Eine alte Bücherliste
Unweit von Ross-on-Wye, wo sich meine Freundin Heather zu meinem Leidwesen in den frühen Achtziger Jahren niedergelassen hatte, wo doch ein Abstecher nach London, ihrem früheren Domizil, immer soviel interessanter schien, befindet sich die kleine Ortschaft Hay-on-Wye. Dorthin fahren, sagte man mir, sogar die Leute aus London. Denn neben seinen hübschen Häusern und Gärten eine Besonderheit aufweist, die mich anzieht, seit zum ersten Mal ein altes Buch in den Händen hielt: die alte Pergamentbibel meiner Mutter. Die ganze Ortschaft lebt von einer Attraktion, die dort zu allererst entstanden war: In riesigen Kellern verstaute gebrauchte, zum Teil antiquarische Bücher.
Bei meinem zweiten Abstecher nach Hay-on-Wye eilte ich meinen Reisegenossen voraus, glitt unter den Regentropfen durch, suchte die bereits bekannten Eingänge und drang dort in die untersten Kellerräume vor. Ich ließ die Touristen hinter mir, und fand die Abteilung „German Books“. Mit mehr als Entzücken, mit mehr als Leselust, mit mehr als Wiedersehensfreude, ruhte hier, so schien es mir, was mir immer gefehlt hatte, was mir noch fehlte, was mir immer fehlen würde. Das alte Buch. Das Buch eines mir unbekannten Buchliebhabers. Das von einem andern vor mir geliebte Buch.
Bücher jener Lesebesessenen, die mit ihren Büchern umgingen, wie mit Menschen. Damit meine ich, dass sie nicht notwendigerweise Samthandschuhe anzogen, dass sie nicht unbedingt jede Seite zu verzärteln brauchen, nein, das waren Menschen, die lasen, keine bibliophilen Fetischisten. Am Zustand einiger Bücher konnte man sehen, wie hungrig sie gewesen waren, diese Lesebeflissenen.
Die Bücher zeigten innen und außen Spuren ihrer einstigen Besitzer. Da waren die Namen, kurze Bemerkungen. In einem Buch von Thomas Mann, ich glaube, es war der Zauberberg, eine Ausgabe noch zu Lebzeiten des Schriftstellers, fand ich eine Kritik des Guardian, das Datum war leider nicht zu sehen.
Nun stand ich vor einer jener Ansammlungen von „German Books“ ohne irgend eine alphabetische oder sonstige Ordnung nach Kategorien. Oben, ganz oben sah ich ein weißes Büchlein, mit hellem Leinenbezug, die Pergamentblätter mit feinem Goldrand versehen. Ein Blättchen, auf dem ich gerade noch „Rilke“ hatte lesen können, als es schon herausgefallen war und auf dem dunklen Holzboden hell leuchtete.
Ich hob den Zettel auf und las die kleine Liste laut vor: Binding, Burckhardt, Claudius, Köhler, Lukacs, Lenau, Schenzinger. Mir war nicht sofort klar, dass es sich um eine Liste von Autoren handelte. Mathias Claudius war mir schon lange entfallen. Binding und Burckhardt kannte ich damals noch nicht. Überhaupt waren mir nur zwei Namen vertraut, Lukacs und Lenau. Die Liste hatte etwas rein Zufälliges, allerdings waren die beiden mir bekannten Namen interessant genug, um mich neugierig zu machen.
In dem stark nach Chemikalien riechenden Untergeschoß waren die wenigen Besucher der deutschen Abteilung im Großen und Ganzen auf sich allein gestellt, doch ab und zu tauchten Verkäufer, in gelb leuchtenden Westen auf, die dem hilfsbedürftigen Bücherfreund beizustehen bereit waren.
Der junge Mann kannte die Bücher in den Regalen kaum. Er urteilte nach dem Aussehen der Bücher: davon versprach er sich einen gewissen Wert. Aber die Autoren, den Inhalt ignorierte er mit jener jugendlichen Arroganz, die in der Lage ist, alles für ungeschehen zu betrachten, was vor ihrer Geburt geschah.
Eine Namensliste? Geben Sie mal her. Er schaute sich das Papier an. Ja, das Papier kenne ich, eine ganz banale Liste. Eine uralte Liste. Von meinem Vorgänger. Die ist bestimmt fünf Jahre alt. Eine Aufzählung von Autoren. Hier stehen sie.
Die Bücher der Liste standen vor mir, in Reih und Glied. Eine uralte Liste, dachte ich. Fünf Jahre alt. In welchen Koffern waren sie hierher gebracht worden? Ich kaufte sie ohne länger nachzudenken alle sieben. Hier stehen sie nun immer noch.
Die Keuschheitslegende von Rudolf Binding war bei einer Buchhandlung in Nürnberg erstanden worden, in der Pfannenschmiedegasse 15. Daneben eine Feldpostausgabe von Rilke. Dem Bändchen „Nur die Seele“ von Mathias Claudius lag ein feines Blättchen inne, auf dem der Gedichtband angekündigt wurde: schwer und hurtig, ernst und fröhlich, im Takt der „wohllautenden Melodie des Wortes“, Lenau, beim Cotta’schen Verlag, ein altes Büchlein, völlig wertlos, weil nur der zweite Band vorhanden ist, hatte der Verkäufer noch gewusst.
Außerdem besitze ich nun ein Traktat „Über den sozialdemokratischen Staat“ von Oswald Köhler, „die Grundzüge einer mutmaßlich ersten Form“ einer sozialdemokratischen Gesellschaftsverfassung, einen Roman von Schenzinger, dessen Inhaltsverzeichnis mich immer noch fasziniert: Indigo, Leichtgas, Steinkohlenteer, Anilin, Benzol, Künstlicher Indigo, und Atebrin. Später erfuhr ich mehr über diesen Mitläufer der Nazis. Das schmale Inselbändchen mit Briefen von Jacob Burckhart, dessen Geschichtsphilosophie Nietzsche beeinflusst hat, und dadurch wieder mich, in meiner Forschungsarbeit zum 19. Jahrhundert, macht den Abschluss.
Wieviele Bücher kann ein Mensch verkraften, wieviele besitzen, wieviele lesen und wirklich wertschätzen? Ich meine, wenn die Liste nur sieben Bücher enthält, ist es genug, diese sieben zu kennen, sie einordnen zu können und ihnen ein wenig Leben einzuflößen durch ihre Verwertung als kostbares Rohmaterial unseres Denkens.
Die alte Bücherliste
So, eben habe ich diese Geschichte noch einmal laut vorgelesen und zahllose Fehler, Auslassungen, Unkarheiten gefunden, die mich sehr geärgert haben. Ich möchte mich entschuldigen, einen so ufertigen Text eingestellt zu haben. Aber - es ist einfach so, dass dieses "Einstellen" inspirierende Kraft besitzt und neben solchen Fehlzündern auch gute Texte bewirkt. Ihr dürft mir in einem solche Fall --- wenn ihr bereit dazu seid - gerne schreiben : Was fürn Quatsch ....
Ich weiß, ich könnte dann in die Abteilung "zu bearbeitende Texte" "Textwerkstatt" gehen --- aber irgend wie will das nicht klappen.
SO ich werde mich nochmal über diesen Text beugen. Mal sehen.
lg
Renée
Ich weiß, ich könnte dann in die Abteilung "zu bearbeitende Texte" "Textwerkstatt" gehen --- aber irgend wie will das nicht klappen.
SO ich werde mich nochmal über diesen Text beugen. Mal sehen.
lg
Renée
Liebe Renée,
ich weiß nicht, ob Du an diesem Text noch arbeitest, ich bin zufällig darauf gestoßen ...?
Mir sind dazu zwei Dinge aufgefallen (abgesehen von kleinen sprachlichen Stolperern), die ich gern nennen möchte:
Einmal der Anfang der Geschichte. Du scheinst Dein Thema auf Umwegen finden zu wollen, da geht es über die Freundin, die umgezogen ist, obwohl das der Erzählerin nicht gepasst hat (warum? weil es in London interessanter ist? ist das auch die Meinung der Freundin und warum sollte sich die Freundin nach der Erzählerin richten?) über die Bibel der Mutter (was hat die Bibel mit der Ortschaft zu tun? Ist die einzige Verbindung zwischen Bibel und Ortschaft der Aspekt "altes Buch"?) zu "einer Attraktion, die dort zu allererst entstanden war" - was heißt zuallererst in diesem Zusammenhang?
Die eigentliche Geschichte, die Schilderung des Kellers und das Finden der Bücherliste, liest sich dann flüssig und interessant. So richtig klar ist mir aber nicht, wie die Liste, auf der ja offenbar nur Autorennamen stehen (dann ist es übrigens auch keine Bücherliste, sondern eine Autorenliste) zu genau diesen sieben Büchern führen, die die Erzählerin dann gekauft hat. Hat sie einfach ein beliebiges Buch von jedem der genannten Autoren gekauft oder standen nur diese sieben Bücher im Regal? Hier fehlt ein wenig "Fleisch" auf der Geschichte.
Ich würde mich freuen, eine Neufassung zu lesen.
Bücherfreundgrüße
Zefira, die vorgestern ca. 300 Bücher aus ihrem fast zwanzigjährigen Kartongefängnis befreit hat ...
ich weiß nicht, ob Du an diesem Text noch arbeitest, ich bin zufällig darauf gestoßen ...?
Mir sind dazu zwei Dinge aufgefallen (abgesehen von kleinen sprachlichen Stolperern), die ich gern nennen möchte:
Einmal der Anfang der Geschichte. Du scheinst Dein Thema auf Umwegen finden zu wollen, da geht es über die Freundin, die umgezogen ist, obwohl das der Erzählerin nicht gepasst hat (warum? weil es in London interessanter ist? ist das auch die Meinung der Freundin und warum sollte sich die Freundin nach der Erzählerin richten?) über die Bibel der Mutter (was hat die Bibel mit der Ortschaft zu tun? Ist die einzige Verbindung zwischen Bibel und Ortschaft der Aspekt "altes Buch"?) zu "einer Attraktion, die dort zu allererst entstanden war" - was heißt zuallererst in diesem Zusammenhang?
Die eigentliche Geschichte, die Schilderung des Kellers und das Finden der Bücherliste, liest sich dann flüssig und interessant. So richtig klar ist mir aber nicht, wie die Liste, auf der ja offenbar nur Autorennamen stehen (dann ist es übrigens auch keine Bücherliste, sondern eine Autorenliste) zu genau diesen sieben Büchern führen, die die Erzählerin dann gekauft hat. Hat sie einfach ein beliebiges Buch von jedem der genannten Autoren gekauft oder standen nur diese sieben Bücher im Regal? Hier fehlt ein wenig "Fleisch" auf der Geschichte.
Ich würde mich freuen, eine Neufassung zu lesen.
Bücherfreundgrüße
Zefira, die vorgestern ca. 300 Bücher aus ihrem fast zwanzigjährigen Kartongefängnis befreit hat ...

Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
(Ikkyu Sojun)
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