Pedro

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Klimperer

Beitragvon Klimperer » 27.04.2013, 11:16

»TE ACUERDAS DE PEDRO?«, fragte mich mein Cousin. »Er ist ein Bettler geworden.«
Ich war noch ein Kind, als ich Pedro kennenlernte, einen armen Teufel, der Besorgungen machte für unsere drei Tanten, die fast vierzig Jahre in Paris gelebt hatten. Er lief immer barfuß, war noch recht jung, hatte aber keine Zähne, was ihn nicht daran hinderte, frei und offen zu lachen. Er war groß und schlank und hatte etwas Weibliches an sich. Eine Cousine von uns, die ziemlich frivol war, forderte ihn auf, ihr den Reißverschluss zu schließen. »Pedro und ich haben das gleiche Geschlecht«, sagte sie.
Ich war damals der Jüngste in einer Clique von Jugendlichen, die an der Ecke Pedro Carbo und Vélez herumstanden. Sie forderten Pedro auf, meinen Schwanz anzufassen. Er tat so, als ob er es machen wollte, ich musste wegrennen.
Dreißig Jahre später, sah ich ihn wieder, auf dem Boulevard Nueve de Octubre. Er saß auf dem Bürgersteig, angelehnt an die Fassade der FIRST NATIONAL CITY BANK, immer noch barfuß, recht alt geworden. Ich ging auf ihn zu und drückte ihm einen Geldschein in die Hand, sagte seinen Namen, erwähnte die längst verstorbenen Tanten ...
Als ich 1992 wieder in Guayaquil war, sah ich Pedro erneut. Weitere zehn Jahre waren vergangen. Er saß nicht mehr, er lag auf dem Bürgersteig, hatte nur noch ein Bein, die Menschen gingen an ihm vorbei, es war hell und heiß, er hatte einen verlorenen Blick, schien nur noch auf den Tod zu warten.


Neue Version, nach der Bemerkung von Gabriella:

»TE ACUERDAS DE PEDRO?«, fragte mich mein Cousin. »Er ist ein Bettler geworden.«
Ich war noch ein Kind, als ich Pedro kennenlernte, er machte Besorgungen für drei entfernte Tanten von mir, die fast vierzig Jahre in Paris gelebt hatten. Ende des 19. Jahrhunderts waren sie von ihren Eltern dorthin geschickt worden. Als die Deutschen in die Stadt einmarschierten, kehrten sie, als alte Frauen, nach Guayaquil zurück.
Pedro war aus dem Lande in die große Stadt gekommen, war gewohnt, barfuß zu laufen. Die Tanten bestanden darauf, dass er sich Schuhe kaufe, gaben ihm das Geld dafür. Das tat er auch, trug aber die Schuhe nur, um ihre Wohnung zu betreten. Er war noch recht jung, hatte aber keine Zähne mehr, was ihn nicht daran hinderte, frei und offen zu lachen. Er war groß und schlank und hatte etwas Weibliches an sich. Elsa, eine Nichte der alten Damen, forderte ihn auf, ihr den Reißverschluss zu schließen. »Pedro und ich haben das gleiche Geschlecht«, pflegte sie zu sagen.
Ich war damals der Jüngste in einer Clique von Jugendlichen, die an der Ecke Pedro Carbo und Vélez herumstanden, nah bei dem Haus, in dem Alicia, Ana und Angelina ihre Wohnung hatten.
Die Jungs machten sich einen Spaß daraus, Pedro aufzufordern, meinen Schwanz anzufassen. Er tat so, als ob er es machen wollte, ich musste wegrennen.
Dreißig Jahre später sah ich ihn wieder, auf dem Boulevard Nueve de Octubre. Er saß auf dem Bürgersteig, angelehnt an die Fassade der FIRST NATIONAL CITY BANK, immer noch barfuß, recht alt geworden. Ich ging auf ihn zu und drückte ihm einen Geldschein in die Hand, sagte seinen Namen, erwähnte die längst verstorbenen Tanten ...
Als ich 1992 wieder in Guayaquil war, sah ich Pedro erneut. Weitere zehn Jahre waren vergangen. Er saß nicht mehr, er lag auf dem Bürgersteig, hatte nur noch ein Bein, die Menschen gingen an ihm vorbei, es war hell und heiß, er hatte einen verlorenen Blick, schien nur noch auf den Tod zu warten.
Zuletzt geändert von Klimperer am 27.04.2013, 18:38, insgesamt 2-mal geändert.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 27.04.2013, 13:25

Hola Carlos,

eine ziemlich traurige Geschichte. Ich hätte gern mehr von Pedro erfahren. Du könntest z.B. nach diesem Teil
Klimperer hat geschrieben:Ich war noch ein Kind, als ich Pedro kennenlernte, einen armen Teufel, der Besorgungen machte für unsere drei Tanten, die fast vierzig Jahre in Paris gelebt hatten.
vielleicht mehr von ihm erzählen, mehr über die Umstände/Einzelheiten von Pedros Leben. Warum war Pedro damals schon "ein armer Teufel", als er noch so jung war?

Saludos
Gabriella

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 27.04.2013, 22:22

Hola Gabriella,

wie findest du die neue Version?

Saludos,

Carlos

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Beitragvon Mucki » 27.04.2013, 22:36

Hola Carlos,

ja, schon besser. Diese Szene:
Klimperer hat geschrieben:Ich ging auf ihn zu und drückte ihm einen Geldschein in die Hand, sagte seinen Namen, erwähnte die längst verstorbenen Tanten ...

könntest du noch weiter ausführen. Wie reagierte Pedro auf seinen Namen, die Erwähnung der Tanten? Kam ein Dialog zustande?
Dann wäre es beim Schluss
Klimperer hat geschrieben:Als ich 1992 wieder in Guayaquil war, sah ich Pedro erneut. Weitere zehn Jahre waren vergangen. Er saß nicht mehr, er lag auf dem Bürgersteig, hatte nur noch ein Bein, die Menschen gingen an ihm vorbei, es war hell und heiß, er hatte einen verlorenen Blick, schien nur noch auf den Tod zu warten.

vielleicht klarer, wieso da keine Kontaktaufnahme mehr erfolgte, sondern reine, traurige Beobachtung geschildert wird.

Saludos
Gabriella

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Beitragvon Zefira » 28.04.2013, 00:00

Hallo Klimperer,
mir fehlt in diesem Text eine Stelle, an der Pedro selbst zu Wort kommt, und ich frage mich, ob Du das absichtlich so machst und wenn ja, warum.

Hier fällt mir das besonders auf:

Elsa, eine Nichte der alten Damen, forderte ihn auf, ihr den Reißverschluss zu schließen. »Pedro und ich haben das gleiche Geschlecht«, pflegte sie zu sagen.
Ich war damals der Jüngste in einer Clique von Jugendlichen, die an der Ecke Pedro Carbo und Vélez herumstanden, nah bei dem Haus, in dem Alicia, Ana und Angelina ihre Wohnung hatten.
Die Jungs machten sich einen Spaß daraus, Pedro aufzufordern, meinen Schwanz anzufassen. Er tat so, als ob er es machen wollte, ich musste wegrennen.


Erste Frage: Wie hat er auf die Aufforderung reagiert? Zweite Frage: Woher weiß der Erzähler, dass Pedro nur "so tat, als ob er es machen wolle"?
Immer wieder wird etwas zu Pedro gesagt, er soll etwas machen, der Erzähler gibt ihm Geld und spricht ihn auf die Tanten an, und nirgends steht, was Pedro dazu sagt. Für mich hat die Geschichte etwas Surreales, als ob Pedro vielleicht gar nicht existiert, sondern nur ein Spiegelbild ist, in dem der Erzähler seine Jugend fokussiert.

Vermutlich ist das eine Fehlinterpretation, da ich den Verdacht habe, auch diese Geschichte ist autobiographisch. Aber wenn ich den Text für sich allein betrachte, kommt er so bei mir an.

(Was nicht heißt, dass er mir nicht gefällt. Gerade mit der Deutung, die ich ihm unterlege, gefällt er mir gut.)

Grüße von Zefira
Vor der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.
Nach der Erleuchtung: Holz hacken, Wasser holen.

(Ikkyu Sojun)

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 28.04.2013, 01:04

Liebe Gabrielle, Liebe Zefira,

ihr beide haltet mich auf Trab!

Langsam begreife ich, wie wichtig dieses Forum ist.

Ich war damals etwa 13, 14 Jahre alt. Ich habe Pedro nur sporadisch gesehen. Was ich beschreibe, hat sich wahrscheinlich eigentlich nur einmal so abgespielt. Ich weiß aber genau, dass ich eine große Angst hatte und dass ich weggerannt bin.

Das Leben in dieser Stadt mit so einem warmen Klima findet hauptsächlich auf den Straßen statt.

Ich werde versuchen, eingehender zu schreiben. Ich muss meinen inneren, südamerikanischen Hund überwinden.

ich danke euch,

K.

Mucki
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Beitragvon Mucki » 28.04.2013, 14:14

Hola Carlos,
Klimperer hat geschrieben:ihr beide haltet mich auf Trab!

Sí, sí! *lach*
Wir wollen es aus dir rauskitzeln, die Szene lebendiger zu gestalten! Dialoge rein, um so mehr über Pedro zu erfahren, sonst bleibt das Ganze zu sehr an der Oberfläche.
Klimperer hat geschrieben:Ich werde versuchen, eingehender zu schreiben. Ich muss meinen inneren, südamerikanischen Hund überwinden.

Genau, gut so! ;-)

Saludos
Gabriella

heinz

Beitragvon heinz » 01.05.2013, 21:49

nichts
nichts hatte er
die schuhe bekam er und zog sie an, wo andere sie auszogen
und letztendlich ging auch der blick verloren, das bein war schon weg, die zähne eh'

--

uff
harte kost

Klimperer

Beitragvon Klimperer » 02.05.2013, 00:03

Hallo Heinz,

danke für deine Rückmeldung.

Ich habe es versucht, aber ich konnte nichts mehr zu diesem Menschen sagen: ich wusste so gut wie nichts von ihm.

Ich konnte auch nichts für ihn machen, ich war nur kurz zu Besuch in der Stadt, als ich ihn nach so vielen Jahren sah. Es gibt Länder, Indien zum Beispiel, wo sterbende Menschen auf der Straße zum Alltagsbild gehören.
Diese zwei Begegnungen mit Pedro werde ich nie vergessen.

Viele Grüße,

Carlos


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