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Bereich für Erzähl- und Sachprosa, also etwa Kurzgeschichten, Erzählungen, Romankapitel, Essays, Kritiken, Artikel, Glossen, Kolumnen, Satiren, Phantastisches oder Fabeln
Klimperer

Beitragvon Klimperer » 29.09.2014, 09:15

Ich ging zum Weihnachtsfest in die Andau. Bier und Essen waren kostenlos. Freiwillige mussten, abwechselnd, Bier zapfen und Gläser spülen. Immer wieder forderte Burkhard durch das Mikrophon die Leute auf, die leeren Gläser an die Theke zurückzubringen.
Ich fühlte mich nicht wohl: Die bloße Tatsache, das es "Freibier" gibt, vermag nicht mich mit Freude zu erfüllen.
Ich hatte keinen Hocker. Ein Mann und seine Frau saßen direkt vor mir an der Theke. Der Mann hielt extra, neben sich, einen Hocker frei. Beide hatten bunte Hemde, fette Leiber, ausdruckslose Gesichter. Sie tranken und aßen gratis, ohne die geringste Dankbarkeit in ihren Herzen.
Ich sah Klaus und Vivi, seine Frau, eine Griechin. Sie ist in Tito Clemente, einen Schauspieler einer brasilianischen Fernsehserie, verliebt. Klaus erzählte mir eine interessante Geschichte. Eines Tages fuhren er und Vivi zum Theater. Bei der ersten Gelegenheit, parkte er den Wagen, einen dicken BMW. Als sie in der Nähe des Theaters waren, sah Klaus eine wunderbare Parklücke ... "Pass auf, dass niemand in die Lücke reinfährt!", sagte er zu Vivi und rannte weg um den Wagen zu holen. Als er schon fast am Ziel war, stoppte ihn auf der schon dunklen Straße eine Nonne und bat ihn inständig darum, ihr und anderen Schwestern zu helfen. Wie konnte er dieser alten, Gottgeweihten Frau eine Bitte abschlagen? Er begleitete sie in das Kloster. Die Nonnen hatten ein großes Kruzifix abgestaubt und wollten es an seinen alten Platz zurückhaben. Das musste Klaus tun, während Vivi mit brennenden Füßen auf ihn wartete. Eine Frau nämlich wollte in die Parklücke reinfahren. Die Frau schimpfte und kam, Millimeter für Millimeter immer näher an Vivi heran. Diese ließ sich nicht einschüchtern, blieb tapfer da stehen, wie die alten Helden ihrer Heimat. Der Wagen berührte sie fast als Klaus endlich mit seinem Wagen auftauchte.
Ich versuchte mir zu merken, wie das Bierzapfen vor sich geht. Etwa eine Stunde lang machte das Dolley, die früher zum Team der Andau gehörte. Danach spielte sie Discjockey. Als "Jonny Walker" ertönte, machte eine Frau ihr Feuerzeug an und schwenkte es langsam in der Luft. Später verteilte sie ein Paar Wunderkerzen. Bei dem "Lied der Liebe" machte ich meine an, sie wollte aber nicht richtig brennen.

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birke
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Beitragvon birke » 01.10.2014, 08:56

sehr dicht geschrieben, sehr schön und vielsagend.
allein, was alles in dem letzten satz steckt!

lg
diana
wer lyrik schreibt, ist verrückt (peter rühmkorf)

https://versspruenge.wordpress.com/


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