entfesselt

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Elsa
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Beitragvon Elsa » 11.04.2010, 11:14

entfesselt
(1920)


abgelegte korsetts
brüste befreit und
nackte beine im charleston
fieber mit einer prise
morphium zu champagner

– was kostet die welt –

zuviel um hunger zu stillen
geheizt wird lange nicht
mehr und gewartet auf
einen erlöser – noch will
er kunstmaler sein


.
Schreiben ist atmen

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.04.2010, 23:28

Liebe Lisa, lieber Niko,

aber ich glaube auch, dass elsa hitler nicht beschönigen wollte, sondern einen zeitgeist einfangen wollte, durch dessen extreme vielleicht hitler möglich wurde.


keinesfalls will ich da was beschönigen, ich habe (für mich) eben den Eindruck, dieser Mann hatte nur durch die vorherrschende Situation die Chance gehabt, derart mächtig zu werden.

Hm - dann verstehe ich aber den ersten Teil des Textes nicht - der ja dann auch als Herleitung dienen sollte?
Ja, insofern Herleitung, das alles aus den Fugen war.

Und ich verstehe auch nicht, dass Hitler so gekränkt und wütend gewesen sein soll, weil er nicht Kunstmaler werden konnte.
Und das verstehe ich jetzt nicht, Lisa, denn es ist doch eine Metapher dafür, hier mit realem Hintergrund, aber trotzdem als solche zu lesen, wohin es führen kann, wenn sich jemand nicht anerkannt vorkommt. Dass es in dem speziellen Fall zu Völkermord geführt hat, hat aber auch damit zu tun, dass ihn die anderen groß werden ließen. Was wiederum an der Not lag.

Seine Wut auf das Scheitern einer Kunstmalerkarriere zu reduzieren, ihm ein "krankes Hirn" zu attestieren - das ist mir zu wenig - die Taten bleiben nicht weniger erschreckend und grausam deswegen, aber meines Erachtens haben ganz andere Gründe dazu geführt, dass er so gelebt und getötet hat, wie er es tat.
Sicherlich hatte es vielfältige Ursachen, die so eine Persönlichkeit wachsen lassen. Ich wollte ein Gedicht über die 20er Jahre schreiben (siehe unten) und über den Beginn der Katastrophe.


Im Grunde kann man darüber eigentlich nicht schreiben, weil es unbeschreiblich ist, das stimmt auf jeden fall.
Ich wollte es euch nur zeigen, weil es in dem Buch über die 10 Dekaden "10x10=100" veröffentlicht wurde, und mich eure Meinungen dazu interessiert haben.

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 23.04.2010, 23:29

Liebe Lisa,

da haben sich unsere Antworten überschnitten ...

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen

Renée Lomris

Beitragvon Renée Lomris » 25.04.2010, 11:31

Liebe Elsa,

ich komme erst jetzt zu deinem Text. Ich will mich zunächst von der Debatte (die ich überflogen habe) nicht beeinflussen lassen.

Der Titel hat mich möglicherweise abgeschreckt, aber genau das finde ich interessant, denn sofort die ersten Zeilen haben mich dann fasziniert.

Ich finde den Text und die Thematik sehr spannend, deine Wortwahl - die sehr überlegt ist, ohne dass man das wuchtig spürt - gefällt mir sehr.

Es bleibt aber dieser Widerspruch zwischen Titel und Text, das 1920 fand ich gar nicht so schlecht. Vielleicht würde eine Titelbearbeitung das andere Problem lesen. Du meinst vielleicht diesen Leichtsinn der Ansprüche, das Tanzen ums Goldene Kalb, eine Hemmungslosigkeit, die IN SICH Emanzipation ermöglicht aber nicht IST, das wird wohl von uns allen oft verwechselt ... und das Hin- und Her zwischen beidem, das ist vielleicht mit dein Thema.

Die Entfesselten? Abgründiges ? Im Angesicht des Moloch? Irgendwas anderes (ich schreibe das nur so hin) Kennst du den Film von Soljokov (??) "Moloch"?

EBen habe ich den Text noch einmal gelesen, ich finde ihn sehr beeindruckend, habe ihn gerne entdeckt und gelesen. Wie gesagt, ich hatte ein Problem mit dem Titel.

Liebe Grüße
Renée

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 25.04.2010, 21:32

Liebe Elsa,

ich weiß wie gesagt, dass du nichts beschönigen möchtest und finde auch nicht, dass der Text dies tut :-) . Ich denke, wir sind uns einzig uneinig, was die Tragfähigkeit der Kunstmalermetapher angeht. Für mich kann sie eben dein Anliegen (das mit meinem größtenteils übereinstimmt, das habe ich jetzt verstanden, Begrifflichkeiten wie "krankes Hirn" und Egotrip machten mir das ein Posting vorher nur schwer) aus Gründen, die mit der Komposition zu tun haben, aber auch aus Gründen, die in ihr selbst liegen (beides ja schon ausgeführt) nicht transportieren. Allerdings habe ich glaube ich auch noch überhaupt keinen Text gelesen, der das auf diese Art vermochte - ist eben auch sehr schwierig.

Was Renee übrigens zu dem Titel schreibt, finde ich auch (schon vorher hatte ich das auch so gedacht, dachte nur, dass ich das allein so empfinde)

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Eule
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Beitragvon Eule » 26.04.2010, 00:29

Zeitenwende - nach der Niederlage bricht sich wieder die Kultur Raum im postwilhelminischen, besiegten Deutschland - dazu erste demokratische Regungen, argwöhnisch beäugt und bekämpft allenthalben von vielen Seiten - nicht auszuhaltendes Chaos überall - die Bolschewisten siegreich, da musste man doch reinschlagen, statt schwierige Reformen zu entwickeln - für letzteres fehlte noch die Diskussionskultur und Gelassenheit, da lieber die scheinbare Reaktion unterstützen, statt Konsens zu suchen - so könnte ich mir das vorstellen ... - Dein satirisches Gedicht dazu gefällt mir sehr und es scheint mir gut zu dieser Zeit zu passen ! Viele Grüße !
Ein Klang zum Sprachspiel.

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Elsa
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Beitragvon Elsa » 27.04.2010, 09:04

Liebe Renée,

Danke auch dir für die gründliche Befassung mit dem Text. Freut mich auch, dass du ihn gut findest.

Du meinst vielleicht diesen Leichtsinn der Ansprüche, das Tanzen ums Goldene Kalb, eine Hemmungslosigkeit, die IN SICH Emanzipation ermöglicht aber nicht IST, das wird wohl von uns allen oft verwechselt ... und das Hin- und Her zwischen beidem, das ist vielleicht mit dein Thema.
Ja, sehr schön beschrieben (warum fällt es mir immer so schwer, über meine Texte so genau zu schreiben?) das meine ich
mit der Hin- Herbewegung.

Titel:
Die Entfesselten? Abgründiges ? Im Angesicht des Moloch? Irgendwas anderes (ich schreibe das nur so hin) Kennst du den Film von Soljokov (??) "Moloch"?
Den Film kenne ich nicht. Deine Vorschläge sind ziemlich "starke" Titelzeilen, ich weiß nicht recht, ob ich damit nicht den Text überwerte, verstehst du?
Vielleicht doch schlichter, hm ... die Bombe im Text ist mM ja der Kunstmaler und die Zwanzigerjahre, wo H. noch keine Ahnung hatte, dass er bald Hitler sein würde. Der Text spielt ja davor! Deswegen war mir die Jahreszahl auch wichtig. Ach, ich habe keinen Schimmer ;-)

Liebe Lisa,

Ja, das Thema ist schwierig, wahrscheinlich hätte ich nicht über diese Zeit geschrieben, hätte ich nicht müssen für das Buch.

Lieber Arne,

Danke schön für deinen Kommentar!

Liebe Grüße
ELsa
Schreiben ist atmen


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