Grüße
leonie

Gast

Beitragvon Gast » 14.10.2006, 12:39

... jetzt, will ich endlich Beifall klatschen Bild

Lieber Herby,
du hast ein urkomisches Gedicht geschrieben.
Besonders den Schluss, denn ich mag diese Wortspiele wenn Wortsinn, sprich - und wortwörtlich verdreht gebraucht wird, finde ich sehr gelungen.

Dieses Gedicht hat einen schön ausgearbeiteten Spannungsbogen an dem du mich als Leserin wunderbar entlang führst.

Danke.

Liebe Grüße
Gerda


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