Es sind die fehlenden

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Kurt
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Beitragvon Kurt » 16.03.2017, 02:47

Es sind die fehlenden .....

in die ich etwas fassen möchte
die überall herumgeistern
durch meinen Kopf
tags und in der Nacht
die unsichtbar sind
ganz nah erahne ich sie
auf jedem Pflasterstein
in meiner Stadt stehen sie
und manchmal nur entfernt
doch in jedem Winkel der Welt
lauern sie auf ihre Entdecker
die sie fassen wollen

Ich kombiniere mir Worte
aus der Luft gegriffene Sätze
und stelle mir vor
blind umschrieben sie
mir eine Theorie in der Zukunft
oder sie erzählten mir wonach
ich lange gesucht hatte und mir
würde plötzlich ein Licht aufgehen
Zuletzt geändert von Kurt am 17.03.2017, 03:54, insgesamt 3-mal geändert.
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Last

Beitragvon Last » 16.03.2017, 13:03

Hallo Kurt,

das fehlende "Worte" in der Themenüberschrift hat mich wie folgt lesen lassen. In der Lesart hat mir das sehr gefallen:

Kurt hat geschrieben:Es sind die fehlenden

in die ich etwas fassen möchte
die überall herumgeistern
durch meinen Kopf
tags und in der Nacht
die unsichtbar sind
ganz nah erahne ich sie
auf jedem Pflasterstein
in meiner Stadt stehen sie
und manchmal nur entfernt
doch in jedem Winkel der Welt
lauern sie auf die Entdecker

Mucki
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Beitragvon Mucki » 16.03.2017, 13:51

Schließe mich Last an, Kurt. Diese gekürzte Fassung hat was. Pointierter. Spricht mehr zu mir. Manchmal ist weniger mehr. ;)

Kurt
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Beitragvon Kurt » 16.03.2017, 13:53

Ja, Last, wie du es da jetzt hast, liest es sich auf jeden Fall geschmeidiger, schöner. Würde ich schon gerne so übernehmen. Aber mir ist auch die Sache mit Darwin wichtig. Ich stelle mir vor, man hätte zufällig sich Worte „aus der Luft gegriffen“ und sagen wir drei Sätze formuliert, in die gleichen Worte gefasst wie Darwin sie später für seine Theorie nahm, anstatt Evolution dann vielleicht Entwicklung. Die Grundlage, die Erforschung und Entdeckung von Evoluion, gab es da noch nicht. Den Gedanken finde ich interssant. D. h., die Worte, die uns umgeben, würden wir sie zufällig aufgreifen und ohne hinzugucken in eine Reihenfolge bringen, könnten sie eine Theorie beschreiben die es noch gar nicht gibt. Potentiell wäre so beispielsweise Einsteins Theorie schon in Worten dagewesen, bevor er sie entdeckt hat.

Ich will damit sagen, die Worte um eine Theorie, die es noch nicht gibt, sind ja schon da. Man könnte auch zufällig etwas formulieren, und plötzlich geht einem ein Licht auf.

LG Kurt :??:
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Kurt
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Beitragvon Kurt » 16.03.2017, 13:55

Nee, Mucki, det ist mir inhaltlich denn zu flach.

Kurt
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Last

Beitragvon Last » 16.03.2017, 15:14

Ja, kann ich nachvollziehen diesen Darwin-Gedanken. Den finde ich auch spannend: 1.000 Affen sitzen an 1.000 Schreibmaschinen und einer schreibt zufällig ein Gedicht.

Theorien als Mutationen der Sprache, von denen die erhalten bleiben, die sich am besten an ihre Umgebung anpassen.

Zu einer Theorie gehört meiner Meinung nach neben den Worten, die sie formulieren, aber auch jemand, der diese Worte richtig versteht, - und jemand, der sie (nicht zufällig) spricht. Wirft man ein Mathematikbuch in einen Affenkäfig, werden die Insassen wohl kaum ein Mathematikbuch darin sehen, sondern eher ein lustiges Spielzeug, das sie mit großem Vergnügen und unter lautem Geschrei zerreißen können. Lässt man wiederum einen Affen, der zufällig den Höhensatz auf einer Schreibmaschine getippt hat, Mathematik unterrichten, geht das wohl auch eher schief.

Gleichzeitig ist natürlich die Wahrscheinlichkeit aus der Menge aller Worte der deutschen Sprache aus Zufall, ganz absichtslos eine ganze Theorie zu formulieren, verschwindend gering.

Vielleicht ist dieses Thema ein separates Gedicht wert?

Hier ergibt sich mir der Darwin nicht aus den vorhergehenden Versen, bzw. ich sehe nicht wie diese dahin führen. Dann muss ich Dinge zusammenbringen, die mir doch sehr weit entfernt erscheinen. Zum Einen die fehlenden Worte und Darwin, der ja kein Sprachwissenschaftler war (das geht aber noch) - und zum Anderen die persönliche Suche eines lyrischen Ichs, das dann plötzlich diesem Darwin weicht, und das dann wieder mit der theoretischen Möglichkeit, dass Worte in einer der Evolutionstheorie ähnlichen Kombination auch schon vor Darwin zufällig zu Papier gebracht worden sein könnten.

Kurt
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Beitragvon Kurt » 16.03.2017, 16:59

So, Last, ich habe es jetzt hinzugefügt, was mir wichtig war, denn die Vorstellung, es gäbe um mich herum Worte, die, wenn man sie nur "richtig" kombinierte mir z. B. eine Theorie der Zukunft umschreiben könnte, finde ich geil. Also, das quasi neben mir überall solche Potentiale lauern. Natürlich ist das unwahrscheinlich, aber der Gedanke ist reizvoll. Das mit Darwin war nur ein Beispiel. Und es geht mir auch nicht darum, ob hundertausend Affen es erklimpern könnten.

LG
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