Benjamins Totenmaske
Ich lerne zu begreifen dass ich nichts kann
außer das zu begreifen
irgendwann
Kennst du das, sagt sie, wenn du beim Schreiben das Gefühl hast, du lernst nochmal sprechen? Wenn jeder Satz wie ein Stollen ist, den du in deinen Kopf treibst, aus dem du Dinge zu Tage förderst, die du noch nie gesehen hast?
Nein, sage ich. Nein, im Gegenteil, ich bin mir sicher, ich verlerne das Sprechen beim Schreiben. Und ich verlerne das Denken beim Schreiben. Wenn ich einen Gedanken verdichten und in eine Form pressen will, folgt er mir nicht, sondern bläst sich auf und wird größer und größer und zerplatzt, sobald ich nach ihm greife, verstehst du? Ich kann ihn mit meiner Sprache nicht beherrschen, er verweigert sich seiner Materialisierung, zerplatzt mitten in meinem Kopf und nur seine Hülle segelt aufs Papier – ein leeres, wabbeliges Nichts, ein Luftballonhund ohne Luft, ein Schwindel an mir und der ganzen Welt, unzulänglich, unzuständig für alles, was transportiert werden wollte. Und warum: Weil das, was dann da steht, nicht mehr von mir stammt, sondern von der Idee, die ich von mir hab. Verstehst du, was ich meine? Fro, der Schriftsteller, formuliert einen Gedanken von Fro. Dabei fällt Fro auf, dass es Fro, den Schriftsteller, gar nicht gibt – Bumm!
Das Werk ist die Totenmaske der Konzeption, sagt Benjamin. Ich glaube, dem ist nichts hinzuzufügen.
Sieh sie dir an, die unschuldigen kleinen Biester, wie sie vor mir auf den Tasten sitzen, hellwach und zu jedem Unfug bereit. Nur um irgendwann, kurz vor Ende einer weiteren geschwiegenen Seite, kurz vor Ende einer weiteren abgestorbenen Nacht in blinder Verzweiflung loszustürmen, jeder in eine andere Richtung: Zehn Hunde ohne Schlitten. Auf einem Eisberg, dessen Stunden gezählt sind.
Benjamins Totenmaske
Hallo Teya,
das ist eine literarische Form für ein wildes Thema.
Der Anfang ganz sokratisch - wie er Benjamin-ferner kaum sein kann - warum?
Danach eine weiblich Form, die dem Anliegen Benjamins in Form und Inhalt (den Dingen ihre Sprache zurückgeben, im Moment des Erfassens ihr Wesen zur Erscheinung bringen) für mein Verständnis relativ nahe kommt.
Und schließlich ein Haupabsatz, in dem Benjamin mit einem Benjamin-Zitat der Garaus gemacht werden soll (alles, natürlich, meine Lesart). Zu sagen, der Satz sei ein "leeres wabbeliges Nichts, ein Luftballonhund ohne Luft" ist eine Erkenntnisskepsis, die ich zum einen bei Benjamin nicht sehe, zum anderen nicht aus der angegebenen Argumentation ableiten kann. Ein Satz kann nie vollständig einen Gedanken wiedergeben, das könnte ich gut nachvollziehen und auch bei Benjamin wiederfinden. Es gibt eitle Gedankenbilder, das nur aus Illusionen ('der Schriftsteller') und Wichtigtuerei entstehem, d'accord. Was folgt daraus? Meines Erachtens nichts.
Dass jedes Werk die Kreativität der Ursprungsidee fixiert, zum Absterben bringen muss - "dem ist nichts hinzuzufügen". Mit wilden Buchstabenjagden, in denen Formulierungen aus Formfreude ohne Idee über die Eisberge hasten hat das ebenfalls nichts zu tun. Vielleicht dass der Text ein Beispiel für solche Reisen sein will?
Benjaminfreundliche Grüße
Franz
Franz
das ist eine literarische Form für ein wildes Thema.
Der Anfang ganz sokratisch - wie er Benjamin-ferner kaum sein kann - warum?
Danach eine weiblich Form, die dem Anliegen Benjamins in Form und Inhalt (den Dingen ihre Sprache zurückgeben, im Moment des Erfassens ihr Wesen zur Erscheinung bringen) für mein Verständnis relativ nahe kommt.
Und schließlich ein Haupabsatz, in dem Benjamin mit einem Benjamin-Zitat der Garaus gemacht werden soll (alles, natürlich, meine Lesart). Zu sagen, der Satz sei ein "leeres wabbeliges Nichts, ein Luftballonhund ohne Luft" ist eine Erkenntnisskepsis, die ich zum einen bei Benjamin nicht sehe, zum anderen nicht aus der angegebenen Argumentation ableiten kann. Ein Satz kann nie vollständig einen Gedanken wiedergeben, das könnte ich gut nachvollziehen und auch bei Benjamin wiederfinden. Es gibt eitle Gedankenbilder, das nur aus Illusionen ('der Schriftsteller') und Wichtigtuerei entstehem, d'accord. Was folgt daraus? Meines Erachtens nichts.
Dass jedes Werk die Kreativität der Ursprungsidee fixiert, zum Absterben bringen muss - "dem ist nichts hinzuzufügen". Mit wilden Buchstabenjagden, in denen Formulierungen aus Formfreude ohne Idee über die Eisberge hasten hat das ebenfalls nichts zu tun. Vielleicht dass der Text ein Beispiel für solche Reisen sein will?
Benjaminfreundliche Grüße
Franz
Franz
Benjamin meinte wohl nicht, dass das Werk die Konzeption sozusagen beerdigt. Es bringt sie nur in ihre endgültige Form. Ein Menschengesicht verändert sich im Laufe seines Lebens, so wie Ideen und Konzepte sich im Denken ständig wandeln und entwickeln. Sind diese Gedanken aber einmal in Worte gefasst, niedergeschrieben, veröffentlicht, ist dies das Ende der Entwicklung. Die Totenmaske ist nicht Ausdruck des Widerspruchs zwischen Konzept und Werk, sondern Metapher für die Erstarrung der Idee im Wort.
Die hier beschriebene Skepsis gegenüber dem Schreiben ist nichts Neues. So gut wie jeder, der schreibt, wird ab und zu auf irgendeine Art davon ergriffen. Manche lässt sie auch nicht mehr los. Deswegen wird auch immer wieder darüber geschrieben. Dabei können dann wirklich gute Texte entstehen. Den obigen zähle ich nicht dazu. DAfür ist er mir in seinen Formulierungen und Bilder zu dick, zu pathetisch, zu larmoyant.
Und wenn es wirklich so ist, dass beim Aufschreiben einer Idee, selbige sich aufbläht und zerplatzt, so muss dass nicht unbedingt an der Sprache liegen. Vielleicht hat die Idee einfach nicht getaugt.
Gruß
Sam
Die hier beschriebene Skepsis gegenüber dem Schreiben ist nichts Neues. So gut wie jeder, der schreibt, wird ab und zu auf irgendeine Art davon ergriffen. Manche lässt sie auch nicht mehr los. Deswegen wird auch immer wieder darüber geschrieben. Dabei können dann wirklich gute Texte entstehen. Den obigen zähle ich nicht dazu. DAfür ist er mir in seinen Formulierungen und Bilder zu dick, zu pathetisch, zu larmoyant.
Und wenn es wirklich so ist, dass beim Aufschreiben einer Idee, selbige sich aufbläht und zerplatzt, so muss dass nicht unbedingt an der Sprache liegen. Vielleicht hat die Idee einfach nicht getaugt.
Gruß
Sam
Hallo Teya,
das gefällt mir wieder sehr. Ein Text, der für mich vom Dialog lebt, dem Blick von beiden Seiten, und vom "gesprochenen" Wort, das nur deshalb auf dem "Papier" liegt, weil wir es dort hören können, und der damit selbst durch seine Wirkweise einen interessanten Aspekt zur inhaltlichen Frage hinzugibt.
Die Textebene selbst, das Erfundene, das Konzept dahinter, das "Geschriebene" wird mir beim Lesen nicht bewusst. Und ich habe gerne zugehört und finde im Gegensatz zu Sam auch die Bilder, die Ausschmückung als sehr stimmig für diesen Erzählmoment.
Liebe Grüße
Flora
das gefällt mir wieder sehr. Ein Text, der für mich vom Dialog lebt, dem Blick von beiden Seiten, und vom "gesprochenen" Wort, das nur deshalb auf dem "Papier" liegt, weil wir es dort hören können, und der damit selbst durch seine Wirkweise einen interessanten Aspekt zur inhaltlichen Frage hinzugibt.
Die Textebene selbst, das Erfundene, das Konzept dahinter, das "Geschriebene" wird mir beim Lesen nicht bewusst. Und ich habe gerne zugehört und finde im Gegensatz zu Sam auch die Bilder, die Ausschmückung als sehr stimmig für diesen Erzählmoment.
Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)
Hallo Franz, Hallo Sam,
eure Kritik geht in die selbe Richtung, denke ich. Zunächst einmal will der Text Benjamin nicht "den Garaus machen", (der Titel meint "Benjamins Totenmaske" i. S. v. "Benjamins Totenmaskenaphorismus"), und er will sich auch nicht in jeder Formulierung auf ihn beziehen. Benjamin in den Titel zu packen, könnte ungünstigerweise natürlich genau dies suggerieren, das ist mir erst beim Lesen eurer Kommentare bewusst geworden.
Aber warum wählt die Figur das Zitat überhaupt? Weil es, wie ich denke, ein starkes Bild vor allem dafür ist, dass der "Materialisierungs"-Prozess einer Idee endgültig ist und nicht rückgängig gemacht oder in gleicher Form wiederholt werden kann. Einmal aufgeschrieben, hat sich ein Gedanke für immer verändert – auch im Kopf. Dieser Aspekt ist für die Figur das Entscheidende an Benjamins Zitat, denn wenn der Weg vom Kopf aufs Papier für sie schon voller Schwierigkeiten steckt, dann setzt die Erkenntnis der Unumkehrbarkeit noch eins oben drauf.
Kann sein, dass ich das nicht genügend herausgearbeitet hab. Danke jedenfalls für euer Feedback.
Hallo Flora,
danke für die Blumen
Ich finde, du fasst sehr schön zusammen, warum der Text in Dialogform geschrieben ist und unbedingt in wörtlicher Rede gelesen werden will. Auch, dass du mit den Bildern etwas anfangen kannst, freut mich sehr.
Lieben Gruß,
Teya
eure Kritik geht in die selbe Richtung, denke ich. Zunächst einmal will der Text Benjamin nicht "den Garaus machen", (der Titel meint "Benjamins Totenmaske" i. S. v. "Benjamins Totenmaskenaphorismus"), und er will sich auch nicht in jeder Formulierung auf ihn beziehen. Benjamin in den Titel zu packen, könnte ungünstigerweise natürlich genau dies suggerieren, das ist mir erst beim Lesen eurer Kommentare bewusst geworden.
Aber warum wählt die Figur das Zitat überhaupt? Weil es, wie ich denke, ein starkes Bild vor allem dafür ist, dass der "Materialisierungs"-Prozess einer Idee endgültig ist und nicht rückgängig gemacht oder in gleicher Form wiederholt werden kann. Einmal aufgeschrieben, hat sich ein Gedanke für immer verändert – auch im Kopf. Dieser Aspekt ist für die Figur das Entscheidende an Benjamins Zitat, denn wenn der Weg vom Kopf aufs Papier für sie schon voller Schwierigkeiten steckt, dann setzt die Erkenntnis der Unumkehrbarkeit noch eins oben drauf.
Kann sein, dass ich das nicht genügend herausgearbeitet hab. Danke jedenfalls für euer Feedback.
Hallo Flora,
danke für die Blumen

Lieben Gruß,
Teya
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: Google [Bot] und 5 Gäste