Wermutstropfen

Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 19.03.2010, 23:02

Wermutstropfen

Ich hab Dich mir genommen
Trotz heft’ger Gegenwehr
Hab ich jetzt doch bekommen
Wonach ich mich verzehr

Ich hab Dein Kleid zerrissen
Weil ich Dich so begehr
Ich hab Dich tot gebissen
Nun wehrst Du Dich nicht mehr

Ich hab Dein Herz gefressen
Post Mortem gab’s Verkehr
Und jetzt wird eingesessen
Das ärgert mich schon sehr

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.03.2010, 22:57

Hallo Henkki,

ich habe Deinen Text schon mehrfach gelesen, ebenso de Kommentare dazu. Ich wollte versuchen, dem nachzuspüren, was daran für mich die Provokation ist.
Zum einen liegt sie im Kontrast zwischen der Struktur der geradezu harmlosen Reime und dem brutalen Inhalt. Zum zweiten liegt sich für mich darin, dass Du es in dieser Rubrik gepostet hast, was ja diesen Kontrast im Grunde noch verstärkt. Dann kommt dazu, dass Du als Autor ja keine Stellung beziehst zum Inhalt. Das macht Dich in gewisser Weise natürlich verdächtig.
Interessant finde ich auch die Frage, warum Du, wenn Du im Grunde ja Dein eigenes Anliegen an den Text als erfüllt ansiehst, ihn trotzdem noch postest. Ich denke, das hat wiederum damit zu tun, dass eine Provokation ja im Grunde immer nach außen gerichtet sein muss.

Die Provokation jedenfalls gelingt Dir und wenn sie das Anliegen des Textes ist, funktioniert er.

Ich finde auch, dass die Darstellung des mangelnden Unrechtsbewusstseins funktioniert. Ob die Darstellung allein ausreicht, sei dahingestellt. Letztlich führt sie ja nur dazu, dass der Leser sich entrüstet und sich moralisch über solche Deppen erhaben fühlen kann.

Spannender fände ich, wenn es ans eigene Eingemachte gehen müsste.

Soweit meine Gedanken dazu.

Liebe Grüße

leonie

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 20.03.2010, 23:08

Hallo Leonie,

was soll ich an Stellung beziehen zum Inhalt über das hinaus, was ich schon Klara geantwortet habe? Ich bin in keinster Weise mit der Handlung des LyrIch einverstanden. Und mich schockiert das mangelnde Unrechtsbewußtsein, das real existiert.

Was die Arbeit am Text angeht, habe ich den Eindruck, dass die Ablehnung, die er auslöst, jegliche weitere Diskussion unmöglich macht. Ich habe nie gesagt, dass ich mein Anliegen an den Text als erfüllt ansehe. Ich habe mit Ablehnung gerechnet, ja. Wenn der Text jedoch richtig gelungen wäre, würde er ein Lachen erzeugen, an dem man sich sofort verschluckt. Das kann aber vermutlich deshalb nicht (oder nur bei sehr wenigen) funktionieren, weil das Grauen so nah ist und weil die Zensur viel früher einsetzt.

Deine Analyse zeigt mir aber, dass zumindest ein Teil meiner eingesetzten Kniffe funktioniert. Und es gelingt Dir auch, klar die Schwäche aufzuzeigen, zu sagen, was für Dich nicht funktioniert. Und damit hast Du dem Text eine Chance gegeben. Ich danke Dir dafür.

Grüße
Henkki

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leonie
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Beitragvon leonie » 20.03.2010, 23:22

Henkki, ich meine nur, dass Du im Text selber keine Stellung beziehst. Und das provoziert logischerweise auch.
Ich denke, Lachen, das wird wirklich nur bei wenigen funktionieren. Bei Frauen vermutlich (fast) gar nicht...

Liebe Grüße

leonie

Herby

Beitragvon Herby » 20.03.2010, 23:27

Hallo Henkki,

ich schwankte bei der Deutung deines Textes zunächst auch zwischen der von Mucki ins Spiel gebrachten Mon Cheri Kirsche oder dem Kampf von James Bond mit der Olive im Martini, wobei ich mit letzterem aber über die erste Strophe schon nicht mehr hinauskam. Du hast es slbst erklärt, wenn du schreibst:

Ihr versucht automatisch, eine versteckte Rechtfertigung oder Erleichterung zu finden.


Ja, Erleichterung, weil nicht sein kann, was (vermeintlich) nicht sein darf, und schon gar nicht in dieser Form. Und damit bin ich beim zweiten Punkt. Mucki brachte es so schön auf den Punkt, als sie schrieb:

Gabriella hat geschrieben:Und dann auch noch gereimt.


Bei der Überlegung, wie sie dies meinen könnte, fiel mir ein, dass ich selbst auch schon (meist humorige) Reimgedichte hier gepostet habe, deren Reimform sie nicht störte, aber wie gesagt, es waren in der Mehrheit humorige. Von daher verstehe ich ihre zitierte Bemerkung weniger als generelle Kritik an Gereimtem, sondern eher bezogen auf das das spezielle Zusammenspiel zwischen Reim einerseits und Inhalt deines Textes andererseits. Und diesen Gegensatz, wenn es denn ein solcher sein sollte, finde ich bei deinem Gedicht sehr interessant. Die sauber gesetzten Reime plätschern im Rhythmus von 3er Jamben munter vor sich hin und bilden in ihrer Leichtigkeit den krassesten Kontrast zum Inhalt, den sie transportieren. Und vielleicht trägt dieser unvereinbar erscheinende Gegensatz mit dazu bei, dass der Leser versucht ist, sich Erleichterung bei der Deutung deines Textes zu suchen. Die Komposition von Reim und Metrum lassen einen im ersten Moment nach einer zweiten, "gefälligeren" Verständnisebene suchen, weil man damit als Leser eher leben zu können glaubt.

Ich kann für mich noch zu keinem Gesamturteil über deinen Text kommen; den Einzelaspekt des Verhältnisses von Form und Inhalt finde ich, wie gesagt, interessant.

Lieben Gruß
Herby

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Lisa
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Beitragvon Lisa » 23.03.2010, 20:48

Hallo Henkki,

bei den letzten Überlegungen von Herby würde ich bei der Textkritik auch einsetzen. Ich glaube, es ist bei der Kombination makaber/Reim eine Frage der Dosierung oder Komposition - ich glaube jedenfalls nicht, dass sich beides prinzipiell ausschließt. Bei diesem Text hier denke ich, fehlt mir in Bezug auf die Reime eine bestimmte Raffinesse, die für mich etwa ein bösartiges Analogon zu den Aussagen des lyr. Ich wären, das kommt mir zu eindimensional daher, wirkt dadurch irgendwie eingesperrt und weckt kein Fieber/keine Dramatik.

Inhaltlich finde ich, könnten die letzten beiden Zeilen eher durch eine ganze Strophe ersetzt werden, indem der Titel, den ich im doppeltem Sinne gelungen finde, noch etwas ausgeführt wird - die letzten beiden Zeilen kommen mir eine Spur zu plötzlich.

Ob der Text von mir angenommen werden kann oder nicht, kann ich daher nicht sagen: Ich kann da nicht allgemein über "solch eine Art Text" sprechen - ich finde durchaus, dass es derbe, bösartige, noch viel schlimmere Texte gibt, die bei mir ankommen - (je aus anderem Grund), es gibt aber auch viele, die es nicht schaffen - bei mir ist es meist so, dass wenn die texte für mich ästhetisch aufgehen, bei mir die moralische Frage (darf der text sowas etc.?) gar nicht entsteht, einfach, weil mit mir etwas passiert, was ich für mich für wertvoll erachte.
Hier sehe ich einen Text, der für mich so noch nicht ganz einholt, was ich an Intention ihm unterstelle.

liebe Grüße,
Lisa
Vermag man eine Geschichte zu erzählen, die noch nicht geschehen ist?
Es verhält sich damit wohl wie mit unserer Angst. Fürchten wir uns doch gerade vor dem mit aller Macht, was gar nicht mehr geschehen kann, eben weil es schon längst geschehen ist.

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Zakkinen
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Beitragvon Zakkinen » 23.03.2010, 21:35

Auch Dir, Lisa, einen Dank für diese Art der Beschäftigung und Kritik an dem Text. Gefällt mir.

Grüße
Henkki


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