Weißbrot und Erdbeerlollis
Weißbrot und Erdbeerlollis
Das blecherne Trommeln auf dem Metallcontainer war nicht zu überhören.
"Sie warten schon. Ich gehe!", rief ich meiner Mutti zu.
"Ruinier nicht gleich deine neuen Schuhe, um fünf Uhr bist du wieder zu Hause!", meinte sie und stülpte sich ihre gelben Arbeitshandschuhe über. Mutti wird in ihrem Gemüsegarten arbeiten. Beim Abendessen wird es Salat mit frischen Kräutern geben. Dazu Schwarzbrot, Harzerkäse, Tilsiter und Margarine. Sie wird sagen: "Schmecken sie nicht großartig, meine selbstgezüchteten Kräuter?" Und ich werde artig nicken. Wenn meine Eltern es erlaubten, übernachtete ich ab und zu bei Nici. Dort gab es Weißbrot mit Leberwurst und viel Butter.
Es war Sommer und herrlich warm. Also nichts wie raus. Ich fasste in die rechte Tasche meiner Shorts. Zehn Pfennig befanden sich darin. Mir fehlte ein Groschen. Vorsichtig spähte ich durch die Terrassentür. Meine Mutter beugte sich gerade über ihre Tomaten. Die Luft war rein. Schnell aber leise rannte ich zur Anrichte, wo sie immer ihre Handtasche hinlegte, schnappte mir ihr braunes Portemonnaie, schüttelte es kurz. Es war genug Kleingeld drin. Sie würde es nicht merken. Ich klaute einen Groschen, steckte das Portemonnaie wieder in ihre Tasche, sah mich noch mal um. Als ich aus dem Haus kam, schlugen meine Freundinnen Nici, Susi und Olga mit ihren Füßen noch kräftiger gegen den Container, der gegenüber von unserem Haus stand.
"Da bist du ja endlich!", riefen sie.
"Und zwanzig Pfennig hab ich auch!", triumphierte ich und hielt meine neuen pink-weißen Geburtstagsturnschuhe stolz hoch, damit alle sie genau sehen konnten. Ich freute mich über ihre bewundernden und neidischen Blicke.
"Klasse, dann los zum Lädchen!", quietschte Susi vergnügt. Wir schnappten unsere Fahrräder und fuhren los. In unserem Lieblingsladen gab es Erdbeerlollis für fünf Pfennig das Stück. Kurze Zeit später lutschten wir zufrieden an unseren Lollis und streckten uns knallrote Zungen entgegen.
"Was machen wir heute?", fragte Olga und sprang ungeduldig herum. Ihr schwarzer Pferdeschwanz wippte hin und her.
"Na, Ahornallee, ist doch klar. Lasst uns zur Hütte von der Alten fahren, vielleicht sehen wir, wie sie gerade ein Huhn schlachtet!", meinte Susi grinsend. Ich ekelte mich vor diesem Anblick, wollte aber kein Spielverderber sein.
"Na gut", sagte ich, wusste aber, dass ich wegsehen würde. Einmal hatte ich beobachtet, wie die Alte einem Huhn den Kopf abhackte. Ich hätte schwören können, dass der kopflose Körper noch zuckte. Ob das Huhn es gefühlt hatte, als sein Kopf abgeschlagen wurde?
Am Anfang der Ahornallee ließen wir unsere Räder liegen. Es ging zu Fuß weiter, quer durch den Wald. Als wir vor dem Häuschen angekommen waren, stellten die anderen enttäuscht fest, dass die Alte nicht da war. Die Hüttentür und der Hühnerstall waren geschlossen. Ich atmete auf.
"Bestimmt sammelt sie gerade Würmer und Spinnen für ihr Hexensüppchen", meinte Nici. Nici war die Größte von uns. Sie überragte mich und auch die anderen um mehr als einen Kopf. In unserer Schule, wir gingen in die 2. Klasse, war sie sogar größer als unsere Lehrerin, Frau Schuhmann. Bestimmt war Frau Schuhmann deshalb nie böse zu Nici. Selbst, wenn Nici vorlaut dazwischen quatschte, sagte die Lehrerin nichts. Ich bewunderte Nici. Sie war so stark und tat immer das, was sie wollte. Sie hatte vor nichts Angst. Nici bekam nie zu spüren, wie sich das Holzlineal von Frau Schuhmann auf den ausgestreckten Fingerkuppen anfühlte. Es war so ähnlich wie der Gürtel meines Vaters.
"Dann spielen wir Verstecken!", schlug Susi vor. Alle waren einverstanden.
Während Susi laut bis fünfzig zählte, rannten wir anderen Drei in verschiedene Richtungen davon. Susis kräftige Stimme hallte durch den Wald. Ich wünschte mir, ich wäre unsichtbar. Dann würde ich bestimmt gewinnen. Unter einem dicken Ast, der im Winter umgebrochen war, fand ich ein ideales Versteck. Ich kroch unter den Ast und legte Gestrüpp um mich herum. Hier würde mich niemand finden.
"Ich komme!", rief Susi. Ihre Stimme hörte ich wie aus der Ferne. Ich war weit gelaufen, um unsichtbar sein. Nici und Olga hatten sich nicht gut genug versteckt. Schnell hatte Susi sie entdeckt. Doch mich fanden sie nicht. Lange riefen sie nach mir. Das freute mich. Nach einer Weile verging ihnen die Lust, so dass ich mich sichtbar machen musste. Aber heute hatte ich gewonnen.
Liebe Gabi,
deine kleine Erzählung (ich lese sie als kurze Prosa nicht Kurz-Prosa), gefällt mir sehr. Sie wirkt sehr spontan und lebendig, reißt manchmal nur ein Thema an, ohne dass der Fluss der Geschichte gehemmt wird oder insgesamt zu viele Themen angesprochen werden. Ich finde du hast dich perfekt in die Köpfe der Kinder hineingedacht, oder die persönliche Erfahrung sehr gut bewahrt und einfließen lassen.
Sie wirkt auf mich, wie aus einem Guss und ich habe sie sehr gern gelesen.
Die Geschichte erzählt von Erziehung vor ein paar Jahrzehnten und den Fluchträumen der Kinder in diesem "Gefüge", die sich speziell die Protagonistin erschafft.
Ich glaube, dass Kinder früher größere Freiheiten hatten, weil sie gefahrloser draußen spielen konnten, besonders natürlich auf dem Land, wo auch ich Erfahrungen mit Verstecken im Heu und dem Schlachten sammeln konnte.
Schön eingefangen.
ich könnte mir diesen TExt auch als "Klappentext" für einen Roman vorstellen.
Liebe Grüße
Gerda
PS
... wer mochte im Alter von 8 Jahren nicht Lollis lieber, als Schnittlauch und Petersilie.gif)
Wir kauften immer Frigeo Ahoj-Brausepulver, das gibt es immer noch und die Tütchen sehen noch aus wie früher. Wir leckten es aus der Hand, statt es in Wasser aufzuösen..gif)
deine kleine Erzählung (ich lese sie als kurze Prosa nicht Kurz-Prosa), gefällt mir sehr. Sie wirkt sehr spontan und lebendig, reißt manchmal nur ein Thema an, ohne dass der Fluss der Geschichte gehemmt wird oder insgesamt zu viele Themen angesprochen werden. Ich finde du hast dich perfekt in die Köpfe der Kinder hineingedacht, oder die persönliche Erfahrung sehr gut bewahrt und einfließen lassen.
Sie wirkt auf mich, wie aus einem Guss und ich habe sie sehr gern gelesen.
Die Geschichte erzählt von Erziehung vor ein paar Jahrzehnten und den Fluchträumen der Kinder in diesem "Gefüge", die sich speziell die Protagonistin erschafft.
Ich glaube, dass Kinder früher größere Freiheiten hatten, weil sie gefahrloser draußen spielen konnten, besonders natürlich auf dem Land, wo auch ich Erfahrungen mit Verstecken im Heu und dem Schlachten sammeln konnte.
Schön eingefangen.
ich könnte mir diesen TExt auch als "Klappentext" für einen Roman vorstellen.
Liebe Grüße
Gerda
PS
... wer mochte im Alter von 8 Jahren nicht Lollis lieber, als Schnittlauch und Petersilie
.gif)
Wir kauften immer Frigeo Ahoj-Brausepulver, das gibt es immer noch und die Tütchen sehen noch aus wie früher. Wir leckten es aus der Hand, statt es in Wasser aufzuösen.
.gif)
Hi Gerda und Eule,
ich freu mich, dass euch dieser kleine Erinnerungsrückblick gefällt und ihr das Kindererleben für gut nachvollziehbar haltet! Jou, Fluchträume schaffen, das trifft es gut, Gerda.
Die Erziehungsmethoden damals, auweia. Heute undenkbar, dass ein Lehrer mit einem Holzlineal auf die Finger eines Schülers schlägt. Aber damals war das so.
Und ja! Das Brausepulver hab ich auch geliebt, und wie! *mmmmmh schmatz*
Saludos
Gabriella
ich freu mich, dass euch dieser kleine Erinnerungsrückblick gefällt und ihr das Kindererleben für gut nachvollziehbar haltet! Jou, Fluchträume schaffen, das trifft es gut, Gerda.
Die Erziehungsmethoden damals, auweia. Heute undenkbar, dass ein Lehrer mit einem Holzlineal auf die Finger eines Schülers schlägt. Aber damals war das so.
Und ja! Das Brausepulver hab ich auch geliebt, und wie! *mmmmmh schmatz*
Saludos
Gabriella
Hallo,
ich weiß nicht, warum ich das Böse suche. Und nicht finde, natürlich. Vielleicht liegt es an der Hexenandeutung. Vielleicht daran, dass Franz Josef Degenhard gestorben ist und mir immer noch die Wölfe mitten im Mai und die Schmuddelkinder durch den Kopf spuken. Ist schön geschrieben, aber mir persönlich in aktueller Stimmungslage noch nicht ergiebig genug. Es müsste irgendwie weitergehen. Ruhig in dem gleichen langsamen Tempo.
Lieben Gruß
Henkki
ich weiß nicht, warum ich das Böse suche. Und nicht finde, natürlich. Vielleicht liegt es an der Hexenandeutung. Vielleicht daran, dass Franz Josef Degenhard gestorben ist und mir immer noch die Wölfe mitten im Mai und die Schmuddelkinder durch den Kopf spuken. Ist schön geschrieben, aber mir persönlich in aktueller Stimmungslage noch nicht ergiebig genug. Es müsste irgendwie weitergehen. Ruhig in dem gleichen langsamen Tempo.
Lieben Gruß
Henkki
Hola Henkki,
das Böse ist durchaus da, jedoch nur angedeutet. Was hier erzählt wird, ist alles Schein und Oberfläche. Was hier unterschwellig angedeutet wird, ist Psychoterror, Angst und Grausamkeit. Nur angedeutet, da ich das Böse bewusst nur "angekratzt" einfließen lassen wollte. Es sollen zwischen den Zeilen sozusagen die Alarmglocken läuten.
Ja, es müsste weitergehen. Und es gäbe noch viel zu erzählen ...
Im Prinzip ist dies nur ein Auszug.
Saludos
Gabriella
das Böse ist durchaus da, jedoch nur angedeutet. Was hier erzählt wird, ist alles Schein und Oberfläche. Was hier unterschwellig angedeutet wird, ist Psychoterror, Angst und Grausamkeit. Nur angedeutet, da ich das Böse bewusst nur "angekratzt" einfließen lassen wollte. Es sollen zwischen den Zeilen sozusagen die Alarmglocken läuten.
Ja, es müsste weitergehen. Und es gäbe noch viel zu erzählen ...
Im Prinzip ist dies nur ein Auszug.
Saludos
Gabriella
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