vorhang

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Estragon

Beitragvon Estragon » 26.02.2017, 05:54

wir schlafen im selben traum
das zimmer liegt in unserem gedächtnis
wir sind
zwei fremde die sich verstecken
wir liegen wach
unser gedächtnis ist unser schlaf
wir träumen es bleibt alles wie es war
du borgst dir in den nächten deinen mund
du vergräbst die spuren die zu uns führen
wir
das sind nur sätze
das findet gar nicht statt
bloß das erwachen ist im traum so anhänglich
wenn du müde bist
vergessen wir den tod

carl
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Beitragvon carl » 27.02.2017, 20:45

Gefällt mir!

Ein paar Fragen:
unser gedächtnis ist schlaf
wir träumen und alles bleibt wie es ist
Die Unmittelbarkeit des Träumens wird so m.E. wen'ger gebrochen (falls das nicht eine Absicht ist :-)
wir
das ist nur ein wort
Oder auf welche Sätze beziehst du dich?

Grüße, Carl

Kurt
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Beitragvon Kurt » 28.02.2017, 12:49

Mir gefällt es überhaupt nicht, weil es mich weder intuitiv noch vom Intellekt anspricht. Es gibt sie ja, die modernen Gedichte, die sich einer Logik entziehen, und die einen trotzdem faszinieren können mit ihren abgefahrenen Metaphern, irrationalen aphoristischen Ansätzen, mit tollen Wortschöpfungen usw.. Diese Gedichte schaffen sich selber einen geheimnisvollen Raum, in den sie uns hineinziehen. (Derart feinen Lyriken hat Estragon sicher auch viele verfasst.)

Ja, Carl, nun stellst du solche Fragen. Möchtest du nun doch mehr Klarheit. Dann hat der moderne Lyriker unsauber gearbeitet, denn er muss alles so geschickt darstellen, dass sich keine verstandesmäßige Aneckung beim Leser ergibt.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Quoth
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Beitragvon Quoth » 28.02.2017, 13:44

Es gibt einen faszinierenden englischen Roman ("Peter Ibbetson" von George du Maurier), in dem der Held seiner Geliebten in gemeinsamen Träumen wirklich begegnet. Daran erinnerte mich hier die erste Zeile - der Gedanke einer zweiten verbindlichen Wirklichkeit, ich hätte ihn gern noch weiter ausgebaut gelesen - aber hier verliert er sich dann. Vielleicht wäre er weitergediehen, wenn es geheißen hätte: "Wir sind zwei Fremde, die sich begegnen."
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.

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nera
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Beitragvon nera » 03.03.2017, 01:50

wahrscheinlich ist die überschrift der schlüssel? ich weiß es nicht. aber der text regt zum nachdenken an. und er erinnert mich an eine eigene zeile, die ich einmal geschrieben habe: "im traum sah ich deinen namen". oder so ähnlich. ich schrieb das damals, weil ich irgendwann einmal etwas über "geheime" namen gelesen hatte, die, wenn überhaupt nur insider wissen durften, die aber zum ursprung des jeweiligen ich ein schlüssel sind/ sein können? und weil es diese traummomente gibt, in denen man jemanden "erkennt" oder es zumindest so empfindet oder empfinden will. " wir träumen es bleibt alle wie es war" ist für mich schlüssig. zumindest wenn ich daran glaube, dass träume nur das verarbeiten, was in der vergangenheit liegt. für mich geht es hier um die fremdheit, die nur im traum aufgehoben wird und deshalb auch unrealistisch ist und theaterhaft ist. der vorhang hebt sich mit dem erwachen und damit wird die realität auch wieder real und das fremdsein? quoth würde es gerne deutlicher hören oder lesen: dass man immer fremd bleibt. aber dieser text spricht davon weil er vom tod spricht, den man vergisst, wenn man im halbschlaf, im traum ist. weil man diesem erhofften zustand des "nicht-verlassensein" näher kommt als im "wachen" zustand.
an dem wort "bloß" habe ich mich gestört. man könnte es mit "nur" ersetzen. aber bloß ist besser. es bedeutet auch "blöße" und damit auch "angreifbar" "nackt" .
"du borgst dir in den nächten deinen mund".... das ist für mich am eindringlichsten. am verwirresten? warum sollte jemand sich seinen eigenen mund borgen/ ausleihen? "du vergräbst..." ich denke da auch an "verbergst" und da ist dann auch eine verbindung zu "verborgst" ( kopfkino- spiel mit vokalen) und das ich borgt und vergräbt/ verbirgt- hier wird doch ein graben gegraben, die spuren vergraben mit einer geborgten sprache, die das "fremde" bestätigt.
( kurt, deine einwände sind albern.)

Kurt
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Beitragvon Kurt » 03.03.2017, 03:13

Nera, die Sache ist ganz einfach. Beispiel: Ein Träumender fühlt sich wie ein aufgescheuchtes Huhn. Nun, stellen wir ihm entgegen: Du Träumender fühlst dich nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn. Er könnte das eine oder andere behaupten, wir könnten es nicht ausschließen.
Dazu ein Gegenbeispiel:
Wir haben vor uns eine Schraube aus Eisen liegen. Es kann von jemanden angezweifelt werden, dass es sich um eine Schraube aus Eisen handele. Die Schraube kann aber nicht das eine und andere sein. Entweder sie ist aus Eisen, oder sie ist es nicht. Es ließe sich feststellen.

LG Kurt :schweinchen:
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Estragon

Beitragvon Estragon » 04.03.2017, 10:12

carl hat geschrieben:Gefällt mir!

Ein paar Fragen:
unser gedächtnis ist schlaf
wir träumen und alles bleibt wie es ist
Die Unmittelbarkeit des Träumens wird so m.E. wen'ger gebrochen (falls das nicht eine Absicht ist :-)
wir
das ist nur ein wort
Oder auf welche Sätze beziehst du dich?

Grüße, Carl


es gibt sätze die man ausspricht, ohne
dass sie das wiederspiegeln was wir oder
ich sagen will, so etwas passiert, das ist
menschlich.
aber im traum können wir alles sagen,
alles erkennen, alles sehen und wir
können es, weil wir wissen (wenn auch selten im traum)
das wir wieder verschwinden.
ein traum ist ein großer widerspruch zum sogenannten
normalen leben, genauso wie die lyrik, was habe ich
von einer lyrik die mir alles genau erklärt, die genau weiß
wovon sie spricht.
ich möchte das lyrik spricht, ich möchte sie nicht in
einer konservendose finden, in der alles gleich schmeckt. das bedeutet
nicht, dass ich mein gedicht für etwas besonderes halte.

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nera
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Registriert: 19.01.2010

Beitragvon nera » 12.03.2017, 03:28

kurt, schön dass du von schrauben träumst. dann bist du ja auf der sicheren seite. entweder sind sie aus eisen oder eben nicht( die schrauben und die träume) ? gibt es eigentlich nur schrauben aus eisen? aber in der regel entziehen sich träume der logik, selbst tagträume. das kann ein geheimnisvoller raum sein, muss aber nicht. und tatsächlich könnte man annehmen, dass an träumen vom schrauben nichts zu schrauben sei. ob das nun gut oder schlecht wäre, lasse ich mal dahin gestellt?


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