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Bereich für Texte mit lyrischem Charakter: z.B. Liebeslyrik, Erzählgedichte, Kurzgedichte, Formgedichte, Experimentelle Lyrik sowie satirische, humorvolle und natürlich auch kritische Gedichte
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leonie
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Beitragvon leonie » 25.01.2010, 17:56

Hufe aufgesetzt im Steppensand
verschwimmt die schützende Herde
der Lauf graziös dem Tod entgegen

schon liegen die Wasserläufe
an abgeschnittenen Wegen.

Sie fällt im Sprung, kämpft nicht mehr
trifft sich mit ihm im Grasland seines Blicks
gibt sich hin dem Eindringen in die Lende.

Er trinkt sie ertrinkt
das Herz als gehöre es nicht mehr ihr
holpert auf lahmen Hufen.



Erstfassung:

Hufe aufgesetzt im Steppensand
verschwimmt die schützende Herde
der Lauf graziös
dem Tod entgegen
schon liegt hinten
das ersehnte Bild
schneidet den Weg ab.

Nicht mehr kämpfen, sich hingeben
seinem Eindringen in die Lende
einen Moment berühren sich Blicke
er trinkt sie ertrinkt
das Herz klingt
als gehöre es nicht mehr ihr.

Als holpere es
in fremden Welten
über Kopfsteinpflaster.

Louisa

Beitragvon Louisa » 26.01.2010, 23:21

hallo leonie!

ich hatte deinen Text eben schon einmal kommentiert, aber dann ist mir die Seite entfleucht :smile: ... Jetzt weiß ich dafür aber schon, was ich insgesamt darüber sagen kann :smile: Also:

Mir gefallen die Bilder des ersten Abschnitts der ersten Strophe sehr gut - Das Bild dieser verwirrten, aufgescheuchten Herde, die Schutz bietet als Ebenbilder des Gefühlslebens finde ich sehr gut ausgesucht. Allerdings driftest du dann später plötzlich in relativ `übliche`, aber auch mit Sorgfalt ausgewählten Beziehungs-Bilder ab. Diese Beziehungs-Bilder wirken nun im Vergleich zu diesem starken Anfang sehr schwach auf mich. Ich würde also versuchen die "Bildebene" wieder zurecht zu rücken, das Ende also wieder bildlich mit dem Anfang zu verknüpfen, oder gegebenfalls einige von diesen Gefühls-Zweisamkeits-Metaphern zu streichen. Alles, was du darin nämlich sagst findet sich für mein Verständniss schon viel stärker zu Anfang des Textes. Es ist fast so als erklärtest du deine eigenen Anfangs-Bilder im Nachhinein.

Noch einmal genauer (und ich ändere gleich einige Kleinigkeiten, wenn es dir nichts ausmacht):

"Hufe aufgesetzt im Steppensand
verschwimmt die schützende Herde
der Lauf graziös dem Tod entgegen (denn hier brauche ich das Enjambement nicht!)

schon liegt hinten
das ersehnte Bild
schneidet den Weg ab.

Hier dachte ich: Nach diesem Bild sehne ich mich aber auch :eek: ... Mm... wie kann eine Herde denn einem Bild nachlaufen? Und wie kann ein Bild den Weg abschneiden? Sicher, man kann das alles so als Metaphern aufgreifen und sagen: Na, es ist ja die Herde eigentlich das Ich, dass keinen Schutz findet und deshalb einem Bild nachläuft - aber das mag ich nicht so gerne lesen... Es wäre für mich "schöner" gewesen, wenn du in diesen Bildern geblieben wärst. Das hat doch eine große Bewegung, diese galloppierende Herde! Könnte man z.B. auch sagen:

am Ende liegt das Wasser
und schneidet den Weg ab

???

So etwas in der Art würde ich mir wünschen, weißt du?

"Nicht mehr kämpfen, sich hingeben
seinem Eindringen in die Lende"

Das ist an und für sich schon ein spannender Vers, aber ich weiß gar nicht wie ich das (wie gesagt) mit der HErde vom Anfang in Verbindung bringen kann. Vielleicht könnte man auch sagen:

Die Herde ist davon gerannt und ich
bin hier geblieben, geb mich hin
seinem Eindringen in die Lende

Oder so ähnlich (...) das sind ja nur Versuche von mir die Bildebenen wieder zu verweben.

"einen Moment berühren sich Blicke
in Gräsern.

(z.B.???? und dann ohne Umbruch weiter:)

in Gräsern trinkt er sie ertrinkt (das Worspiel fand ich toll!)

das Herz klingt wie lahme Hufe

(oder sowas)

"als gehöre es nicht mehr ihr." - das fand ich nicht sehr überzeugend...und dann müsste es natürlich im Bild weitergehen, vielleicht:

"Als falle es in fremde Welten"

Ehrlich gesagt habe ich auch nur eine blasse Ahnung wie man das möglichst elegant machen kann, das sollen wie gesagt auch nur kleine Vorschläge sein, wie man die starken Anfangsbilder behalten könnte ohne den Rest zu vernichten. Ich weiß nicht, was du davon hälst, aber ich glaube so eine Version wäre sehr spannend.

Auf jeden Fall habe ich das gerne gelesen!

Liebe Grüße!
l

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Beitragvon leonie » 27.01.2010, 11:02

Liebe Louisa,

vielen Dank, dass Du Dich so ausführlich mit dem Text beschäftigt hast. Ich habe schon befürchtet, dass er so nicht funktioniert. Deine Ideen und Vorschläge muss ich in Ruhe überdenken, ich melde mich dann wieder!

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon leonie » 27.01.2010, 16:03

Liebe Louisa,

ich habe jetzt versucht, Deine Anregungen aufzunehmen und mehr in den Bildern zu bleiben. Ich fand das sehr hilfreich und habe manche der Vorschläge (z.T. variiert) aufgenommen. Vielen, vielen Dank!

Liebe Grüße

leonie

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Beitragvon Ylvi » 27.01.2010, 17:24

Hallo Leonie,

ein bisschen hatte ich gehofft, dass eine Überarbeitung mir mehr Klarheit bringt, aber ich sitze noch immer ziemlich ratlos vor diesem Gedicht und die Fragen türmen sich aufeinander. Am meisten irritiert mich diese Mischung aus Kampf, Vergewaltigung?, Tod und dann Hingabe, Grasland/berührende Blicke. Aber auch auf der "tierischen" Natur-Bildebene empfinde ich manches noch als unstimmig. Und ich denke es macht vermutlich wenig Sinn, das im Einzelnen aufzuzeigen, solange ich gar nicht weiß, wohin das Gedicht eigentlich möchte.
Aber vielleicht erhellt mich ja auch noch der eine oder andere Kommentar. :-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

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leonie
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Beitragvon leonie » 27.01.2010, 21:22

Liebe Flora,

hm. Schade. Ich möchte es nicht gerne auflösen.
Ich habe schon befürchtet, dass es schwierig wird...
Macht aber nichts, vielleicht beim nächsten Mal wieder? :-)

Liebe Grüße und trotzdem danke! (Ich wollte ja gerne sehen, ob es funktionieren kann und das scheint eben zumindest in Bezug auf Dich schwierig zu sein...ist für mich als Rückmeldung wertvoll!)

leonie

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.01.2010, 11:20

Hallo!

Also ich weiß nicht, was Flora für ein Problem hat, denn mir geht das ganze Gedicht jetzt viel klarer auf. Ich finde es so sehr, sehr schön wie du es umgeschrieben hast. Eine ganze kleine Welt baut sich da vor mir auf. Den "Grasland seines Blicks" finde ich auch sehr schön - man könnte vielleicht sogar "Grasblick" sagen, muss man aber nicht :smile: .... Mir gefällt es jetzt jedenfalls sehr. Ein Titel könnte dem ganzen vielleicht noch eine genauere Richtung geben!?

Schönen Tag!
l

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Beitragvon Ylvi » 28.01.2010, 11:31

Hallo Louisa,

Also ich weiß nicht, was Flora für ein Problem hat, denn mir geht das ganze Gedicht jetzt viel klarer auf.
Das ist schön, verrätst du mir auch, was dir da aufgeht, vielleicht sehe ich es dann auch. ;-)

Liebe Grüße
Flora
Das ist das Schöne an der Sprache, dass ein Wort schöner und wahrer sein kann als das, was es beschreibt. (Meir Shalev)

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.01.2010, 12:09

Hallo Flora,

na, ich finde, man bekommt den Eindruck als gehör(t)e dieses lyrische Ich ebenso in die schutzbietende HErde, es hat fast etwas "Tierisches" an sich - die Herde rennt aber dem Tod entgegen und der Weg, der in die Freiheit hätte führen können und der Schutz der anderen Tiere scheinen verschwunden (ab der zweiten Strophe) - Das Ich ist also "schutzlos" einem anderen ausgeliefert. Schön finde ich diese VErbindung der brutalen Tierwelt mit der Beziehungsebene -

In dieser schutzlosen Situation trifft das Ich nun auf ein Du, dass den Moment ausnutzt um in das Ich einzudringen. Ob es sich nun um eine Vergewaltigung handelt sei dahin gestellt - auf jeden Fall geht es um die GEwalt, die auf eine schutzlose PErson ausgeübt wird. Die PErson ist zuvor "im Sprung gefallen"... Das könnte man, Leonie vielleicht noch deutlicher sagen, dass die HErde verschwunden ist, eben weil man aus ihr herausgefallen ist.

Während der Angreifer sich dann an seinem Opfer satt-trinken kann (so empfinde ich das), fühlt sich das Ich wie eine (im Gras?Im Moment?) etrinkende - das Herz, wenn es denn weiterlaufen sollte (das Weiterlaufen kannst du ja auch thematisieren, leonie! Ich meine, das es nicht möglich ist) - läuft nur noch auf "lahmen Hufen" - nach diesem Angriff.

Ich finde das GEdicht also ziemlich deutlich in seinen Bildern.

Ist es so eindeutiger?
l

Louisa

Beitragvon Louisa » 28.01.2010, 12:11

PS: Man könnte das ganze vielleicht sogar "Angriff" nennen?

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Beitragvon leonie » 28.01.2010, 19:14

Hallo, Ihr beiden,

danke, dass Ihr Euch mit dem Text auseinandersetzt. Für mich ist es spannend, das zu lesen und zu sehen, wie er aufgenommen wird oder auch nicht ankommt.
Inhaltlich möchte ich selber erstmal nichts dazu sagen.
Über einen Titel denke ich noch nach.

Liebe Grüße

leonie


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