Ein Spaziergang

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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 26.08.2014, 09:52

Ich sah ihn von weitem, erkannte ihn sofort, den Kopf am Ende einer hohen, dicken Säule. Die Säule ist so hoch, dass man eine Leiter bräuchte um ihn die Nase, diese markante Nase abzubrechen.
Nicht sehr alt wurde der Knabe: 1824-1874. Ich brauchte nicht lange, um das auszurechnen, angenehme Ziffern. Genau so alt wie der frühgestorbene Michael Jackson.
Ich finde es sehr raffiniert, wie man P.C. da oben, als Kapitell dieser klassizistischen Säule aufgestellt hat, als ob er vom Himmel herabgekommen wäre, mitten in dieser grünen Anlage, wo früher die alte römische Mauer stand.
Die Säule ist wahrscheinlich eine Kopie derjenigen, die den Domplatz schmückt. Sein Gesicht, das Gesicht von P.C. erinnert mich an Wiktor Korzekwas Gesicht.
Ich hatte ein wenig Angst, als ich diese Anlage betrat, aber die Anwesenheit von einer Mutter, die einen Kinderwagen schob, beruhigte mich.
Auf diesen Wegen muss Susanne Geier, vor 10 Jahren gejoggt haben.
Auf einmal empfand ich Lust, Adela anzurufen. Ihr Mann, Antonio Santabárbara, ist vor fast einem Monat gestorben. Ich hätte mich früher gemeldet, aber Lourdes, die Tochter von Adela und Antonio, schickte mir eine Email, in der sie mir Antonios Tod mitteilte und mich darum bat, kein Beileid zu bekunden. Sie schrieb auch, dass Antonio ohne Trauerfeier begraben werden sollte.
Die große, langsame Glocke einer Kirche schlug als ich auf meinem Handy Adelas Nummer wählte, sie hätte im Hintergrund diese Glocke gehört, wenn sie ans Telefon gegangen wäre, ich hörte aber nur Lourdes Stimme aus dem Anrufbeantworter. Ich sagte, auf Spanisch, meinen Namen und dass ich nur Adela grüßen wollte und ich mich irgendwann wieder melden würde. Ich erwähnte Antonio nicht.
Ich hatte mich ziemlich tief in diesen städtischen Miniurwald gewagt, wollte mich nicht allzu sehr
vom Vinzens Krankenhaus entfernen, machte kehrt. Die Sonne tat weh, sogar hier unter den Bäumen. Ein joggender Greis kam mir entgegen. Es war Zeit, sich hinzusetzen, aber es gab keine Bank in Sicht.
Ich entdeckte eine, rechts von dem Hauptweg, gut von der Sonne geschützt. Gleichzeitig erblickte ich ein älteres, schnell gehendes Paar. Sie kamen von links. Ich ahnte, dass auch sie diese Bank als Ziel hatten. Ich überlegte kurz, ob ich rennen sollte um die Bank in Besitz zu nehmen, ließ es aber sein, und tatsächlich, diese Leute gingen schnurstracks zur Bank und ließen sich dort nieder. Sie werden von meinem Wunsch nie erfahren. Ihre Gesichter konnte ich kaum im Dunst erkennen.
Links lagen zwei junge Mädchen, eins von denen arbeitete mit einem Laptop, eine Studentin wahrscheinlich. Wahrscheinlich schreibt sie eine Dissertation über P.C., dessen Kopf zum Leben eines Styliten verurteilt worden ist.
Weit und breit keine Bank. Ich suchte auf einem anderen Weg in dieser Riesengrünanlage, holte aus meinem Rucksack mein Schweizer Messer, für alle Fälle …
Ich entdeckte doch eine Bank, in der Nähe eines Spielplatzes, setzte mich dahin und holte das Buch von Anna Seghers, das ich neulich bei Oxfam käuflich erwarb. Ich glaube, sie ist eine mittelmäßige Schriftstellerin, vielleicht weil sie ein hohes Tier in der DDR war. Ich fing an zu lesen, schwierig bei dieser Hitze, ich spürte Müdigkeit in meinem Kopf. Sie schreibt in der ersten Person, als ob sie ein Mann, ein Ingenieur wäre. Auf einem Schiff, zurück von Brasilien ...
Ein alter Mann und eine Frau kommen mit einem kleinen Mädchen zum Spielplatz. Die Frau ist jünger als er, zu jung fast, vielleicht ist sie nur eine Tante des Mädchens. Oder eine alleinstehende Frau die der alte, eine gute Rente genießender Mann, über eine Anzeige gekannt hat. Er will ihr jetzt mit dem Enkelkind imponieren. Ich höre mit der Lektüre auf und beobachte sie. Ich kann das tun ohne penetrant zu wirken, weil sie ziemlich weit weg sind.
Sie sind doch ein eingespieltes Team. Er spielt mit dem Mädchen während sie auf einer Bank sitzt. Er ist ein großer, weißhaariger, relativ schlanker Mann, wie ein Ami angezogen. Er versucht, das auf dem anderen Ende der Wippe sitzendes Mädchen glücklich zu machen, es gelingt ihm halbwegs. Er kommt mir ungeschickt und lächerlich vor, die Art und Weiße, wie er das Mädchen zu erschrecken versucht, seine ruckartigen Bewegungen hinter denen eine undefinierbare Sanftheit steckt ... Das Mädchen lacht und lässt ihn nicht aus den Augen.
Ich lese weiter in dem gar nicht so schlechten Buch, werde wieder müde, schaue hoch, diesmal ist die junge Oma dran, der Alte sitzt auf der Bank und beobachtet, wie sie sich jetzt lächerlich macht. Sie geht anders mit dem Kind um, ihr fehlt die retuschierte Brutalität des Mannes.
Ich dachte an Mara, die Ärztin, die ich einmal verführen wollte. Bevor ich den Park betrat, kam ich zufällig an ihrer Praxis vorbei. VON 8 BIS 15 UHR ODER NACH VEREINBARUNG.
Ich schaute auf meine Uhr: Es war Zeit, zurückzukehren.

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Eule
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Beitragvon Eule » 26.08.2014, 13:23

Hallo Klimperer,

meine kleine Textkritik: Woher was der/die ErzählerIN, dass die Person mit dem Kinderwagen eine Mutter war ? Außerdem verdecken die vielen erwähnten Nebenfiguren etwas den Blick auf die Hauptperson.

"ziemlich tief" und " nicht allzu sehr": Für mich zu viel Unschärfe in diesem Satz. Zweites "zur Bank" vllt durch das direktere "gingen hin" ersetzen, sonst vier mal "Bank" hintereinander ! Vllt das letzte besser durch "Platz zum Sitzen" ersetzen ? "Riesengrünanlage" ist nach der vorher erwähnten "grünen Anlage" ebenfalls fast eine Wiederholung. "Art und Weise" statt "... Weiße".

Viele Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.


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