Tagebuch - Projektion/15. September 2006

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Antibus

Beitragvon Antibus » 18.09.2006, 08:38

15. September 2006


Sie hat so wenig zu tun
mit mir die Welt da draußen
und hin und wieder sterbe ich

in mir, im hier, dem, was ich dafür halte

lebt auf, was ich gern Freude nennen möchte
im Glauben daran, dass ich mir gehöre
nur weiß ich’s nicht

weg, weg, die Hände
die klamm und kalt mir Haut verbrennen
mir ewige Markierung setzen
fall ich in tränenschweres Nichts

hab wenigstens Gewissheit –


Heute bin ich ich.

(Auszug aus: Tagebuch - Eine Projektion, © Katja Herrmann)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.09.2006, 13:13

Hallo Katja,

erstmal herzlich willkommen hier. :-) Dabei bin ich auch erst seit 7.9. hier *g*

deine Zeilen bewegen mich, weil ich mich in ihnen wiederfinde und jeden einzelnen Satz nachvollziehen kann.
Sich spüren, wenn auch nur kurz, durch die Hände ...
Das Leben, das an einem selbst vorbeizieht, das Gefühl, hin und wieder zu sterben ...
Ist mir alles sehr vertraut.

Dein Gedicht passt sehr gut zum aktuellen Thema "Grenzen/Grenzerfahrungen". Inhaltlich würde ich fast nichts ändern, nur Kleinigkeiten (siehe meinen Vorschlag unten) vielleicht die Zeilen etwas anders setzen und Kommas dazu (oder ganz weglassen, wäre auch eine Möglichkeit) und den Bindestrich weg, man könnte auch alles klein schreiben: schau mal, das wäre meine Idee:

Sie hat so wenig zu tun mit mir
die Welt
da draußen
und hin und wieder
sterbe ich

in mir
im hier
dem, was ich dafür halte,
lebt auf,
was ich gern Freude nennen möchte,
im Glauben daran,
dass ich mir gehöre,
nur weiß ich’s nicht

weg, weg, die Hände,
die klamm und kalt mir Haut verbrennen
mir ewige Markierung setzen,
fall ich
ins tränenschwere Nichts

hab wenigstens Gewissheit
Heute
bin ich ich.

Saludos
Magic

Maija

Beitragvon Maija » 19.09.2006, 10:36

Hallo Antibus,

Deine Idee aus dem Tagebuch zu dichten, finde ich sehr interessant. Große Klasse wie du deine Gedanken aus dem Tagebuch verwoben hast. Deine Zeilen machen nachdenklich und man ist berührt über deine Zeilen.
WK im Forum! :blume0028:

Gruß Maija

Antibus

Beitragvon Antibus » 19.09.2006, 13:03

Liebe Magic,

danke für die Willkommensgrüße. Es freut mich, dass dir mein Text gefällt, du dich in Passagen wiederfindest. Die Form war mir eher zweitrangig aus dem einfachen Grund, da ich dieses "Projekt" auf meiner HP fortführe und die Texte nicht unnötig "strecken" will, wenn du verstehst, was ich meine. Sollte sich der Stoff zum Schluss sinnvoll zu einem Gesamtwerk fügen, werde ich die Form ohnehin komplett überarbeiten.

Vielen Dank für deine Ideen.

Antibus

Antibus

Beitragvon Antibus » 19.09.2006, 13:12

Liebe Maija,

auch dir vielen Dank für die Begrüßung. Eine Freundin gab mir den Hinweis auf euer Forum. Ich hoffe, hier geht es nicht so lahm zu, wie in anderen (lach...) und die Leute sind fähig zu konstruktiver Kritik. Die empfinde ich nämlich als wichtig, ebenso, wie sich selbst ständig weiter zu entwickeln und zu verbessern.

Bei dem Tagebuch-Projekt geht es darum, eine Person durch die Schilderung ihrer Innen- und Außenwelt zu charakterisieren über einen begrenzten Zeitraum.

Liebe Grüße, Antibus

Maija

Beitragvon Maija » 19.09.2006, 15:33

Hallo Antibus,

Konstruktive Kritik kann oft ein Anker sein um sich weiter zu entwickeln, da stimme ich dir 100%ig zu. Das mit der Innen und Außenwelt habe ich auch so verstanden und deshalb finde ich ja diese Idee so gut.
Magic ihre Änderungen stimme ich zu, da die Form dann übersichtlicher und verständlicher ist. Mehr würde ich aber nicht ändern wollen.

Gruß Maija

lichelzauch

Beitragvon lichelzauch » 20.09.2006, 14:56

Hallo Antibus und erst einmal Herzlich Willkommen im Forum! :-)

Freut mich auch, dass du dir gleich die Rubrik fürs Experimentelle ausgesucht hast, die braucht noch Belebung (deshalb nicht wundern über die spärlichen Reaktionen).

Aber ich denke, das Projekt insgesamt ist hier eher das Experiment, oder? Für sich genommen finde ich das Gedicht nicht allzu "waghalsig" (ohne jetzt zu bewerten) -

Ja, der Text. Er verspricht einiges, die ersten drei Zeilen gefallen mir sehr!
Auch, dass du die Problematik der "Gewissheit" thematisierst, spricht mich sehr an - aber das ist auch schon mein Problem: für mich wird hier zuviel behauptet... z.B.:

"dem, was ich dafür halte"
"(im Glauben daran, dass ich mir gehöre)
nur weiß ich’s nicht
"
"hab wenigstens Gewissheit"

Die eine Zeile zwischen Strophe 1 und 2 würde ich auf "in mir, im hier" einfach reduzieren, da geht fast nichts verloren und der Doppelbezug zu beiden Strophen ist stärker (deshalb bin ich, was das angeht, auch gegen Magics neue Anordnung, da geht das verloren).

Mit den beiden anderen Stellen tue ich mich schwerer, was Verbesserungsvorschläge angeht: sie einfach zu streichen (was ginge), würde dem Gedicht ja einen wichtigen Aspekt nehmen. (Wobei ich "hab wenigstens Gewissheit" doch streichen würde... es ist einfach viel heftiger, wenn "Heute bin ich" gleich nach dem Nichts kommt...)

Vielleicht könnte man diesen Ungewissheits-Aspekt auch über die Markierungen beschreiben? (Die zwar lebenslange Wirkung haben, aber doch wohl nicht dieselbe? (@ "ewig"))
"Haut verbrennen" empfinde ich dabei als sehr treffende Metapher - während mir "klamm und kalt" eigentlich nichts sagt (versteh das nicht falsch, der Gegensatz hat schon Wirkung, ich frage mich aber nach dem Bild, das entstehen soll, und da ist bei mir keins, was natürlich ebenso gut an mir liegen kann).

Für mich wäre es also noch viel konzentrierter ein gutes Gedicht, wenn es aber eine lyrische Tagebucheintragung sein soll, dann kann man denke ich auch über einiges hinwegsehen (z.B. das Ausformulieren der Zweifel). Würde gern noch einige davon lesen, um das besser beurteilen zu können (ansonsten bleibt mir ja nur der "traditionelle" Bewertungsmaßstab, der einem Experiment sowieso nicht gerecht wird).

Soviel von mir als Benutzer.

Als Admin weise ich daraufhin, dass dieses Forum stark vom gegenseitigen Austausch abhängt. D.h. umso mehr man kommentiert, desto stärker wird man selbst auch kommentiert. Als ungefähre Richtlinie gilt dabei ein Verhältnis "eigene Texte" : "Kommentaren zu anderen Texten" von 1:3. Achte darauf, dich in diesem Rahmen zu bewegen (erfordert natürlich ein bisschen Eingewöhnungszeit, und die geben wir auch). Das schöne hierbei ist, dass das für mich, wenn ich das so sage, gar keinen Warnungs-Charakter hat, weil du dir diese Diskussionen ja selbst wünscht, ich also weiß, dass die "Einstellung" in jedem Fall stimmt. :-)
Außerdem bitte ich dich, nicht zu viele Texte auf einmal einzustellen! Warte lieber mal, bis ein paar kommentiert werden (allerdings kann ichs auch verstehen, hier in dieser Ecke wird generell weniger kommentiert...). (Damit schieß ich mir mal wieder selbst ins Knie, der ich doch eine Belebung dieser Ecke will... aber wenn es nur Schlag auf Schlag kommt, werden produktive Diskussionen nicht entstehen. Nur Geduld! Das ergibt sich... und wie gesagt, umso mehr man kommentiert... :smile: (Aber deinen Willen dazu hast du ja schon gezeigt, ich bin also frohen Mutes :daumen: )).
Dazu auch nochmal die Regeln: http://www.blauersalon.net/online-liter ... .php?t=163 (Punkt 2 b vor allem)

Viel Spaß im Forum und
liebe Grüße,
lichelzauch

Gast

Beitragvon Gast » 20.09.2006, 18:37

Hallo Antibus und herzlich Bild im Literaturforum des Blauen Salons.
Ich wünsche dir einen regen Austausch im Salon-
Zu deinem Text:
Zunächst war ich skeptisch, weil ich sah, Tagebucheintrag... und dann unter Experimentell :confused:
Aber je öfter ich deinen Text - in deiner Setzung - gelesen habe, desto besser konnte ich mich hineindenken in das LyrIch.
Dein Text ist gut verdichtet, er ist durchdacht und ausgearbeitet.
Von der Form eines Tagebucheintrags also weit geung entfernt ;-)
Ich würde die Setzung nicht ändern wollen.
Magic schrieb es schon, dein Text würde ausgzeichnet zum Monatsthema passen, als Experimentelles Gedicht würde ich ihn nicht sehen.
(Der Unterschied zwischen Experimeteller Lyrik und das was für den Autor evtl. ein Experiment ist, ist ja nicht das Gleiche).
Du kannst dir überlegen, ob der Text vielleicht zum Monatsthema verschoben werden soll.

Zur Aussage: sie ist zwar in sich geschlossen, rund, aber für mich dennoch merhfach deutbar und das ist gut.
Mag das Lyrich durch die eigenen Hände (klamm und kalt) die eigene Haut in Brand setzten, (Borderliner) oder eine andere Person, dieses im übertragenen Sinn (Missbrauch) tun.

Eine grausame Erkenntnis, (durch) Schmerz zu fühlen, zu sein, sich zu spüren ist selbstzerstörerisch und bitter...

Ich habe mir deien Text gerade noch einma darauf angesehen, ob ich etwas umstellen oder auslassen würde.
Ich möchte mich in diesem Punkt zuirücknehmen.
Ich halte die Form und die Sprache deiner Fassung für richtig gut und dem Inhalt angemessen.
(Das LyrIch ohne einen Tropfen Kitsch, ohne Betroffenheit im Sinne von Selbstmitleid).
Möglicherweise komme ich mit meiner Leseart deiner Intention auf die Spur.
Wenn nicht, so sage ich vielen Dank für die Gedanken, die du in mir angestoßen hast.
Ein guter Einstieg hier.

Liebe Grüße
Gerda

Antibus

Beitragvon Antibus » 20.09.2006, 23:21

Gerda Jäger, Danke für deinen Beitrag unter dem Tagebuch-Eintrag. Ich schreibe nicht autobiographisch. Denn das hat meines Erachtens nach mit Kunst wenig gemein. Anhand eines Fragmentes kann ich mich hier schwierig erklären - diesen Text betreffend. Auf meiner HP sind alle bisher vorhandenen Einträge gespeichert. Anhand dieser lässt sich leichter erkennen, was ich eigentlich damit bezwecke. Das führt hier jedoch zu weit. Falls es dich interessiert, kannst du mir das ja per pn mitteilen. Ich schwanke zwischen dem Rat eines Vorredners, Überflüssiges zu streichen oder nicht. Es ist nicht so, dass ich dies nicht erkenne. Jedoch ist Lyrich in seiner Subjektivität und seinem Entfernt-Sein von Normalität eben nicht "lyrisch-perfekt". Ich bin mir nicht sicher, welchen Weg ich wählen soll, den unperfekten, der Lyrich angemessen darstellt oder den lyrisch-korrekten, den die Lektoren vielleicht lieber lesen würden - am Ende.

Liebe Grüße und einen schönen Abend. A.


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