Es war einmal

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MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 01.09.2006, 10:29

Es war einmal ...
Oder: als die dicke Hausfrau versucht hat, mal im Netz zu chatten

Marlene Geselle

Es war einmal - aber vielleicht ist es auch erst ein paar Wochen her, so genau weiß man das nicht - da wohnte in einem nach außen hin friedlich wirkenden Nest eine dicke Hausfrau.
„Das Leben geht an mir vorbei“, klagte sie. „Ich werde alt und fett und die Nachbarin steht den ganzen Tag hinter der Gardine und glotzt, wann ich endlich den Rasen mähe. Und dass, wo ich jetzt lieber auf den Kanaren in der Sonne liegen würde.“
Das hat ein kleines, freches Mädchen gehört, die Tochter der dicken Hausfrau.
„Aber Mama“, hat es seine Mutter getröstet. „Was regst du dich über die olle Zicke auf! Setz dich an deinen PC und amüsier dich ein bisschen im Net. Bringt dich auf andere Gedanken. Auch ne Art, mal vor die Türe zu kommen.“
Das sagte das kleine, freche Mädchen. Denn es wusste ganz genau: Wenn die Mama erst mal am Computer sitzt, dann hat sie keine Lust mehr nachzugucken, ob ich mein Zimmer aufgeräumt habe – oder nicht.
Die dicke Hausfrau trug ihre Kaffeetasse in die Küche und ging hinunter ins Kellerbüro, dort wo der PC steht.
„Ich sehe du bist mal wieder miese drauf“, sprach der Computer sie freundlich an. „Komm, setz dich zu mir. Lass dich hintragen in ein Land, in dem alle Menschen guter Laune sind. Du hast doch eine Flatrate! Nutze sie!“
Da musste die dicke Hausfrau lächeln. Sie setzte sich zum PC und surfte, bis sie in einen Chatroom kam der hieß „Lust und Laune“.
Da klopfte sie höflich an, nannte sich Rubensfrau und fragte, worüber denn hier und heute so gechattet wird.
„Wir haben kein besonderes Thema“, erklärte ihr jemand, der sich Casanova nannte. Hat die dicke Hausfrau gleich gefragt, wo sie wohnt, ob sie heute Abend Zeit hat und Lust auf ein Blind Date. Hatte sie aber nicht.
Rubensfrau ließ ihre Gedanken schweifen und guckte zu, wie der Casanova mit jemand anbändelte, der/die sich Liebestoll nannte. Die beiden wohnten in der gleichen Großstadt und verabredeten sich wirklich.
„He, Rubensfrau“, meldete sich plötzlich jemand, der/die sich Alte Hexe nannte. „Ich spüre, du bist maulig drauf. Willst du drüber chatten?“
„Ja, ich will drüber chatten“, antwortete die dicke Hausfrau. „Ich bin schlecht drauf, weil ich in einem kleinen Nest wohne, das Leben an mir vorbei geht, meine Nachbarin den ganzen Tag hinter der Gardine lauert, ob und wann ich endlich den Rasen schneide – und ich langsam aber sicher fett werde.“
Die Alte Hexe schickte einen Smiley rüber und meinte: „Reg dich nicht über die olle Zicke auf! Geh an deinen Wäscheschrank, hole deine besten und teuersten Dessous heraus – alle! Nimm sie und häng sie so auf die Wäscheleine, dass die alte Schachtel was zu gucken hat. Und falls du einen Kerl hast – lass die Fummel hängen, bis er nach Hause kommt und mach ihm klar, was du erwartest von ihm – nach dem Schlummertrunk!“
„Du bist klasse, Alte Hexe!“, jubelte da die dicke Hausfrau, bedankte sich ganz herzlich für den Tipp und verabschiedete sich aus dem Chatroom. Dem Computer gab sie auch noch einen liebevollen Klaps.
Und dann ging sie zurück nach oben, gab dem kleinen, frechen Mädchen zu verstehen, was los sein wird, wenn nicht innerhalb einer Stunde das Kinderzimmer aufgeräumt ist; marschierte danach an den Wäscheschrank und hing, was aus Seide ist oder Spitze nach draußen auf die Wäscheleine. Die Nachbarin ließ endlich die Gardine in Ruhe; und der Herzallerliebste hatte nach Feierabend noch lange keinen Feierabend.
Zuletzt geändert von MarleneGeselle am 16.09.2006, 16:06, insgesamt 2-mal geändert.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.09.2006, 16:12

Hi Marlene, irgendwie bleibts Gehuddel.

Es war einmal, ich glaub es ist schon ein paar Wochen her, da wohnte in irgend so einem friedlichen kleinen Nest eine dicke Hausfrau.

Es ist schon ein paar Wochen her, als es einmal war? Was isses dann heute? Nicht mehr?
Und die Einrückung als Nebensatz ist immer noch unglücklich. Entweder mit Gedankenstrich als Einrückung + Komma:
Es war einmal - ich glaube, es ist schon ein paar Wochen her - da wohnte in irgend so einem friedlichen kleinen Nest eine dicke Hausfrau.

Oder als besser vollständiger Satz:
Es war einmal, und ich glaube, dass es schon ein paar Wochen her ist, als in irgend so einem friedlichen kleinen Nest eine dicke Hausfrau wohnte.

Abgesehen von der grammatikalischen Verdrehung innerhalb des so wichtigen Eröffnungssatz ist aber davon die Zeitsprungfrage noch nicht geklärt. Denk doch mal nicht so kompliziert! :o)))))

Kannst es ruhig sagen, wenn ich dir auf den Keks gehemit meiner Pingelligkeit. :o))))
Tom.
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Lisa
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Beitragvon Lisa » 18.09.2006, 17:32

Liebe Marlene,
das hat mich schön zum Lachen gebracht, mir gefällt es. Nah am Leben und doch nicht, verlangt nicht nach mehr als da im text steht - auch wenn harmlos (das gönne ich mir auch mal): Mir hat es gefallen.

Liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 19.09.2006, 07:39

Hallo Lisa,
schön, dass dir die kleine Geschichte gefallen hat. Einfach und zum Lachen, manchmal brauchen wir alle das einfach.
Liebe Grüße
Marlene

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 19.09.2006, 07:41

Hallo Thomas,

wie ich gerade sehe, haben sich unsere Einträge gekreuzt. Übersichtlicher?

Liebe Grüße
Marlene

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 19.09.2006, 09:57

Jo Marlene, was lange währt... :o)))

Jetzt greifen die Anfangsrädchen sinnvoll ineinander, und der Verschachtelung ist die Holperigkeit genommen.
Jetzt fällt mir noch das 'Nest' am Anfang auf. Schon klar, das damit ein Dorf oder Popelsstädtchen gemeint ist, aber ich werde dadurch erstmal ganz kurz in die Tier- bzw. Fabelwelt entführt (weil ja auch der Anfang so märchenhaft ist), bis sich rausstellt, dass es sich um eine real existierende, dicke Frau handelt. Spontan hätte ich hier den Begriff 'Flecken' (von 'Martktflecken, kleine Siedlung') eingesetzt, dann bliebe es in der anfangs gewählten, altertümlichen Sprache. Muss aber nicht.

Tom.
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MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 21.09.2006, 08:27

Hallo Thomas,

danke, dass du dich nochmals gemeldet hast. "Flecken" nehme ich nicht gerne, weil das nicht überall verstanden wird. "Nest" im Zusammenhang mit Menschen und Orten ist da geläufiger. Außerdem kann ich mit "Nest" auch eine kleine Prise Wertung mit unterbringen. "Flecken" klingt für diese Geschichte zu romantisch.

Liebe Grüße
Marlene

Bloodbrother

Beitragvon Bloodbrother » 25.09.2006, 07:05

Liebe Marlene,
das ist eine köstliche, kleine Geschichte, die mir beim Lesen wirklich Spaß gemacht hat.
Leider werden zu wenige Geschichten geschrieben, die lustig sind.

LG Michael

MarleneGeselle

Beitragvon MarleneGeselle » 25.09.2006, 21:08

Hallo Michael

danke für das Lob.

Liebe Grüße
Marlene


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