Das Salzkraftwerk

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Last

Beitragvon Last » 15.04.2006, 16:39

Das Salzkraftwerk

Das Salzkraftwerk ist ausgelaugt
Die Suppengrünen arbeitslos
Sie zählen Wolken aus Mehl
Und nie wieder Sodbrennen

Die Wortfabrik ist insolvent
Die Advokaten ausgezahlt
Sie reden immer noch silbrig
Und nie wieder Pinnwände

Eine destillierte Träne fließt
Dem Vaterland

Max

Beitragvon Max » 15.04.2006, 21:45

Lieber Last,

willkommen im Forum! Dein erster Text, den ich hier lese, bereitet mir ein wenig Kopfzerbrechen. Anhand der Bilder, die mir gut gefallen, z.B. die Wolken aus Mehl, ahne ich, dass hinter dem Text etwas steckt, das ich nicht entschlüssele. Hilfst Du mir auf die Sprünge?

Liebe Grüße
Max

Franktireur

Beitragvon Franktireur » 15.04.2006, 22:44

So, ich hatte ja versprochen, dir etwas zu schreiben zum Gedicht. Ganz kriege ich es auch nicht entschlüsselt - vielleicht fehlen mir die nötigen Backgrouindinfos, da sich mein Interesse für Politik seit Jahren sehr in Grenzen hält (was nur ein Euphemismus ist für "Angewidertsein").

Ich denke, es geht um die "Grünen", ist also ein politisches Gedicht, in dem du darauf hinweisen willst, was aus denen im Laufe der Jahre geworden ist.

"Salz" steht für Leben, Lebenskraft, das "Salz der Erde". Kraftwerk ist wahrscheinlich auf Atomkraft(?) eine Anspielung?.
Dadurch bekommen viele der Worte eine Mehrfach-, teils sogar eine neue Sinn-Bedeutung.

Die zweite Passage kann sich auf Schily beziehen (der ja von den Grünen zur SPD gewechselt ist) oder auch allgemein auf den Umstand, daß dieses Land wohl mehr von Rechtsanwälten und Juristen "regiert" wird als von den eigentlich nominellen "Politiker-Verantwortlichen".

Die Tränen sind Krokodilstränen, oder noch schärfer, "tote Tränen", die keinerlei Bedeutung mehr haben.

Alles in allem das Fazit: Dieses Land interessiert eigentlich niemanden mehr, und die übriggebliebenen "Surrogat"-Grünen schon gar nicht, da sie weg vom Fenster sind.

Vielleicht interpretiere ich zu vordergründig, evtl. etwas zu flach, aber so kommt es insgesamt bei mir an.

Den schönen Umgang mit Worten möchte ich in jedem Fall ein dickes Lob zollen, ich finde das sehr gelungen.

Gruß
Frank

Last

Beitragvon Last » 16.04.2006, 01:25

Hallo ihr beiden,
danke für die Kommentare.

Eines meiner ersten politisch geprägten Gedichte ist wohl nicht ganz gelungen.
Was ich beschreiben wollte, ist die politisch-soziale Lage in Deutschland. Etwas allgemeiner, als du das interpretiert hast Franktireur. Politikverdrossenheit, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Ein verspürter Niedergang der Nation. Auch der moralische Niedergang der Grünen ist ein Zeichen dafür, das ich bewusst eingebaut habe (anscheinend ein wenig zu stark ausgeprägt, sollte mitschwingen und nicht zu sehr überlagern).

Salzkraftwerk ~ Lebenskraftspender

Zur 2. Strophe zitiere ich mal:
allgemein auf den Umstand, daß dieses Land wohl mehr von Rechtsanwälten und Juristen "regiert" wird als von den eigentlich nominellen "Politiker-Verantwortlichen"
So hab ich's gemeint :smile:

Zum Schlusssatz ebenso *gg*
Die Tränen sind Krokodilstränen, oder noch schärfer, "tote Tränen", die keinerlei Bedeutung mehr haben

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.04.2006, 17:28

Hallo Last,
jetzt ,wo du schon etwas zu dem Gedicht geschrieben hast, verstehe ich einige (gelungene) Textpassagen auch besser. Wer sagt auch, dass man - selbst bei einem Gedicht mit politischen Anspielungen - alles sofort verstehen muss?

Allein das Sodbrennen und die Pinnwände geben mir noch Rätsel auf...gibt es da auch konkrete Bezüge?

Last

Beitragvon Last » 16.04.2006, 17:53

Hallo Lisa,
auch dir danke für deinen Beitrag :smile:

Wenn ein Gedicht geheimnisvoll ist, ist das gut, wenn der Leser nichts mehr versteht ist das schlecht. Ich befinde mich steht's an der haarfeinen Grenze, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite, hoffe sie irgendwann genau finden zu können.

Auch Sodbrennen und Pinwände haben ihre Bedeutung.
Sodbrennen beschreibt eine Appetitlosigkeit, die entstanden ist, weil man zuviel gefressen hat oder die Speise zu würzig war, man schafft die ganze politische Denkerei ab, somit vergeht auch das Sodbrennen.

Pinnwände stehen für etwas, was den Gedanken Halt bieten soll.

Das ich soviel erklären muss stört mich an meinem Gedicht, es liegt wohl zu weit hinter der Verständnisgrenze, ist also nicht wirklich gut gelungen.
Und dann empfinde ich es auch noch so, also ob meine gedichteten Worte das eigentlich Gemeinte viel treffender beschreiben, als meine Erklärungsversuche, damit verunglimpfe ich meines Geistes Kind auch noch :???:

Alma Marie Schneider
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Beitragvon Alma Marie Schneider » 17.04.2006, 02:37

Ich finde die Bilder interessant und gelungen. Verständlich auch, nur der letzte Satz "Dem Vaterland" klingt etwas zu pathetisch. Ich würde auf ihn verzichten, weil ich meine auch einen etwas ironischen Unterton zu vernehmen. Der gefällt mir dann ganz besonders im Zusammenhang mit der destillierten Träne.

Liebe Grüße
Alma Marie

Trixie

Beitragvon Trixie » 17.04.2006, 10:59

Servus Last!

Ich finde, auch wenn es ein wenig mit dem Verständnis hapert, dass dies ein großartiges Gedicht ist! Die Ideen, die dahinter stecken- da würde ich nie nie nie im Leben drauf kommen, gefällt mir wirklcih sehr gut. Und gerade, weil der Patriotismus angeprangert werden soll, finde ich, dass das Vaterland am Ende unbedingt stehenbleiben muss, um die Ironie, fast schon den Spott, zu verdeutlichen. Die Begriffe sind nach mehrmaligem Lesen und deinen Erkärungen klar, nur was bedeutet, dass die Advokaten silbrig reden? Wofür steht silbrig in diesem Zusammenhang? Ich dachte zunächst an positiv und optimistisch und "einschleimend", aber wenn die Wortfabrik doch insolvent is, wie geht das dann? :-s Bitte um weitere Aufklärung, trotzdem Kompliment!!

lg Trixie

Last

Beitragvon Last » 17.04.2006, 11:30

Hallo Alma Marie, hallo Trixie,
danke für eure Kommentare :smile:

das Gedicht ist ja anscheinend so schon recht schwer zugänglich. Beim Schreiben dachte ich, dass durch "dem Vaterland" dann alles geklärt wird. Ein bisschen Pathos steckt, auf zweifach-distanzierte Weise, auch drin.

Das silbrige Reden kommt vom Sprichwort: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold"

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 22.10.2016, 11:09

Natürlich ging es mir fast genauso wie den Kommentatoren beim ersten Lesen des Gedichts.

Und war auch von den Bildern gefangen.

Jeder versteht ein Gedicht anders.

Das mit den Grünen habe ich sofort geahnt, mich dann gewundert, dass es mit dieser Entwicklung schon so lange zurückgeht.

Die Mehlwolken habe ich mit der Suppenzubereitung assoziert.

Ich muss mich berichtigen: Franktireur hat das Wesentliche des Gedichts gleich richtig interpretiert.


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