Humankapital

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Eliane

Beitragvon Eliane » 28.08.2006, 10:50

nach dem Beitrag von NJ Kahlen fiel mir wieder ein,
was ich zum Unwort des Jahres 200? geschrieben hatte, bleibt aktuell.

Humankapital

Endlich ist es nun gekürt!
Das Unwort uns vor Augen führt:

Die Aktie „Mensch“, sie ist im Fallen.
Nur heimlich darf die Faust sich ballen.

Einsetzbar ist sie beliebig
und das macht sie so gefügig.

Noch hat kein Index sie notiert
kein Menschenfonds wurde kreiert.

Im Verborgenen wird gehandelt,
das Wertebild sich langsam wandelt

Der Mensch an sich will sich nicht mehren,
denn die Profitsucht schafft Begehren

Man bedenkt so manches Mal:
Der Nachwuchs frisst am Kapital!

Bald werden wir hybridisiert,
die Leistung einfach hochfrisiert.

Auch eine Kreuzung wär’ nicht schlecht
ein Esel käme grade recht!



© Eliane
Zuletzt geändert von Eliane am 04.09.2006, 10:29, insgesamt 1-mal geändert.

Max

Beitragvon Max » 30.08.2006, 21:57

Liebe Eliane,

inhaltlich kann ich Deine Kritik gut nachvollziehen, schließe ich mir sogar in großén Zügen an. Sprachlich finde ich das Gedicht aber keine Offenbarung. Der Paarreim sugggeriert eine Einfachheit, die das Thema nicht besitzt. Es rückt das Gedicht klanglich in die Nähe thematisch oft sehr schlichter humoristsicher Lyrik, aber die Fragestellung dahinter ist ja viel substantieller. Darüber hinaus ist der Reim oft ein wenig gekünstelt, z.B. in

Endlich ist es nun gekürt!
Das Unwort uns vor Augen führt:


Ich denke das Thema hätte eine tiefer gehende Auseinandersetzung verdient.

Liebe Grüße
max

Eliane

Beitragvon Eliane » 31.08.2006, 21:16

lieber Max,

ich danke für deine Kritik und gebe dir insofern Recht ,

dass der Paarreim für Gedichte mit „harmonischem Inhalt“ eingesetzt werden soll. So wurde es mir mal erklärt.

Als ich dieses vor längerer Zeit schrieb war mir das noch nicht bewusst. Über gekünstelte Reime kann man streiten, aber auch hier wäre wohl manches besser zu formulieren.

Wenn Reim, dann könnte ein umarmender Reim spannend sein mit „Auflösung“ in der letzten (vierten) Zeile einer Strophe. Dann wäre einiges umzustellen…

Du schreibst, das Thema verdiene eine „tiefere Auseinandersetzung“. Natürlich könnte man darüber lange und tiefsinnig schreiben. In meinem Gedicht geht es in erster Linie um das Wort „Humankapital“ und ein paar quere Gedanken, die mir dabei durch den Kopf schossen.

Alle darüber hinausgehenden Aspekte und Gedanken zu diesem Thema wollte ich nicht dazupacken, das hätte den Rahmen gesprengt und nicht gepasst zum Stil, den ich bewusst gewählt habe.

Abgesehen vom Reimschema und anderen kleinen Änderungen würde ich den Charakter des Gedichtes auch beibehalten wollen . Die „ernsthafte Botschaft“ kommt rüber, auch wenn sie in „humoristische Lyrik“ verpackt wurde.

Was spricht dagegen, ein solches Thema mal in dieser Weise anzugehen?

Es steht ja auch in der passenden Rubrik , wenn ich auch noch ein bisschen üben muss! ;-)

mit lieben Grüßen
von Eliane,

die nicht alles so „tierisch ernst“ sehen möchte, weil manche Dinge nur mit Humor zu ertragen sind.

Orit

Beitragvon Orit » 02.09.2006, 16:25

Liebe Elliane,
lieber Max!

Die Form des Gedichtes erinnert mich an Gedicht, die ich zu Anlässen wie runde Geburtstage usw. geschrieben habe. Ernstes humorig verpackt, mit dem berühmten Augenzwinkern.
Hier diesem ernsten Thema das Unwort HUMANKAPITAL als Überschrift zu verpassen und wie zu Omas 70sigsten reimen - die Idee finde ich sehr gelungen.
:daumen:

Liebe Grüß
Orit

Eliane

Beitragvon Eliane » 03.09.2006, 07:12

liebe Orit,

dafür :lesen0005: ich dir ein Gedicht zu deinem nächsten runden Geburstag!

lieber Gruß,
Eliane

hwg

Beitragvon hwg » 03.09.2006, 09:42

Eliane, ich habe dieses Gedicht erst jetzt entdeckt und gratuliere Dir dazu.
Ich verwende gerne den auf keinen Fall abschätzig gemeinten Begriff
"Gebrauchslyrik" für Texte, die "auf den ersten Blick" ein Thema leicht
verständlich auch dem vielleicht etwas ungeübten Leser nahe bringen und
diesen möglicherweise zum Nachdenken anregen.
Lieben Gruß!

Eliane

Beitragvon Eliane » 03.09.2006, 12:10

Danke hwg,

Du hast ein Argument für diese Art "humoristischer Lyrik "angebracht.

Es hat einmal jemand gesagt 50 Prozent der Bevölkerung seien "politisch dumm". (ich glaube, es war Geissler)

Man könnte mein Gedicht auch in einem Wirtshaus auf den Stammtisch legen, die Aussage würde jeder verstehen, auch noch nach ein paar Gläsern und das Nachdenken würde ganz automatisch angeregt.

Vielleicht stört es deshalb den Einen oder Anderen, dass es in einem Forum wie diesem steht. ;-)

Lieben Gruß,
Eliane

Orit

Beitragvon Orit » 03.09.2006, 20:00

:a010: auf die Gebrauchslyrik ... Eliane, hwg, ihr habt es sehr gut rüber gebracht finde ich.
Vielen Dank für dein angekündigtes Gedicht, aber bis zu meinem nächsten Runden sind es noch 8 Jahre ... :neutral:

Liebe Grüße
Orit

lechaim (Prost, wörtlich: fürs Leben)

Gast

Beitragvon Gast » 03.09.2006, 20:47

Liebe Eliane, ein solches Forum hält das aus ;-) nein mal Scherz beiseite, hier geht es doch nicht darum dass der Inhalt nicht berechtigt ist. (siehe Max' Stellungnahme)
Aber gerade weil er so sehr wichtig ist, lohnt sich doch ein Arbeiten an der Metrik, an den Reimen.

Du hast es doch nicht nötig dich jetzt darauf zurückzuziehen, dass es an einem beliebigen Stammtisch verstanden wird, woran ich übrigens erhebliche Zweifel habe, sondern dass du hier die pot. Möglichkeit hast besser zu werden.
Weißt du, die meisten gehen hier wohl davon aus, dass jemand sich verbessern möchte, deshalb musst du dich jetzt nicht "zurückziehen" und für die Form argumentieren.
Ich hoffe du verstehst was ich meine, denn auch Humor und Satire ist eine ernste Angelegenheit, ;-)
Wenn ich es recht bedenke, machen mir humoristisiche Texte mit Anspruch, die meiste Arbeit abgesehen von Texten für Kinder.

Einen schönen Abend
Gerda

aram
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Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 04.09.2006, 06:00

liebe eliane,

das gebrauchslyrik + stammtischargument ist in diesem fall nachvollziehbar und anerkennenswert für mich.


am stammtisch würde ich allerdings einiges nicht verstehen, weil ich nicht zwischen aktienkurs und aktienindex zu unterscheiden wüsste - dh. die aktie fällt, obwohl im index nicht notiert.

"Im Verborgenen wird handelt," verstehe ich so und so nicht. (muss man schon besoffen sein? :_)

auch nicht warum der mensch "an sich"? (wo wär dann das problem?)

wenn ich das gedicht richtig verstehe, behauptet es menschlicher 'nachwuchs' würde aus kostengründen unterbunden - es wird also die 'profitsucht' der "normalbürger" kritisiert?

genau das wird am 'stammtisch' aber nie ankommen, so zumindest nicht.

und in diesem kontext 'profitsucht' zu sagen, finde ich so grob, dass es anmaßend wird.

(ist es so gemeint? - anders macht es jedenfalls keinen sinn - die märkte brauchen doch konsumenten und der staat beitragszahler?)


auch unter ehrlicher anerkennung des gebrauchslyrikargumentes also schwere bedenken - vielleicht lassen sie sich beseitigen? das thema wäre es wert.

liebe grüße, aram


p.s.
eliane, falls ich was falsch verstanden habe - kannst du mir bitte die argumentationsline des gedichtes in wenigen prosasätzen einfach mitteilen?

Eliane

Beitragvon Eliane » 04.09.2006, 09:23

lieber aram,

im zweiten Vers habe ich den Menschen, d.h. seine Arbeitskraft und das was den Menschen AUSMACHT(doppelsinnig) erst einmal mit einer Aktie verglichen, die (3. Vers) beliebig zu verschieben/verkaufen ist und deren Wert sich am Profit die sie erbringt misst. (dass dies nicht als Vergleich rüberkommt…das ist bei genauer Betrachtung ein Manko, doch man könnte es sich auch denken)

„im Verborgenen wird gehandelt“…
damit möchte ich ausdrücken dass wir uns nicht bewusst sind, es geschieht unmerklich, dass sich unsere Werte wandeln.

der Wandel der Wertevorstellungen und die Profitsucht überträgt sich auch auf den "Normalbürger" und ich sage es genauso anmaßend: es ist allgemein bekannt, dass gerade die „gut Verdienenden“ keine oder wenig Kinder in die Welt setzen , wohl aber sozialschwache Familien und hier wiederum oftmals, um sich mit dem zusätzlichen Kindergeld abzusichern. Und die neuen Gesetze geben neue Anreize für diese Bevölkerungsschicht, die oft „überfordert ist“, ihren Kindern die Grundvoraussetzungen mitzugeben, in unserer Gesellschaft zu bestehen und sie später mit ihrer Arbeitskraft zu stützen. Sie werden wieder zu Sozialhilfeempfängern, eine Spirale ohne Ende…
Jeder, der heute in Hauptschulen oder Berufsschulen unterrichtet kennt dieses Problem.

Wo also bleiben der Wirtschaft die „guten Konsumenten“ und dem Staat die Beitragszahler?

Ich sehe natürlich die Gründe für Kinderlosigkeit auch in der verfehlten Familienpolitik der letzten Jahrzehnte. Gut ausgebildeten Frauen werden zuwenig Ganztagesbetreuungplätze für ihre Kinder angeboten. Eben dies wäre aber auch nötig, um Kinder aus sozialschwachen Familien bessere Chancen zu geben.

ufff...

liebe Gerda

dies alles hätte ich natürlich nicht in mein Gedichtchen einpacken können und du kannst davon ausgehen, dass auch ICH mich verbessern möchte.

Dieser Text ist, wie oben erwähnt schon etwas älter und ich würde ihn heute, wie ebenfalls erwähnt anders formulieren, wobei die Metrik hier doch recht stimmig ist, da gibt es andere Beispiele...

ich danke euch für eure Fragen, Hinweise, Kritik!

mit lieben Grüßen
Eliane

aram
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Beitragvon aram » 04.09.2006, 09:58

hallo eliane,

vielen dank für die erläuterung!

("im verborgenen wird gehandelt" steht nicht im text - du hast dich offenbar vertippt)

die erläuterung finde ich inhaltlich klar, das gedicht nicht.

ich kann den inhalt also erst jetzt fassen (obwohl ich das mit der aktie schon verstanden hatte), und ohne ihn zu bewerten, würde ich jede wette gehen, das ein 'stammtischpublikum', das das gedicht liest, nicht darauf kommt
- ich schätze 90 prozent derer, die diesem text 'applaudieren würden', wären überzeugt, es ginge darin gegen irgendwelche 'großen'.


bist du da wirklich anderer ansicht darüber?

glaubst du wirklich, dass dieser text zum nachdenken über etwas anregt, was man sich nicht schon vorher zusammengereimt hat?

wenn du einem stammtischpublikum etwas verklickern willst, das abweicht von dem, das es hören will - dass also nicht die 'anderen' verantwortlich sind, sondern ihresgleichen - kommst du mit diesem text sicher nicht weit.

ich hoffe du nimmst mir diese ansicht nicht übel.

liebe grüße,
aram

Eliane

Beitragvon Eliane » 04.09.2006, 11:12

hallo aram,

erst einmal bedanke ich mich für den Hinweis auf meinen Schreibfehler. Natürlich muss es GEhandelt heißen und ich habe es berichtigt.

Vielleicht unterschätzt du das "Stammtischpublikum", ich denke die Aussage kommt rüber,
wenn auch nicht die Definition jedes Wortes klar ist.
Wo fände ich denn sonst noch ein passendes Publikum?? :sad:

Es geht in der Tat nicht allein um "die Großen", (m)eine Satire soll auch unser eigenes Verhalten reflektieren, die Frage stellen, ob wir "da unten" uns "Un-Werte" aufdrücken lassen sollen und oder ob wir uns ihnen nicht entgegenstellen müssten.

Zitiere dich...("Zitat-Nachhilfe-Lehrer gesucht"! *gg*)

glaubst du wirklich, dass dieser text zum nachdenken über etwas anregt, was man sich nicht schon vorher zusammengereimt hat?

Meine Güte, was wird nicht alles geschrieben von morgens bis abends , was sich allerlei Leute ( aber halt nicht ALLE) schon längst zusammengereimt haben! Es geht doch darum, es wieder ins Gedächtnis zu rufen und der Anlass (Unwort) war gegeben.

das wird hier wohl eine "never ending story", :laune0009: .

nein ich nehme dir nichts übel, wir können doch herrlich miteinander streiten...

mit lächelndem Gruß

Eliane

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 11.09.2006, 16:55

Ich schließe mich dem hochverehrten Herrn Max Goldt an, der da schrieb [Zitat]:

[...]...und mir sind die als 'Unwort' gerügten Ausdrücke in ihrer Mehrzahl zuwider[...], aber es wäre doch besser, wenn man solche auf der Suche nach einem einprägsamen neuen Begriff entstandenen Spontanbildungen unter dem Mantel der Nichtzurkenntnisnahme vermodern ließe, statt sie via Siegerehrung in den nach Abwechslung gierenden Wortschatz nachplappernden Hobbybösewichte zu befördern[...]

Dies werde ich nun auch mal für das Unwort des Monats im Salon zum Nachdenken geben .

Nicht gegen dich, Eliane, nur so ein Meinungsbeitrag allgemein vom Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)


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