SITZEN BIS ZUM ERWACHEN - Buddha mit 35*
Er nimmt wieder genügend Nahrung zu sich.
Siddhartha Gautama, der "künftige Buddha" (Bodhisattva),
ist nur knapp dem Tod entronnen.
Strengen Übungen, alles überbietend, was es bisher an asketischen Praktiken gegeben hat,
ist diese seine Selbstgefährdung geschuldet gewesen.
Die angeblich letzte Stufe vor der Erlangung der Heiligkeit
ist ihm, im Gegensatz zu seinen fünf Weggefährten, suspekt geworden.
Die Wege haben sich getrennt.
Auf seiner nun einsamen, insgesamt siebenjährigen Wanderschaft
im Lande Magadha (nordöstliches Indien)
fühlt er sich nah am Ziel.
Er war aufgebrochen,
die Ursachen der universalen "Leidhaftigkeit" (Duhkha) zu erkennen
und diese so zu beenden.
Dazu folgte er nacheinander zwei brahmanischen Meistern,
deren Lehren ihn allerdings nicht zufriedenstellten.
Eine Kindheitserinnerung wird für den entscheidenden Schritt ausschlaggebend:
Er entsinnt sich einer spontanen Meditationserfahrung unter einem Rosenapfelbaum.
In Uruvela vom Ufer des Neranjara aus das fließende Wasser erblickend,
zieht es ihn zu einer Pappelfeige.
Das Gewächs wird später "Bodhibaum" heißen und der nahegelegene Ort "Bodhgaya".
Sieben Wochen lang sitzt der Meditierende unter dem Feigenbaum.
Dann, es ist eine Vollmondnacht im Frühlingsmonat Vesakha,
gerät er in die tiefstmögliche Versenkung.
Er gewinnt Einsicht in die karmische Struktur der Wirklichkeit:
all seine früheren Daseinsformen passieren Revue,
und überhaupt wird ihm das Rad der Wiedergeburten offenkundig.
Vor allem aber findet er die Antwort auf seine brennendste Frage:
Die Ursache des Leidens bilden drei Grundübel,
die zu überwinden der Erlösung gleichkommt.
Sie fallen im Morgengrauen von dem aus der Versenkung Erwachenden ab:
die sinnliche Begierde,
das Verlangen nach Wiedergeburt und
die gleichermaßen verbreitete Unwissenheit.
Der sinnlichen Begierde widersteht die Einsicht in die Vergänglichkeit alles Begehrenswerten:
So verwandelt sich dem leuchtenden Blick des Buddha
die starke erotische Anziehungskraft blühender Jugend
auf der Stelle in den allenfalls noch milden Liebreiz des Verwelkens.
Auf das Verlangen nach Wiedergeburt läuft jegliche Werdelust hinaus,
welche die Lebenden von Geburt an umtreibt.
Erst dem Buddha steht das "Verlöschen" (Nirvana),
das Verlassen des "Kreislaufs der Existenzen" (Samsara) jederzeit offen.
Die Unwissenheit schließlich hat er durch die Einsicht
in die wesenhafte "Leere" (Shunyata) überwunden,
die weder mit dem Sein noch mit dem Nichtsein gleichzusetzen ist,
am ehesten mit der bloßen Scheinhaftigkeit, also Substanzlosigkeit von allem.
So wird er es später selbst zusammenfassen:
"Und indem ich dies also erkannte, also erschaute, wurde mein Geist befreit.
Und in dem Befreiten entstand die Erkenntnis: Ich bin befreit.
Und ich erkannte: Vernichtet ist die Wiedergeburt. Vollendet ist der heilige Wandel;
meine Aufgabe ist vollbracht, nicht wieder kehre ich zu dieser Welt zurück."
Jetzt ist er ein wahrhaft "Erwachter" (Buddha),
nicht der erste freilich und längst nicht der letzte.
Das Erscheinen von nicht weniger als tausend Buddhas
ist für unseren "Weltenzyklus" (Kalpa) vorgesehen,
und Siddhartha Gautama, "der Weise aus dem Fürstengeschlecht der Shakyas" (Shakyamuni)
ist davon gerade einmal der vierte.
Sein "Erwachen" (bodhi) ist indessen so vollkommen,
dass er noch einer letzten Versuchung widersteht,
nämlich sein erlösendes Wissen für sich zu behalten.
Zwar stellt er ernsthaft die Erwägung an:
"Wozu der Welt offenbaren, was ich in schwerem Kampf errang?
Die Wahrheit bleibt dem verborgen, den Begehren und Hass erfüllt.
Mühsam ist es, geheimnisvoll, tief, verborgen dem groben Sinn.
Nicht mag's schauen, wem irdisches Trachten den Sinn mit Nacht umhüllt."
Zum letzten Mal reitet ihn mit diesem Bedenken ein Teufel, Mara, der "Zerstörer",
der überhaupt nichts von der Verbreitung einer Heilslehre hält.
Doch "untergehen wahrlich wird die Welt,
wenn sich das Herz des Vollendeten, des heiligen, höchsten Buddha
dazu neigt, in Ruhe zu verharren und die Lehre nicht zu predigen"
- so der göttliche Einspruch.
Buddha gibt sich keiner Illusion hin,
was die Aufnahmefähigkeit der Menschen für seine anspruchsvolle Botschaft betrifft.
Doch es genügt ihm, zu wissen, dass darunter wenn auch nur wenige
"rein von dem Staube des Irdischen sind.
Die werden die Erkenner der Lehre sein."
So schickt er sich an,
"die Tore des Unvergänglichen für die, welche hören wollen, zu öffnen",
und bricht er nach Benares auf,
denn seine mit der Erleuchtung erworbene Sehergabe zeigt ihm Indiens heiligste Stadt
als derzeitigen Aufenthaltsort seiner fünf vormaligen Begleiter,
deren Ernsthaftigkeit keinen Zweifel duldet.
Seine Lehrreden an diese werden der Beginn
eines noch vierzigjährigen fruchtbaren Wirkens sein.
*"Buddha" Siddharta Gautama
lebt im 5. Jh. v. Chr. und wird 80 Jahre alt.
Sitzen bis zum Erwachen
- Thomas Milser
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- Registriert: 14.05.2006
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Warum nicht? Wenn die Texte selbstverfasst sind, haben sie durchaus eine Berechtigung. Vielleicht nur aus dem handwerklichen Aspekt heraus, aber immerhin. Allerdings sehe ich im Salon (noch) keine eindeutige Rubrik dafür. Ich persönlich würde mich hingegen mit reinen Sachtexten nicht beschäftigen mögen... ich möchte neben dem Handwerk (eigentlich Voraussetzung) Aussage und Kunst lesen...
Tom
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Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)
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