leise gehen Hoffnungen

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 06.09.2006, 22:34

Wenn nun der Tag verklungen ist,
senkt Tau sich
auf die Wunden der Zeit
und kühlt sie still.

Der Himmel singt dazu
sein Klagelied
so stumm,
dass selbst ein Windhauch
wie ein Rauschen tönt.

Nacht umspielt den Schlaf
mit dürren Rosenblättern der Erinnerung
und hüllt den Traum ein
wie in knisternde Seide.

Atemlos horcht ein neuer Tag
an der Tür der Zukunft,
blickt auf zitternden Spinnenfäden
in das noch verlassene Blau.

Warum schüttelt nicht
ein tulpenroter Morgenvogel
sein Gefieder
und lässt leise
seine Hoffnung
in eines Menschen Hand
sinken?
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

Trixie

Beitragvon Trixie » 07.09.2006, 18:26

Hallo tulpenrot!

Ich sah eben dein Gedicht und wunderte mich ein wenig, warum es noch unkommentiert ist! Aber dann sah ich, dass es erst ein paar Stunden hier steht, also kommen da bestimmt noch Kommentare, die dem meinen entweder zustimmen oder nicht. Was ich dazu sagen möchte:

Es gefällt mir sehr gut. Es ist schön frei gehalten, ein wenig geheimnisvoll und sehr ruhig und spannend. Ich finde die Wortwahl sehr genau gesetzt und stimmig, mir fällt eigentlich nichts auf, was ich zu kritisieren wüsste. Einzig die dritte Strophe ist für mich überflüssig, da du ja schon in den ersten beiden Strophen die Nacht ankündigst, bzw. wenn du diese chronologische Reihenfolge gerne hast, dann würde ich die zweite Strophe mit der ersten irgendwie verknüpfen, so dass du pro Strophe eine Tageszeit hast: 1. Abend, 2. Nacht, 3. Morgendämmerung, 4.Morgen. So ungefähr sehe ich das hier.

Was mir besonders gefallen hat, ist der Tau, der die Wunden kühlt und die Rosenblätter, die den Traum in knisternde Seide hüllen. Wobei- kann Seide knistern?

Auch den Rhythmus finde ich sehr schön. Ja, du siehst, zu 90 Prozent finde ich das Gedicht wirklich gelungen und schön erarbeitet!

Schwärmende Grüße
Trixie

Gast

Beitragvon Gast » 07.09.2006, 18:59

Hallo tulpenrot
dein morgenvogel hat es mir angetan, liebe tulpenrot, aber ohne das Attribut "tulpenrot". :confused:
Ich kann es dir nicht erkären, aber ich glaube es liegt am "Rot", welches mir weder zum Vogel noch zum Morgen zum passen scheint.
[i]Hoffnung wecken[/i] einmal ganz anders ausgedrückt, das gefällt mir wenngleich sinken in eines Menschen Handmir zu passiv ist.
Ich glaube ich würde es dabei belassen, auszudrücken, dass er Hoffnung aus dem Gefieder schüttelt, das klingt so viel freundlicher... eben nach Hoffnung, die wachsen kann.

Ein wenig stört mich der Tau am Abend (V1)... das bekomme ich nicht ins Bild ;-)
in V3 :Nacht umspielt den Schlaf
mit dürren Rosenblättern der Erinnerung
und hüllt den Traum ein
wie in knisternde Seide.
Hier bekomme ich die dürren Rosenblätter nicht mit der knisternden Seide zusammen.
Für mein Empfinden raschelt Seide wohl eher, als dass sie knistert.
Insgesamt bleibst du zu sehr im Ungenauen mit dem Klagen, Träumen, Erinnern, Hoffen...

Liebe Grüße
Gerda

Perry

Beitragvon Perry » 12.09.2006, 15:57

Hallo tulpenrot,
mir gefällt die Stimmung in deinen Zeilen sehr gut. Ich denke aber auch, dass du an den Bildern und Formulierungen -wie vorgeschlagen- noch etwas arbeiten solltest.
LG
Perry

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 13.09.2006, 08:49

Hallo,
nun, die Seide knistert wirklich... ich hab es mal gegoogelt... vielleicht ist das auch eine Empfindungssache. Jedenfalls keine Erfindung von mir.

Tau am Abend:
Sicher, man spricht vom Morgentau. Aber wenn man abends etwas draußen liegen lässt, wird es feucht.... So weit dachte ich, könne man das Bild ruhig nehmen.
Es ist so, dass es manchmal abends leichter ist, mit Wunden fertig zu werden, weil die Hektik des Tages vorüber ist und Ruhe einkehrt.
Und dennoch, die Wunden sind da!
Dies Gedicht enthält zwar sanfte Bilder und "Töne", ist aber im Grunde ein schmerzlicher Aufschrei mitten in der Nacht, mit der quälenden Frage:"Warum?"

dürre Rosenblätter und knisternde Seide:
Eigentlich beides Ausdrücke dafür, dass es sich um etwas Kostbares handelt, das vertrocknet ist, nicht mehr lebt, droht zu zerbröseln, während die Erinnerung versucht, sie zu berühren (wie die dürren Rosenblätter), kalt geworden ist und man sich nicht mehr daran erwärmen kann (wie die Seide, die sich eben nicht mehr anschmiegt, sondern störrisch ist).

Dennoch sind Gefühle der Sanftheit dabei, die sich nicht zu sehr der aufwühlenden Trauer hingeben und dadurch etwas vorschnell endgültig zerstören wollen.

Deswegen auch der befremdliche tulpenrote Morgenvogel. Er bringt eben keine Hoffnung! Er kommt nicht einmal mit dem Morgenrot - diesen Ausdruck wollte ich vermeiden, weil zu sehr abgedroschen.

Also eine Klage in der tiefen Nacht, die keinerlei Hoffnung sieht. Der Morgen wird genauso trostlos unter Klagen und Seufzen beginnen, wie der Abend geendet hat. Die Klage ist sogar so tiefgehend, dass der Himmel mitweint.

So weit einmal ein Blick in meine Intentionen.
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amira

Beitragvon amira » 13.09.2006, 15:03

Aua... das tut weh!

Auch ohne deine Erläuterungen schlägt sich durch dein Gedicht Trauer, Schmerz und Bedrücktheit auf mein Gemüt. Schrecklich, wenn man Schritt für Schritt die Hoffnung schwinden sieht.

Ich würde an deinem Gedicht nichts ändern wollen, selbst den abendlichen Tau nicht, obwohl der Tau automatisch mit dem Morgen verbunden ist. Sollte es dich selbst jedoch stören, würde ich

senkt sich nasskalter Abend oder Abendfeuchte (wenn nicht als zu schwülstig empunden)

vorschlagen.

Eine Situation in Tönen und Klängen zu beschreiben, finde ich super, zumal es mir aus der Seele spricht. :daumen:

Die schönste Stelle ist m.E:

Atemlos horcht ein neuer Tag
an der Tür der Zukunft,
blickt auf zitternden Spinnenfäden
in das noch verlassene Blau.


Ich bin begeistert.

Der tulpenrote Vogel, die, durch die Farbe implizierte Liebe, die Hoffnung, die ausbleibt...

Wenn es auch ein trauriges Thema behandelt, gefällt mir dein Gedicht sehr gut.

Es lässt auch noch jede Menge Interpretationsfreiheit offen.

lg, amira

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tulpenrot
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Beitragvon tulpenrot » 14.09.2006, 09:31

Liebe amira,

dass dir mein trauriges Thema gefällt, finde ich schön.
Könnte man nicht sagen "Abendtau"? ---- dichterische Freiheit? ;-) *grübel*

Hier eine weitere Version, die zwar noch den Tau enthält, aber etwas geglättet ist (Dank an Perry!)

[i]Wenn der Tag verklungen ist,
senkt Tau sich
auf die Wunden der Zeit
kühlt sie still.

Der Himmel singt dazu
sein Klagelied so leise,
dass selbst ein Windhauch
wie ein Rauschen tönt.

Nacht umspielt den Schlaf
mit dürren Rosenblättern
hüllt den Traum ein
in schmeichelnde Seide.

Atemlos horcht ein neuer Tag
an der Tür der Zukunft,
blickt auf zitternden Spinnenfäden
in das wartende Blau.

Warum schüttelt nicht
ein tulpenroter Morgenvogel sein Gefieder
lässt leise seine Hoffnung
in die Hand eines Menschen sinken?[/i]


Ist das besser? Ich werde selber auch weiter nachdenken... Mir liegt viel an diesem Text! Er war mein Erstlingswerk!

tulpenrot
"Ach, wissen Sie, in meinem Alter wird man bescheiden - man begnügt sich mit einem guten Anfang und macht dem Ende einen kurzen Prozess." AST

Herby

Beitragvon Herby » 14.09.2006, 22:05

Hallo tulpenrot,

mich hat dein Erstlingswerk sehr berührt, ich habe es nachempfindend gelesen! Die zweite Version gefällt mir besser, wenn ich mich auch mit dem Tau etwas schwer tue. Ich weiß, was du mit der Nacht - Feuchtigkeit meinst, aber der Begriff "Tau" ist doch arg mit der Zeit des Morgens besetzt. Doch ich muss gestehen, dass mir im Moment auch keine passende Alternative einfällt.

Habe deinen Text sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Herby

Trixie

Beitragvon Trixie » 14.09.2006, 22:20

Guten Abend tulpenrot!

Also, ich hatte irgendwie gar keine Probleme mit dem Abendtau. Als Erstlingswerk ist es wirklich beeindruckend und ich finde es toll, dass du dich darum hier im Forum so bemühst daran zu arbeiten!! Dann will ich jetzt mal gaaanz genau hingucken...

Wenn du das "und" in der ersten Strophe weglassen möchtest, dann wäre das, was du schriebst, eine Lösung, aber um das ganze zu verbinden eine Alternative vielleicht:

Wenn der Tag verklungen ist,
senkt Tau sich
auf die Wunden der Zeit
sie still zu kühlen


Dann zum "leise". Es geht auf jeden Fall mehr in die Richtung, finde ich. Aber vielleicht findest du noch ein deutlicher beschreibendes Wort? Das ist so...weißt nicht, laut/leise groß/klein schön/hässlich...weißt du, was ich meine? Gerade im Gegensatz zum Rauschen, das ist ja was negatives. Um den Kontrast dazu besser herzustellen, würde ich vielleicht noch ein Adjektiv nehmen wie sachte, ruhig, sanft, vielleicht sogar kombiniert? sanft und leise? Aber das muss nicht sein, ich finde es auch so im Gesamtbild immernoch wunderschön!!

Die Nacht, die den Schlaf einhüllt und den Traum auf Seide bettet. Oh, er hüllt, das ist noch besser. Da hast du auch das "und" weggelassen, das passt. Wie wär's mit Träume? Den den Schlaf hat ja jeder, aber nicht jeder hat den Traum. Das fände ich schöner, denn es sind ja zum Beispiel auch mehrere Rosenblätter (der Erinnerung). Aber das ist mehr subjektiv, kann auch nicht überzeugt sagen, wieso das für mich so stimmiger wäre...

In das "noch verlassene" oder das "wartende"... Wieso hast du das geändert? Ich fand das "noch verlassene" origineller...Aber das ist auch schön!

Der Vogel, der eben gerade nicht die Hoffnung sinken lässt...Aber was hat sein Gefieder damit zu tun? Das habe ich jetzt vielleicht einfach mal spontan nicht kapiert :mrgreen:. Wieso soll der Vogel die Hoffnung in die Hand "eines" Menschen bringen? Das ist mir zu ungenau. Nicht jeder braucht Hoffnung, viele haben Hoffnung. Wieso nicht "meine Hand/Hände" oder einfach "unsere Hände"?

Wie gesagt, das ist alles nur so, wie ich es empfinde, kann nicht unbedingt adequate Gründe liefern...
Trotz der Fragen einer gelungener Text!

Liebe Grüßchen
Trixie

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Beitragvon tulpenrot » 15.09.2006, 21:37

Hallo Trixie,

dass du dir so viel Gedanken machst, an meinem Text entlang gehst, ist fein.
Schade, dass man nicht mit einander reden kann, dann ließe sich manches schneller sagen - die Gedanken gehen hin und her, die Vorschläge werden verworfen oder eingebaut.. Ich träume manchmal davon, mir einen Lyrik- Gesprächskreis zu wünschen. Aber ich bin eigentlich kein Autor, sondern " die Gelegenheit macht.... Lyrik" (nicht Diebe!) Es ist eher Zufall, dass ich schreibe.

Also nun zu deiner Antwort: Ich freu mich natürlich, dass du lobende Worte für meine Verse gefunden hast!

Also ich finde auch, dass ich den Tau am Abend lassen kann... Es gibt ihn wirklich zB in Sprichwörtern
Abendtau im Mai bringt Korn, Wein und Heu.
Abendtau im Mai gibt das rechte Heu.
Abendtau und kühl im Mai, bringt viel Wein und bringt viel Heu
.
Oder bei Wettervorhersagen
Abendtau tritt Reifglätte auf

Abgesehen von lyrischen Texten. zB von G. Keller:
Wie wundersam, wenn über meinem Haupte
Der Abendtau die matten Blumen kühlt,
Ob wohl lustwandelnd dann der Pfarrherr glaubte,
Daß unter ihm ein Wetterleuchten spielt?


Mit dem Weglassen von "Füllwörtern" oder Bindewörtern tu ich mich eigentlich etwas schwer. Ich finde es manchmal um des Klanges willen und der Geschmeidigkeit des Textes willen hilfreich, sie zu verwenden. Wenn Sätze oder Satzteile unverbunden nebeneinander stehen, dann kommt mehr Härte herein. Deswegen würde ich ganz gerne zu meinem "nun" und dem "und" zurückkehren. Aber dein Vorschlag, "sie still zu kühlen" hat was!

das leise:
Ursprünglich sang der Himmel "stumm" ein Klagelied. Die Klage verstummt im Singen - ein Widerspruch, aber er singt noch, doch ohne Worte, verstummt jedoch völlig und der Windhauch ist sogar laut dagegen. Jetzt muss ich noch mal nachdenken, was ich mache.

Das Vogelgefieder:
Ich wollte einfach sagen, dass auch der Morgen/die Morgenröte keine Hoffnung bringt und hab ein Bild erschaffen, um dies auszudrücken. Es ist nichts Reales, sondern ein gleichnishafter, sehr bildhafter Ausdruck der Hoffnungslosigkeit.

verlassene Blau:
find ich auch besser... es soll die Einsamkeit dargestellt werden. Aber vielleicht auch ein wenig eine Andeutung von Hoffnung, die jedoch keine Basis hat.

Traum/Träume?
Es ist nur ein Traum. Aber er könnte auch "pars pro toto" stehen - einer für das Ganze/viele.

Vielen Dank also noch mal für deine Gedanken.
tulpenrot
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königindernacht

Beitragvon königindernacht » 16.09.2006, 09:13

Guten Morgen, Tulpenrot,

mir gefällt, wie du deinen Erstling verteidigstund trotzdem offen bist für die Gedanken der anderen. Und mir gefällt dein Gedicht in der zweiten Fassung wirklich gut. Den Abendtau kenne ich aus Texten von Klabund (A. Henschke) und das Wort ist nicht nur deshalb ganz legitim... *lächel*

Ich freue mich auf weitere Texte von dir, herzlichst, KÖ

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Beitragvon tulpenrot » 16.09.2006, 13:43

Hallo KÖ,
danke für deinen Kommentar und dein Lob.
Wie aber wäre es, wenn ich nun noch eine dritte Version anbiete? Mal sehen...
LG
tulpenrot
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Antibus

Beitragvon Antibus » 24.09.2006, 19:48

Liebes tulpenrot,

mir gefällt dein Werk ausgesprochen gut. Ich würde, bis auf unscheinbare Kleinigkeiten (wenn überhaupt) nichts ändern wollen. Ich habe zu viele Gedichte den Gang der Änderung gehen und sterben sehen. Um dieses hier wäre es sehr schade.

Liebe Grüße, Antibus

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Beitragvon tulpenrot » 24.09.2006, 22:46

Hallo Antibus ;-),

dass mich dein freundlicher Kommentar sehr freut, kannst du dir sicher denken. Vielen Dank.
Und gute Nacht für heute.

tulpenrot
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