Es gab da mal einen Zeichentrickfilm mit Doktor Snuggles, erzählt er. Der Fluss war plötzlich nicht mehr in seinem Bett. Die Ufer vertrockneten. Doktor Snuggles, der gewohnt war, alles zu richten, ging auf die Suche nach dem Fluss und fand ihn zusammengerollt, vor Angst zitternd, in seiner Quellhöhle: Er wollte nicht ins Meer. Weil, so sagte er, irgendwelche Leute (Außerirdische?) große Wasserblöcke aus dem Meer geschnitten hatten. Doktor Snuggles überzeugte sich übrigens selbst. Er fuhr ans Meer und stellte fest, dass jemand quaderförmige Brocken aus dem Meer geschnitten hatte, so wie man ein Stück aus einer Torte schneidet.
Stell dir vor, was passiert, sagt er, wenn plötzlich zuwenig Wasser da ist, oder zuviel, oder was gefroren ist, schmilzt; oder was flüssig ist, gefriert.
Ja, Eiszeit, sage ich und sehe uns plötzlich alle seitwärts krumm im Schnee liegen: meine Nachbarn, den Bäcker an der Ecke, die Müllmänner, Zeitungsträger ... einer neben dem anderen, die ganze Straße lang. Wie verhungerte Vögel.
Und dann?
Dann sterben wir eben. Wenn wir alle sterben, ist es doch ohne Bedeutung. (Der Gedanke ist ganz neu für mich, aber da ich ihn nun mal geäußert habe, lasse ich ihn im Raum stehen, schutzlos seinen kritischen Blicken ausgesetzt.)
Er hat mir eine Zeitung aufgeschlagen hingelegt, die auf zwei Fotos einen Berggletscher in der Schweiz zeigt; auf dem ersten Foto (von 1935) reicht er breit und grau bis ins Tal hinunter, auf dem zweiten, aktuellen Foto (vom gleichen Standort aus) ist er nur noch ein ferner Fleck in der Bergwand. Schau, sagt er. Wir werden nicht erfrieren, wir werden ertrinken in der Nässe der Luft, in gelöstem Wasser. Das Eis geht.
Ich betrachte die Fotos, es sind Kühe auf den Almweiden; ich gebe mir Mühe, kann es aber nicht wirklich tragisch finden, dass das Eis geht. Dass der Königstiger geht, finde ich schlimmer; oder dass der Iberische Luchs geht, oder die Johanniskrauteule – aber von mir aus, mögen sie alle gehen; was macht es schon aus im Buch der Erdgeschichte.
Weißt du was?, fragt er erbost. Wenn ich dich so reden höre, das ist reiner Defätismus, auf dir könnte man Holz hacken.
De-was?
Die Tür schlägt zu; er geht.
Aber es ist nicht das erste Mal. Er wird zurückkommen.
Eiszeit [M]
hallo Zefira,
also ich hätte das ja eher als wirklichen Dialog geschrieben, so mit anführungszeichen und so; von meiner logik her sind diesen passage überdenkenswert:
"... Dann sterben wir eben früher. Da wir ohnehin alle sterben müssen, ist ..."
sowie
"... die Johanniskrauteule - aber wenn ich es recht bedenke, ist es mir egal, und wenn sie alle gehen. Was ..."
als auch:
"... Er geht, nicht zum ersten Mal. Aber er wird zurückkommen."
Ansonsten: Eine echte Eiszeit, ein Drama im Kleinen.
mit lg donkju
also ich hätte das ja eher als wirklichen Dialog geschrieben, so mit anführungszeichen und so; von meiner logik her sind diesen passage überdenkenswert:
"... Dann sterben wir eben früher. Da wir ohnehin alle sterben müssen, ist ..."
sowie
"... die Johanniskrauteule - aber wenn ich es recht bedenke, ist es mir egal, und wenn sie alle gehen. Was ..."
als auch:
"... Er geht, nicht zum ersten Mal. Aber er wird zurückkommen."
Ansonsten: Eine echte Eiszeit, ein Drama im Kleinen.
mit lg donkju
Hallo DonKju,
danke für Deinen Kommentar. Du schreibst nicht dazu, warum genau diese Passagen Dir überdenkenswert erscheinen, aber nachvollziehen kann ich es "irgendwie". Es sind genau die Passagen, die die Erzählstimme in dem Text ebenfalls noch überdenkt.
Die Erzählstimme (das prosaische ich) bewegt sich, scheint mir, auf sehr dünnem Eis, weiß selbst nicht so recht, was sie denken soll, und entwickelt ihre Gedanken ausschließlich als Reaktion auf das Vorgegebene.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es sich um zwei wirklich verschiedene Stimmen handelt. Vielleicht sind es auch nur zwei Seelen in ein und derselben Person (und deshalb fehlen die Anführungszeichen).
Nachtgrüße
Zefira
danke für Deinen Kommentar. Du schreibst nicht dazu, warum genau diese Passagen Dir überdenkenswert erscheinen, aber nachvollziehen kann ich es "irgendwie". Es sind genau die Passagen, die die Erzählstimme in dem Text ebenfalls noch überdenkt.
Die Erzählstimme (das prosaische ich) bewegt sich, scheint mir, auf sehr dünnem Eis, weiß selbst nicht so recht, was sie denken soll, und entwickelt ihre Gedanken ausschließlich als Reaktion auf das Vorgegebene.
Ich bin mir nicht mal sicher, ob es sich um zwei wirklich verschiedene Stimmen handelt. Vielleicht sind es auch nur zwei Seelen in ein und derselben Person (und deshalb fehlen die Anführungszeichen).
Nachtgrüße
Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Hallo Zefira,
denn ich doch noch mal: ich kann natürlich nur meinen persönlichen leseeindruck mitteilen und der sieht dein stück eher als einen tatsächlichen, nicht als einen inneren dialog zwischen ego & alter ego. wenn's so gedacht ist, hab' ich's nicht kapiert, kann passsieren - aber selbst das kann für den autor eine sinnvolle rückmeldung sein.
in diesem sinne mlg donkju
denn ich doch noch mal: ich kann natürlich nur meinen persönlichen leseeindruck mitteilen und der sieht dein stück eher als einen tatsächlichen, nicht als einen inneren dialog zwischen ego & alter ego. wenn's so gedacht ist, hab' ich's nicht kapiert, kann passsieren - aber selbst das kann für den autor eine sinnvolle rückmeldung sein.
in diesem sinne mlg donkju
Hallo DonKju,
so ausschließlich habe ich es nicht gemeint; ich schrieb ja "... bin mir nicht sicher".
Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass das erzählende Ich bislang keine feste Meinung hat zu den Fragen, mit denen andere Sprecher es konfrontiert.
Grüße von Zefira
so ausschließlich habe ich es nicht gemeint; ich schrieb ja "... bin mir nicht sicher".
Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass das erzählende Ich bislang keine feste Meinung hat zu den Fragen, mit denen andere Sprecher es konfrontiert.
Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Liebe Zefi,
ich mag deinen Ton deiner Texte so, wie man eben auch das Gemüt eines Menschen anziehend findet oder nicht. Ganz einfach kommen sie daher und schaffen es immer, dieses Gefühl von Erleben in einem wachzurufen. An Kleinigkeiten, Nachrichten, winzigen Gegenständen oder Zipfeln von Geschichten spannt sich ein Bewusstsein auf, das einem zeigt, dass auch andere Menschen irgendwie so sind wie man selbst und doch ganz eigen, unerzählbar.
So auch hier.
Liebe Grüße
Lisa
ich mag deinen Ton deiner Texte so, wie man eben auch das Gemüt eines Menschen anziehend findet oder nicht. Ganz einfach kommen sie daher und schaffen es immer, dieses Gefühl von Erleben in einem wachzurufen. An Kleinigkeiten, Nachrichten, winzigen Gegenständen oder Zipfeln von Geschichten spannt sich ein Bewusstsein auf, das einem zeigt, dass auch andere Menschen irgendwie so sind wie man selbst und doch ganz eigen, unerzählbar.
So auch hier.
Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Danke, Lisa.
Ich habe eben noch mal nach der Kindersendung gesucht und sie gefunden:
Die Wasserdiebe aus dem Weltraum
Herrlich, wie Onkel Bill unter Wasser die Seeanemonen gießt.
Und ich mag Kindersendungen, in denen schon im ersten Satz das Wort "lechzte" vorkommt.
Ich habe eben noch mal nach der Kindersendung gesucht und sie gefunden:
Die Wasserdiebe aus dem Weltraum
Herrlich, wie Onkel Bill unter Wasser die Seeanemonen gießt.
Und ich mag Kindersendungen, in denen schon im ersten Satz das Wort "lechzte" vorkommt.
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Hallo Zefira,
ich finde den Text auch sehr gelungen! Er ist ja selber so ein Quadrat, das da etwas still und von der Textgestik her beinah schüchtern wirkt, aber eigentlich ein wogendes, strömendes, mitreißenes Ur-Thema verkörpert. Das Besondere, wie oftmals an deinen Texten, scheint mir auch, um in dem Bild zu bleiben, dass es diese Art Dehnen/Sehnen wie von Wasserwänden gibt, die zu ihrem Element zurückwollen, um sich erst dort in ihrer Gänze zu verwirklichen. So menschlich dein Text die Hand reicht, will er doch eiegntlich darüber hinaus. Im Weiteren, darf ich sagen, bin ich ein Fan von Dr. Snuggels und liebe diese barocke alte Serie mit ihren zierlichen Schaumgebilden, und finde es eigentlich schade, dass sich doch wenige Autoren herablassen wollen, auch von solchen Bildern zu reden, wo dieselben, wie man an deinem Text sieht, durchaus Potenzial haben.
Sorry, etwas eilig geschrieben, aber Danke für den Text!
ich finde den Text auch sehr gelungen! Er ist ja selber so ein Quadrat, das da etwas still und von der Textgestik her beinah schüchtern wirkt, aber eigentlich ein wogendes, strömendes, mitreißenes Ur-Thema verkörpert. Das Besondere, wie oftmals an deinen Texten, scheint mir auch, um in dem Bild zu bleiben, dass es diese Art Dehnen/Sehnen wie von Wasserwänden gibt, die zu ihrem Element zurückwollen, um sich erst dort in ihrer Gänze zu verwirklichen. So menschlich dein Text die Hand reicht, will er doch eiegntlich darüber hinaus. Im Weiteren, darf ich sagen, bin ich ein Fan von Dr. Snuggels und liebe diese barocke alte Serie mit ihren zierlichen Schaumgebilden, und finde es eigentlich schade, dass sich doch wenige Autoren herablassen wollen, auch von solchen Bildern zu reden, wo dieselben, wie man an deinem Text sieht, durchaus Potenzial haben.
Sorry, etwas eilig geschrieben, aber Danke für den Text!
So menschlich dein Text die Hand reicht, will er doch eiegntlich darüber hinaus.
Lieber Peter, das ist eines der schönsten Komplimente, die ich je für mein Schreiben bekommen habe. Danke!
Ich habe schon eine ganze Weile Totalblockade, meine nichts zu sagen zu haben, vielleicht setze ich mich nun doch wieder mal hin.
Den kleinen Film mit Dr. Snuggles und dem ängstlichen Fluss habe ich mir heute morgen noch einmal angesehen (Link steht oben) und war wieder mal begeistert von dem Ideenreichtum und der lockeren Art, wie da Banales und Phantastisches ganz selbstverständlich nebeneinander gereiht und miteinander verflochten wird.
Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
Ich mochte nie fernsehen, einer meiner klarsten Eigenschaften als Kind, was überzogen klingt,aber wirklich so war. Einfach keine überzeugenden Helden und Welten. Aber Doktor Snuggels mochte ich auch, etwas kam da schon an.
Indikator für eine Serie, die ich mochte, war übrigens stets, dass das Titellied mich traurig stimmte. Wenn ich dievon Snuggles höre, erstaunt es mich, aber empfinden tue ich es immer noch so. Entfernte Meeresquader jedenfalls machen schon einen Eindruck, der nicht nur so daherkommt.
Liebe Grüße
Lisa
Indikator für eine Serie, die ich mochte, war übrigens stets, dass das Titellied mich traurig stimmte. Wenn ich dievon Snuggles höre, erstaunt es mich, aber empfinden tue ich es immer noch so. Entfernte Meeresquader jedenfalls machen schon einen Eindruck, der nicht nur so daherkommt.
Liebe Grüße
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.
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