Gedichte im Dunkeln zu lesen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
DasM

Beitragvon DasM » 21.09.2006, 08:09

Gedichte im Dunkeln zu lesen


Alleine,
wenn selbst die
Kerzen kein Licht
mehr geben,
schreibe ich
über meine Liebe
zu Dir.

Verziere die Worte
mit meinen Tränen
und tauche die
Feder tief in
mein dunkel
gewordenes Blut.

Mit jedem Wort
verlier ich einen
Teil meines Lebens,
entferne ich mich
weiter von Dir.

Keine Sonne wird
jemals diese Blätter
bleichen.
Sie liegen in mir,
in dem was von
meiner Seele blieb.

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leonie
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Beitragvon leonie » 21.09.2006, 11:56

Lieber Michael,

Dein Gedicht gefällt mir ganz gut. Ich finde nur, dass Du in Strophe zwei zu tief in die „Kitschkiste“ greifst. Ich denke, das Gedicht würde sehr gewinnen, wenn Du sie streichst. Denn die Stimmung und der Schmerz kommen auch ohne sie gut rüber.

In Strophe vier würde ich vorschlagen
„in dem was
von der Seele blieb“

Viele Grüße
leonie

Trixie

Beitragvon Trixie » 21.09.2006, 22:28

Guten Abend Michael!

Also, ich finde nicht, dass es zu kitschig ist. Man merkt deinen Stil und den ziehst du konsequent durch. Ich kann das Gedicht keinen konkreten Thema zuordnen, man kann es vielseitig lesen und das gefällt mir. Nur eines verstehe ich nicht ganz: In Strophe zwei sind die Tränen wohl etwas negatives, aber dunkel gewordenes Blut? Das ist doch eigentlich nichts negatives oder habe ich da was nicht mitbekommen im Biologie-Unterricht :mrgreen:? Dann finde ich, dass du nach "bleichen" Schluss machen kannst. Ich verstehe, warum die Sonne die Blätter nicht bleichen kann und ich finde das Bild zu abgegriffen von der Seele, das ist dann vielleicht zu sehr Kitsch. Alles in allem für mich ein gelungenes Gedicht!

Lieben Gruß
Trixie

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 21.09.2006, 22:39

Hallo zusammen,

da mich das mit dem dunklen Blut nicht losgelassen hat, habe ich mal in ein Medi-Forum geschaut und dies gefunden:

Es gibt arterielles und venöses Blut. Das arterielle ist mit Sauerstoff gesättigt und hat dadurch eine rote Farbe. Das venöse Blut hat den meisten Sauerstoff schon abgegeben und verändert dann seine Farbe in dunkel rot.
Bei jungen Menschen kann das venöse Blut immer noch rötlich sein. Bei älteren Personen nimmt es dann die dunkle Farbe an.


Kann man also das dunkle Blut als Bild für Verfall ansehen?

Streichen würde ich diese Strophe nicht. Nur, die mit Tränen verzierten Worte wollen mir auch nicht so eingehen. Ich dachte sofort an die Geschichte von dem Dichter, der seine (erdichtete) Liebesbriefsammlung drucken lassen wollte: in Faksimile mit eingedruckten Tränenflecken. Ich empfinde das als abgegriffene Vorstellung, aber vielleicht geht es auch nur mir so. Übrigens wird in meinen Augen alles, was entfernt nach Kitsch riecht, durch den Titel, der mir leicht ironisch anmutet, gebrochen.

lG Zefira
Zuletzt geändert von Zefira am 21.09.2006, 22:44, insgesamt 1-mal geändert.
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Gast

Beitragvon Gast » 21.09.2006, 22:39

Hallo Michael !

Das Gedicht berührt mich. Ich finde es sehr traurig, aber eindringlich geschrieben.

Bei "dunklem Blut" habe ich an zwei Möglichkeiten gedacht: das Blut, das zum Herzen zurückfließt, sauerstoffarm und dunkel. Oder - etwas drastischer - Blut, dass vergossen wurde, das an der Luft dunkel und dick wird.

Abendlichen Gruß
Uta

Trixie

Beitragvon Trixie » 21.09.2006, 22:42

Hallo Zefi und Traveller(in)!

Stimmt, da klingelt was bei mir, danke für die ausführlichen Erklärungen. Ja, dann finde ich es doch wieder gut, wenn es für sauerstoffarm und Verfall steht, weil das gleich nochmal zwei verschiedene Deutungsmöglichkeiten nach sich zieht!

Sauerstoffreiche Grüße
Trixie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.09.2006, 22:56

Ich lese das Gedicht anders. Das Lyrich schreibt einen letzten Liebesbrief (Abschiedsbrief) mit seinem eigenen Blut, das bereits anfängt zu trocknen, dadurch dunkel wird.
Saludos
Magic

Trixie

Beitragvon Trixie » 21.09.2006, 23:04

Oh, ohja, diese Möglichkeit gibt es ja auch noch!! Fantastisch! (Aber dann stimmt doch die letzte Strophe nicht mehr, oder? Wenn der Brief eigentlich gar nicht existiert, sondern nur im LyrIch drin ist? Noch ein Grund, warum ich die letzten beiden Zeilen streichen würde!) Dieses Gedicht begeistert mich immer mehr. Und es berührt mich auch immer mehr...

Grüßchen
Trixie

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 21.09.2006, 23:06

Mir scheint, da steckt dann aber ein Logikfehler drin, liebe Magic. Denn wenn das Blut beim Trocknen dunkel wird, kann der Schreiber nicht seine Feder tief hineintauchen - das tut man doch wohl, ehe man schreibt.

Grüße mit dem Gänsekiel :a045:
Zefira

edit: oder trocknet das Blut schon im Tintenfässchen? Dann muss er schneller schreiben ...
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.09.2006, 23:11

Liebe Trixie,

gerade durch die letzten Zeilen würde es stimmen. Weil das LyrIch tot ist und es somit seine letzte Botschaft an das LyrDu war. Die Liebe nimmt das LyrIch mit sich, in seiner Seele, deshalb kann die Sonne auch die Zeilen nicht mehr bleichen. Es gibt also einerseits den geschriebenen Abschiedsbrief und andererseits die "Erinnerung" daran in der Seele des LyrIchs. So jedenfalls meine Interpretation. Vielleicht lieg ich auch völlig daneben und Michael meint etwas ganz anderes.
Saludos
Magic


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meiner Seele blieb.

Trixie

Beitragvon Trixie » 21.09.2006, 23:13

Ach Magic,

jetzt reicht's aber mal :mrgreen:. Da sind jetzt so viele geöffnete Türen vor mir, dass ich gar nicht mehr weiß, wohin! Du hast recht, das könnte sein. Also die Blätter wieder als Metapher. Wunderbarer Text, wirklich. Bin mal gespannt, ob Michael was dazu zu sagen hat :-)!

Ich sende euch Nachtgrüße mit dem Flugzeug, das gerade über mich hinwegfliegt.

Trixie

Mucki
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Beitragvon Mucki » 21.09.2006, 23:14

Hallo Zefira,

Mir scheint, da steckt dann aber ein Logikfehler drin, liebe Magic. Denn wenn das Blut beim Trocknen dunkel wird, kann der Schreiber nicht seine Feder tief hineintauchen - das tut man doch wohl, ehe man schreibt.


vielleicht geht meine Phantasie mit mir durch, aber ich sehe ein Bild vor mir. Das LyrIch schreibt diesen Abschiedsbrief mit seinem Blut, während das LyrIch noch blutet, verstehst du? Es schreibt mit seinem fließenden Blut, außerdem nicht mit einer Feder, hier denke ich ganz realitätsnah, er schreibt mit seinen Fingern.
Saludos
von der blutrünstigen Magic ;-)

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Zefira
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Beitragvon Zefira » 21.09.2006, 23:22

Jut, verzichten wir auf das Tintenfässchen und lassen wir ihn frisch von der Ader weg schreiben. Aber die Feder steht im Text.

*erbsenzähl*
Zefira
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Beitragvon Mucki » 21.09.2006, 23:28

Feder als Metapher.
Aber warten wir jetzt erstmal, was Michael sagt.
Saludos
Magic


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