HBF (Magistrale)

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 13.02.2016, 09:25

HBF


Wie tote Blätter treiben draußen Krähen.
Sie setzen sich am kalten Bahnsteig ab.
Die grellen Messebanner hängen schlapp,
Unmotiviert die Absperrbarken stehen.

Die Rolltreppe kaputt, der Lift defekt,
Verspätungen erfährt man digital.
Natursteinblenden vor Beton und Stahl.
Es soll so sauber sein, wie im Prospekt.

Geweißte Ladenfronten; - Hier entsteht...
ein Backshop, Bootstore, ein Bulettenbräter
Convinience-Style der laufenden Dekade,
schlecht temperiertes Licht, wie ein Sekret:
Gelb, beinah milchig träuft es aus dem Äther.
Flecken auf der neuen Glas-Fassade.
Zuletzt geändert von ZaunköniG am 18.02.2016, 07:30, insgesamt 1-mal geändert.
Der Anspruch ihn auszudrücken, schärft auch den Eindruck

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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2016, 14:41

Hallo Zaunkönig,

wenn ich das richtig verstanden habe müssen bei diesem Gedicht jeweils die Endzeilen der anderen Teile in unveränderter Reihenfolge genommen werden? Wow. Das stelle ich mir schwierig vor, aber es passt hier gut zusammen, auch wenn es für mich überraschend ein wenig sehr in Richtung Kulturkritik abdriftet und das Persönliche verliert (vielleicht wird das durch die Einzelteile aber auch wieder etwas aufgefangen).

Mit der Perspektive habe ich bis jetzt keine Probleme und sehe weiter den Gebäudereiniger und durch seine Augen und das ist für mich eine gute Erweiterung und Ergänzung, gibt dem Gesehenen immer auch noch eine andere Dimension vor diesem Hintergrund.

Unmotiviert die Absperrbarken stehen.
(da hat sich ein "r" eingeschlichen - baken) Diese Zeile fällt für mich ab und wirkt künstlich für die Form verdreht (auch schon im Gedicht selbst, auch wenn da noch ein "wo" ergänzt wird). Beim "unmotiviert" weiß ich auch nicht, wie ich das hier betonen soll, damit es passt. Da würde ich nochmal überlegen.

Und das hier: "Bootsstore" musste ich zweimal lesen, verwendet das jemand so? Vielleicht eher den Bookstore nehmen?

Dann hüpfe ich mal zu den Werberinnen :)
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Mucki
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Beitragvon Mucki » 17.02.2016, 16:00

Hallo Zaunkönig,

diese Magistrale liest sich für mich viel rhythmischer als die anderen Teile. Woran könnte das liegen?
Beim Wort 'unmotiviert' dachte ich nicht an die Betonung (ich betone auf der ersten Silbe), sondern ich fragte mich, ob Absperrbaken unmotiviert sein können, wohl eher nicht.
Ansonsten überlegte ich, genau wie Flora, ob du Bookstore schreiben solltest.

Saludos
Mucki

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 17.02.2016, 18:01

Flora,

Du hast das schon richtig verstanden. Und es wird leichter wenn man mit der Magistrale beginnt - oder sie zumindest nicht als letztes schreibt.
Kulturkritik? Es ist die nüchterne Beschreibung eines nicht sehr idyllischen Ortes. Aber er ist ja auch nicht für den längeren Aufenthalt gemacht.
Ja, der "Bootsstore" ist schon ehr sperrig und soll die gewollt-hippe Werbersprache karikieren. Der Begriff soll an der Stelle gar nicht "funktionioeren". Ich finde ihn sprachlich einen schönen Kontrast zum abfälligen Bulettenbräter.
Bookstore lässt sich leichter aussprechen, aber gerade weil man den Begriff schon kennt nichts so spannend.

Mucki,

Rythmischer ist diese Magistrale wohl, weil ich weniger mit Enjambements arbeite.
Eigentlich liebe ich Enjambements, aber wenn die Einzelzeilen auch in anderem Zusammenhang funktionieren sollen, wird es schwierig.

Ob Absperrbaken unmotiviert stehen können?

Als leblose Dinge haben sie natürlich keine eigene Motivation. Aber irgendwer hat sie ja aufgestellt, - Ohne dass ersichtlich wird wozu, denn: Es tut sich nichts auf der Baustelle.
Die Betonung, fällt tatsächlich aus dem Schema, in dem eigentlich die zweite Silbe hätte betont werden müssen.
Solche irritationen hemmen den Lesefluss, also die Lesegeschwindigkeit, ähnlich wie man in der gesprochenen Rede gegen Ende die Stimme senkt....

Also, ich will jetzt nicht behaupten, dass das hier Absicht war, aber ich denke, dass das an der Stelle geht.

Liebe Grüße
ZaunköniG
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Ylvi
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Beitragvon Ylvi » 17.02.2016, 19:08

Kulturkritik? Es ist die nüchterne Beschreibung eines nicht sehr idyllischen Ortes. Aber er ist ja auch nicht für den längeren Aufenthalt gemacht.
Nüchtern empfinde ich das nicht, für mich schwingt schon eine sehr deutliche eigne Meinung, Einstellung und Wertung mit. Was für mich aber auch völlig ok ist, solange es eingebettet ist und mir so etwas über den Erzähler "erzählt".
Ja, der "Bootsstore" ist schon ehr sperrig und soll die gewollt-hippe Werbersprache karikieren. Der Begriff soll an der Stelle gar nicht "funktionioeren". Ich finde ihn sprachlich einen schönen Kontrast zum abfälligen Bulettenbräter.
Ja, das ist ein gutes Argument, aber dann würde ich ihm wenigstens ein "s" klauen und einen Bootstore daraus machen?

Liebe Grüße
Flora
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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 18.02.2016, 07:12

Bootstore?
Ich denke dass Boots immer Plural sind, so wie Jeans, -
sonst denkt noch jemand, dass dort Boote verkauft werden o)
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Beitragvon Ylvi » 18.02.2016, 07:24

Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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ZaunköniG
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Beitragvon ZaunköniG » 18.02.2016, 07:29

Ok, hast gewonnen

Man sollte sich mit Frauen nicht über Schuhe streiten ;-)
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Mucki
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Beitragvon Mucki » 18.02.2016, 13:11

ZaunköniG hat geschrieben:Man sollte sich mit Frauen nicht über Schuhe streiten ;-)

Weise Entscheidung, ha,ha! Da können Männer nur verlieren. :mrgreen:


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