Wiedersehen - Weimar I

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 25.03.2006, 17:57

Wiedersehen - Weimar I (Neue Version)

Als wir uns gegenüberstanden,
Schillerstraße, wieder Weihnachtsmarkt,
und es waren nur neun Jahre vergangen,
da blieb mir,
ich weiß nicht, warum,
das Wort im Halse stecken.

Du musstest lachen.
Wahrscheinlich,
weil ich zu blöd aussah:
Von Niederlagen zum Cartoon
gestutzt und meine Jacke ziemlich
abgenutzt; ein Paarreim, dessen
zweite Hälfte fehlt.

Albern wäre wohl das Wort gewesen,
das du gewählt,
um dieses Wiedersehen zu beschreiben,
doch gesprochen wurde nicht.

Wie ein Irrtum, den Gott,
der Zufall oder sonst ein Schicksal
nicht verhindern konnte,
stand plötzlich unsere alte Liebe
zwischen uns.
Doch nur für einen Augenblick.
Dann lief sie Richtung Frauenplan
und ward nicht mehr gesehen.

Wiedersehen - Weimar I (alte Version)

Als wir uns gegenüberstanden,
Schillerstraße,
Wieder Weihnachtsmarkt,
und es waren nur neun
Jahre vergangen,
da blieb mir, ich weiß nicht,
warum,
das Wort im Halse stecken.

Du musstest lachen, wahrscheinlich,
weil ich zu blöd aussah,
von Niederlagen zum Cartoon
gestutzt und meine Jacke ziemlich
abgenutzt, ein Paarreim, dessen
zweite Hälfte fehlt.

Albern wäre wohl das Wort gewesen,
das du gewählt,
um dieses Wiedersehen zu beschreiben,
doch gesprochen wurde nicht.

Wie ein Irrtum, den Gott,
der Zufall oder sonst ein
Schicksal nicht verhindern
konnte, stand plötzlich
unsere alte Liebe zwischen
uns.
Doch nur für einen Augenblick,
dann lief sie Richtung
Frauenplan und ward nicht mehr gesehen.
Zuletzt geändert von Paul Ost am 04.03.2007, 16:27, insgesamt 2-mal geändert.

Gast

Beitragvon Gast » 22.09.2006, 00:00

Lieber Paul,

das ist eine schöne Momentaufnahme. Sieht das Lyrich eine Person oder trifft es eine personifizierte Schillerstraße (der Gedanke gefällt mir)? Dazu würde auch passen, dass diese über das Lyrich lacht, irgendwie :-). Das "Verkommen" des Prots zum Cartoon ist ein Bild, das mir gut gefällt und auch den halbierten Paarreim find ich klasse!

Einzig mit der Zeile "das du gewählt" kann ich mich überhaupt nicht anfreunden, denn sie klingt gezwungen, von hinten durchs Schlüsselloch. Was spricht dagegen, ein "hättest" anzufügen? Dann wäre meine Welt wieder in Ordnung ;-).

Auch die personifizierte Liebe finde ich richtig gut, die sich kurz aufdrängt, in Erinnerung bringt und dann davon stakt.

Für mich ist einfach ein gelungener Text.

LG

Bea

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 22.09.2006, 15:05

Liebe Beatrix,

schön, dass Du mein liebstes Gedicht entdeckt hast. Es beschreibt die Situation, die mich im Dezember letzten Jahres dazu gebracht, Gedichte zu schreiben.

Ich war beruflich in Weimar. Wollte aber gar nicht dort hin. Allerdings konnte ich die Reise nicht verhindern. Prompt lief mir meine Ex-Freundin über den Weg. Unser Beziehung war zwei Jahre zuvor gescheitert. Ein Jahr lang hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen.

Die Schillerstraße ist einfach eine zentrale Straße in Weimar. Dort gibt es im Winter einen Weihnachtsmarkt.

Das "Albern wäre wohl das Wort gewesen" nimmt Miriams Sprachduktus auf den Arm. Das kann man natürlich als unbefangener Leser nicht wissen. Aber ein bisschen Spaß muss ich auch noch haben.

Am Frauenplan (einem Platz) steht das Goethehaus. Die Liebe flüchtet also ins Reich der Poesie. Genau das hatte ich auch vor, als ich merkte, dass ich über die Trennung längst nicht hinweg war. Mittlerweile musste ich aber einsehen, das Schreiben auch nicht dagegen hilft.

Die abgenutzte Jacke ist mir ebenfalls wichtig. Als running gag könnte ich fast sagen, eine Frau muss sich nur von mir trennen, dann macht sie auch Karriere. Für mich geht der Zug in die andere Richtung.

Das ist wohl auch der implizite Vorwurf an das lyrische Du. In guten Zeiten waren wir zusammen. In schlechten Zeiten lässt Du mich fallen und findest es auch noch witzig, wenn ich wie ein Depp dastehe.

Danke für Deinen Kommentar

Grüße

Paul Ost

Max

Beitragvon Max » 22.09.2006, 16:34

Lieber Paul,

wie gut, dass Bea dieses Gedicht wiederaufgetaut hat. Lustigerweise habe ich mich nie gefragt, wo den Weimar I ist, obschon ich den restlichen Weimarzyklus mit großer Spannung gelesen habe. Das Lakonische an Deinem Vortrag mag ich sehr. Außerdem gelingen Dir ein paar sehr originelle Bilder (der Paarreim, dessen zweite Hälfte fehlt hat mir gefallen).

Ich kann Beas Probleme mit

Albern wäre wohl das Wort gewesen,
das du gewählt,


Verstehen, weil hier klar wird, dass das lyr. Du nicht bloß Beschreibungszwecken dient, sondern dass das ganze Gedicht eer an das lyr. Du gerichtet ist als an den Leser.

Sehr gern gelesen - ich weiß, das hätte ich schon früher haben können.
Liebe Grüße
Max

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 29.09.2006, 10:53

Lieber Paul,
du hast ja schon mal in der HörBar erwähnt, dass dieser text hier dein liebster ist, von den Weimartexten. Meinst du denn, du könntest ihn dann einmal lesen? Oder ist das unmöglich. Besonders die Zeilen zu Miriams Sprachduktus und ihre Betonung würde mich sehr interessieren...aber vielleicht geht das ja gar nicht.

Einige Fragezeichen tun sich mir bei der Setzung auf, warum manche Worte so deutlich abgesetzt - falls das auf Betonung hinausläuft (ich habe da zur zeit scheimbar ein (über?)empfindliches Auge, ist das für mich ein zu starkes Mittel, das nicht wirken kann...meine Lesart wäre eher in etwa ~~~...:

Als wir uns gegenüberstanden,
Schillerstraße, wieder Weihnachtsmarkt,
und es waren nur neun Jahre vergangen,
da blieb mir, ich weiß nicht, warum,
das Wort im Halse stecken.

Du musstest lachen, wahrscheinlich,
weil ich zu blöd aussah,
von Niederlagen zum Cartoon gestutzt
und meine Jacke ziemlich abgenutzt,
ein Paarreim, dessen zweite Hälfte fehlt.

Albern wäre wohl das Wort gewesen,
das du gewählt (hättest*),
um dieses Wiedersehen zu beschreiben,
doch gesprochen wurde nicht.

Wie ein Irrtum, den Gott, der Zufall
oder sonst ein Schicksal nicht verhindern konnte,
stand plötzlich unsere alte Liebe zwischen uns.

Doch nur für einen Augenblick,
dann lief sie Richtung Frauenplan
und ward nicht mehr gesehen.


*da sonst auch ausformuliert

ich mag diesen Text auch, wenn auch, da die Handlung vielleicht deutlicher 1:1 persönlich hier am stärksten noch der Schmerz auf beobachtende Art beschrieben wird....

Das hier:
Am Frauenplan (einem Platz) steht das Goethehaus. Die Liebe flüchtet also ins Reich der Poesie. Genau das hatte ich auch vor, als ich merkte, dass ich über die Trennung längst nicht hinweg war. Mittlerweile musste ich aber einsehen, das Schreiben auch nicht dagegen hilft.


mag ich sehr....



Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 29.09.2006, 14:17

Liebe Lisa,

ich will mal schauen, was sich machen lässt. Wahrscheinlich sind wir, was unsere Lesart angeht, gar nicht so weit voneinander entfernt.

Setzungen sind kontingent. Mit dieser hier könnte ich leben, glaube ich.

Als wir uns gegenüberstanden,
Schillerstraße,
wieder Weihnachtsmarkt,
und es waren nur neun Jahre vergangen,
da blieb mir,
ich weiß nicht, warum,
das Wort im Halse stecken.

Du musstest lachen,
wahrscheinlich, weil ich zu blöd aussah,
von Niederlagen zum Cartoon gestutzt
und meine Jacke ziemlich abgenutzt,
ein Paarreim, dessen zweite Hälfte fehlt.

Albern wäre wohl das Wort gewesen,
das du gewählt,
um dieses Wiedersehen zu beschreiben,
doch gesprochen wurde nicht.

Wie ein Irrtum,
den Gott, der Zufall
oder sonst ein Schicksal
nicht verhindern konnte,
stand plötzlich
unsere alte Liebe
zwischen uns.

Doch nur für einen Augenblick,
dann lief sie Richtung Frauenplan
und ward nicht mehr gesehen.

Offensichtlich muss ich beim Sprechen / Lesen ein bisschen mehr nachdenken als Du. :smile: Deshalb vielleicht die Brüche?

Danke für Deine Hinweise

Grüße

Paul Ost

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Beitragvon Lisa » 30.09.2006, 16:18

Lieber Paul,

also dieser Satz ist wieder so köstlich von dir:

Offensichtlich muss ich beim Sprechen / Lesen ein bisschen mehr nachdenken als Du. smile Deshalb vielleicht die Brüche?


er ist wahr UND herrlich, wie machst du das?

Habe ich nicht schon einmal gesagt, dass ich bei solch einer Setzung dann die Kommas weglassne würde?
Und hast du nicht schon mal geantwortet, dass du das nicht möchtest? .(ich weiß auch noch den angegebenen Grund ;-))

Da ich meine, so ist es gewesen, führe ich diesen Dialog dann mal im Stillen :lachen0042: .

Es ist gut so wie es ist. Vielleicht ist es dann sogar in deiner ersten Fassung besser, weil es wirklich die Stellen aufzeichnet, an denen du nachdeken musstest....

Liebe Grüße,
Lisa
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Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 02.03.2007, 21:14

Hallo zusammen,

ich hoffe, es nervt nicht, wenn ich mal vorsichtig nachfrage, ob diese neue Setzung eines alten Gedichts vielleicht besser wirkt?

Lisa hat ja damals angemerkt, dass sie mit meinen Zeilenumbrüchen nicht klarkommt. Ich sperrte mich gegen eine Änderung. Wie liest es sich, wenn ihr den Vergleich habt? Was würdet ihr anders machen?

Grüße

Paul

Gast

Beitragvon Gast » 03.03.2007, 02:28

Lieber Paul,

ich habe damals gar nichts zu dem Gedicht gschrieben.
Gut, dann jetzt. Es gefällt mir, wie es auf erzählerische Weise, in lakonischem Ton "daherkommt".
Der "Gag" mit dem Paarreim ist unaufdringlich und deshalb finde ich ihn gelungen.
Mir gefällt die Setzung in der 2. Version bedeutend besser, weil sie meinem Sprachgefühl und dem wie ich das Gedicht lesen, oder besser erzählen würde, entgegen kommt.
Ich glaube auch, dass so die Passagen, die zusammengehören nun enger zusammengerückt sind.
In V.2 würde ich auch noch einmal folg. in eine Zeile "rücken":

Wahrscheinlich, weil ich zu blöd aussah:

Liebe Grüße
Gerda

Max

Beitragvon Max » 03.03.2007, 18:57

Lieber Paul,

die Weimargedichte gehören zu meinen Lieblingsstücken von Dir.

Tatsächlich gefälltmir die neue Setzung besser als die alte, entspricht mehr meiner Lesart. An zweo Stellen lese ich trotzdem anders, nämlich

Von Niederlagen zum Cartoon
gestutzt und meine Jacke ziemlich
abgenutzt; ein Paarreim, dessen



(hier lese ich das "gestutzt" mit in der ersten Zeile, vielleicht könnte man dann auch den Paarreim, dessen zweote Hälfte ja im gedicht nicht fehlt, verstecken)

und

Dann lief sie Richtung
Frauenplan und ward nicht mehr gesehen.


Hier lese ich Frauenplan noch mit in der ersten Zeile ...


Liebe Grüße
max

Gast

Beitragvon Gast » 03.03.2007, 19:29

@ Max & Paul

den Vorschlag:

Max hat geschrieben: vielleicht könnte man dann auch den Paarreim, dessen zweote Hälfte ja im gedicht nicht fehlt, verstecken)


finde ich sehr gut und überlegenswert...
das wie ist nicht einfach...
LGG

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Beitragvon Lisa » 03.03.2007, 23:13

Lieber Paul,
ja, also mir gefällt die neue Setzung sehr.

Was mir noch auffällt (ich schaue jetzt nicht nach, bestimmt widerspricht es meinen früheren Aussagen total):

Ich würde bei diesem Gedicht ausnahmsweise überlegen, ob es ihm nicht gut täte, alle Kommas wegzulassen...(wenn nicht alle, so doch wenigstens das vor dem warum??)
und dann stört mich noch die Ellipse, weil der ganze texte nicht wortkark ist, aber ich erinnere mich dunkel, dass ich das das letzte Mal uch sagte und du sagtest, das muss so :-).

Was mir aber besonders auffällt: Das Gedicht gefällt mir immer noch genauso gut wie damals! (oder noch ein bisschen besser, pssst) :blumen:

Liebe Grüße,
Lisa
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Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Beitragvon Lisa » 03.03.2007, 23:19

ps: Ups, habe gerade nachgesehen @Kommata :icon_redface2: :icon_redface2: :icon_redface2:

(nicht absichtlich!!)

(du siehst aber, es MUSS einfach stimmen :kuchen:
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Max

Beitragvon Max » 03.03.2007, 23:23

Liebe Lisa,

das Weglassen von Kommas und Kommata, selbst Semi- und völligen Kolons und Kolas, sogar Punkten, ob einzeln oder doppelt, scheint mir bei jedem Gedicht überlegenswert

:tiere0051:

Liebe Grüße
max


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