Berlin im August

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Rita

Beitragvon Rita » 11.08.2013, 06:27

Berlin im August

Verlassen liegen die Boulevards der Stadt,
den Leuten fehlt sogar die Lust aufs Bummeln.
Kein Laut, der lauter wäre als ein Grummeln,
selbst Fensterscheiben blinken heute matt.

In Schatten drängt, wer gar nicht anders kann,
denn kein Kalender kümmert sich ums Wetter.
Im Rinnstein sammeln sich verdorrte Blätter,
man fragt betrübt bloß: Schon? Vergisst es dann.

Ein jeder Handschlag nervt und ist zuviel.
Und keineswegs bringt dann der Abend Kühle.
Man wirft, den Leib erfrischt, sich ins Gewühle,
sucht seinen Spaß und steuert stracks aufs Ziel.

Ein Stöhnen in der schwülen Sommernacht,
die Hitze hockt in jeder Häusermauer,
man wartet auf den kleinen Regenschauer,
dass wieder neu der Alltagstrott erwacht.
Zuletzt geändert von Rita am 11.10.2014, 14:30, insgesamt 3-mal geändert.

Niko

Beitragvon Niko » 11.08.2013, 10:48

hallo rita,

die letzte zeile finde ich irgendwie inhaltsleer, ich verstehe den sinn dieser letzten zeile nicht. klingt für mich ein bisschen so, als müsse da ja irgendwas hin um die strophe passend zu beenden.

die erste zeile stimmt im versmaß nicht. wenn du den artikel vor "boulevards" weglässt, stimmt's wieder. die beste variante scheint mir zu sein: "Verlassen sind die Boulevards der Stadt". und ein wenig schade ist der anklang an new york, die stadt, die niemals schläft. da fände ich ein neues bild schöner. etwas unverwechselbar berlinerisches. so wie berlin ja selbst auch unverwechselbar und einmalig ist.

warum stellst du es in "humor"? dafür reicht es meiner meinung nach nicht ganz. was ich allerdings nicht als manko sehe.

stilistisch störe ich mich etwas an "leib erfrischt" wo darunter in der zeile dann (schnur)stracks eine andere sprache zum zuge kommt. "man wirft sich frisch geduscht in das gewühle" - würd ja auch gehen....

dennoch - sehr gern gelesen!

lieben gruß: niko

Rita

Beitragvon Rita » 11.08.2013, 13:14

Dankeschön, Niko, für deine Wortmeldung.

Zur ersten Zeile: Hier stimmt alles, außer wenn du Bou-le-vards sprichst. Ich spreche es französisch aus: Boul-vards. Metrisch gilt das gesprochene, nicht das geschriebene Wort.

Die letzte Zeile drückt aus, dass ein Regenschauer in der Sommernacht stört, so dass sie "verweht" - als lyrischer Ausdruck statt "beeinträchtigt" oder so.

Und von New York spricht man von der Stadt, die niemals schlafen geht? Wieder was Neues dazugelernt. Ja, da werde ich die letzte Strophe umschreiben. Aber unverwechselbar Berlinisches ist immer Klischee, darauf stehe ich weniger.

Ich habe den Text unter Humor gepostet, weil er eigentlich nirgends hingehört. Humor schien mir da noch am angebrachtesten.

Mit "Leib erfrischt" bin ich ganz zufrieden, denn das trifft es. Selbstverständlich würde deine Version auch gehen, aber sie ist zu umfassend, denn man ist ja vom Duschen nur äußerlich erfrischt in der Hitze. Die Einschränkung auf Leib ist da schon zutreffender. Oder mal so gefragt: Welches Synonym würdest du für Leib nehmen? Und eine andere Sprache? Nicht, dass ich wüsste. Es ist die etwas saloppe Umgangssprache des Mittelstandsberliners, die ich oftmals verwende.

Was mir aber in deinem Kommentar fehlt: Welchen Eindruck hinterlässt der Text bei dir?

Aber Dankeschön nochmals

und lieben Gruß, Rita

Niko

Beitragvon Niko » 11.08.2013, 14:10

dann ist es doch perfekt, rita!

was ich für einen eindruck habe? das musst du mir erklären, was du da genau meinst.

gruß: niko

Rita

Beitragvon Rita » 12.08.2013, 06:44

Jedes Gedicht, Niko, hinterlässt nach dem Lesen einen allgemeinen Eindruck. Welchen Eindruck hattest du? Ungekonnt, zu traurig, zu oberflächlich, heiter oder monströs?

Lieben Gruß, Rita

Herby

Beitragvon Herby » 12.08.2013, 18:30

Hallo Rita,

wie ich an deinem Registrierungsdatum sehe, bist du erst kürzlich zu uns gestoßen, daher erst einmal ein herzliches Willkommen von mir! :engel:

Dann finde ich es schön, dass hier wieder jemand ist, der in gebundener bzw. in gereimter Sprache schreibt. Hab ich früher selbst viel gemacht und bin dann aber etwas abgekommen davon. Vom Sprachlichen her hältst du den 5er-Jambus sowie den umschließenden Reim sauber durch. Dieses Unaufgeregte des Versmaßes passt m.M.n. gut zu der sommerlichen Trägheit, von der die Stadt erfasst ist.

Einige inhaltliche Anmerkungen noch. Du schreibst:

Rita hat geschrieben:In Schatten drängt, wer gar nicht anders kann,


Das verstehe ich nicht. Es ist doch heiß in der Stadt, da ist doch dann die Flucht in den Schatten nur natürlich. Im Text klingt das für mich so, als sei das aber die letzte aller Optionen, als müsse man sich überwinden, dazu zwingen.

In der letzten Strophe schreibst du vom "Lebensmut", der neu entfacht wird durch einen Regenschauer. Verliert man denn durch Sommerhitze seinen LebensMUT?? Man büßt vielleicht die Energie ein, die Vitalität, aber doch nicht den Lebensmut. Nach Schicksalsschlägen wäre mir das nachvollziehbar, aber nicht durch einen heißen Sommer. Für mein Lesen liegt hier ein Missverhältnis zwischen Ursache und Wirkung vor.

Du gibst deinem Text den Titel "Berlin im August", er könnte jedoch ebenso gut in jeder anderen Großstadt spielen, da er keine spezifischen Elemente enthält, die die Zuordnung zu Berlin ermöglichten.

Soweit einige Gedanken zu deinem Text, die dich nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass ich ihn gerne gelesen habe.

Liebe Grüße,
Herby

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 12.08.2013, 19:04

"Verlassen liegen die Boulevards der Stadt..."

Ich habe mir das Gedicht aufgeschrieben, um einen Hauch dieser Metropole zu bekommen.
Mich stimmt das Gedicht irgendwie traurig, melancholisch.
Von der Anzahl der Strophen her könnte es ein Sonett sein.
Ein Sonnet über eine Weltstadt im Sommer.

"In Schatten drängt, wer gar nicht anders kann,
denn kein Kalender kümmert sich ums Wetter".

Glücklich, wenn man nicht zu diesen Menschen gehört. So ergeht es mir.

"Im Rinnstein sammeln sich verdorrte Blätter,
man fragt betrübt bloß: Schon?......
Hier ein Beispiel für die ewige Unzufriedenheit der Menschen. Wir leiden unter der Hitze des Sommers, und trauern ihm schon nach.

"Ein jeder Handschlag nervt und ist zu viel".

Man kann es direkt nachvollziehen. Es gibt nichts komplizierter als zwischenmenschliche Beziehungen.

Ich will nicht pedantisch jeden einzelnen Vers kommentieren.

Das Gedicht gefällt mir.

Rita

Beitragvon Rita » 16.08.2013, 09:47

Danke fürs Willkommen, Herby. Dir ist die Zeile "In Schatten drängt, wer gar nicht anders kann" nicht verständlich. In der nächsten Zeile findest du die Erklärung:
"denn kein Kalender kümmert sich ums Wetter" - was heißt, dass jemand seine Termine trotz Hitze wahrnehmen muss.
Nun gut, über Lebensmut kann man geteilter Ansicht sein. Selbstverständlich geht es um die Energie, sich aufzuraffen. Ich fand Lebensmut aber ganz treffend,
weil ich fand, dass die Übertreibung das Ohnmächtige in der Sommerglut ganz gut charakterisiert.
Dass ich Berlin als Großstadt gewählt habe, hängt damit zusammen, dass ich in Berlin wohne. Es wäre doch ziemlich komisch, wenn ich zum Beispiel über Hamburg schreiben würde, das vielleicht durch die Seewinde unter solcher Hitze gar nicht so leidet (ich weiß es aber nicht). Berlin steht hier als Metapher für die Großstadt im allgemeinen, das Konkrete ist immer besser als das allgemeine "Großstadt", außerdem reiht sich der Text ein in meine Berlin-Gedichte.

Ja, Klimperer, das Gedicht ist ein bisschen melancholisch. Schön, dass du das so empfindest, das war meine Absicht.

Danke euch beiden für eure Wortmeldungen.

Lieben Gruß, Rita

Kurt
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Beitragvon Kurt » 24.08.2013, 14:17

Liebe Rita,

habs auch gerne gelesen. Allein "Lebensmut" passt nicht. Aber da dürften sich einige Wörter
zum Austausch anbieten.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Rita

Beitragvon Rita » 24.08.2013, 16:52

Danke, Kurt. Bin ich aber anderer Ansicht.

Lieben Gruß, Rita

Kurt
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Beitragvon Kurt » 10.10.2014, 18:01

Liebe Rita,

ich krame dies vor, weil mich mal interessieren würde, ob du deine Ansicht inzwischen ändern würdest. Denn oftmals verteidigen ja Autoren besonders gerade nach Fertigstellung ihr Produkt, was ich ja auch okay finde. Inzwischen solltest du aber einsehen, dass "Lebensmut" hier nicht das passende Wort (Oberbegriff) ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es hier um das Befinden und Verhalten aufgrund des vorübergehenden Reizklimas. Da fühlt man sich dann schlapp und stellt seine Aktivitäten ein. Stellt sich dann aber der etwas Kühle bringende Schauer ein, so wird es sich belebend auswirken auf die Aktivitäten der Leute. Aber "Lebensmut" hat eine andere Bedeutung, da kannst du dich querstellen, liebe Rita, wie du willst.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Rita

Beitragvon Rita » 11.10.2014, 06:35

Lieber Kurt,

schön, dass du dieses Gedicht wieder rausgekramt hast. Wenn dir "Lebensmut" nicht zusagt, welchen Vorschlag hättest du dann? Ich hatte zunächst den Begriff "Arbeitswut" in Erwägung gezogen, fand ihn aber dann zu sehr auf das preußische Arbeitsethos beschränkt. Dann fiel mir "Wahnsinnstrott" ein, was mir als Wort sehr gut gefällt, aber das leider nicht in den Kontext passt, wie mir scheint. Was ich brauche, ist ein Begriff, bestehend aus drei Silben (betont-unbetont-betont), der ausdrückt, dass das Leben im alten Trott weitergehen kann.

Ich beharre übrigens niemals darauf, dass meine Gedichte fertig sind, das wäre doch völlig unproduktiv. Jeder Text wird bei mir auch noch nach der Veröffentlichung bearbeitet, ich bin also bereit, deinen Vorschlag in eine eventuelle Änderung einzubeziehen. falls er die Sache genauer trifft. Ich bedanke mich schon mal.

Lieben Gruß, Rita

Kurt
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Beitragvon Kurt » 11.10.2014, 08:22

Ja, du hast es ja schon umschrieben - "Lebenstrott". Würde auch eher komisch rüberkommen, also in diesen
Ordner passen.

LG Kurt
"Wir befinden uns stets mitten im Weltgeschehen, tun aber gerne
so, als hätten wir alles im Blick." (Kurt)

Rita

Beitragvon Rita » 11.10.2014, 09:52

Ich überlege es mir, Kurt. Danke für deine Mitarbeit.

Lieben Gruß, Rita


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