Schlafen. Wie gerne würde ich mal wieder schlafen. Die Augen fest geschlossen, nichts denken müssen, vielleicht ein paar absurde Träume, ein bisschen schnarchen – mir doch egal.
Aber ich kann nicht. Nicht mehr, jedenfalls. Seit vier Tagen, 22 Stunden und 34 Minuten habe ich kein Auge mehr zugetan. Ich drehe mich von der einen Seite auf die andere und wieder zurück, bringe den Lattenrost oder irgendeinen anderen Teil meines Bettes damit zum Klappern. Meine Frau schläft unruhig, ich kann sie schnaufen hören. Ich hoffe, sie wacht auf. Ich möchte mit ihr reden, mich ausweinen, ihr sagen, dass ich nicht mehr kann. Einmal mehr wälze ich mich im Bett herum, doch es hat keinen Zweck: Ich stehe auf. Der Parkettboden ist kalt. Ich schlüpfe in meine Hausschuhe und verlasse das Schlafzimmer. Die Tür schließt mit einem dumpfen Geräusch, etwas zu laut. Ich lausche ein paar Sekunden. Meine Augen sind geschlossen, trotz der Dunkelheit. Meine Frau schläft. Noch immer.
Im Wohnzimmer setze ich mich auf die Couch, stütze die Ellbogen auf meinen Knien ab, reibe meine brennenden Augen. Den Drang zu weinen schlucke ich hinunter. Ich habe bereits alles versucht: In der ersten Nacht warme Milch, dann einen doppelten Whiskey. Keine Wirkung. Meine Dämonen quälten mich daraufhin nur noch mehr. Tags darauf kaufte ich homöopathische Tropfen. Der Apotheker, vor dem mir jedes Mal ekelt, weil er am rechten Unterarm ein Geschwür unter der Hautoberfläche hat, das er immer, wenn er in Gedanken ist, mit der linken Hand hin- und herschiebt, zwinkerte mir wissend zu – keine Ahnung warum. Abends spülte ich das Dreifache der empfohlenen Dosis mit ein bisschen Wodka runter, doch die Tropfen halfen nichts.
Am zweiten Tag ging ich zum Arzt. Er verschrieb mir ein echtes Medikament. Ich hielt mich an den Beipackzettel. Kein Alkohol. Einige Minuten, nachdem ich die kleine, gelbe Tablette geschluckt hatte, spürte ich, wie mein Puls langsamer und schwächer wurde. So langsam und schwach, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Ich fürchtete, dass mein Herz stehenbleiben würde. An Schlafen war nicht zu denken. Erschöpft und regungslos wartete ich, bis die Wirkung des Medikaments nachließ.
Tag drei war die Hölle. Natürlich blieb ich zu Hause, wie auch schon am Tag zuvor. Irgendwann um die Mittagszeit fing ich an zu lachen. Einfach so, grundlos. Und konnte nicht aufhören. Am Ende tat mir der Brustkorb so weh, als wäre ich drei Marathons auf einmal gelaufen. Nass gemacht habe ich mich auch – ist mir nicht mehr passiert, seit ich drei war. Den Rest des Tages verbrachte ich vor dem Fernseher, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Mein Schädel dröhnte, ich konnte kaum denken. Trotzdem fasste ich einen Entschluss: Ich würde zum Whiskey zurückkehren, nur diesmal nicht ein Glas, sondern eine ganze Flasche leeren. Das Resultat war eine nette, sehr entspannte halbe Stunde. Danach musste ich mich übergeben, bis Galle kam. Für den Rest der Nacht war mir schlecht. Geschlafen habe ich nicht.
Was heute tagsüber passiert ist, weiß ich nicht mehr. Alles verschwimmt. Meine Frau und mein Sohn haben mit mir geredet, glaube ich. Gehört habe ich nichts. Vielleicht war mein Arzt da, vielleicht auch nicht. Mehr als farbenfrohe Schemen habe ich nicht wahrgenommen.
Ich genieße die Dunkelheit und die Stille. Nur das leise Surren eines Netzteils ist zu hören. Es ist das des Fernsehers, der sich ziemlich genau vor mir befindet. Die gute, alte Flimmerkiste. Mattscheibe. Ich blicke auf, orientiere mich an dem kleinen rote Licht, das rechts unten am Gerät gleichgültig vor sich hin leuchtet, sammle all meine Kräfte und springe – Kopf voraus – in Richtung Bildschirm. Wird schon nicht weh t...
Schlafen
Lapideus, als erstes: Gute Idee, Dein Thema.
Ich gehöre zu jenen Schlaflosen und könnte sofort in den Text einstimmen ... wäre er in einer anderen Sprache verfasst! Ich finde, sie klingt viel zu "frisch" und unverbindlich. Das ausgesprochen Bleierne, das einen umgibt, müsste m. E. auch durch das Mittel der Sprache rüberkommen. So ist der vorletzte Abschnitt zwar ein Resümee dessen, was ich meine, aber für mich klingt er sprachlich eher wie ein braver Bericht. Nun ist mein Schwerpunkt die Lyrik, vielleicht erwarte ich mitunter zuviele lyrische Anklänge auch in einem Prosatext, ich muss aber sagen, dass sich das hier unbedingt anböte. Denn wir sind ja nicht der Arzt, dem Du alles möglichst präzise schildern willst, damit er Dir das richtige Medikament verschreibt.
Ich gehöre zu jenen Schlaflosen und könnte sofort in den Text einstimmen ... wäre er in einer anderen Sprache verfasst! Ich finde, sie klingt viel zu "frisch" und unverbindlich. Das ausgesprochen Bleierne, das einen umgibt, müsste m. E. auch durch das Mittel der Sprache rüberkommen. So ist der vorletzte Abschnitt zwar ein Resümee dessen, was ich meine, aber für mich klingt er sprachlich eher wie ein braver Bericht. Nun ist mein Schwerpunkt die Lyrik, vielleicht erwarte ich mitunter zuviele lyrische Anklänge auch in einem Prosatext, ich muss aber sagen, dass sich das hier unbedingt anböte. Denn wir sind ja nicht der Arzt, dem Du alles möglichst präzise schildern willst, damit er Dir das richtige Medikament verschreibt.
Hallo Lapideus, der Text enthält eine starke Zeitraffung und gibt so authentisch die surrealer werdende Realitäsempfindung bei andauerndem Schlafentzug wieder. Allerdings scheinen mir die persönlichen und privaten Details ein wenig unterrepräsentiert, vermutlich aufgrund der humoristischen (und selbstironischen?) Erzählperspektive. Das Ende erscheint so folgerichtig und überraschend zugleich ... .Habe ihn mit Vergnügen gelesen ! .gif)
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Ein Klang zum Sprachspiel.
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