Incubus

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 17.07.2006, 22:05

Im Schatten Deines Vergessens
baue ich uns ein Schloss
aus blauem Stahl.
Dort will ich Dich
gefangen halten, wenn Du
zu träumen glaubst.

Wir werden einander
ausgeliefert sein in
unserer Not, denn
kein trüber Tagesschein
wird unsere Hochzeit
stören.

Und wenn Du morgens
dann erwachst, die
Glieder schwer und
müde Deine Lider,
wird nur der Schatten
unter Deinen Augen
Erinnerung an unsere
Liebe sein.

scarlett

Beitragvon scarlett » 17.07.2006, 22:32

Das ist einfach stark, lieber Paul, mehr kann ich im Moment gar nicht sagen.

Gruß,

scarlett

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 17.07.2006, 23:09

lieber paul ost,

der seltene fall, in dem die signatur zum gedicht passt.

die sprache finde ich klar.

der inhalt verblüfft mich etwas, ich frage mich, ob er eine zweite ebene hat - aber ich bin nicht gut im 'indiskret werden' :_)

liebe grüße,
aram

EDIT
gerade erst erkenne ich, dass die "du"s groß geschrieben sind.
das verleiht dem text zusätzlich persönliche intensität.
die 'zweite ebene' erscheint damit viel stärker.

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 17.07.2006, 23:31

Lieber aram,

ich bin ein Freund polyvalenter Texte. Dieser hier hat für mich einige sehr spezifische Anspielungen, die natürlich für viele andere Leser/innen nicht erkennbar sind. Aber vielleicht spielt ihnen das Kino im Kopf einen anderen Film vor.

Nur als Beispiel: Der Grundgedanke ist ziemlich trivial. Was stellt man in seinen (Tag-)Träumen mit der angebeteten (aber unerreichbaren) Frau an? Ich muss dabei immer an ein Stück von Steve Vai denken: In my dreams with you. Das muss man aber nicht kennen.

Vielleicht kann man auch an die Bilder von Füßli denken? Oder an diesen kurzen Text von E.A. Poe, wie hieß der gleich...?

Und natürlich haben alle Texte, die ich hier poste einen Bezug zu meiner Meta-Erzählung, welche ich in meinem Autorenporträt kurz angesprochen habe.

Beste Grüße

Paul

moshe.c

Beitragvon moshe.c » 18.07.2006, 00:53

Warum muß so naheliegendes, konkretes, erreichbares Anliegen eigentlich so fern, so unkonktret, unerreichbar sein?

Je älter ich werde und je mehr ich mich von dem Ort meiner Entstehung entferne, desto alberner kommt mir die Angst vor Erfüllung aus meiner Jugend vor.

Ich glaube, damit bin in meiner Haltung im Forum allein.

moshe.c

Birute

Beitragvon Birute » 18.07.2006, 09:04

Lieber Paul,

der Alb in Person. Genial!
Ich bin begeistert. *beifall klatsch*

Birute grüßt

Benutzeravatar
leonie
Beiträge: 8896
Registriert: 18.04.2006
Geschlecht:

Beitragvon leonie » 18.07.2006, 11:14

Lieber Paul Ost,
das finde ich sehr gruselig, aber auch sehr gut. Wie kommst Du bloß auf solche Ideen?
fragt sich
leonie

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 18.07.2006, 11:39

Lieber moshe.c,

Deinen Einwand verstehe ich nicht ganz. Wenn Du ihn tiefsinnig meinst, müsste ich wohl entgegnen, dass ich mich ganz in den Aporien eines Lilith-Komplexes bewege...

Ansonsten reicht es ja, wenn zwei Menschen sehr unterschiedliche Dinge wollen. Da kann man schon mal zum Alp werden, wie Birute richtig festgestellt hat. Und das ist natürlich zum Gruseln, liebe Leonie.

Für alle, die das Bild noch nicht kennen. Hier ist es:
Dateianhänge
Füssli_Nachtmahr.jpg
Füssli_Nachtmahr.jpg (30.28 KiB) 1957 mal betrachtet

Birute

Beitragvon Birute » 18.07.2006, 11:48

Jo, das Bild passt zum Text, wie der Text zum Bild.

Da ist "grauselig" auch mal ein Kompliment.

Birute grüßt

Benutzeravatar
Lisa
Beiträge: 13944
Registriert: 29.06.2005
Geschlecht:

Beitragvon Lisa » 18.07.2006, 12:28

Lieber Paul,
ich bekomme Bild und Text nicht völlig zusammen, vornehmlich aufgrund des stahlblaus (platt, sich so an Farben festzuhalten, ich weiß, aber ich kann das icht überwinden). Auch das restliche Ambiente ist für mich kühler, weniger tot im Gedicht, als auf dem Bild...auf dem Bild scheint mir der andere (das ich im Gedicht) aktiver als in deinem Text...au0erdem ist im Bild alle Hoffnung verloren und in deinem Text nicht, auch wenn das nicht zugegeben wird. Wenn auch die Geisterstimmung durchaus ähnlich ist....

Über die erste Zeile würde ich grammatisch nachdenken...die liest sich meiner Meinung nach (was selten vorkommt ;-) ) zuuu doppeldeutig (meinst du ihr Vergessen und dein Vergessen von ihr)

Dass ich Bild und Text nicht zusammenbringen kann ändert aber nichts daran, dass ich das Gedicht wieder einmal sehr gelungen finde (wenn auch deien Weimartexte mich noch mehr berühren).

Man kann diesen text auch ganz anders lesen...nämlich so:

Zwei sind zusammen und während die Frau träumt, schildert der mann das, was tatsächlich geschieht....oder?
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 18.07.2006, 13:31

Lisa hat geschrieben:Man kann diesen text auch ganz anders lesen...nämlich so:

Zwei sind zusammen und während die Frau träumt, schildert der mann das, was tatsächlich geschieht....oder?

tolle interpretation, der es gelingt, eine konkretere zwischenmenschliche ebene zu etablieren (diese auszublenden finde ich -ganz persönlich und subjektiv- doch sehr unbefriedigend bei diesem gedicht) - nur das "morgens" und die "hochzeit" fände ich dann irgendwie nicht ganz passend...(ist aber kein rationaler einwand)

à propos, paul, das scheint ein kleiner fehler zu sein: statt "morgens" müsste es doch "am morgen" heißen?

zum bild - nun ja, die bilder von füssli zu diesem thema sind ja recht bekannt, ich finde sie aber keine gute illustration für dieses gedicht im speziellen - höchstens zur allgemeinverständlichkeit von 'incubus'.

grüße,
aram

Gast

Beitragvon Gast » 18.07.2006, 14:41

Komisch... ich muss immer wieder an die Sage von König Blaubart denken, und zwar vom Beginn des ersten Lesens an ... vielleicht wegen des Stahlblau und Schloss und gefangen halten
Ich kann mit diesem Bild zu deinem Text nichts beginnen.
Zum Text habe ich mir ein ganz anderes Bild gemacht.
Meine Deutung geht in die Richtung sexuelle Fantasien des lyr. Ichs, die es nicht ausleben kann sondern unter Verschluss halten muss.
Das "Objekt" der Begierde muss sich ihm bedingungslos unterwerfen, das geht nur im Traum in der Phantasie... oder aber im Drogenrausch, so dass Handlungen erfolgen, die im Nachhinein wie ein Traum wirken...

Lieber Paul, vielleicht ist das ja meine krude Fantasie, mir will aber scheinen, dass genau dies dein Gedicht zum Inhalt hat.
Ich finde jedenfalls gut getroffen.

Liebe Grüße
Gerda

Paul Ost

Beitragvon Paul Ost » 18.07.2006, 18:43

Liebe Lisa,

in der ersten Zeile habe ich mit Absicht den Genitiv gewählt, den man dann ja als "subjektivus" und "objektivus" lesen kann. Ich mag sowas, aber wahrscheinlich liegt das an meiner verqueren Bildung.

Die Farbe blau habe ich mich Absicht gewählt. Sie hat ja einen symbolisch sehr positiven Klang, wie z. B. in der blauen Blumen oder im Himmelsblau. Durch die Kombination mit dem Stahl wird sie negativer besetzt. Abgesehen davon natürlich, dass die immer mitgemeinte babylonische Baumeisterin sich sehr über Stahlbauten und Sichtbeton freut.

Übrigens habe ich mich auch nicht ganz richtig ausgedrückt. Es ging nicht darum, ein Gedicht zum Bild zu malen. Vielmehr ist dieses Bild nur eines unter vielen, die einen ähnlichen Gedanken beinhalten.

Deine Lesart verstehe ich gut. Ich denke ganz ähnlich ist das ja auch gemeint. Es gibt sozusagen zwei Ebenen der Realität.

Lieber aram,

Das Wort "morgens" habe ich benutzt, weil ich auf eine regelmäßige Heimsuchung hinweisen wollte. So wie bei Graf Dracula und Minna.

Liebe Gerda,

Deine Interpretation finde ich völlig zutreffend. Blaubart gefällt mir allein schon deshalb so gut, weil ja die Frauen doch immer ihrer Neugierde erliegen. Sieht man das Bild vor dem Hintergrund des 19. Jahrhunderts, gäbe es für das "Du" ja kaum eine Alternative, als sich zu unterwerfen. Im 20. Jahrhundert wird dem "Du" dagegen ein eigener Standpunkt erlaubt. Und jetzt? Heute wäre wohl auch dieser Alptraum eine Inszenierung, die beide Beteiligten nachher ein wenig gelangweilt zurücklassen würde.

Das Schloss ist die Frucht meiner extensiven Rilke-Lektüre. Der Mensch hat doch mehr Gedichte geschrieben, als ich für möglich gehalten hätte.

Es freut mich aber, dass mein fieser Alptraum so eine große Resonanz gefunden hat.

Euch wünsche ich einen schönen Sommerabend und angenehmere Träume.

Paul Ost

aram
Beiträge: 4509
Registriert: 06.06.2006

Beitragvon aram » 18.07.2006, 19:40

Paul Ost hat geschrieben:Das Wort "morgens" habe ich benutzt, weil ich auf eine regelmäßige Heimsuchung hinweisen wollte.

in diesem fall scheint das "dann" in der nächsten zeile sinnstörend - 'morgens dann' geht nicht so gut zusammen, finde ich.


Es freut mich aber, dass mein fieser Alptraum so eine große Resonanz gefunden hat

...das haben "fiese alpträume" wohl so an sich - wenn sie gut beschrieben sind!

aram


Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 39 Gäste