Idegen
Das Idegen war dem Vertrauten so ähnlich, dass er es lange Zeit nicht bemerkte. Es mochte durch ein Kellerfenster ins Haus gekommen sein oder die offen stehende Balkontür, vielleicht aber hatte er es auch nur auf der Straße eingeatmet und so mit in die Wohnung gebracht – er neigte dazu sorglos zu sein.
Das Idegen hatte längst schon zu nisten begonnen, als ihm ein etwas süßerer Geruch auffiel, ein helleres Lachen in ihrer Stimme, mit dem sie es zu locken schien. Auch begann sie das Wort „ja“ nicht nur bestätigend, sondern auch als Fragepartikel und in vielen Zwischennuancen zu gebrauchen, als sei es die einzige, inhaltsschwere Vokabel einer Geheimsprache, die nur sie und das Idegen sprachen, die ihm selbst aber verschlossen blieb. Ihm fiel auf, dass sie sich gut kleidete und ihr bestes Parfüm trug, wenn sie alleine blieb, so als wolle sie dem Idegen gefallen.
Dann ging sie. Außer ihr fehlten noch zwei Messer und die Waage. Und es war still im Haus. Ihre Sätze kamen per Post. Er stellte sich vor, wie sie sich (an einem anderen Ort) mit den Messern täglich die Worte von der Zunge schabte und wog, bevor sie sie ihm sandte.
Das Idegen aber ging nicht. Breitbeinig saß es auf seinem Lieblingssessel und ließ die Beine baumeln, wenn er von der Arbeit heim kam. Es schien fett geworden und je genauer und besorgter er es betrachtete, desto fetter wurde es. Schließlich lag es auch nachts in seinem Bett und er schlief zusammengekauert auf einer alten Matratze unter der Treppe. Wenn er es nicht sah, so schien ihm doch, als klinge das Echo seines Kicherns durch alle Räume.
Dann wurde es leiser und er sah das Idegen immer seltener. Nur manchmal noch meinte er irgendwo seine Bewegung zu erblicken, doch meist war es die Katze, die die Gardinen in Schwingung versetzt hatte. Nachdem er es zwei Wochen nicht mehr gesichtet hatte, durchkämmte er das Haus. Jeden Raum inspizierte er. Doch das Idegen blieb verschwunden, es hatte ihn verlassen. Vielleicht hatte er sich auch nur gewöhnt.
Idegen
Ja, lieber Max, das gefällt mir sehr gut, ist richtig gut!
Vielleicht der letzte Satz ...
Möglicherweise hatte er sich bloß daran gewöhnt
Würde mir sprachlich besser gefallen und m. E. auch besser mit dem Text harmonieren.
"Vielleicht" ist ein Wort, das viel zu selten durch Synomyme ersetzt wird.
Das schlichte "bloß" wird viel seltener verwendet als "auch nur".
Das wäre die einzige Textstelle bei der ich noch einmal überlergen würde.
Liebe Grüße
Gerda
Vielleicht der letzte Satz ...
Max hat geschrieben:Vielleicht hatte er sich auch nur gewöhnt.
Möglicherweise hatte er sich bloß daran gewöhnt
Würde mir sprachlich besser gefallen und m. E. auch besser mit dem Text harmonieren.
"Vielleicht" ist ein Wort, das viel zu selten durch Synomyme ersetzt wird.
Das schlichte "bloß" wird viel seltener verwendet als "auch nur".
Das wäre die einzige Textstelle bei der ich noch einmal überlergen würde.
Liebe Grüße
Gerda
Idegen scheint mir ein Ur-ur-ur-Enkel von Kafkas famosem Odradek zu sein (in: "Die Sorge des Hausvaters"), wenn auch noch etwas unkonkreter, weil gleichsam einatembar (was für einen Zwirnstern nicht vorstellbar ist), aber doch physisch immerhin so real, dass es den Erzähler aus seinem Bett zu verdrängen vermag. Zugleich ist es einer weiblichen Person kooptiert, die sich von Idegen offenbar anregen lässt, sich selbst mehr zu schätzen und wichtiger zu nehmen (wozu sonst kleidet sie sich gut und trägt ihr bestes Parfüm, wenn sie alleine bleibt?). Konsequenterweise zieht die weibliche Person, die offenbar Partnerin des Erzähl-Ichs war, aus, Idegen bleibt zwar zurück, stirbt aber langsam hinweg. Über den Namen Odradek hat man viel gerätselt, die tschechische, die deutsche und die hebräische Sprache befragt. Bei Idegen ist es einfacher: "Idegen" ist ungarisch und bedeutet fremd. Idegen ist gleichsam die Verkörperung einer sich einschleichenden Entfremdung, die schließlich zum Bruch führt.
Gruß
Quoth
Gruß
Quoth
Barbarus hic ego sum, quia non intellegor ulli.
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ich denke, ich werde noch näher auf den text eingehen, vorab muss ich aber anmerken, dass ich mir beim zuhören (denn ich hörte den text erstmalig in berlin aus dem munde des autoren) zunächst ein IDAKEN (IDÄKEN), also eine kleine ida, vorgestellt
habe.
danke fürs posten.
lga
habe.
danke fürs posten.
lga
Liebe alle,
uffa, so viele Rückmeldungen - dabei war ich nur zwei Tage zwangsläufig salonabstinent.
Danke für das schöne feedback, das macht Lust, mich mal wieder an Texten zu versuchen.
Gerda, "möglicherweise" scheint mir eine Alternative zu "vielleicht" zu sein, die ich gerne überdenke. Das "daran" mag ich nicht zu sehr, ich würde es leiber unbestimmt lassen.
uffa, so viele Rückmeldungen - dabei war ich nur zwei Tage zwangsläufig salonabstinent.
Danke für das schöne feedback, das macht Lust, mich mal wieder an Texten zu versuchen.
Gerda, "möglicherweise" scheint mir eine Alternative zu "vielleicht" zu sein, die ich gerne überdenke. Das "daran" mag ich nicht zu sehr, ich würde es leiber unbestimmt lassen.
Ups, jetzt habe ich es versehentlich abgeschickt.
Also: Genau, "idegen" spricht man "I-dä-gen", hätte ich ahnen können, dass du das weißt, Monika, köszi (und shcön, dich wiede rhier zu lesen).
Quoth, ja an den den Odradek musste ich denken, als ich den Text ein paar Wochen nach der Entstehung wieder gelesen habe .. ich hoffe, er taugt trotzdem.
Fux, ich glaube, diese Verbindung ist für den Erzähler zunächst auch unbekannt - heute könnte er andere Texte schreiben.
Allen einen lieben Dank für die kOmmentare
Max
Also: Genau, "idegen" spricht man "I-dä-gen", hätte ich ahnen können, dass du das weißt, Monika, köszi (und shcön, dich wiede rhier zu lesen).
Quoth, ja an den den Odradek musste ich denken, als ich den Text ein paar Wochen nach der Entstehung wieder gelesen habe .. ich hoffe, er taugt trotzdem.
Fux, ich glaube, diese Verbindung ist für den Erzähler zunächst auch unbekannt - heute könnte er andere Texte schreiben.
Allen einen lieben Dank für die kOmmentare
Max
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