Version 2
Gerade und krumme Wege
Ich beneide diejenigen unter uns, denen – im Wesentlichen – ein gerades Voranschreiten möglich ist. Damit meine ich solche Menschen, die sich den ihnen gestellten Aufgaben unmittelbar und unverzüflich widmen. Die nicht davon laufen, um eine andere Aufgabe zu erfüllen; natürlich eine, die ihnen lieber ist, auch wenn oder gerade weil man ihnen gar nicht abverlangt.
Wenn mir als Kind aufgetragen wurde, Schuhe zu putzen (- jeder sollte täglich solch eine Pflicht übernehmen) dann wollte ich lieber Staub wischen oder Möbel polieren. Wenn ich Möbel polierte, sehnte ich mich nach den weichen Bürsten, die schwarzes Leder zum Glänzen brachten. Von Anfang an war ich nicht bei der Sache, weil ich das mir Aufgetragene stillschweigend oder auch Missmut zeigend in Frage stellte, darin eine Verletzung meiner Menschenwürde vermutete …. Nein – ganz so genau hätte ich das als sechs-bis Zehnjährige nicht formulieren können. Aber ich erinnere mich sehr gut an langes Nachdenken über diese Pflichten, die sich mir (und anderen) stellten, und denen ich nicht gewissenhaft genug nachkam. Mir fehlte die Ermutigung, das Lob für die – eventuell – aufgebrachte Mühe. Mir schien damals schon, ein gutes Wort hätte mich nicht nur zu Höchstleistungen im Schuhe putzen angespornt, sondern mir auch Versöhnung mit dem Putzen als symbolischer Erniedrigung verschafft.
Denn stets waren diese Aufgaben mit dem Hinweis darauf verbunden, dass ich keine Prinzessin sei und ich das tun müsse, was auch die Mutter als Bedienstete zu tun hatte, als sie, wie die meisten Mädchen aus dem Dorf „in Stellung war“. Zwar fühlte ich mich als Prinzessin in meiner Vorstellungswelt durchaus wohler, aber ich sah doch damals schon ein, dass es vermutlich mit einer direkten Verwandlung zur Prinzessin nichts würde.
Dass aber eine Art von Verwandlung notwendig war, um mich aus der Misere, in der ich mich befand, heraus zu holen, das war mir von Mal zu Mal klarer, zumal mir alles, war mit Hausarbeit zu tun hatte gewaltig misslang und mir heute noch vor Augen steht (und in die Nase sticht) wie eine einfache Wollsocke (sie wurde aus recht widerspenstiger brauner Wolle angefertigt) mir viernadelig solchen Widerstand leistete, dass die Maschen sich an das sonst glatte Metall der Stricknadeln festklammerten und von mir nicht gelockert und weitergestrickt werden wollten.
Es muss auch damals eine Methode gegeben haben, die mir entweder vorenthalten wurde, oder aber von mir mit innerer Vehemenz ignoriert wurde, denn es ist kaum möglich, aus einer so einfachen Tätigkeit wie Stricken eine Foltermethode kindlichen Ungeschicks zu machen.
Zum Lernen gehören zwei Grundbedingungen: die Bereitschaft zum Lernen auf der einen Seite (bei mir also) und die Gabe, das Lernen leicht zu machen, auf der anderen. Kind und Mutter (und Vater, aber das ist in diesem Fall ein anderes Kapitel) leben in einem engen Machtverhältnis zueinander, die Mutter ist aus Gründen, die das Kind offensichtlich nicht immer einsieht, die stärkere Person, das Kind die schwächere. Mit Macht und Ohnmacht wäre ungefähr dasselbe gesagt. Wie kommt es dazu, dass bei einem Kind die Macht der Mutter als Mutterliebe und Fürsorge erlebt wird, beim anderen als Zustand der eigenen Ohnmacht und als Gesetz der Lieblosigkeit?
Wie auch immer, so entsteht – meinem Empfinden nach – der krumme und der gerade Weg. Das widerspenstige Kind macht sich von Anfang an schuldig, es versucht den Willen der Erwachsenen zu umgehen und entzieht sich den Aufgaben, die ihm das herkömmliche Voranschreiten stellt. Wenn es rechnen soll, liest es, wenn es lesen soll, rechnet es. Es wird sich an Aufgaben machen, die weder seinem Alter, noch seiner Begabung, noch seinem Stand, noch seiner körperlichen Beschaffenheit Rechnung tragen. Es wird vom Balletttanzen träumen obwohl es mit einem Hinkefuß zur Welt kam und sich mit Astronomie befassen, obwohl es von höherer Mathematik nie etwas begreifen wird.
So entstehen in seltenen Fällen Genies, die auf erstaunliche Art Hindernisse überspringen und auf Umwegen dahin gelangen, wohin niemand hingelangen wollte. In den meisten Fällen aber führt das zu unnützer Träumerei, zu Unfertigkeit und Stümpertum.(Das sagen jedenfalls die Schnurgeradeauswegler zuallermeist). Trotzdem bin ich diesen unendlich bogenreichen, krummen Weg gegangen. Nichts habe ich gelernt, außer vagen Umkreisungen seltener Gestirne, könnte ich sagen.
Wenn nicht der Umstand wäre, dass dieses Plädoyer für die Umwegfreudigen mich mit der Genugtuung erfüllt, ihnen ein klein wenig Sympathie verschafft zu haben.
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Gerade und krumme Wege
Ich beneide diejenigen unter uns, denen – im Wesentlichen – ein gerades Voranschreiten möglich ist. Damit meine ich solche Menschen, die sich den Aufgaben, die sich ihnen stellen, unmittelbar widmen. Die nicht davon laufen, um eine andere Aufgabe zu erfüllen, die ihnen lieber ist, die man ihnen jedoch gar nicht abverlangt.
Wenn mir als Kind aufgetragen wurde, Schuhe zu putzen (- jeder sollte täglich solch eine Pflicht übernehmen) dann wollte ich lieber Staub wischen oder Möbel polieren. Wenn ich Möbel polierte, sehnte ich mich nach den weichen Bürsten, die das schwarze Leder von eleganten Damenschuhen zum Glänzen brachte. Ich war von Anfang an nicht bei der Sache, weil ich innerlich – und es mag sein – auch nach außen hin die mir gestellte Aufgabe in Frage stellte, in ihr die Verletzung meiner Menschenwürde vermutete …. Nein – ganz so genau hätte ich das als sechs-bis Zehnjährige nicht formulieren können. Aber ich erinnere mich sehr gut an langes Nachdenken über diese Pflichten, die sich mir (und anderen) stellten, und denen ich nicht gewissenhaft genug nachkam. Mir fehlte die Ermutigung, das Lob für die – eventuell – eingesetzte Mühe. Mir schien damals schon, ein gutes Wort hätte mich nicht nur zu Höchstleistungen der Schuhputztätigkeit angespornt, sondern mir auch Versöhnung mit dem Putzen als symbolischer Erniedrigung verschafft.
Denn stets waren diese Aufgaben mit dem Hinweis darauf verbunden, dass ich keine Prinzessin sei und ich das tun müsse, was auch die Mutter als Bedienstete zu tun hatte, als sie, wie die meisten Mädchen aus dem Dorf „in Stellung war“. Zwar fühlte ich mich als Prinzessin in meiner Vorstellungswelt durchaus wohler, aber ich sah doch damals schon ein, dass es vermutlich mit einer direkten Verwandlung zur Prinzessin nichts würde.
Dass aber eine Art von Verwandlung notwendig war, um mich aus der Misere, in der ich mich befand, heraus zu holen, das war mir von Mal zu Mal klarer, zumal mir alles, war mit Hausarbeit zu tun hatte gewaltig misslang und mir heute noch vor Augen steht (und in die Nase sticht) wie eine einfache Wollsocke (sie wurde aus recht widerspenstiger brauner Wolle angefertigt) mir viernadelig solchen Widerstand leistete, dass die Maschen sich an das sonst glatte Metall der Stricknadeln festklammerten und von mir nicht gelockert und weitergestrickt werden wollten.
Es muss auch damals eine Methode gegeben haben, die mir entweder vorenthalten wurde, oder aber von mir mit innerer Vehemenz ignoriert wurde, denn es ist kaum möglich, aus einer so einfachen Tätigkeit wie Stricken eine Foltermethode kindlichen Ungeschicks zu machen.
Zum Lernen gehören zwei Grundbedingungen: die Bereitschaft zum Lernen auf der einen Seite (bei mir also) und die Gabe, das Lernen leicht zu machen, auf der anderen. Kind und Mutter (und Vater, aber das ist in diesem Fall ein anderes Kapitel) leben in einem engen Machtverhältnis zueinander, die Mutter ist aus Gründen, die das Kind offensichtlich nicht immer einsieht, die stärkere Person, das Kind die schwächere. Mit Macht und Ohnmacht wäre ungefähr dasselbe gesagt. Wie kommt es dazu, dass bei einem Kind die Macht der Mutter als Mutterliebe und Fürsorge erlebt wird, beim anderen als Zustand der eigenen Ohnmacht und als Gesetz der Lieblosigkeit?
Wie auch immer, so entsteht – meinem Empfinden nach – der krumme und der gerade Weg. Das widerspenstige Kind macht sich von Anfang an schuldig, es versucht den Willen der Erwachsenen zu umgehen und entzieht sich den Aufgaben, die ihm das herkömmliche Voranschreiten stellt. Wenn es rechnen soll, liest es, wenn es lesen soll, rechnet es. Es wird sich an Aufgaben machen, die weder seinem Alter, noch seiner Begabung, noch seinem Stand, noch seiner körperlichen Beschaffenheit Rechnung tragen. Es wird vom Balletttanzen träumen obwohl es mit einem Hinkefuß zur Welt kam und sich mit Astronomie befassen, obwohl es von höherer Mathematik nie etwas begreifen wird.
So entstehen in seltenen Fällen Genies, die auf erstaunliche Art Hindernisse überspringen und auf Umwegen dahin gelangen, wohin niemand hingelangen wollte. In den meisten Fällen aber führt das zu unnützer Träumerei, zu Unfertigkeit und Stümpertum.(Das sagen jedenfalls die Schnurgeradeauswegler zuallermeist). Trotzdem bin ich diesen unendlich bogenreichen, krummen Weg gegangen. Nichts habe ich gelernt, außer vagen Umkreisungen seltener Gestirne, könnte ich sagen.
Wenn nicht der Umstand wäre, dass dieses Plädoyer für die Umwegfreudigen mich mit der Genugtuung erfüllt, ihnen ein klein wenig Sympathie verschafft zu haben.
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Krumme und gerade Wege
Hallo Renée,
erst jetzt, wo ich dies hier lese, merke ich, wie sehr ich deine Texte vermisst habe.
Es ist, obwohl nicht fehlerfrei, doch wunderbar, weil ich kenne niemanden in der großen weiten Literaturforenwelt der nur annähernd diese Mischung aus autobiografisch-essayistisch-erzählerischem hinbekommt wie du. Wer dich kennt weiß, dass du zwischen den Kulturen stehst, aber gerade das macht deine große Stärke aus. Mit dir schwappt eine wohltuende Welle an belebenden Einflüssen aus der französischem aber auch englischen Literatur in eine zwar ungebügelte, aber doch festgefügte deutsche Sprache.
Bitte mehr davon!
Gruß
Sam
erst jetzt, wo ich dies hier lese, merke ich, wie sehr ich deine Texte vermisst habe.
Es ist, obwohl nicht fehlerfrei, doch wunderbar, weil ich kenne niemanden in der großen weiten Literaturforenwelt der nur annähernd diese Mischung aus autobiografisch-essayistisch-erzählerischem hinbekommt wie du. Wer dich kennt weiß, dass du zwischen den Kulturen stehst, aber gerade das macht deine große Stärke aus. Mit dir schwappt eine wohltuende Welle an belebenden Einflüssen aus der französischem aber auch englischen Literatur in eine zwar ungebügelte, aber doch festgefügte deutsche Sprache.
Bitte mehr davon!
Gruß
Sam
Hallo Renée,
ich meine keine Rechtschreibfehler, sondern solche Dinge wie z.B. die Häufung von "die" im ersten Absatz.
Oder dieser Satz: "Zum Lernen gehören zwei Grundbedingungen: die Bereitschaft zum Lernen auf der einen Seite (bei mir also) und die Gabe, das Lernen leicht zu machen, auf der anderen.
Auch hier kann man bestimmt auf einmal "Lernen" verzichten. Nicht, dass ich grundsätzlich gegen Wortwiederholungen bin, ganz im Gegenteil. Aber in diesem Satz wirkt es unelegant.
Hab es aber trotzdem sehr gerne gelesen!
Gruß
Sam
ich meine keine Rechtschreibfehler, sondern solche Dinge wie z.B. die Häufung von "die" im ersten Absatz.
Oder dieser Satz: "Zum Lernen gehören zwei Grundbedingungen: die Bereitschaft zum Lernen auf der einen Seite (bei mir also) und die Gabe, das Lernen leicht zu machen, auf der anderen.
Auch hier kann man bestimmt auf einmal "Lernen" verzichten. Nicht, dass ich grundsätzlich gegen Wortwiederholungen bin, ganz im Gegenteil. Aber in diesem Satz wirkt es unelegant.
Hab es aber trotzdem sehr gerne gelesen!
Gruß
Sam
Liebe Renée,
ich bin ganz dankbar, dass Sam diesen Kommentar geschrieben hat, denn genau das, was er schreibt, habe ich beim Lesen gefühlt, aber mir fehlten die Worte, ich konnte es nicht wirklich fassen, jetzt, da ich es aufgeschrieben lesen kann, weiß ich, was ich meinte. Genau diese Mischung!
Xanthi
ich bin ganz dankbar, dass Sam diesen Kommentar geschrieben hat, denn genau das, was er schreibt, habe ich beim Lesen gefühlt, aber mir fehlten die Worte, ich konnte es nicht wirklich fassen, jetzt, da ich es aufgeschrieben lesen kann, weiß ich, was ich meinte. Genau diese Mischung!
Xanthi
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