Blaue Blumen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 14.07.2006, 15:54

Blaue Blumen

In deine Haut steche ich Muster
von blauen Blumen, die mir
im Traum erschienen sind.
So fremd. So welk schon.

Da, wo sich der Schatten in
deine Achseln legt, dort
sammle ich all mein Sehnen
und tauche es in deine Wasser:

Dann verdunstet es. So stark
scheint die rote Sonne, beleuchtet
dein Gesicht. Ich sehe die
Knochen durchschimmern.

Ich bin im Regen, ich bin im
dichtesten Nebel. Meine Augen
suchen dich und finden doch nur
ein endlos zurückgeworfenes Bild.
Zuletzt geändert von Falschmünzer am 16.07.2006, 19:09, insgesamt 3-mal geändert.

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.07.2006, 11:55

Hi Falschmünzer,

der Text erzeugt bei mir eine angenehm abgeklärte und trotzdem sentimentale, wenn nicht gar resignative Stimmung. Ein hartes Bild der Liebe, durch nüchterne Worte (welk, stechen, Knochen). Spricht mich sehr an.

Gruß vom Tom.
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

Dita

Beitragvon Dita » 16.07.2006, 12:47

Salut Falschmünzer,

noch durchschaue ich nicht ganz die Beziehung. Im ersten Teil macht das Lyrich einen sehr bestimmten Eindruck auf mich, dem Du übergestellt.
In deine Haut steche ich Muster

Im zweiten Absatz wird das Du als Versteck, als Sicherheit genutzt, was ihm wiederrum einer gewisse Macht gibt, seine Überlegenheit zeigt.
Diese Stellung wird jedoch im dritten Vers vernichtet.
Ich sehe die
Knochen durchschimmern –

Auch das Du ist verletzlich und dies erkennt auch das Lyrich.
Im letzten Teil wird dann für mich die ABhängigleit des Lyrichs von einer alten Form des Dus für mich ersichtlich.
Daraus schließe ich, dass es hier um die Abnabelung oder Verabschiedung des Lyrichs von einer alten Vorstellung des Dus geht, welche nicht länger haltbar, wenn auch wünschenswert ist. Ich hoffe, ich habe es verstanden.
Für mich äußerst ansprechend geschrieben.

Lieben Gruß,
Dita

Gast

Beitragvon Gast » 16.07.2006, 13:13

Ich habe dieses Gedicht als Rückblick im Traum gelesen.
Das Lyrich steht "Im Regen" und blickt zurück auf sonnige Zeiten...

Hallo Falschmünzer,

ich finde das Bild der Achselhöhle, in der sich der Schatten fängt wunderschön und stimmig...
Oft sind es gerade Details, an die sich der Liebende erinnerst, wenn die Liebe auf der anderen Seite vergangen...
Das kann ein kleine Kuhle sein im Nacken des geliebten Menschen, ein Grübchen, Mimik oder wie hier die Achselhöhle sein, die nun zum Fixpunkt der Tauenr und Wehmut wird.
Noch einmal leuchtet der "alte"Glanz, dann ist das Lyrich auf sich selbst zurückgeworfen...
Ich finde es rund und selbst wenn meine Deutung deiner Intention widerspricht, deine Worte haben zu mir gesprochen.
Danke.

LGG

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 16.07.2006, 16:59

Ich danke euch für eure Vorstellungen zu meinem Text,
die doch sehr nah an den meinen gelagert sind.
Dita: Für mich handelt es sich tatsächlich um einen
Loslösungsprozess, um das Loslassen von einer unerfüllten
Liebe. In der zweiten Strophe geht es nicht ausdrücklich
um ein "Versteck", ich habe es sogar ausformuliert, wie ich es meine:
"dort sammle ich all mein Sehnen und tauche es in deine Wasser".
Wieder wird also die Sehnsucht auf das Gegenüber projiziert,
doch "es verdunstet", ist also nicht mehr erreichbar, das Ende
ist unausweichlich.
Gerda: Die Sonne ist in diesem Fall wohl eher ein Stellvertreter
für die Realität, die "Wahrheit", die Vergänglichkeit, die auch mit
den "Knochen" bezeugt wird.
An dieser Stelle wird auch der Bezug zu den "blauen Blumen"
deutlich. Vielleicht kennt ihr dieses Symbol aus der Sprache
der Romantik (Novalis, Heinrich von Ofterdingen, etc.).
Die blaue Blume ist das Sinnbild für Unendlichkeit, Einheit,
Erfüllung, usw., die der Sprecher im Gedicht dem Gegenüber
förmlich "auferlegt" - solch eine Beziehung kann nicht von langer
dauer sein.
Und noch ein Wort zur letzten Strophe:
Das Wasser (Nebel, Regen) als Gegensatz zur Sonne zeigt
nun wiederholt, dass der Sprecher die Wirklichkeit nicht
akzeptieren will. Dieser Gedanke drückt sich dann abschließend
in dem "Sehvorgang" aus ("ein endlos zurückgeworfenes Bild").
Ich denke oft, dass wir durch unseren Sehsinn getäuscht werden,
uns nur "Bilder machen", die aber nicht viel mit der Wirklichkeit
gemeinsam haben. Wir können immer nur von "unserer (einseitigen)
Sicht" ausgehen ...
Ich hoffe, diese Ausführung war nicht allzu theoretisch und
sie nimmt dem Gedicht nicht seine Dynamik. Vielleicht trägt es
ja zum besseren Verständnis bei.


P.S. Gerda, du hast völlig Recht mit deiner Beobachtung
zu diesen kleinen Details. Sie faszinieren mich auch besonders
und sind oft das Einzige, was noch übrig bleibt ...

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Thomas Milser
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Beitragvon Thomas Milser » 16.07.2006, 17:11

Hi FM,

deine Ausführungen sind nicht 'Theoretisch', sondern zeugen von sensibler Wahrnehmung, Reflektiertheit und lyrischem Verstand.

Tom
Menschheit, Du hattest von Anfang an nicht das Zeug dazu... (Charles Bukowski)

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.07.2006, 17:19

deine Ausführungen sind nicht 'Theoretisch', sondern zeugen von sensibler Wahrnehmung, Reflektiertheit und lyrischem Verstand.


Genau so ist es und das Gedicht ist großartig. Es ist bemerkenswert.

Das ganze Bild baut sich vor mir auf (die blauen Blumenmuster...auf der Haut, das in die besondere Vase stellende der welken..)...wow.

Das Bild der Achsel ist neben der ersten Strophe auch das Bild, was mich am meisten berührt.
Fantastisch!

(Das "völlig" würde ich aus rhythmischen, ästhetischen und inhaltlichen Gründen streichen.)

Lieb Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 16.07.2006, 18:08

Danke für die Komplimente, ich weiß gar nicht,
ob ich sie verdient habe ...
Das "völlig" hat mich in der Tat auch gestört.
Es ist mir aber wichtig, dass das Gesicht völlig
vom Licht durchdrungen ist ... daher habe ich es
jetzt in "dein ganzes Gesicht" geändert, was wohl
ein wenig besser klingt. Liebe Grüße zurück!

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 16.07.2006, 18:13

Lieber falschmünzer,
du kannst in meinen Augen das ganz (auch wenn es besser klingt) weglassen, denn das folgende Bild (Ich sehe die
Knochen durchschimmern) erzählt doch von dem völligen, ganzen Licht...vertrau dem Bild ruhig, es birgt den Gedanken.
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

Louisa

Beitragvon Louisa » 16.07.2006, 18:41

Hallo Falschmünzer,
Deine schlauen Anmerkungen haben mir sehr geholfen. Ich fand das Gedicht gestern schon sehr gut, befürchtete aber es falsch zu deuten...

Beonders die letzte Strophe mit dem "endlos zurückgeworfenen Bild" ist wirklich beeindruckend!

Das ist sehr düster geträumt und fein beobachtet! So etwas lese ich gern.

Liebe Grüße, louisa

Falschmünzer

Beitragvon Falschmünzer » 16.07.2006, 19:04

Lisa: Die Kunst des Weglassens ist wirklich die schwerste ...
In diesem Falle vertraue ich nicht deinen Augen, sondern deinem
Geist ... Du hast recht.

Louisa: Ich sage es immer wieder gern - Es gibt keine falschen
Deutungen, nur unzureichende oder unschlüssige Deutungen.
Gedichte fordern meiner Meinung nach den Mut zur Offenheit,
zum Dialog. Ihre Form zwingt den Leser und Hörer förmlich dazu.
Danke!

Dita

Beitragvon Dita » 16.07.2006, 22:29

Danke für Deine Ausführung!
Dreisterweise schließe ich mich ganz einfach Tom an.

Dita

Nihil

Beitragvon Nihil » 21.08.2006, 19:50

Hey Falschmünzer,

Du kannst Dich doch nicht einfach so aus dem Staub machen .. Reisende soll man nicht aufhalten, ich weiß .. ich mochte Deine Dichtungen und empfand sie als eine Bereicherung! Schade ..

mfg

Nihil


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