Herbstterzinen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Rita

Beitragvon Rita » 23.09.2014, 06:56

Herbstterzinen

Die Zeit, sie eilt. Du fragst: Was bleibt zurück?
Wenn's gut geht, pflegst du haufenweise Kerben.
Noch mal davongekommen. Das ist Glück.

Was wäre sonst von dieser Welt zu erben?
Die Liebe? Hat sich schnell doch ausgeliebt.
Für sie wie Romeo und Julia sterben?

Glück schon, wenn einer dir ein Lächeln gibt.
Du bist allein mit dir und deinen Sorgen
und spürst, wie dich das Leben weiterschiebt.

Und jetzt mal ehrlich: Fühlst du dich geborgen?
Du drückst dich in den kalten Schoß der Zeit,
hältst dich für frei, denkst selten nur an morgen.

Noch lebst du ja, noch ist es nicht soweit.
Voll Wehmut musst du manchmal daran denken,
dann spürst du diese Ausweglosigkeit.
So ist's: Das Leben hat nichts zu verschenken

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 23.09.2014, 07:46

Guten Morgen, liebe Rita!

Es muss ein schöner Herbsttag gewesen sein, an dem ein so schönes Gedicht entstanden ist.

Ich nehme es als ein Lebensgeschenk an.

Liebe Grüße
Carlos

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Mnemosyne
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Beitragvon Mnemosyne » 23.09.2014, 16:52

Hallo Rita,
insgesamt ein Gedicht, das eine gewisse "herbstliche" Lebensstimmung in treffend gewählten Skizzen wiedergibt. Besonders ansprechend fand ich den resignierten Minimalismus in "Glück schon, wenn einer dir ein Lächeln gibt".
"Für sie wie Romeo und Julia sterben" dagegen wirkt auf mich an dieser Stelle etwas künstlich, eher wie ein "irgendwas mit ...erben" als etwas, was da inhaltlich wirklich hingehört. Ansonsten harmoniert der Inhalt mit der sicher nicht ganz einfachen Form der Terzine (die ich hier zum ersten Mal gesehen habe).
Sehe ich es richtig, dass die Terzine nach der vierten Strophe endet und der Vierzeiler am Schluss ein Zusatz ist? Oder ist das eine Unterform?
Viele Grüße
Merlin

Lyrillies

Beitragvon Lyrillies » 25.09.2014, 00:47

Hallo Rita,

das finde ich sehr fein. Ich habe zwar absolut keine Ahnung von Terzinen, aber mir gefällt die Kombination einer erkennbaren Form und der hier an manchen Stellen recht locker wirkenden Sprache ("Und jetzt mal ehrlich"). Oder anders gesagt: oft wirkt die Wortwahl für mich in solchen Texten gezwungener als es hier der Fall ist.
Ich mag auch die Bilder - mich stört im Gegensatz zu Merlin die Erwähnung von Romeo und Julia nicht, für mich klingt das nach einem zynischen Gedanken an ein nicht existentes Idealbild der Liebe. Einzig etwas zu platt im Vergleich mit dem Rest finde ich die letzte Zeile, die klingt mir zu sehr nach einer Dorfweisheit.

Allerbeste Grüße,
Ellie

Rita

Beitragvon Rita » 01.10.2014, 09:19

Lieber Carlos,

das ist ein schmeichelhafter Kommentar, den ich kaum anzunehmen wage, für den ich mich aber herzlich bedanke.

Lieben Gruß, Rita

Rita

Beitragvon Rita » 01.10.2014, 09:28

Lieber Merlin,

Das siehst du richtig, es geht hier nicht um den herbstlichen Blätterfall, sondern um den Lebensherbst.

Du fragst, warum die letzte Strophe vier Verse hat. Ganz einfach, die Terzine hat eine vorgeschriebene Form,
die man endlos weiterführen kann, aber der letzte Vers schließt die Terzine ab, deshalb vier Verse.

Der Vers "Für sie wie Romeo und Julia sterben?" erläutert den vorhergehenden Vers, der ja heißt "Die Liebe? Hat sich schnell doch ausgeliebt". Mit Zynismus hat das nichts zu tun, eher mit Resignation, denn was erwarten wir uns nicht alles von der Liebe, und dann birgt die Realität doch eine Menge Enttäuschungspotential. Ich würde den dritten Vers ironisch lesen.

Hab besten Dank für den Kommentar.

Lieben Gruß, Rita
Zuletzt geändert von Rita am 01.10.2014, 09:41, insgesamt 1-mal geändert.

Rita

Beitragvon Rita » 01.10.2014, 09:38

Liebe Ellie,

das Lockere, ja, das ist das Auffällige an diesen Terzinen, die gewöhnlich in gestelzter, gehobener Sprache majestätisch daherschreiten. Ich habe Alltagswendungen eingeflechtet, es sind sozusagen eher plebejische Terzinen mit einer Prise berlinischer praktischer Direktheit - in Verehrung meines großen Vorbildes Tucholsky. Passend dazu auch der letzte Vers, auch wenn du ihn als Dorfweisheit liest, nein, ich würde eher sagen, es ist eine Großstadtweisheit. Ich denke, sie passt in den Kontext. Aber das Plebejische sagt nicht jedem Terzinenschreiber zu, der es gewohnt ist, die letzten Gedanken der Menschheit auch quasi als Testament zu formulieren, das in die Geschichte eingeht. Mit meinen Terzinen bleib ich leider draußen.

Hab herzlichen Dank für den Kommentar.

Lieben Gruß, Rita

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nera
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Beitragvon nera » 01.10.2014, 23:37

dass romeo und julia gestorben sind, war ja nicht beabsichtigt, sondern ein dummes mißgeschick. die zwei welpen sind ja gar nicht dazu gekommen, ihre liebe zu leben. was diese text mit plebejisch, oder mit großstadt, zu tun hat, versteh ich nicht?
hat dante denn wirklich die letzten gedanken der menschheit in seinen versen konserviert? hier lese ich phrasen.
lg

Rita

Beitragvon Rita » 03.10.2014, 12:53

Liebe Nera,

das mit dem Missgeschick erzähl mal Shakespeare. Der rauft sich noch in der Gruft die Haare. Mir den Rest deines Kommentars zu erklären gelingt mir leider nicht. Aber hab vielen Dank fürs Reinsehen.

Lieben Gruß, Rita

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nera
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Beitragvon nera » 04.10.2014, 02:15

ach? war da nicht ein schlaftrunk im spiel?


" Erste Szene – Verona, Bruder Lorenzos Zelle: Paris bittet den überraschten Lorenzo, ihn am Donnerstag mit Julia zu vermählen. Julia erscheint, spricht ausweichend mit Paris, bis dieser voller Hoffnung geht. Julia bittet Lorenzo verzweifelt um einen Rat; finde er keinen, werde sie sich töten und zieht ein Messer. Lorenzo sieht eine Lösung: Er gibt Julia einen Schlaftrunk mit, der sie für 42 Stunden in einen scheintoten Zustand versetzen wird. Ihre Eltern werden sie bestatten, Romeo wird in der Zwischenzeit durch Lorenzos Mitbruder Markus benachrichtigt werden und sie aus der Familiengruft der Capulets befreien. Julia willigt ein." wiki

Rita

Beitragvon Rita » 04.10.2014, 08:51

Liebe Nera,

das ist wirklich sehr lieb, dass du mir "Romeo und Julia" erklären willst. Die Crux ist nur: Du verwechselst Ursache und Anlass. Die Ursache ist die Liebe der beiden zueinander, dein "Missgeschick" ist lediglich der Anlass für die Tragödie.
Also: Weil die beiden sich lieben, versuchen sie alles, das Verbot der Eltern zu umgehen, und daraus erwächst die Tragödie. Ist das dir so verständlich? Ich halte das übrigens für keinen Streitpunkt, der Vers ist ja nur eine Marginalie in meinem Gedicht. Auch du bist darauf aus, mir einen Fehler nachweisen zu wollen - kein schöner Zug, liebe Nera.
Mir wäre es lieber gewesen, du hättest dich mit dem Gedicht als Ganzes etwas näher beschäftigt, wie sich das unter Autoren gehört. Ich bin ja auch auf dein Gedicht als Ganzes eingegangen.

Lieben Gruß, Rita


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